11 | Sicherheitsdenken
| Emma |
Die letzten Wochen fühlten sich völlig irreal an. Es ging alles so schnell und reibungslos, dass ich immer mehr Zweifel an diesem Weg hegte. Irgendwo musste doch der Haken an der ganzen Sache sein.
Als mich zwei Tage vor Harrys Show in New York eine Nachricht von ihm erreichte, war ich mir sicher, dass ich nun erfahren sollte, was an dem Ganzen faul war. Ich machte mich auf alles gefasst, doch letztendlich bewies mir Harry bloß wieder, wie gutmütig und fürsorglich er war.
Er versuchte mir meine Aufregung und Angst zu nehmen, was ich durchaus zu schätzen wusste. Damit, das auch zu zeigen, hatte ich jedoch meine Probleme.
Danke, alles gut.
Ich freue mich auch, gute Reise!
Das war meine Antwort an Harry gewesen, als er mit angeboten hatte, dass wir uns am Tag vor der Show noch treffen können, damit ich meine übrigen Fragen stellen konnte. Ich hatte tausende Fragen und konnte nicht im Geringsten einschätzen, was mich erwarten würde, doch zugeben wollte ich das nicht. Anscheinend hatte Harry auch mit nichts anderem gerechnet, denn kurz darauf erreichte mich eine weitere Nachricht.
Danke. Schön, dass von deiner Seite alles geklärt ist. Mir wäre allerdings wohler, wenn wir uns trotzdem noch einmal vor der Show zusammensitzen könnten. Komm morgen bitte einfach zum Hotel, ich schicke dir die Adresse.
Erleichtert las ich seine Worte und tippte schneller als ich wollte meine Einwilligung. Er hatte mir schon wieder abgenommen, mir eingestehen zu müssen, dass ich unsicher war und gerne Hilfe brauchte. Und ich konnte nicht einschätzen, ob er das bewusst tat, oder ob er einfach ein unglaublich fürsorglicher Mensch war.
Okay, dann bis morgen, antwortete ich knapp.
Ob Harry zwischen den Zeilen herauslesen konnte, wie dankbar ich ihm war, wusste ich nicht.
In dieser Nacht machte ich kein Auge zu. Ich hatte nichts anderes erwartet, immerhin fiel es mir schon die ganze Woche schwer, Schlaf zu finden. Je näher mein neuer Job und damit mein neuer Lebensabschnitt rückte, desto mehr spielten meine Gedanken verrückt. Es passierte so viel, dass ich nicht mehr hinterher kam, alles zu verarbeiten. Dass ich nun am nächsten Tag zu Harry Styles fahren sollte, um mit ihm über unsere Zusammenarbeit bei seiner Show zu sprechen, war nur die Spitze des Eisbergs.
Dass ich Harry nun schon zum zweiten Mal geplant treffen sollte, beruhigte mich immerhin etwas in meiner Aufregung. Er würde mich nicht scharf anreden, dreist zurechtweisen oder urteilend mustern, sollte ich meine Unwissenheit und Laienhaftigkeit zeigen. Er nahm mir meine Angst, doch nervös war ich dennoch.
Das Hotel Gansevoort sollte dieses Mal Ort des Geschehens sein. Hier erwartete mich Harry in der Lounge im obersten Stockwerk des Gebäudes.
„Na", strahlte er mich breit an. Während ich mich noch unsicher umsah und wie ein Geist in diesem schicken Hotel umherwandelte, stand Harry selbstbewusst und gut gelaunt im Eingangsbereich der Lounge. Er musste auch gerade eben erst angekommen sein.
„Oh, hi", erwiderte ich überrumpelt.
Es hatte kurz gedauert, bis ich ihn erkannt hatte. Immerhin hatte ich nicht erwartet, ihn so kurz nach dem Fahrstuhl bereits hier herumstehen zu stehen.
Dieses Mal sah er irgendwie herrlich bodenständig und privat aus. Seine Haare schienen noch leicht nass zu sein. Vermutlich hatte er gerade eben noch geduscht und dann in gemütlichen Klamotten noch einmal das Hotelzimmer verlassen, um nach hier oben zu fahren und mich zu treffen.
„Tut mir leid, dass es etwas später geworden ist. Ich hab noch bei den Proben festgesteckt", seufzte er entschuldigend und lehnte sich näher zu mir, um mich flüchtig zu umarmen. Dass er einen guten, persönlichen Kontakt zu seinen Mitarbeiten pflegen wollte, hatte er mir ja letztens schon mitgeteilt.
Seine Haare waren tatsächlich noch nicht trocken und er selbst frisch geduscht. Er roch so unheimlich angenehm.
„Kein Problem, du hast mir ja rechtzeitig Bescheid gegeben", winkte ich ehrlich ab. Immerhin hatte er mich den ganzen Tag zuverlässig auf dem Laufenden gehalten und mich jede Verzögerung wissen lassen.
„Gut", lächelte Harry. „Schön, dass du hier bist. Komm!"
Auffordernd winkte mich Harry mit sich zu einem der gemütlich wirkenden, ruhigen Sitzecken. Es waren nur wenige der gepolsterten Sessel besetzt. An manchen unterhielten sich ältere Männer und Frauen offensichtlich geschäftlich, an anderen schien ein gelungenes, sehr stilvolles Date auszuklingen. Es war eine seltsame Gesellschaft, doch sie war mir allemal lieber als die des Maélys.
Im Vorbeigehen hatte Harry routiniert zwei alkoholfreie Dinks an der Bar geordert und sah mich nun erwartungsvoll an, als er mir gegenübersaß. „Und? Bereust du deine Entscheidung schon?"
Lachend schüttelte ich den Kopf. „Noch nicht. Aber vielleicht fragst du mich lieber morgen um diese Zeit nochmal."
„Achwas", gab sich Harry überzeugt. „Vermisst du das Kellnern denn schon?"
„Nein, dazu hab' ich auch noch keinen Grund", antwortete ich ehrlich. „Ich arbeite noch weiterhin im Restaurant, solange es die Zeit zulässt. Ich hab' gestern noch gearbeitet und übermorgen werde ich auch wieder arbeiten. Ich hab' nur meine Stunden reduziert. Ich habe gesagt, ich würde mich langsam auf meinen Studien-Einstieg vorbereiten wollen."
Gerne hätte ich die Neuigkeiten in meinem Leben mit Eric geteilt, doch der hätte diese Information weder für sich behalten können, noch hätte ich damit umgehen können, wenn er mich ständig damit konfrontiert – und das hätte er sicherlich getan. Stattdessen hatte ich also alles für mich behalten und versuchte, mein Leben bestmöglich so beizubehalten, wie es war.
Mit großen Augen sah Harry mich an.
„Ist das dein Ernst?", fragte er ungläubig. „Du willst ja wirklich nicht das geringste Risiko eingehen, was?"
„Naja, es kann ja nicht schaden, ein gewisses Sicherheitsnetz zu haben", entgegnete ich und fühlte mich direkt wieder kritisiert. „Ich kann dann ja immer noch kündigen, wenn es notwendig wird."
Urteilend sah Harry mich an und schüttelte verständnislos den Kopf. So viel dazu, dass ich davon ausgegangen war, er würde sich immer bemühen, mir ein sicheres, wohliges Gefühl zu vermitteln.
„Das ist doch überhaupt nicht der Sinn der Sache!", beschwerte sich Harry. „Dein Sicherheitsdenken ist ja wohl das Letzte, das du jetzt brauchen kannst. Nichts hemmt die Kreativität mehr."
Innerlich rollte ich mit den Augen, äußerlich knirschte ich mit den Zähnen. Ich hatte damit gerechnet, Harry würde mir erklären, was morgen von mir erwartet werden wird und wie seine Show ablaufen soll. Stattdessen kritisierte er nun schon wieder meine Lebenseinstellung.
„Keine Sorge", raunte ich latent genervt. „Ich werde dich morgen nicht anders fotografieren, nur weil ich am Tag darauf wieder kellnere."
„Doch, eben schon. Du fährst mit angezogener Handbremse, weil du nicht darauf vertraust, dass du gut darin sein wirst", glaubte Harry zu wissen. „Ich hätte nach X-Factor auch sagen können, dass ich erstmal die Schule fertigmachen will, weil die Musikkarriere ja schief laufen könnte. Aber die Jungs und ich haben so sehr darauf vertraut, dass dieser Weg der Richtige für uns ist und haben alles darauf gesetzt. Und es hat all unsere Erwartungen übetroffen."
Ohne noch einmal über meine Worte nachzudenken, hakte ich an dieser Stelle ein und klang wie ein trotziges Kind.
„Achja? Bereust du nicht inzwischen, dass du einen wichtigen Teil deines Lebens verpasst hast, weil du so früh berühmt wurdest?"
Auf diese direkte und unverschämte Art und Weise mit jemandem zu sprechen, der mir bereits so oft die Hand gereicht und zu unglaublichen Chancen verholfen hat, war schrecklich dreist. Ihm nun hier, bei unserem zweiten Treffen, das um die Ohren zu hauen, was er mir beim Ersten anvertraut hatte, war ebenfalls völlig unangebracht.
Andererseits wollte ich Harry gegenüber nicht über alles, was ich sagte, mehrmals nachdenken müssen. Ich wollte sagen, was ich denke. Und wenn er erwartet, ich würde ihn nun als Chef, dem ich zu Dank verpflichtet bin, sehen, wollte ich dieses Geschäftsverhältnis erst gar nicht weiterführen.
Überrascht von meiner Tonlage sah mich Harry prüfend an. Er schien kurz zu überlegen, ob er nun gekränkt oder wütend sein sollte. Stattdessen sprach er dann aber mit ruhiger Stimme weiter.
„Hätte ich es nicht gemacht, hätte ich aber diese Zeit verpasst. Diese ganzen unfassbaren Jahre und die unglaublichen Dinge, die ich seit ich 16 bin, erleben darf. Ich habe meinen Traum und meine Leidenschaft gelebt. Und das Glück, ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen, ist nur sehr Wenigen vorbehalten, wie du selbst so schön gesagt hast", hielt er mir nun meine eigenen Worte, die ich bei unserer ersten Begegnung von mir gegeben hatte, vor.
„Willst du mich jetzt also zwingen, im Maélys zu kündigen?", fragte ich trotzig, ohne weiter auf seine Aussage einzugehen.
Stumm schüttelte Harry den Kopf.
„Ich lege dir nur ans Herz, es zu tun."
Vermutlich hatte er recht. Ich erlaubte mir immer noch nicht, wirklich daran zu glauben, dass dieser Weg erfolgreich sein könnte, selbst wenn ich es mir wünschte. Ich war verstrickt in mein Sicherheitsdenken, weil ich Angst hatte, schließlich wieder am Anfang zu stehen und dort zu enden, wo ich niemals wieder hin wollte.
„Eric und George werden die Krise kriegen", murmelte ich zu mir selbst. „Was soll ich denen denn sagen?"
„Wie wär's mit der Wahrheit?", schlug Harry schulterzuckend vor. „Du kannst dich doch nicht ständig vorbeugend für irgendetwas schämen, nur weil du Angst hast, zu scheitern."
Harrys Worte hatten gesessen. Er hatte Recht. Ich hatte Angst davor, in wenigen Wochen wieder im Maélys angekrochen zu kommen, weil ich Harrys Welt nicht gepackt habe und all den Erwartungen nicht gerecht werden konnte. Zugeben wollte ich aber auch das nicht.
„Na schön, dann kündige ich eben", brummte ich zurück und versuchte möglichst unberührt und gleichgültig zu klingen.
Harry sagte nichts, seine Mundwinkel zuckten nur kurz nach oben. Er schien amüsiert in sich hinein zu grinsen, als wüsste er ganz genau, wie sehr das, was ich nach Außen hin auszustrahlen versuchte, von meinem Inneren abwich. Es war kaum zu glauben, dass wir einander erst so selten begegnet waren.
„Können wir auch mal über morgen sprechen?", versuchte ich endlich auf das Wesentliche zu sprechen zu kommen. „Wie läuft das morgen?"
„Du wirst abgeholt, zur Location gefahren und zu mir gebracht. Und dann würde ich dir morgen gerne einfach freie Hand lassen. Bestimmt findest du die richtigen Momente, die du festhalten willst", erklärte er mit ruhiger Stimme.
„Und was ist mit der Ausrüstung? Mir wurde gesagt, ich solle einfach mitbringen, was ich habe, aber -"
„Ich weiß, darum habe ich gebeten", hakte Harry ein. „Nimm einfach mit, was du immer verwendest."
„Das ist aber nicht unbedingt die beste Kamera, Harry", gestand ich irritiert. Ich wusste nicht, was er glaubte, aber vielleicht war ihm nicht ganz klar, dass ich nicht das besaß, was er von anderen Fotografen gewöhnt war. „Ich hab das, was ich mir nach etwas Sparen leisten konnte."
„Na das klingt doch perfekt", nickte Harry überzeugt. „Das wird gut morgen, da bin ich mir sicher."
Feierlich griff er nach einem der beiden Gläser, die der Barkeeper beinahe unbemerkt an unseren Tisch gebracht hatte. Vielleicht hatte ich mich aber auch einfach so auf Harry und seine Worte konzentriert, dass ich ihn nicht bemerkt hatte.
„Auf morgen!", sprach er auffordernd eine Toast aus und hob sein Glas.
Lächelnd tat ich es ihm gleich, obwohl mir nicht ganz wohl dabei war, auf etwas anzustoßen, was ich noch nicht geschafft hatte. Aber Harry hatte etwas Grundlegendes in mir angestoßen: Ich musste alles auf eine Karte setzen, um mir selbst zu beweisen, dass ich an diesen Weg glaubte. Denn je näher diese aufregende Zeit mit Harry rückte, desto bewusster wurde mir, dass ich mich bisher auf einen falschen Weg gezwungen hatte.
„Auf morgen", stimmte ich, wenn auch etwas zurückhaltender als Harry, mit ein.
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