07 | Fremde gegen Freunde
| Emma |
Das Positive daran, stets auf sich allein gestellt zu sein, ist, dass einzig und allein die eigene Meinung Gewicht hat. Es gibt keine Stimmen, die einen beeinflussen und niemanden, der Zweifel schürt. Zwar unterstützt einen auch niemand, doch ich habe schon vor langer Zeit gelernt, mir meine eigene Stütze zu sein.
Alles, was in den letzten Wochen passiert war, hatte ich für mich behalten - nun, abgesehen von der Nachricht, dass Harry Styles ein gutes Trinkgeld gegeben hatte. Alles, was danach noch folgte, wusste niemand in meinem sehr überschaubaren Umfeld.
Ich hatte niemanden davon erzählt, dass ich Harry nach seinem Essen außerhalb des Restaurants noch einmal getroffen hatte und er mir sogar einen Chauffeur spendiert hat. Es wusste auch niemand, dass er den Kontakt zwischen mir und seinem Management hergestellt hatte und schon gar nicht, dass ich nun in der Funktion als Fotografin vorstellig werden sollte.
Mein Telefonat mit Harry lag inzwischen drei Wochen zurück. Ich verließ mich nicht darauf, dass er sich je wieder melden würde.
Vielleicht hatte er meine Bilder noch einmal angesehen und bemerkt, dass sie doch nicht gut genug waren. Oder womöglich hat ihm sein Management von mir abgeraten. Das Wahrscheinlichste aller Szenarien war, dass sich ein kompetenter, erfahrener und vorallem professioneller Fotograf längst den Job in Harry Styles' Reihen gesichert hat.
Selbst wenn ich unterbewusst immer noch hoffte und aufgeregt war, wagte ich es nicht, je wieder mit einer Nachricht von Harry zu rechnen.
Entsprechend tief saß der Schock, als ich nach einer ermüdenden Schicht spätabends meine Sachen aus dem Spind holte. Während Eric auf mich einredete und gut gelaunt in den Feierabend steuerte, wollte ich nur eben einen beiläufigen Blick auf mein Handy werfen.
Für gewöhnlich erwarteten mich nach den 9 Stunden Arbeit keine Neuigkeiten – anders als an diesem Tag. Mit erschrockenem Blick starrte ich auf den Bildschirm meines Handys.
Ein entgangener Anruf einer nicht eingespeicherten Nummer und doch wusste ich, von wem sie stammt.
„Ist was passiert?", drang erst nach einer Weile Erics tiefe Stimme zu mir durch.
Wartend stand er am Personalausgang und hielt mir mit gerunzelter Stirn die Türe auf, während ich in meinen Bewegungen eingefroren war. Harry hatte es schon wieder geschafft, mich in Schockstarre verfallen zu lassen.
Unruhig sah ich ihn an. Mein Herz trommelte so laut, dass ich fürchtete, Eric könnte es tatsächlich hören. Schnell versuchte ich also, meine Aufregung zu überspielen.
„Was? Nein, alles gut", winkte ich ab und ließ mein Handy in meine Hosentasche verschwinden.
Prüfend musterte mich Eric und legte die Stirn in Falten.
„Sicher?"
„Klar, ich will einfach nur ins Bett."
Eric glaubte mir kein Wort, das rief mir schon sein Blick entgegen. Argwöhnisch beobachtete er mich, als ich an ihm vorüberging und ins Freie trat.
„Jetzt arbeiten wir schon eine ganze Weile zusammen und immer noch weiß ich fast gar nichts über dein Leben, Emma", fiel ihm wieder einmal auf. „Du hättest gerade eine Nachricht von deinem Ex, deiner Affäre oder einem vermisst geglaubten Bruder bekommen können und ich würde dir alles davon zutrauen."
Matt lächelte ich ihn an. Mir wurde ständig gesagt, wie verschlossen und undurchschaubar ich war.
Ich sprach nun mal nicht viel über mich, das war alles. Und wenn, dann ausschließlich über alles, was ich mir vorgenommen habe oder derzeit präsent ist - niemals über das, was war.
„Ich kann dir versichern, dass nichts davon der Fall ist", erwiderte ich.
„Sondern?"
„Du bist ziemlich neugierig."
„Klar, weil du nie was erzählst. Und dabei weißt du so viel über mich", sagte Eric.
Es klang schwer nach einem Vorwurf und er hatte recht damit. Eric bemühte sich stets darum, eine Freundschaft zwischen uns aufzubauen, doch egal wieviel er fragte und mir von sich erzählte, bekam er doch nie das zurück, was er sich erhoffte. Ich wahrte Distanz, ob bewusst oder unbewusst. Ich wusste selbst nicht, wieviel von mir ich den Menschen um mich herum zeigen wollte.
Obwohl ich immer nett zu Eric war und ihm auch zeigte, dass ich ihn gern hatte, war da immer eine Fremde zwischen uns.
„Du weißt auch Einiges über mich", behauptete ich instinktiv, was ein ironisches Auflachen seitens Eric nach sich zog.
„Ich weiß, dass du in einer WG lebst, im Maélys arbeitest, um studieren zu können, laut Instagram gerne fotografierst und ansonsten wohl nicht das Geringste unternimmst."
„Na also", zuckte ich lachend mit den Schultern und log weiterhin wie gedruckt. „Mehr gibt es auch gar nicht zu wissen."
„Doch. Zum Beispiel, woher du eigentlich kommst und wie du hier gelandet bist. Oder wer da gerade geschrieben hat", wollte Eric nicht locker lassen und ließ mich damit innerlich langsam rasend werden.
Nach außen hin wahrte ich zwar mein selbstsicheres Grinsen, schwieg aber weiterhin und musste kräftig schlucken.
Mir fiel beim besten Willen keine Ausrede ein, die mich davon erlösen konnte, Eric zu berichten, dass vermutlich Harry Styles versucht hatte, mich zu erreichen.
„Na schön, dann bleib eben weiterhin die geheimnisvolle Fremde", raunte Eric genervt und zuckte bockig mit den Schultern. „Du solltest echt mal mehr unter Leute, Emma."
Den Rest des Weges zur U-Bahn hüllte sich Eric in Schweigen. In diesem Moment wurde
mir erst in vollem Ausmaß bewusst, dass er es war, der unsere Gespräche stets am Laufen hielt. Er hatte bisher immer von sich erzählt, offen meine Fragen beantwortet und mich auf dem Laufenden gehalten, was in seiner angestrebten Modelkarriere so passierte. Ich hingegen hatte immer jede seiner Fragen abgewehrt oder genossen, dass er genug Anstand hatte, um nicht unnötig nachzubohren oder indiskrete Fragen zu stellen.
Kurz bevor sich unsere Wege an diesem Abend trennten, brach ich endlich die Stille und stellte ihm doch noch eine kindlich klingende Frage.
„Bist du böse?"
Leicht lachend schüttelte Eric den Kopf.
„Nein, ich finde es einfach nur schade. Ich glaube, du hältst zu viel zurück", mutmaßte er, ehe er zum Abschied seine Hand hob. „Bis morgen, Emma."
„Bis morgen", lächelte ich zurück, ehe jeder seiner eigenen Wege ging.
An jedem anderen Tag hätte ich ihn aufgehalten, um zu versuchen, mich zu erklären oder hätte zumindest seine Worte und mein Verhalten überdacht - doch nicht heute.
Die ganze Fahrt über drehten sich meine Gedanken nicht um Eric, sondern um den entgangenen Anruf. Man hatte mich kurz vor Feierabend, um 23 Uhr, erreichen wollen. Sollte es Harry gewesen sein, hätte er zu einer überraschend seltsamen Zeit angerufen. Allerdings konnte er sich in jeglicher Zeitzone befinden, also was hatte das schon zu bedeuten?
Der schnellste Weg, mich aus meiner Ungewissheit zu befreien, war ein Rückruf, selbst wenn es bereits nach Mitternacht war. Wer nur eine Stunde zuvor versucht hatte, mich zu erreichen, sollte sich daran nicht stören.
Aufgeregt lag ich auf meinem Bett und starrte an die Decke, als das Freizeichen in meinem Ohr tönte. Es dauerte bloß wenige Sekunden, bis eine bekannte Stimme den Anruf entgegennahm - Harry.
„Hi Emma", begrüßte er mich und klang, als hätte er meinen Anruf bereits erwartet.
„Hi Harry", erwiderte ich mechanisch.
Es passierte also tatsächlich. Er hatte sich noch einmal gemeldet - womöglich bloß, um
mir mitzuteilen, dass er bereits fündig geworden war, was seine offene Stelle anging.
„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, es war etwas chaotisch", räumte Harry entschuldigend ein. „Aber jetzt geht plötzlich alles sehr schnell, deshalb dachte ich, ich ruf dich lieber direkt so spät noch an."
„Klar, kein Problem, ich hab' nur gearbeitet. Was geht denn nun plötzlich so schnell?", wollte ich wissen.
Das flaue Gefühl im Magen war unerträglich.
„Wir fliegen morgen Abend direkt schon nach New York und würden dich gerne übermorgen treffen."
Schon war das flaue, aufgeregte Gefühl zu einem undefinierbaren Cocktail an Emotionen geworden. Am Liebsten hätte ich ein klares „Nein" von mir gegeben, bloß um der Situation zu entfliehen und wieder meinem Leben, wie ich es geplant hatte, nachgehen zu können.
Aber mir bot sich eine Chance, wie ich sie niemals wieder bekommen würde.
„Übermorgen", wiederholte ich, während es in meinem Kopf ratterte. Wenn sich eine solche Gelegenheit bot, sollte man in der Regel alles andere absagen, doch ich überlegte tatsächlich, wie meine Arbeitspläne diese Woche aussahen. „Da hab ich frei", fiel mir schließlich ein.
„Na das trifft sich doch gut, dann hast du ab jetzt übermorgen was vor", lachte Harry. „Ich geb' meiner Assistentin Bescheid, dass sie was reservieren soll. Irgendweche Wünsche, außer dass es auf keinen Fall zu deinem Arbeitgeber gehen soll?"
Am Liebsten wäre es mir gewesen, hätten wir uns in einem simplen Straßencafé treffen können. Dann müsste ich nicht zu den Menschen werden, die ich in meinem Arbeitsalltag ständig verurteilte. Doch das stand wohl nicht zur Option.
„Nein", antwortete ich also. „Nichts besonderes."
„Alles klar, ich lass dich jetzt auch schon schlafen. Bei euch ist es ja noch später als bei uns. Ich schicke dir dann Adresse und Uhrzeit. Bis dann."
Obwohl Harry kurz angebunden war und das Telefonat direkt wieder beendet hatte, verlor er nie seine Freundlichkeit. Er schaffte es, dass ein unglaublich großes Ereignis wie das, was mir widerfuhr, nach einem beiläufigen Kaffeekränzchen klang - und ein Teil in mir freute sich sogar darauf.
Ein anderer Teil widerum kam vor Aufregung und Grauen beinahe um.
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