Mia: "Die neue Zeit: Anfänge" von Kyrillz
So, was steht heute an? Die dystopische Science-Fiction Erzählung (oder ist es doch Fantasy?) von Kyrillz.
Bei dieser Geschichte ist es mir wichtig, zu Anfang eine Zusammenfassung der Handlung zu geben, und zwar eine vollständige. Seid bitte so lieb und tut euch, mir und Kyrillz den Gefallen und überspringt hier, wenn euch das Genre im Allgemeinen anspricht.
Auf der Erde ist nichts mehr, wie es einmal war. Nach der großen Verheerung wurden die Magier für das Unglück verantwortlich gemacht und die Magie verboten. Der Menschheit bleibt nichts übrig, als eine neue Zuflucht auf dem Planeten New Earth zu suchen. Hier treffen wir auf Mara, die in einem Dorf lebt, das im Konflikt mit der angrenzenden Stadt Nelkville liegt. Und wir treffen auch auf Kyle, der bewusstlos von Mara gefunden und zur Genesung nach Nelkville gebracht wird - wo er feststellt, dass er unter Amnesie leidet.
SPOILER ANFANG
Dass sich Kyle in Nelkville aufhält, stellt sich als absoluter Glücksgriff für die Stadt und Maras Dorf heraus. Er ist nämlich noch nicht gefangen in der Vorstellung, aus dem Krieg zwischen den zwei Orten gäbe es keinen Ausweg mehr. Tatsächlich schafft er es, nachzuweisen, dass der Krieg bewusst von einem Mann angezettelt wurde, der darüber hinaus noch Menschen in Nelkville selbst vergiftet. Der Konflikt kann beigelegt werden und Kyle und Mara entschließen sich, ihren weiteren Weg gemeinsam zu finden.
SPOILER ENDE
Parallel folgen wir der Geschichte des Soldaten John, der ein Rebellenlager ausfindig machen soll. Und wenn ich sage, er ist ein Soldat, dann meine ich auch, dass er praktisch nichts anderes ist. Seine Erinnerungen wurden nämlich gelöscht, was ihn im Verlauf der Handlung vor immer größere Probleme stellt, während er eigentlich ganz andere Dinge zu tun hat. Dabei ist "Werwolf" nur ein entscheidendes Stichwort.
Jetzt muss ich sagen: Ich liebe diesen Plot von vorne bis hinten. Ich finde die Idee mit der verbotenen Magie auf der alten Erde fantastisch. Vermischungen von Fantasy und Science Fiction sind nicht so häufig, dabei gibt es so viele Möglichkeiten und du traust dich, dir eine davon zu eigen zu machen. Das hat mir echt sehr gut gefallen.
Gleiches gilt für die Aufteilung der Hauptfiguren: Die SciFi-Kriegs-Thriller-Handlung mit Kyle und Mara gepaart mit dem stärker durch Fantasy-Elemente geprägten Strang von John ergeben ein sehr interessantes Gesamtbild, das dazu führt, dass ich mehr von der Welt erfahren will. Ich bin gespannt, was es noch mit Johns Vergangenheit auf sich hat, ich will wissen, woher Kyle seinen Erinnerungsverlust hat und wie viel von der Magie in der Welt noch übrig ist. Die Fragen hast du alle sehr geschickt aufgeworfen und solltest du einen zweiten Teil schreiben, wäre ich definitiv mit von der Partie.
So. Jetzt habe ich ganz viel plottechnisch gefangirlt. Jemand, der deine Geschichte vielleicht nicht kennt, könnte sich jetzt zurecht fragen: Und wie ist das Ganze schreibtechnisch umgesetzt? An der Stelle muss ich gestehen, dass ich nicht mit ganz so viel Enthusiasmus weitererzählen kann.
Deine Ideen sind großartig, das kann ich gar nicht oft genug betonen. Aber der Weg, wie du zu ihrer Auflösung kommst, sind teilweise noch ein wenig löchrig. Das fängt schon ganz am Anfang an, als Mara Kyle am See findet. Zu dem Zeitpunkt wissen wir als Leser schon, dass Nelkville und Maras Heimat miteinander im Krieg liegen. Trotzdem bringt sie Kyle völlig problemlos zur Stadt, legt ihn dort ab, und verschwindet wieder. Erstens. Wieso bringt sie ihn dorthin anstatt in ihr Dorf? Zweitens. Wieso gibt es niemanden, der da Wache hält?
SPOILER ANFANG
Aber das sind nicht alle Punkte. Als Kyle Mara rettet, gibt es keinen Grund dafür. Er kennt sie nicht und er ist in einen Kampf verstrickt. Warum zeigt er ausgerechnet bei ihr Gnade? Und warum reagieren die Dorfbewohner auf ihn, wie sie das nun einmal tun? Wenn jemand eines meiner Familienmitglieder verwundet nach dem Kampf nach Hause bringen würde, hätte ich wahrscheinlich andere Instinkte, als denjenigen k.o. zu schlagen und in einen Käfig zu sperren.
Und, für mich wahrscheinlich am wichtigsten: Dillan ist am Ende der Bösewicht. Die Enthüllung besteht aus "Es kann niemand anderes sein." Da bin ich absolut nicht auf Kyles Seite. Er hat in seiner Zeit in Nelkville ziemlich original drei Bekanntschaften geschlossen und dann kann es in einer ganzen Stadt keine andere Möglichkeit geben, außer, dass Dillan hinter dem Allen steckt? Ich bin bereit, an Glaubwürdigkeit über vieles hinwegzusehen, aber an manchen Stellen ist für mich eine Grenze erreicht. Das hier war eine davon.
SPOILER ENDE
Dieser Liste könnte ich noch ein paar Punkte hinzufügen, aber ich denke, die allgemeine Nachricht kommt auch so an. Setz dich vielleicht wirklich noch einmal hin und überlege dir ganz konkret, wie die Schritte aussehen könnten, die manche Schlüsse und Handlungen zwingend notwendig machen, damit sie nicht so sehr aus dem Nichts kommen.
Noch einmal: Ich habe überhaupt kein Problem damit, wie du die Plotelemente auflöst. Gerade Dillans Plottwist fand ich sehr gut, aber was mir - entschuldige bitte - völlig gefehlt hat, waren nachvollziehbare Wege an diese Punkte. Und in diesem Zusammenhang würde ich auch einmal eine gewagte These aufstellen: Deine Geschichte hätte das Potential, viel länger zu sein als zwölf Kapitel. Wenn du dir stellenweise mehr Zeit lassen würdest, den Plot und die Figuren mit ihren Beziehungen sich entwickeln zu lassen.
Dann erlaube ich mir noch einmal, zu John zurückzuspringen: Seinen Plot fand ich hochinteressant und mir hat die Atmosphäre sehr gut gefallen. Über seinen "sprechenden" Anzug habe ich mehrfach breit gegrinst, der war wirklich genial. Eigentlich habe ich hier auch nur eine ganz kurze Anmerkung: Vielleicht versuchst du in Zukunft, verschiedene Handlungsstränge mehr miteinander zu verbinden. Auf aktuellem Stand habe ich ein wenig das Gefühl, zwei verschiedene Geschichten parallel gelesen zu haben, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben.
So, genug über den Plot geredet, wie sieht es denn mit dem Stil aus? Kurz und bündig, so sieht es aus. Stellenweise hat dein Schreibstil beinahe etwas von einem Telegrammstil, du arbeitest viel mit Ellipsen und nachgetragenen Ergänzungen. Habe ich noch nicht oft so gelesen, fand ich aber sehr interessant zu lesen. Nicht jeder braucht ausschweifende Beschreibungen oder Szenerien, das fand ich erfrischend. Das ist definitiv eine gute Entscheidung, die man treffen kann.
Auch hier schwankt für mich allerdings die Umsetzung. Stellenweise funktioniert es sehr gut bis grandios, zum Beispiel am Anfang von Kapitel 4, als Kyle aufwacht:
"Ich reibe mir die Augen. Das Zimmer ist vom Sonnenlicht schon hell erleuchtet. Über der Tür hängt eine Uhr. 15:20 Uhr."
Natürlich mag dieser Stil nicht jedermanns Sache sein, aber mir gefällt er an dieser Stelle sehr, da muss ich dich einfach loben. An anderen Stellen ... funktioniert es nicht ganz so gut. Und das gilt insbesondere bei den Handlungsabschnitten, die zwischen Dialogen stattfinden. Aus folgender Stelle in Kapitel 3 habe ich einmal die Dialogzeilen herausgeschnitten, damit du verstehst, was ich meine:
"Granny gibt Mara einen Kuss auf die Stirn. Granny beginnt die Äpfel einzuräumen. [...] Granny dreht sich mit einem breiten Grinsen um. [...] Mara seufzt und setzt sich an den Tisch. Granny schenkt ihr einen Tee ein."
Kurzer Stil ist völlig in Ordnung, aber du darfst dabei nicht vergessen, deine Satzstruktur zu variieren.
Eine kleine Anmerkung hätte ich auch noch: Du setzt Satzzeichen konsequent außerhalb der wörtlichen Rede. Also beispielsweise wieder in Kapitel 3:
"Ohh Mara, du bist ein Schatz".
Wenn der Sprechende einen Punkt macht, dann gehört dieser Punkt auch noch in die wörtliche Rede mit rein, das wäre noch wichtig.
Jetzt kannst du dir wahrscheinlich denken, worüber noch zu sprechen ist. Deine Charaktere natürlich. Hier laufe ich ein wenig Gefahr, mich in dem zu wiederholen, was ich schon einige Male gesagt habe: Deine Konzepte sind großartig. Die eher friedliebende Heldin, der Held mit Amnesie, der Soldat auf der Suche nach seiner Familie, der Bösewicht mit Wut auf das System, die unschuldige Freundin des Bösewichts mit einem Alkoholproblem. Das sind alles Charakterentwürfe, die überzeugen und für einen vielseiten Cast sorgen. Ich persönlich bin ganz besonders großer John-Fan.
Teilweise könntest du noch ein wenig mehr darauf achten, wie du diese Charaktere und Charakterzüge einbringst. So ist einer deiner ersten Sätze über Mara:
"Mit anzusehen, wie die Leute, die ihr wichtig sind, dem Hass verfallen oder sterben, ist schrecklich für sie." (Kapitel 1)
oder in Kapitel 3
"Mara hat die Eigenschaft, auch in angespannten Situationen eine Ruhe in ihrer Stimme zu bewahren."
Da finde ich es schade, dass ich das nicht gezeigt bekomme, ganz getreu dem Motto "Show don't tell". In beiden Situationen wäre Maras Charakter greifbarer, wenn sie mit ansieht, wie Leute dem Krieg zum Opfer fallen, oder wenn wir als Leser sehen, dass sie die Ruhe behält, anstatt dass du uns das sozusagen als Erzähler mitteilen musst.
Gleiches ist mir beispielsweise auch bei Jenna aufgefallen. Sie ist einmal mit Kyle etwas trinken und schon schlussfolgert er "Du trinkst öfter mal ein Weizen, oder?". Das kam wie die oben angesprochene Dillan-Auflösung sehr aus dem Nichts und während ich den Gedanken interessant finde, ist für mich die Rechtfertigung dafür nicht wirklich da.
Also, um das Ganze zu einem Abschluss zu bringen: Ich finde an sich die Handlung deiner Geschichte wirklich vielversprechend, du hast tolle Ideen und klare Konzepte, wie sich die Charaktere anfühlen sollen. Aktuell fehlen mir aber für ein wirklich stimmiges Gesamtbild noch die logischen Verbindungen zwischen den einzelnen Handlungsschritten und die etwas organischere Einführung der verschiedenen Charaktereigenschaften.
Noch Fragen? Die Kommentarspalte ist aktuell ganz traurig leer :D
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