Kapitel 8
Amara
»Ihr habt euch also wieder versöhnt?«, fragt Mum mich, während sie sich ein Kleid ansieht, das wie für sie gemacht ist.
»Genau. Nachdem Dad Jacob nicht reinbitten wollte, bin ich kurzerhand mit ihm gegangen«, erwidere ich. Es sind fast zwei Wochen vergangen, in denen die Harmonie zwischen Jacob und mir wieder hergestellt wurde. Inzwischen ist alles vergessen.
Vermutlich ist es genau das, was mir an Jacob so gut gefällt. Er kann wütend werden und manchmal bin ich davon äußerst genervt. Aber wenn es darauf ankommt, versöhnen wir uns immer wieder, können miteinander lachen und haben den besten Sex, den wir je hatten.
Vermutlich könnte man denken, dass ich ein wenig bequem bin, aber wir beide sind an nichts Festem interessiert und solange wir beide Spaß an der Sache haben, ist doch alles in bester Ordnung. Es gibt definitiv schlimmere Dinge als Sex auf Abruf zu haben.
»Dein Vater kann sehr beschützend sein, ma chére«, erwidert sie und ich seufze leise.
»Ich bin 24 Jahre alt, Mum, und somit nicht mehr in einem Alter, wo Dad sich um mich Sorgen muss, als wäre ich nicht fähig, eigenständig zu leben«, entgegne ich.
»Das weiß ich doch. Dein Vater weiß es auch, nur muss er ab und an daran erinnert werden. Keinem Vater fällt es leicht zu sehen, wie die Tochter erwachsen wird, und mit einem Mann sicherlich nicht nur kuschelt«, erklärt sie.
»Nein, sicher nicht. Aber dennoch kann ich ihn manchmal wirklich nicht verstehen, Mum. Ich bin eine erwachsene Frau. Er muss nicht ständig auf mich aufpassen und ich möchte deswegen auch nicht ständig wütend auf ihn sein«, brumme ich.
Mum schüttelt bloß mit dem Kopf. »Ich schätze, das kannst du nicht mehr aus ihm herauskitzeln«, antwortet sie. »Was hältst du von dem Kleid?« Noch immer hält sie es in der Hand und begutachtet es. Für mich ist eigentlich schon klar, dass sie es kaufen muss.
»Das fragst du noch?«, meine ich lachend. »Probier es an!«
Mum lacht, ehe sie das Kleid nun von der Stange zieht und in die Hand nimmt. »Bin gleich wieder da«, antwortet sie und fragt eine der Verkäuferinnen nach einer Umkleide.
Heute ist einer dieser Tage, die ich liebe. Zeit mit meiner Mum zu verbringen gehört ebenso dazu. Wir schlendern durch die Oxford Street, gehen mit Dads Kreditkarte einkaufen und schlagen uns anschließend die Bäuche voll.
Während ich mich weiterhin umsehe, fällt mir plötzlich ein Mann auf, der ebenfalls sämtliche Kleidungstücke begutachtet. Manchmal treffen seine Blicke auf meine, weshalb er sich dann schnell abwendet und weiterhin die Kleidung inspiziert.
Er trägt komplett schwarze Kleidung und wandert auf Samtpfoten zwischen den Kleiderständern hin und her. Irgendwann spricht ihn eine Verkäuferin an und verwickelt ihn in ein Gespräch, weswegen ich mich von ihm abwende. Vermutlich sucht er bloß nach einem Geschenk für seine Frau und weiß absolut nicht, wo er damit beginnen soll.
Ich beschließe, den Pullover anzuprobieren, weshalb ich mich auf den Weg zur Umkleide meiner Mutter mache.
»Mamon? Passt das Kleid?«, rufe ich, als ich die Verkäuferin entdecke, die sie vorhin angesprochen hat.
»Ma chére, es ist wunderbar. J'adore«, höre ich sie schwärmen und lächle, als sie im nächsten Moment den roten Samtvorhang zu Seite schiebt. Das Kleid ist schwarz und ziemlich elegant. Der Ausschnitt ist nicht zu tief, sondern ein wenig höher geschlossen. Mit einer Kette würde das Kleid sicherlich noch besser aussehen.
»Du kaufst es, oder?«, hake ich nach, wobei ich mir sicher bin, die Antwort bereits zu kennen.
»Natürlich kaufe ich es!«, antwortet sie und dreht sich einmal. Der Kontrast zu ihren blonden Haaren ist stark, aber es steht ihr wirklich gut. »Dein Vater und ich haben nächstes Wochenende unseren Hochzeitstag. Ich bin mir sicher, das wäre eine gute Gelegenheit, ihm das Kleid zu präsentieren, oder?«, fragt sie.
»Die beste Gelegenheit. Habt ihr schon etwas geplant?« Dad lässt sich für Mum immer etwas Besonderes einfallen und ich bin mir sicher, dass es auch dieses Mal so sein wird.
»Wir fliegen nach Paris«, meint sie schwärmerisch. Wenn jemand diese Stadt liebt, dann ist es meine Mutter. Sie meinte irgendwann einmal, dass es ihr schwergefallen ist, damals ihren Hauptwohnsitz nach Großbritannien zu legen. Ihre Liebe zu Dad war aber so groß, dass sie nicht ohne ihn sein wollte, weshalb sie kurzerhand ihre sieben Sachen gepackt und ausgewandert ist. Seitdem fliegen wir regelmäßig in die Stadt der Liebe, wo jeder von uns auch einen Zweitwohnsitz hat. Ich liebe meine Eigentumswohnung dort und verbringe auch öfters ein paar Tage dort.
Umso schöner ist aber die Tatsache, dass meine Eltern auch nach vielen Jahren der Ehe noch immer so verliebt ineinander sind wie am ersten Tag.
Der Gedanke, einen Partner zu finden, der mich ein Leben lang begleitet, macht mir Angst. Ich glaube nicht, dass ich jemals für solch eine tiefe Verbundenheit bereit sein werde.
Die Liebe wird romantisiert. In all den Büchern, Filmen und Serien, die sich täglich tausende Menschen ansehen, wird sie immer durch eine rosarote Brille dargestellt.
Mum sagt immer, dass man bereit sein muss, Kompromisse für den Partner einzugehen. Aber kann ich das? Bin ich bereit, meinen Willen hinten anzustellen, damit jemand anderes glücklich ist?
»Irgendwann wirst du verstehen, wie es ist verliebt zu sein«, sagt sie plötzlich. Ihrem musternden Blick zufolge hat sie mich längst durchschaut.
»Bitte?«, frage ich und gebe mir Mühe, nicht ertappt zu wirken.
»Ich will nur sagen, dass du es momentan noch nicht verstehen kannst, wie schön die Liebe ist. Du bist jung, ungebunden und noch nicht bereit, dich irgendetwas zu widmen, das eine langfristige Entscheidung mit sich bringt«, sagt sie. Die Härter ihrer Worte lassen sich mit der einer Ohrfeige vergleichen. Sie tun weh und lösen in mir etwas aus, das ich nicht kenne.
In mir wächst der Wunsch, mich und vor allem Jacob zu verteidigen. In den zwei Jahren, die wir nun zusammen sind, habe ich zumindest gedacht, meine Mutter würde unsere Beziehung nicht weiter in Frage stellen.
»Willst du sagen, dass ich Jacob nicht liebe?«, frage ich in einem patzigen Ton, den sie eigentlich nicht verdient hat.
»Natürlich nicht. Aber bist du dir sicher, dass es die Bindung zwischen euch ist, die Potenzial für eine Ehe aufweist?«, entgegnet sie und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Die Verkäuferin, die eigentlich meine Mutter beraten sollte, schaut betreten zwischen uns her. Vermutlich ist ihr die Situation unangenehm.
Ich verstehe aber nicht, wieso meine Mutter ausgerechnet jetzt so eine Bemerkung ablässt, von der sie genau weiß, dass ich das nicht einfach im Raum stehen lassen kann.
»Mum, was soll das?«, frage ich und verschränke genervt meine Arme vor der Brust.
»Ich bin bloß ehrlich zu dir«, sagt sie sanft und will nach meiner Hand greifen. Ich mache jedoch einen Schritt zurück und kümmere mich nicht darum, ob sie es nur gut meint.
»Vor ein paar Minuten hast du noch gefragt, ob wir uns wieder versöhnt habe. Vor zwei Wochen hast du mir geraten, dass ich nicht zu hart zu ihm sein soll«, erkläre ich und sehe sie verwirrt an. »Also erkläre mir bitte, was diese Bemerkung sollte?«
Mum seufzt und fährt sich nervös durch die Haare. »Nichts. Vergiss einfach, dass ich etwas gesagt habe. Du weißt, ich mag Jacob gern. Manchmal mache ich mir nur Sorgen um dich, weil ihr euch des Öfteren voneinander trennt und Pausen einlegt. Auf Dauer ist das nicht gesund und ich möchte nicht, dass dir wehgetan wird«, erklärt sie.
»Ich habe es vorhin bereits erwähnt: Ich bin vierundzwanzig Jahre alt und kann somit eigene Entscheidungen treffen. Oder bist du da auch anderer Meinung?«
Mum schüttelt mit dem Kopf, ehe sie noch einmal seufzt. Dieses Mal klingt es mehr nach Aufgeben, als Verzweiflung. »Natürlich nicht. Vergiss einfach, dass ich gefragt habe, in Ordnung?«
Ich gebe ein brummendes Geräusch von mir und zucke bloß mit den Schultern. »Ich warte vorne auf dich«, erwidere ich nur, ehe ich sie einfach stehenlasse. Den Pullover hänge ich zurück an Ort und Stelle und lasse mich anschließend auf einem der bequemen Sessel fallen, die im Eingangsbereich der Boutique stehen.
• • •
Ein paar Tage später betrete ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Brautmodengeschäft. Ich habe keine Ahnung, in welcher Preisklasse sich die ausgestellten Kleider befinden, aber die Tatsache, dass ich den Namen Vera Wang an den Wänden entdecken kann, zeigt mir, dass Alexas Budget nicht bloß ein paar zusammengekratze Pennys beinhalten wird.
»Wow«, entfährt es mir. »Ich glaube, du wirst hier garantiert ein Kleid finden.«
Alexa quietscht voller Vorfreude. Seit Tagen schickt sie mir Bilder von Kleidern, die sie gerne tragen würde. Meine beste Freundin besitzt einen außergewöhnlich guten Geschmack, sodass auch mir ein paar Kleider ins Auge gefallen sind, die ich sogar tragen würde.
Allerdings denke ich nicht einmal im Traum daran, in nächster Zeit zu heiraten. Eine Hochzeit steht aktuell gar nicht auf meiner Bucket-Liste.
»Die Kleider sind traumhaft«, sagt sie schwärmerisch und dreht sich einmal um ihre eigene Achse. »Das sieht wundervoll aus. Oh, und das da drüben auch! Am liebsten würde ich sie alle tragen wollen.«
Ein Lachen überkommt meine Lippen und ich presse amüsiert meine Hand vor den Mund, damit sie nicht sieht, dass ich mich über sie lustig mache.
»Ehrlich, Lex. Du wirst nur einmal in deinem Leben heiraten«, erinnere ich sie.
»Zu schade. So viele schöne Kleider gehen daran verloren. Sie würden mir bestimmt super stehen. Alle«, erwidert sie bloß.
Ihre Schwärmerei wird unterbrochen, als eine Verkäuferin auf uns zukommt. Sie trägt ein enges Kostüm, bestehend aus Bleistiftrock und Jackett. Ein wenig erinnert mich der Look an den einer Stewardess, da sie ebenfalls ein besonders hässliches Tuch um den Hals gebunden und ihre Haare im Dutt trägt.
Aber gut – Arbeitsoutfit bleibt Arbeitsoutfit.
»Alexa, wie schön, dass Sie und Ihre Freundin heute bei uns sind. Ich bin Christina und werde Sie heute bei der Auswahl ihres Brautkleides unterstützen. Wir wollen Ihr Traumkleid finden. Schließlich heiraten Sie nur ein Mal und es soll alles perfekt sein«, erklärt sie.
Ich lächle schief, als meiner Freundin ein weiteres Geräusch entfährt. Sie ist dermaßen in ihrer Blase versunken, dass sie sich kaum zusammenreißen kann.
»Kommen Sie gerne mit mir und wir fangen direkt an!«
Ich lächle schief und folge Alexa, die von Christina beherzt am Arm durch die Gänge geführt wird.
Es ist bereits eine Weile her, dass wir angekommen sind. Alexa hat eine Menge Kleider anprobiert, doch keines ist dabei, was ihr so richtig gefällt.
Ich persönlich vermute, dass das nächste Kleid ihrer Vorstellung sehr gut entsprechen könnte. Gerade befindet sie sich mit Christina in der Umkleidekabine, sodass ich mit einem Sekt in der Hand auf die beiden warte.
Mein Blick fährt durch die Mengen an Kleidern und wieder kommt mir das Gespräch mit meiner Mum in den Sinn.
Doch auch jetzt, inmitten des Hochzeitswahns meiner besten Freundin überkommt mich nicht ein Funken Eifersucht, dass sie bereits vor den Traualtar tritt. Nicht einmal ein kleines bisschen Sehnsucht nach Jacob überkommt mich in diesem Moment, was mir ein Seufzen entlockt.
Ich stehe auf, stelle das Sektglas auf den kleinen Tisch vor mir und schaue mich noch ein bisschen um. Während ich gerade dabei bin, ein paar Kleider zu beobachten, rast mein Puls augenblicklich in die Höhe.
Der Mann, den ich vor ein paar Tagen schon beim Shopping mit Mum gesehen habe, steht mit ein paar Metern Entfernung von mir zwischen Brautkleidern und mustert diese.
Wieder treffen sich unsere Blicke, doch der Blickkontakt dauert nicht lange an. Er wirkt beinahe verdächtig und so empfinde auch ich. Ist es Zufall, dass ein Mann allein im Brautkleid herumspukt? Ausgerechnet, wenn ich anwesend bin?
Vielleicht mag ich überreagieren, aber mich überkommt ein seltsames Gefühl, als ich zurück zu den Umkleiden gehe.
Ich versuche, nicht an das Gefühl zu denken, dass ich beobachtet werde, sondern konzentriere mich auf den Grund, weshalb ich überhaupt hier bin.
Bevor ich mich zurück in den Sessel fallen lasse, drehe ich mich noch einmal um und stelle fest, dass sich niemand mehr auf dieser Etage befindet. Das Unwohlsein wird stärker und fast möchte ich Christina bitten, den Laden nach ihm abzusuchen und ihn höflich zum Gehen zu bitten, doch sämtliche Gedanken werden unterbrochen, als der Vorhang geöffnet wird und meine beste Freundin in einem wunderschönen Brautkleid heraustritt. Zusammen mit einem Lächeln auf den Lippen, das unbezahlbar ist.
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