Kapitel 6
Amara
Ich hasse es, wütend zu sein. Besonders, wenn es um meinen Vater geht, kann ich nicht lange standhaft bleiben, sondern lasse mich mit einer Entschuldigung abspeisen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Jacob unsere Beziehung beendet und es ist auch nicht selten, dass wir ein oder zwei Tage nicht miteinander sprechen. In den meisten Fällen kommt mein Freund nach wenigen Tagen wieder angekrochen und bittet um Verzeihung.
Dieses Mal ist es anders. Eine Woche haben wir nicht mehr miteinander gesprochen und ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich ihn nicht vermisse.
Ich sehne mich sehr nach ihm, aber ich werde mich nicht bei ihm entschuldigen. Auch wenn Henry Winchester ein arrogantes Prinzenarschloch ist, hat Jacob keinen Grund zur Eifersucht. Henry hat mich nicht unsittlich angefasst und selbst, wenn es so gewesen wäre, hätte ich ihn allein die Leviten gelesen.
Ich bin eine starke, unabhängige Frau und benötige keinen Mann, der mich beschützt. Ich beherrsche sämtliche Griffe zur Selbstverteidigung. Dafür hat mein Vater bereits in meiner Jugend gesorgt. Die israelische Nahkampftechnik ist mir ein guter Begriff.
Dennoch fehlt er mir und ich weiß nichts mehr mit mir anzufangen.
Glücklicherweise gibt es genau zwei Menschen in meinem Leben, auf die ich mich immer verlassen kann.
James und Alexa.
Mit meinem Bruder spreche ich nur ungern über meine Beziehung mit Jacob. Sobald ich nur ansatzweise erwähne, wie sehr ich Sex liebe, übermannt ihn der Schutzinstinkt eines großen Bruders. Ich bin 24 Jahre alt und seit sieben Jahren sexuell aktiv. Es gibt nichts, was ich noch nicht gesehen habe.
Aus diesen Gründen habe ich glücklicherweise eine beste Freundin an meiner Seite.
Alexa Clements – Supermodel, Trendsetterin und zufällig die Verlobte von Nicholas Williams, Jacobs Zwillingsbruder.
Wir kennen uns seit Ewigkeiten. Was auf der Uni begonnen hat, wird auf dem Sterbebett enden. Bei Alexa erlaube ich mir, so optimistisch zu sein. Sie hat mich noch nie enttäuscht und ich gebe mir große Mühe, ihr den Gefallen zu erwidern. Außerdem weiß sie, wie es ist, mit einem sexy Anwalt ins Bett zu gehen. Sie und Nicholas sind seit drei Jahren zusammen. Vor wenigen Monaten hat er ihr den Heiratsantrag gemacht und in einem halben Jahr werden sie ihre Liebe mit einer perfekten Hochzeit krönen.
Obwohl ich ein wenig neidisch bin, dass sie sich mit der Planung einer Hochzeit beschäftigen darf, verspüre ich nicht den Wunsch, in naher Zukunft zu heiraten. Ich bin vierundzwanzig Jahre alt und habe noch alle Zeit der Welt, bis ich mich fest an jemanden binde.
Zudem bin ich in diesem Moment ohnehin single, weil Jacob sich anstellt, als wäre er ein kleines Kind. Er verhält sich so, als hätte der Prinz ihm einen Fußball geklaut. Einfach lächerlich, dieses Neandertalerverhalten.
Ich betrete das Café, in dem ich mich mit Alexa verabredet habe. Ich schultere meine schwarze Handtasche von Chanel, ehe ich meinen Blick über die Tische wandern lasse.
Meine Freundin sitzt im hinteren Teil des Raumes und scrollt auf ihrem Handy herum. Vor ihr steht bereits eine dampfende Tasse Kaffee, weshalb ich mich schnellstens zu ihr begebe.
»Hey, du«, begrüße ich sie lächelnd. Alexa blickt auf und als sie mich entdeckt, schleicht sich ein breites Lächeln auf ihre Lippen. Sie schiebt sich eine lose schwarze Strähne hinter die Ohren und steht auf, um mich zu Umarmen.
»Hey, alles klar?«, fragt sie und streicht mir ein paar Mal über den Rücken.
»Natürlich. Bei dir auch? Wie gehts Nicholas?«
»Uns gehts super. Ich habe gerade die Entwürfe für die Einladungskarten bekommen und sie direkt an Nic weitergeschickt. Mal sehen, wie sie ihm gefallen. Willst du mal sehen?«, fragt sie.
»Na klar«, erwidere ich lachend und lasse mich ihr gegenüber auf den Stuhl sinken.
Ich schaffe es kaum, meine Tasche abzulegen, da drückt sie mir bereits ihr Smartphone in die Hand.
Eine PDF-Datei ist geöffnet.
Sofort stechen mir die verschiedenen Rosétöne ins Auge, weshalb ich lächle. »Ja, das ist wirklich genau die Einladung, die zu dir passt«, erkläre ich lachend. »Sehr hübsch!«
»Das finde ich auch. Hoffentlich ist es Nicholas nicht zu viel pink«, sagt sie.
Ich grinse. »Der Mann will dich heiraten, Lex. Ich glaube nicht, dass er große Einwände haben wird«, versuche ich, sie zu beruhigen.
Obwohl noch so viel Zeit ist, wird sie schon jetzt nervös, wenn sie an den wohl wichtigsten Tag in ihrem Leben denkt. Ich frage mich, wie kurz sie vor einem Nervenzusammenbruch steckt, wenn sie an ihrem Hochzeitstag die Augen öffnet.
»Ich möchte, dass es perfekt wird. Für uns beide«, sagt sie. »Auch wenn er mir jeden Wunsch von den Lippen ablesen möchte, soll es auch seinen Vorstellungen entsprechen.«
»Das verstehe ich. Aber mal ehrlich – der Mann ist verrückt nach dir, Süße. Er ist mit allem zufrieden, solange er es ist, der dein Ehemann wird!«, versichere ich ihr.
Die Liebe zwischen Nicholas und Alexa ist wundervoll. Sie ergänzen einander und manchmal überkommt mich das Gefühl, dass Jacob und ich nicht einmal annähernd auf dem Level stehen wie die beiden.
Alexa seufzt verliebt und legt ihr Kinn in ihrer Hand ab. Dann sieht sie mich an und ihr Gesichtsausdruck wird augenblicklich ernst. »Wann wolltest du mir eigentlich erzählen, dass Jacob dich abserviert hat?«
Ich zucke mit den Schultern. »Es weiß doch ohnehin jeder. Die Beiträge auf Instagram waren ausschlaggebend genug«, erkläre ich. Die Presse hat natürlich mitbekommen, was passiert ist, und eine Story nach der anderen darüber verfasst und lauter Gerüchte in die Welt gesetzt.
Mir ist es egal, was andere von mir denken. Ich muss niemanden gefallen, um glücklich zu sein. Meist wird man ohnehin benutzt oder ersetzt, sobald jemand Besseres daherkommt.
»Wie geht's dir damit? Jacob klang ziemlich endgültig«, sagt sie. Ihr Blick ist forschend und einfühlsam.
»Du weißt, wie oft wir uns in den letzten zwei Jahren getrennt haben, Lex. Wegen weitaus schlimmeren Dingen. Jacob hat mich betrogen und dennoch habe ich ihn zurückgenommen, weil ich ihn liebe. Wenn er denkt, dass ein Tanz mit dem Kronprinzen Grund ist, eine Beziehung zu beenden, dann bitte«, sage ich.
»War seine Eifersucht denn begründet?«, hakt sie nach.
Sofort schüttele ich mit dem Kopf. »Niemals. Der Prinz ist ... arrogant«, antworte ich. Andere Worte fallen mir nicht ein, um ihr weiszumachen, dass ich wirklich nicht an ihm interessiert bin.
»Jacob ist auch arrogant und trotzdem steigst du mit ihm in die Kiste«, sagt sie und sieht mich musternd an.
»Henry und Jacob sind aber zwei ganz andere Persönlichkeiten. Jacob arbeitet hart, um sich seinen Lebensstandard leisten zu können. Henry bekommt alles in den Hintern geschoben und muss bloß mit dem Finger schnippen, wenn er etwas möchte. Dieser Mann ist nie im Leben allein lebensfähig. Würde man ihn auf eine einsame Insel schicken, würde er binnen einer Woche verhungern«, sage ich.
»Aber er sieht gut aus«, wirft sie ein.
»Sein Aussehen ist fantastisch, ja. Aber darüber hinaus wirkt er auf mich wie ein verwöhntes Kind. Wenn er seinen Willen nicht bekommt, endet es in einem Trotzanfall. Außerdem ist er ein Frauenheld. Auf jeder Veranstaltung sieht man ihn mit anderen Damen anbändeln«, erkläre ich.
»Verurteilst du, ausgerechnet du, jemanden für sein Sexleben?«, fragt Lex lachend.
»Ich verurteile niemanden dafür, dass er Sex hat. Ehrlich. Ich kann's verstehen. Ich liebe Sex. Aber er wirkt für mich wie jemand, der allein nicht lebensfähig ist. Und egal, wie gut er aussieht, Unselbstständigkeit bei einem 28-Jährigen ist absolut unsexy«, erkläre ich.
»Schön zu hören, dass dir mein Bruder doch wichtig ist!«
Ich zucke zusammen und drehe mich um. Nicholas, das Ebenbild von Jacob, steht links von uns und grinst. Die eine Hand hat er in die Hosentasche seines Anzugs geschoben. In seiner anderen Hand hält er einen Aktenkoffer. Vermutlich kommt er gerade aus dem Gericht. Er gibt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er seiner Verlobten einen langen Begrüßungskuss gibt.
»Hast du gelauscht?«, stichele ich. »Das hier war ein Treffen unter Frauen.«
»Jetzt nicht mehr. Sorry, Amara«, meint er lachend. »Ich musste mich selbst überzeugen, dass das gute Wort, das ich bei Jacob eingelegt habe, auch richtig war.«
Ich reiße die Augen auf. »Du hast ihm gesagt, er soll sich bei mir entschuldigen?«
»Das auch, ja. Ich habe ihm gesagt, dass er sich von einem dahergelaufenen Prinzen nicht die Frau stehlen lassen soll«, meint er und grinst. »Aber so, wie du von ihm sprichst, hätte die Trennung gar nicht erst sein müssen.«
»Mein Vater hat uns miteinander bekannt gemacht«, erkläre ich. »Ihr wisst selbst, dass ich diese Veranstaltungen nur seinetwegen besuche. Jacob war mit James unterwegs und Henry hat mich vor den Augen aller Leute um einen Tanz gebeten. Mehr war da nicht. Die meisten Zeit haben wir nicht einmal geredet.«
Nicholas nickt leicht, ehe er sich durch seine kurzen dunklen Haare fährt. Dann sieht er Alexa an und grinst. »Ich bin so froh, dass wir beide keine derartigen Sturköpfe sind.«
Alexa kichert, ehe sie ihm den Ellenbogen leicht in die Seite haut. »Sei nett«, murmelt sie leise, bevor ihre blauen Augen wieder auf mir liegen. »Wieso gehst du nicht zu ihm und sprichst mit ihm?«
»Ich habe keinen Fehler begangen, Alexa. Wenn ihm etwas an mir liegt und er mich wirklich so sehr liebt, wie er sagt, dann kommt er wieder. Wenn nicht, bin ich single und genieße diesen Status weiterhin«, sage ich schulterzuckend.
Nicholas seufzt und schüttelt mit dem Kopf. Ich weiß genau, dass er immer zu seinem Bruder halten würde, doch in diesem Fall ist mir auch bewusst, dass ich nicht schuld an diesem Theater bin.
»Wie findet du eigentlich die Entwürfe für die Einladungskarten?«, fragt Alexa, die genau merkt, dass die Stimmung gerade kippt. Ihrem Verlobten wirft sie ein strahlendes Lächeln zu, bevor sie ihr Handy wieder zur Hand nimmt. »Ich hab sie dir als Mail gesendet, aber wenn du schon hier bist ...«
»Ich finde sie schön. Solange du zufrieden bist, bin ich es auch«, meint er und drückt ihr einen Kuss auf die Lippen.
»Siehst du. Ich habe doch gesagt, dass er dich einfach bloß heiraten möchte. Egal wie, wo und wann«, meine ich grinsend.
Alexa lächelt und Nicholas gibt ihr einen weiteren Kuss. »Wir sehen uns heute Abend, ja? Ich muss zurück ins Büro, wollte dich aber unbedingt kurz sehen«, meint er.
Alexa lächelt und küsst ihn ein letztes Mal, bevor er sich erhebt. Mir schenkt er ein Lächeln, bevor er verschwindet. Alexa sieht im ein wenig träumerisch nach und ich seufze.
»Eure Liebe ist fast schon eklig«, sage ich.
»Nein, ist sie nicht«, meint Alexa. »Sie ist echt und wunderschön.«
Ich räuspere mich. »Hallo? Theoretisch sollte ich gerade Liebeskummer haben, weil mein Freund mich verlassen hat. Könntest du ein bisschen einfühlsamer sein und nicht überall euren Liebesstaub verteilen?«, frage ich lachend.
Alexa dreht sich wieder zu mir. Sie setzt ein ernstes Gesicht auf und schaut mich eindringlich an. »Hast du Liebeskummer?«, fragt sie unverwandt.
Ich schüttele mit dem Kopf.
»Liebst du ihn?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich schätze schon«, erwidere ich. Zwar sage ich ihm das auch hin und wieder, aber ich frage mich, ob es dasselbe Gefühl ist, das Alexa für Nicholas fühlt.
»Ich kenne dich, Amara. Wenn du keine Zukunft siehst, für dich und Jacob, dann beende es. Du weißt nicht, ob er nicht doch an eine Heirat und Familie denkt. Denk in diesem Fall nicht bloß an dich. Wir wissen beide, dass das mit euch noch nicht gegessen ist, aber ... denk drüber nach, ob es wirklich das ist, was du möchtest.«
Ich seufze leise und schüttele mit dem Kopf. »Wir beide haben gesagt, dass wir dafür noch nicht bereit sind«, erkläre ich.
»Okay. Solange du sicher bist, dass Jacob dasselbe fühlt«, meint sie und zuckt mit den Schultern.
»Fakt ist, dass er in der Position ist, um etwas zu tun. Wenn er mich liebt, kommt er wieder.«
»Ich stimme dir zu. Aber manchmal muss man in der Liebe Dinge tun, die einem nicht leicht von der Hand gehen. Man muss Kompromisse eingehen und den Kürzen ziehen, um einen Streit zu lösen. Manchmal muss man sich entschuldigen, obwohl man weiß, dass es nicht die eigenen Schuld gewesen ist«, erklärt sie.
»Warum sagst du mir das? Denkst du, ich habe keine Gefühle für Jacob?«
»Das denke ich nicht. Ich vermute bloß, dass ihr zwei an ganz anderen Punkten steht und dringend miteinander sprechen müsst, ob ihr es schafft, einander abzuholen«, rät sie mir.
Ich liebe Alexa. Sehr sogar. Vermutlich weiß ich auch, dass an ihren Worten etwas dran ist. Aber ich bin nicht wie sie. Ich gebe nicht gerne zu, was ich fühle. Deshalb verdränge ich jegliche Traurigkeit, weil Jacob mich einfach abgeschossen hat, ohne mir zuzuhören.
Er hat mir wehgetan. Aber sobald ich diese Gefühle zulasse und ihm sage, was ich fühle, mache ich mich nur noch mehr kaputt.
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