Kapitel 4
Henry
»Königliche Hoheit, Ihr Vater wünscht Ihre Anwesenheit in seinem Büro.«
Ich sehe von meinem Laptop auf und nicke zur Antwort. Der Butler meines Vaters verbeugt sich vor mir, bevor er sich wieder entfernt und mich in der Bibliothek unseres Palastes zurücklässt.
Ich liebe die Atmosphäre in diesem Raum. Unzählige Regale aus massivem Holz umgeben und reichen bis zur Decke. Jedes von ihnen ist vollständig mit Werken gefüllt, dessen Gesamtwert vermutlich zehnmal höher ist als ein Neuwagen einer Luxusmarke mit Vollausstattung.
Seufzend klappe ich den Laptop zu und frage mich, was mein Vater von mir wollen könnte, dass er mich ausgerechnet in sein Büro zitiert. Der Ball am gestrigen Abend lief fantastisch und all seine Ausführungen, die er mir mit auf den Weg gegeben hat, habe ich befolgt.
Das Notebook und meine Notizen landen wieder in meiner Tasche. Die genutzten Bücher lasse ich einfach auf dem Tisch liegen, in der Hoffnung, dass meine Geschwister nicht auf die Idee kommen, sie wieder ins Regal einzusortieren. Es hat Ewigkeiten gedauert, die Titel im Regal zu finden und nur mithilfe eines Angestellten bin ich ihrem Platz im Regal auf die Schliche gekommen. Diese Mühe möchte ich mir ungern ein zweites Mal bereiten, zumal ich in dieser Zeit deutlich produktivere Tätigkeiten hätte erledigen können.
Ich verlasse die Bibliothek.
Im Palast wohne ich zwar mit meinen Geschwistern und meinen Eltern sowie sämtlichen Bediensteten zusammen, doch meine Privatsphäre ist mir sehr wichtig. Ich bin 28 Jahre alt, ein erwachsener Mann und ein verdammter Thronfolger. Bis ich in naher Zukunft gekrönt werde, möchte ich meine freie Zeit genießen. Ohnehin habe ich gerade ziemlich wenige Verpflichtungen, im Gegensatz zu denen, die mein Vater erfüllen muss. Meine Geschwister dagegen – ich habe zwei Brüder und eine Schwester, die allesamt jünger sind – können sich den Rest ihres Lebens zurücklehnen, auf Charity Events auftauchen und sich verdammt nochmal freuen können, dass sie nicht als erstes Kind des Königs zur Welt gekommen sind. Der Druck, den diese Aufgabe mit sich bringt, ist beängstigend und kann, wenn man nicht entsprechende Maßnahmen zum Ausgleich einrichtet, schnell über einen herfallen und einnehmen. Ich möchte nicht so enden. Bislang habe ich alles sehr gut im Griff und bin froh, dass ich mein Leben so noch ein Stück weit in der Normalität stattfinden kann.
»Ihr Vater wünscht Sie zu sehen!«, höre ich erneut von Jenkins, dem Butler unseres Vaters. Mit einer Verbeugung hält er vor mir und deutet auf die Tasche. »Die können Sie mir geben, Prinz Henry. Ich bringe Sie auf ihre Suite.«
Ohne, dass ich groß eine Wahl habe, nimmt er die Tasche ab. Er macht eine weitere Verbeugung, um mir zu zeigen, dass er mir untertänig ist, bevor er sich wieder entfernt und an meiner Stelle den Weg zu meinem Bereich des Palastes antritt.
Ich seufze und mache kehrt. Das Büro meines Vaters liegt am Ende eines langen Korridors, vorbei an unzähligen weiteren Büros. Irgendwann wird dies mein Arbeitszimmer sein. Dort, wo ich vermeintlich wichtige Entscheidungen treffen werde.
Neben ihm arbeiten in diesem Bereich des Schlosses noch weitere Menschen. Agenten, Pressesprecher und Manager, die unser Image im Blick behalten. Nicht zu vergessen der Krisenstab, der gleichzeitig auch als politische Beratung dient.
All diese Menschen führen ihre Leben im Dienst der Krone. Noch nie habe ich es erlebt, dass unter ihnen ein schwarzes Schaf gewesen ist. Jemand, der uns verrät oder derartig manipuliert, sodass uns Schaden zugefügt wird. Seit Jahren hat mein Vater ein zuverlässiges und professionelles Team an seiner Seite. Ein Grund mehr, ihn für seine tägliche Arbeit zu bewundern.
Ich halte vor der Tür an und klopfe an. Vom Inneren des Raumes höre ich ihn etwas murmeln, weshalb ich sein Büro betrete. Er sitzt, wie zu erwarten, an seinem Schreibtisch, sichtet ein paar Papiere, während er in der linken Hand einen Stempel in der Hand hält. Das Stempelkissen liegt daneben.
Als er aufblickt und seine Augen auf mich treffen, bildet sich ein Lächeln auf seinen Lippen. Die braunen Haare hat er wie immer streng nach hinten gelegt, sodass die feinen grauen Haare nicht so sehr zu sehen sind, doch man erkennt sie trotzdem.
»Hey, Dad«, begrüße ich ihn und erwidere sein Lächeln. »Ist alles okay? Jenkins hat mich innerhalb von zehn Minuten zweimal abgefangen und mir mitgeteilt, dass du mich sprechen möchtest«, erkläre ich, bevor ich mich in dem Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen lasse.
Mein Vater lacht und schüttelt mit dem Kopf. »Du kennst doch Jenkins. So dringend ist es nicht, aber dennoch von größter Wichtigkeit«, erklärt er daraufhin und legt alles aus seiner Hand. Diese faltet er vor sich und ich ziehe fragend eine Augenbraue in die Höhe.
»Wieso wirst du plötzlich so ernst?«
»Weil es um deine Zukunft geht, Henry«, erwidert er.
Ich schlucke und richte mich ein Stück weiter auf, bevor ich meine Arme auf dem Schreibtisch ablege. »Okay. Worum geht es? Habe ich etwas falsch gemacht?«, frage ich. Auch, wenn ich mir manchmal wünschen würde, dass das alles kein Teil meines Lebens ist, so ist es mir doch wichtig, alles richtig zu machen und meinen Vater nicht zu enttäuschen.
»Beruhige dich. Du hast keinen Fehler gemacht. Allerdings wird es Zeit, dass ich dir etwas beichte. Eigentlich solltest du es längst wissen, doch wie immer, kam natürlich etwas dazwischen«, erklärt er. »Du solltest gestern mit Lord Duxbury und seiner Tochter sprechen. Wie lief es?«
Überrascht von dem spontanen Themawechsel, sehe ich ihn einen Moment lang an, bevor ich mich wieder fange. »Sehr gut. Lord Duxbury hat mich seiner Tochter vorgestellt und ich konnte mit ihr sprechen. Anschließend haben wir, wie du gewünscht hast, miteinander getanzt. Das Timing war super. Du hattest Recht«, erkläre ich.
Meine Gedanken driften jedoch sofort zu der blonden Schönheit, mit der ich am gestrigen Abend zahlreiche Wortgefechte begonnen habe. Es hat mich in den Fingern gejuckt, sie zu provozieren, und ihre Reaktionen waren jedes Mal kratzbürstig und arrogant. Ganz genau so, wie die Presse sie darstellt, ist Amara Brighton mir gestern Abend gegenübergetreten.
Dennoch fasziniert mich etwas an ihr. Vielleicht ist es ihre unverfrorene Art. Als würde eine stinknormale Person vor ihr stehen. Keinen Funken Bewunderung, kein bisschen Begeisterung. Nur an einem Indiz konnte ich festmachen, dass ich nicht vollkommen ohne eine Wirkung auf sie, das Event verlassen habe.
Ihre Pupillen haben sich geweitet, sobald wir das erste Wort miteinander gesprochen haben. Ein klares Zeichen, dass ich sie doch nicht so kalt lasse.
Leider ist Amara in einer Beziehung mit einem langweiligen Anwalt, weshalb ich gezwungenermaßen meine Finger von ihr lassen sollte. Für eine Nacht werde ich keine Beziehung zerstören. Nicht, wenn es heißt, dass jemand verletzt wird.
Auch, wenn ich absolut nicht verstehen kann, wie diese Frau mit einem Mann zusammen sein kann, der aussieht, wie ein kleiner Milchbubi.
»Ihr habt euch also verstanden?«, fragt mein Vater interessiert. Beinahe neugierig sieht er mich an und ich zucke mit den Schultern.
»Wir haben geredet und getanzt. Danach ist sie ihrem Freund hinterher, weil dieser wohl eifersüchtig war«, erkläre ich und zucke mit den Schultern. Im Nachhinein kann ich seine Reaktion noch immer nicht nachvollziehen. Es ist normal, dass Frauen und Männer auch miteinander tanzen, wenn sie kein Paar sind. Mein Verhalten war dem Anlass angemessen und ich bin Amara nicht zu nahegekommen.
»Fantastisch! Ich bin sicher, dass unsere Familien von der Verbindung profitieren können!«
Irritiert blicke ich meinen Vater an. »Inwiefern?«
Das zufriedene Lächeln auf den Lippen meines Vaters schwindet. Keine Ahnung, was plötzlich los ist, denn im nächsten Moment wird er wieder ernst.
»Darüber wollte ich dich heute informieren«, erklärt er und räuspert sich. Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und zieht eine Schublade auf. Im nächsten Augenblick reicht er mir eine Hülle. Ich erkenne einige Blätter, die allesamt voll beschrieben sind.
Er schiebt es mir rüber und deutet mir mit einer Kopfbewegung an, dass ich es lesen soll.
Vertrag über die Eheschließung zwischen Amara Brighton und Prinz Henry Alexander Louis Winchester, Prince of Wales & Duke of Canterbury.
Weiter brauche ich nicht lesen, denn ich weiß augenblicklich, was los ist. »Ich soll mit Amara verheiratet werden?«, frage ich schockiert. Mein Herz stoppt für mehrere Sekunden und meine Hände werden feucht vor Nervosität.
Ausgerechnet die Frau, die für mich so viel Verachtung empfindet. Die Frau, die mich allem Anschein nach nicht ausstehen kann. Ausgerechnet Amara soll meine Frau und damit die künftige Königin Englands werden?
»Du wusstest, es könnte so kommen«, erwidert mein Vater ruhig und mustert mich.
»Ich weiß, dass arrangierte Ehen in unserer gesellschaftlichen Stellung nichts Neues sind, und ja, du hast Recht. Ich habe damit gerechnet, dass du irgendwann einmal mit einem solchen Thema auf mich zukommen wirst, aber dass es ausgerechnet sie sein wird, die an meiner Seite stehen und ein Land regieren soll? Das kann ich nicht verstehen«, antworte ich, nachdem ich mir einen Augenblick genommen habe, um nachzudenken. Ich schüttele den Kopf. »Nicht Amara. Das funktioniert nicht, Dad.«
Mein Vater lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. »Dieser Vertrag wurde noch vor Amaras Geburt geschlossen, Henry. Unsere Familien stehen bereits seit Generationen miteinander in freundschaftlichem Kontakt und der Lord und seine Frau sind zuversichtlich, dass Amara ihrer Aufgabe mit Verantwortung nachgehen wird«, erklärt er. Allein an seiner Stimme erkenne ich, dass ich ihm besser nicht widerspreche.
»Wie kam es dazu?«, frage ich leise. Das alles ist so surreal, dass ich kurz davor bin, mich zu kneifen, um aus diesem Traum zu erwachen und zu realisieren, dass das hier nicht wirklich passiert.
»Unsere Familien stehen sich nahe und als klar war, dass ihre Mutter Juliette – eine bildschöne Französin, wenn du mich fragst – ein Mädchen zur Welt bringen würde, haben wir diesen Vertrag beschlossen. Du brauchtest ohnehin eine Frau und seien wir ehrlich – Claudette ist nicht das, was eine Königin ausmacht«, erklärt er.
Wieder wandern meine Augenbrauen in die Höhe, denn ich kann nicht verstehen, dass er ausgerechnet Claudette wieder ins Spiel bringt. Er bemerkt meinen Ärger darüber und räuspert sich erneut.
»Wie du sicherlich schon weißt, ist Amara sehr provokant, was Freizügigkeit und Sexeskapaden in der Öffentlichkeit angeht«, erwidert mein Vater, doch ich verstehe nur Bahnhof. Offenbar liest er mir dies wieder an meinem Gesichtsausdruck ab. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin für ihn ein offenes Buch. Bevor ich überhaupt weiß, was ich fühle, ist mein Vater darüber längst in Kenntnis.
»In der Vergangenheit hat ein Sexvideo existiert. Irgendein One-Night-Stand, wie mir ihr Vater berichtete und Amara hat dies selbst veröffentlicht«, erklärt er. »Wenn sie Königin wird, darf so etwas unter gar keinen Umständen geschehen, Henry!«
»Meinst du nicht, dass das Königshaus ohnehin als sehr unglaubwürdig erscheint, wenn ausgerechnet eine Frau wie Amara mich, den zukünftigen König heiratet? Genau aus diesen Gründen?«, entgegne ich.
Ich weiß genau, dass mein Vater es nicht leiden kann, wenn wir uns mit unsittlichen Berichten in die Medien katapultieren. Als Königsfamilie stehen wir immer im Fokus der Medien und müssen jederzeit damit rechnen, dass aus dem kleinsten Fehler ein riesiger Skandal entsteht. Manchmal passiert es dennoch. Immerhin sind auch wir nur Menschen. Der Unterschied ist bloß, dass die ganze Welt von unseren Fehlern erfährt.
»Du hast Recht. Damals konnte niemand ahnen, was einmal aus dem süßen Mädchen wird, das ohne ihren Teddy das Haus nicht verlassen hat. Auch ich finde ein solches Verhalten nicht in Ordnung, doch da kommst du ins Spiel«, erklärt er. »Du wirst ihr von diesem Vertrag erzählen, Henry. Du wirst dafür sorgen, dass sie ihrer Pflicht nachkommt und sich den Regeln des Protokolls beugt. Mach eine Königin aus ihr, verstanden?«
Ich halte inne und denke nach, ob ich ihn gerade richtig verstanden habe. Während er sich zurücklehnt, soll ich Amara von einem Vertrag erzählen, der uns beide zu Verlobten macht?
Ich kenne diese Frau nicht und dennoch weiß ich, dass sie unter gar keinen Umständen einwilligen wird. Sie ist bereits in einer Beziehung und so, wie sie sich mir gegenüber verhalten hat, alles andere als von mir begeistert.
»Wie um alles in der Welt soll ich das schaffen? Wenn du so gut mit Lord Duxbury befreundet bist, sollte er dir doch sicherlich erzählt habe, wie seine Tochter drauf ist, richtig?«
Mein Vater lacht bloß. »Natürlich weiß ich, was für ein Sturkopf Amara sein kann. Aber sobald sie von unserem Arrangement erfährt und das Gute dahinter erkennt, denke ich, dass sie ganz schnell gefallen daran finden wird«, erwidert er. »Außerdem wirst du als König alle wichtigen Entscheidungen treffen. Amara wird weiterhin tun können, was sie möchte. Nur eben ohne Instagram, Tinder und Facebook.«
Ich seufze leise, ehe ich langsam nicke. Eine andere Wahl habe ich ohnehin nicht. Mein Leben lang wurde ich dazu erzogen, meine Pflichten zu erfüllen und nach Protokoll zu leben. Selbst jetzt, wenn es um meine Zukunft geht, ist mein Vater derjenige, der alle Fäden in der Hand hält.
»Okay. War es das?«, frage ich leise und viel eingeschüchterter als vorher.
»Natürlich. Du wirst sicherlich erstmal geschockt sein, aber ich verspreche dir, dass auch aus arrangierten Ehen die größten Liebesgeschichten entstehen können«, erwidert er und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln.
Doch an die Liebe denke ich nicht.
Mir war klar, dass es irgendwann dazu kommen wird, dass ich eine Frau heiraten werde, die nicht die ist, die ich liebe. Selbst als ich mit Claudette zusammen gewesen bin, hat mich dieser Gedanke stets begleitet und so, wie es geendet hat, ist dasselbe auch bei ihr der Fall gewesen. Wir haben gewusst, das mit uns ist nichts für die Ewigkeit. Auch, wenn es ich verdammt gerne so gewollt hätte. Doch dann ist alles anders gekommen.
Lieber führe ich eine arrangierte Ehe, statt die Aufgabe, ein Königreich zu regieren, ohne eine Königin an meiner Seite auszuführen.
Dass ausgerechnet Amara diese Königin sein soll, erscheint mir im Moment nicht richtig. Es klingt fast befremdlich.
Und doch weiß ich, dass wir beide keine andere Wahl haben.
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