Kapitel 3
Amara
Erschöpft lasse ich mich ins Bett fallen. Der Ball ist ein paar Stunden her und ich habe seitdem nichts mehr von Jacob gehört. Er reagiert auf keinen meiner Anrufe, geschweige denn auf meine Nachrichten. Sein Handy scheint er ausgestellt zu haben.
Der wenige Schlaf sitzt mir in den Knochen und meine Augenringe fordern eine Menge meines Concealers ein. Die halbe Nacht habe ich damit verbracht, meinen Freund zu erreichen, und habe sogar seine Lieblingsbars abgefahren, die er sich in den letzten Jahren hier tapfer gesucht hat. In keiner einzigen hat er sich aufgehalten. Nicht einmal sein Bruder Nicholas weiß etwas, was mich nur noch wütender, aber gleichzeitig auch besorgter werden lässt.
Es ist typisch von ihm, einfach zu verschwinden, sobald er meint, er dürfe wütend auf mich sein.
Ich verstehe sein Problem nicht. Es war bloß ein Tanz. Nichts daran war unangebracht und groß amüsiert habe ich mich nicht. Prinz Henry ist ein arroganter und verwöhnter Mann. Sein Aussehen mag vielleicht etwas ganz anderes vermitteln, doch sobald er den Mund öffnet, vernichtet er jegliche Sympathie, die ich jemals für ihn empfinden könnte.
Da ich jedoch keine Zeit habe, um mich länger damit zu beschäftigen, widme ich mich meinem Make-Up, welches hoffentlich die tiefen Schatten unter meinen Augen verschwinden lässt. Ein wenig Frische und Glanz wäre natürlich auch nicht schlecht.
Wenn Jacob bald nicht auftaucht, verpasst er unsere Rückfahrt nach London. Momentan residiert die königliche Familie in ihrem Palast in Windsor. Somit fand auch das gestrige Event an diesem Ort statt und die Limousine soll mich mit Jacob und meinem Bruder zurück nach London bringen.
Vorher brauche ich jedoch noch eine Stärkung, weshalb ich mich in einen Rock und eine etwas offenherzige Bluse schmeiße. Dazu schlüpfe ich ausnahmsweise nicht in High Heels, sondern in schlichte Ballerinas, die dem weißen Farbton meiner Bluse, in nichts nachsteht.
Fertig angezogen, greife ich nach meiner Tasche und begebe mich aus dem Hotelzimmer, das mein Vater mir und Jacob gebucht hat. Ich schiebe mir eine Sonnenbrille auf die Nase und laufe dann eilig zum Aufzug herunter.
Wenig später erreiche ich endlich den Ausgang des Hotels. Doch sobald ich an die frische Luft trete, wimmelt es nur so vor Fotografen. Gewohnt bin ich es schon, doch dieses Mal wirken sie aufdringlich. Außerdem verstehe ich nicht, wieso sie an diesem Morgen ausgerechnet mich verfolgen und von mir Fotos schießen.
Die Gala verlief – bis auf den Tanz mit Englands Kronprinzen - ereignislos. Kein Skandal und kein Ausrutscher, der in der Presse breitgetreten werden könnte. Nichts, bis auf den Tanz mit Henry.
Ich seufze leise und steige in meine Limousine, die bereits am Straßenrand steht. Der Fahrer steigt aus und sorgt dafür, dass ich unbeschadet im Inneren des Wagens ankomme.
Die Tür schließt sich und im selben Moment zucke ich vor Schreck zusammen, denn ich bin nicht allein.
Jacob sitzt mir gegenüber. Seine Miene verrät mir bereits, dass er sich noch immer nicht beruhigt hat. Er ist wütend und jeder Winkel seines Gesichts zeigt mir dies. Seine verschlossene Haltung unterstreicht seine Laune noch einmal – die Arme hat er vor seiner Brust ineinander verschränkt und er ist tief in den Sitz versunken.
»Schön, dass du dich doch noch blicken lässt«, zische ich und versuche, meinen Atem zu beruhigen. Ich wende den Blick von ihm ab und greife in meine Handtasche, um meinem Handy die Aufmerksamkeit zu schenken. Jetzt, da Jacob sich wieder zusammengerissen hat und zur Vernunft gekommen ist, muss ich mich dringend wieder um meine sozialen Netzwerke kümmern.
Doch sobald ich mein Handy in der Hand halte, nimmt Jacob es mir ab. Dann betätigt er den Schalter fürs Fenster. Ehe ich bemerke, was er vorhat, wirft er mein Smartphone aus dem Fenster. Den Aufprall bekomme ich noch mit, doch dann schließt er das Fenster.
»Drehst du jetzt vollständig durch?«, fahre ich ihn an. Ungläubigkeit macht sich in mir breit. Ich kann nicht fassen, dass er das getan hat.
»Fühlst du dich nicht schuldig? Nicht einmal ein kleines bisschen?«, fragt er. Seine Stimme zittert, wie immer, wenn wir streiten. Auch, wenn das häufig vorkommt, vertragen wir uns hinterher immer wieder. Es ist eine unausgesprochene Regel, die wir untereinander ausgemacht haben. Schon öfters habe ich Fehler gemacht, diese jedoch immer eingesehen und dafür um Verzeihung gebeten.
Jacob fällt es immer schwer, sich einen Fehler einzugestehen, weil er alles daran setzt, der Perfektion ein Stück näherzukommen. Fehler sind da eher kontraproduktiv.
»Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Wenn der Kronprinz von England mich um einen Tanz bittet, kann ich schlecht ablehnen. Das weißt du, Jacob. Meinem Vater ist es wichtig, dass ich mich auf solchen Festen von meiner besten Seite zeige. Deshalb kann ich auch nicht verstehen, wieso du einfach verschwindest!«
Jacob lacht und schüttelt fassungslos den Kopf. »Meinst du das ernst? Wenn du gesehen hättest, wie ich mit einer anderen Frau tanze, wärst du an die Decke gegangen«, versucht er sein Verhalten zu rechtfertigen.
»Henry ist ein arrogantes Arschloch. Bereits in unserem Gespräch habe ich ihm mitgeteilt, dass ich mit meinem Freund auf dieser Veranstaltung bin. Außerdem war das kein Strip-Tease, den ich mit ihm betrieben habe, sondern ein Walzer. Mehr nicht!«, schleudere ich zurück.
»Ach, nein? Wieso schreibt dann die TMZ, dass dein Vater eure Freundschaft als besonders innig bezeichnet und du von ihm angetan bist?«
Meine Augen weiten sich. »Bitte?«
»Du kannst es gerne nachlesen!«, zischt er, als der Wagen hält. Ich habe nicht mal mitbekommen, wohin wir fahren. Doch das ist gerade mein kleinstes Problem.
»Gib mir dein Handy!«, fordere ich ihn auf, doch Jacob schüttelt mit dem Kopf. »Vergiss es. Ich setze mich in den Zug und fahre allein nach Hause. Wenn du wissen willst, was man über dich schreibt, dann finde es heraus, wie jeder andere Mensch in diesem Universum es auch tun würde!« Seinerseits scheint alles gesagt zu sein, denn er erhebt sich, so gut es eben geht, von seinem Platz und öffnet im nächsten Moment die Tür. Sofort weht mir ein leichter Windzug entgegen. Jacob flüchtet beinahe aus dem Wagen und schlägt die Tür hinter sich zu.
Doch das lasse ich nicht so auf mir sitzen. Er kann dieses Verhalten nicht ernst meinen, weshalb ich die Tür öffne und ihn zur Rede stellen möchte.
Ich klettere aus dem Wagen heraus und stelle fest, dass wir uns tatsächlich an einem Bahnhof befinden.
Leider bleiben wir nicht lange unbekannt, denn kaum befinden wir uns im Inneren des Bahnhofgebäudes, merke ich, wie sich die Aufmerksamkeit mehrerer Leute auf uns legt.
Dennoch ist mir Jacobs Verhalten gerade viel mehr ein Dorn im Auge, als irgendwelche neugierigen Menschen es jemals sein könnten.
»Du kannst mich nicht einfach stehen lassen. Was soll der Scheiß?«, fauche ich ihm hinterher, sodass er endlich stehen bleibt.
»Kannst du wirklich nicht verstehen, dass ich wütend bin? Du hast mit diesem Mann getanzt, der dir so viel mehr bieten kann. Du sagst zwar, du hast dich nicht amüsiert, aber ich habe seine Blicke gesehen, Amara!«, versucht er, sich zu erklären, doch ich schüttle sofort heftig mit dem Kopf.
»Du bildest dir nur etwas ein, Jacob. Da war nichts!«
»Und wieso sagt dein Vater solche Dinge?«, entgegnet er. Inzwischen hat er seine Arme fallen lassen, als würde er kapitulieren und mir den Sieg schenken. Doch ich denke noch nicht dran, ihn einfach so entkommen zu lassen.
Ich seufze entnervt und fasse mir an die Stirn, um einen klaren Gedanken zu fassen. »Ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat. Du musst wissen, dass ich damit nichts zu tun hatte. Wirklich gar nichts«, erkläre ich. »Dad wünscht sich schon länger, dass ich mir mehr Zeit für diese Welt nehme. Er will, dass ich mich dem englischen Adel anpasse. Du und ich wissen aber beide, dass das niemals passieren wird, Jacob. Ich will kein großes Anwesen, das irgendwelche Vorfahren mal bewohnt hat, und schon gar nicht werde ich irgendwann einmal diese Lebensweise annehmen. Nicht in meinen kühnsten Träumen kann ich mir vorstellen, dass ich so leben kann, wie es das beschissene Protokoll verlangt!«
Jacob sieht mich einen Moment lang an. In seinem Blick verändert sich augenblicklich etwas, doch ich kann nicht nachvollziehen, was in ihm vorgeht. Er benimmt sich merkwürdig.
Eifersüchtig war er schon immer. Die Männer stehen bei mir Schlange, wenn ich es darauf anlege. Und das ist etwas, was auch meinem Freund bewusst ist. Betrogen habe ich ihn jedoch nie. Ich wüsste nicht, ob ich so etwas jemals übers Herz bringen könnte.
Ein paar Mal hat es Pausen und Phasen gegeben, in denen wir getrennt gewesen sind. Wir beide wissen, dass wir uns mit anderen Frauen und Männern getröstet haben, somit ist dies auch kein Grund gewesen, um darüber zu streiten. Solange wir zusammen sind, würde niemand von uns dem anderen so etwas antun.
»Ich glaube, es wäre besser, wenn wir uns eine Weil lang nicht sehen«, sagt er und blickt auf den Boden. Meine Augen weiten sich und die Wut, die erst abgeklungen ist, flammt erneut in mir auf. »Ich hab nicht verstanden, was du gesagt hast«, entfährt es mir ungläubig. »Bitte wiederhole es!«
Jacob seufzt und schüttelt mit dem Kopf. »Dein Vater sitzt mir im Nacken. Er will mich nicht an deiner Seite sehen und genau diese Aktionen beweisen es doch, dass wir nicht zueinander passen. Ein Vater spürt so etwas!«
Ich lache verächtlich auf. »Ein Vater kann sich irren, Jacob. Wir sind seit zwei Jahren zusammen und nur, weil er dich hin und wieder schief anblickt, muss er sich damit arrangieren, dich an meiner Seite zu sehen. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig«, erwidere ich in einem eindringlichen Ton. Ich kann nicht fassen, dass wir tatsächlich über solche Dinge sprechen.
Für meinen Vater würde ich vieles in Kauf nehmen, doch mit wem ich zusammen bin, bleibt ganz allein meine Entscheidung. Er weiß genau, dass ich die größte Unabhängigkeit anstrebe – zumindest das, was meine Entscheidungen für die Zukunft angeht. Zu oft habe ich mich von ihm breitschlagen lassen und sogar ein Studium vollendet, bei dem ich nicht einmal weiß, was ich mir damit in Zukunft aufbauen kann.
»Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob du dem Kronprinzen wirklich so abgeneigt bist, wie du mir weismachen möchtest. Wir sollten einander Zeit geben, um herauszufinden, was wir fühlen«, sagt er in einem ruhigen Ton, der das Blut in meinen Adern zum Kochen bringt.
»Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich weiß genau, was ich fühle!«, fauche ich. »Du lässt dich doch nicht ernsthaft von diesem Streit leiten und willst dich von mir trennen. Das kannst du nicht machen, Jacob!«
Mein Gegenüber seufzt leise, ehe er auf mich zutritt. Doch ich weiche zurück. So aufgebracht ich auch bin, ich kann nicht von ihm angefasst werden, wenn er wirklich dabei ist, sich von mir zu trennen.
»Es tut mir leid, Amara. Wirklich. Aber ich denke, es ist besser so. Zumindest für eine Weile!«
Mit diesen Worten lässt er mich stehen. Er macht auf dem Absatz kehrt und geht die kleine Halle des Bahnhofs entlang. Ein paar Schaulustige beobachten uns, haben unseren Streit wohl mitbekommen. Doch große Beachtung schenke ich ihnen nicht.
»Du verdammtes Arschloch!«, schreie ich ihm hinterher, doch er reagiert nicht. Er läuft weiter, bis er irgendwann am anderen Ende der Halle ankommt und diese durch eine gläserne Tür verlässt.
Ich schüttele den Kopf und als ich mich umdrehe, entdecke ich James in den kleineren Gruppen von Menschen. Überrascht blicke ich ihn an.
»Wo kommst du denn plötzlich her?«, frage ich und laufe langsam auf ihn zu. Sicherlich hat mitbekommen, was passiert ist.
»Ich wollte eigentlich mit Jacob zurückfahren. Allerdings präferiere ich gerade deine Gesellschaft, Schwesterherz«, erklärt er und schenkt mir ein Lächeln. »Du bist sicherlich traurig und könntest eine Umarmung von deinem Bruder gebrauchen, nicht?«
Ich lache leicht und schüttele mit dem Kopf, ehe ich auf ihn zulaufe. »Ich bin wütend, James, nicht traurig. Die Umarmung nehme ich aber trotzdem!«
Ohne noch eine Sekunde zu warten, stürze ich mich in seine Arme. Sofort zieht er mich fest an seine Brust und ich seufze. »Ich kann nicht glauben, dass er diesen Bullshit, den Dad fabriziert hat, wirklich glaubt!«
»Ich finde seine Reaktion ein wenig übertrieben. Es war bloß ein Tanz und wer würde dem Kronprinzen von England schon gerne einen Korb geben?«
»Ich«, werfe ich ein.
James lacht leise und ich kann Vibrieren in seiner Brust spüren. »Aber weißt du was?«, sagt er dann.
»Hm?«
»Er wird sich beruhigen. So wie immer«, erklärt er. Ein Blick nach oben und mir wird sein wundervolles Lächeln offenbart.
»Okay«, sage ich leise, doch die Wut in meinem Bauch ist nach wie vor noch da. »Vielleicht sollten wir abhauen. Ich kann die ersten Paparazzi erkennen«, sage ich seufzend, als ich mich von ihm löse und über seine Schulter blicke.
James sieht sich um und verzieht seine Lippen zu einem schmalen Strich. »Du hast Recht. Lass uns lieber verschwinden!«
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