Kapitel 2
Amara
Blaue Augen funkeln mir entgegen und ich muss mir die größte Mühe geben, meine nicht genervt zu verdrehen. Die Arroganz und das selbstverliebte Getue kann ich schon förmlich riechen. Dabei habe ich noch kein Wort mit ihm gewechselt. Weder heute Abend, noch sonst irgendwann einmal in der Vergangenheit. Henry Winchester mag zwar von Bodyguards bewacht werden, weil er in Zukunft dieses Land regieren wird, doch deshalb falle ich ihm nicht gleich zu Füßen, wie es jede andere Frau hier im Raum tun würde.
»Amara, es ist mir eine Ehre, Sie heute Abend zu treffen!«, begrüßt er mich höflich und streckt mir eine Hand entgegen.
Kurz werfe ich meinem Vater einen Seitenblick zu, ehe ich meine Hand in seine lege. Henry verbeugt sich daraufhin vor mir, obwohl die Etikette es eindeutig andersherum vorsieht. Sein Atem trifft auf meinen Handrücken und ich erschaudere in dem Moment, wo ich seine Lippen auf meiner Haut spüren kann.
»Es freut mich, Sie wiederzusehen, Prinz Henry!«, erwidere ich notgedrungen. Einzig für meinen Vater dulde ich seine Begrüßung. Niemand darf so nah an mich herantreten und seine Lippen auf meine Haut pressen. Niemand, außer Jacob oder den Männern, denen ich es erlaube.
»Sie sehen absolut bezaubernd aus. Ihr Vater war so höflich, mich Ihnen endlich vorzustellen«, erklärt er und schenkt mir ein Lächeln. Ausnahmsweise sehe ich in diesem keine Arroganz. Im Gegenteil – es wirkt echt und freundlich. Eine willkommene Abwechslung, die vermutlich nicht lange anhalten wird. Früher oder später wird er wieder das werden, was in der Klatschpresse verherrlicht wird.
»Wie reizend von ihm«, erwidere ich und setze ein Lächeln auf, das jeder, der mich besser kennt, als falsch und unecht entlarven würde. Mein Vater kann sich denken, wie ich mich über seine Freundlichkeit freue. Andere Frauen würden sich vermutlich um eine Sekunde Aufmerksamkeit des Kronprinzen reißen, doch nicht ich. Ich kann es kaum erwarten, bis ich aus dem Gespräch flüchten und mit Jacob die Party in unser Hotelzimmer verlagern kann.
»Deine Mutter und ich werden tanzen gehen, während ihr euch ein wenig unterhaltet, in Ordnung?«
»Das klingt gut«, bringe ich hervor und lasse mich dann wieder auf meinem Stuhl fallen. Henry nimmt neben mir Platz, sobald meine Mutter mir ein Lächeln schenkt und sich mit meinem Vater in Luft auflöst.
»Wie gefällt Ihnen die Feier?«, frage ich aus Höflichkeit, als er mich für einige Sekunden mustert.
»Alles ist ein wenig förmlich. Für einen Clubbesuch hätte ich mich lieber in Schale geworfen, aber es ist nicht umsonst meine Pflicht, hier aufzutauchen«, erklärt er. »Hast du etwas dagegen, wenn wir uns duzen? Du bist doch bloß ein paar Jahre jünger, richtig?«
Ich nicke. »Ich bin 25 und kann verstehen, dass du lieber in einem Club wärst. Mir geht's genauso. Nur meinem Vater zuliebe bin ich hier. Er bekommt sonst wieder einen seiner Tobsuchtsanfälle«, erkläre ich. Er kann ruhig wissen, dass ich mich mit dem ganzen Theater um den Adel nicht wirklich identifizieren kann.
»Das Gerücht, dass Lord Duxburys Tochter nichts mit dem Adel zutun haben möchte, ist also wahr?«
»Es gibt ein Gerücht, dass ich all das hier verabscheue und meine Zeit lieber mit anderen Dingen verbringe?«, frage ich gespielt empört und lege eine Hand an meine Brust.
Henrys Lippen verziehen sich zu einem amüsierten Grinsen. »Um ehrlich zu sein, überrascht es mich nicht. Londons Partygirl und Instagramikone zieht es sicherlich nicht freiwillig zu Banquettes, Bällen oder anderen Events des englischen Adels«, erklärt er. »Stattdessen ziehst du einem Club das hier allemal vor.«
»Klingt ganz so, als geht es dir genauso«, stelle ich fest und greife nach meinem Glas Champagner. Ich führe es an meine Lippen und trinke einen Schluck. Dabei lasse ich unseren Prinzen keine Sekunde aus den Augen.
»Ich bin der Thronfolger. In wenigen Jahren, wenn mein Vater abdankt, werde ich zum König ernannt. Das Eine will man, das Andere kriegt man.«
Zum ersten Mal in seiner Gegenwart kommt mir ein Lachen über die Lippen. Allerdings nicht, weil ich mich amüsiere, sondern weil ich seine Worte nicht ernst nehmen kann. »Ein Leben auf dem Thron – das kann man nicht wollen.«
»Manche sind für eine solch ehrenvolle Aufgabe nicht gemacht«, kontert er.
»Das glaubst du nicht wirklich, oder? Alles, was du bisher tust, ist in die Kamera zu lächeln, wenn du Gebäude einweihst oder in Afrika bedürftigen Kindern mit nichts außer einem Check hilfst. Geld, das nicht einmal dir gehört, sondern dem Steuerzahler aus der Tasche genommen wird«, schleudere ich ihm entgegen. »Auf die Politik unseres Landes hast du kein bisschen Einfluss und das ist es, was die eigentliche Arbeit ist.«
»Das willst ausgerechnet du mir vorhalten?«, fragt er. Ein leichter Unterton von Spott liegt in seiner Stimme und das Grinsen ist inzwischen von seinem Gesicht gewichen. »Du, die monatlich von Kooperationen mit Beautyfirmen lebt oder von Daddys Vermögen?«
»Ich habe Politikwissenschaften studiert und mit Bestnote abgeschlossen. Nur, weil ich mich danach für einen anderen Weg in der Karriere entschieden habe, heißt es nicht, dass wir beide in irgendeiner Weise gleich sind«, fauche ich.
Mein Herz pocht vor Aufregung und Adrenalin pumpt durch meine Adern. Der Mann vor mir treibt mich allein durch seine Worte in den Wahnsinn und zeigt mir wieder einmal, dass ich mit Leuten wie ihm nichts zu tun haben möchte. Die Doppelmoral, die er mit sich trägt, kann ich nicht ausstehen und lässt sich nur schwer mit Sympathie kombinieren.
»Dieser Schlagabtausch gefällt mir«, raunt er dann. Nicht länger liegt Ärger in seinem Blick. Stattdessen kann ich irgendetwas anderes in seinen Augen erkennen. Doch weiß ich nicht was.
Ich kann seinem Blick nicht eine Sekunde länger standhalten, weshalb ich sehr froh bin, dass in der nächsten Sekunde die Musik unterbrochen wird. Ein weiterer Lord stellt sich auf ein Podest und tippt zweimal auf das Mikrofon, um sicherzugehen, dass es auch eingeschaltet ist.
Henry wendet sich von mir ab und fast rechne ich damit, dass er zu seinem Platz zurückkehrt. Doch er bleibt sitzen. Er dreht sich mit der Seite zu mir und sieht nach vorne zur Bühne.
Davor befindet sich die Tanzfläche, auf der sich sämtliche Paare versammelt haben. Jedoch tanzen sie nicht, sondern wenden sich dem Redner zu.
»Ich entschuldige für die kleine Unterbrechung, doch mir wurde gesagt, dass es eine Art Tradition sei, dass der König diesen Abend mit einem Tanz eröffnet. Da dieser jedoch heute nicht anwesend ist, haben wir uns entschieden Prinz Henry darum zu bitten, den Abend etwas verspätet, aber dennoch ganz offiziell mit einem Tanz zu eröffnen!«
Applaus ertönt sofort und auf Henrys Gesicht bildet sich ein Lächeln. Eines, das einstudiert wirkt, als sei es nur für die Öffentlichkeit bestimmt. Augenblicklich wird seine Haltung wieder aufrecht und er erhebt sich vom Stuhl.
Erleichterung macht sich in mir breit, da er nun gezwungen ist, unser Gespräch ruhen zu lassen. Ich male mir fast schon aus, wo und ich welcher Position ich mich in der nächsten halben Stunde befinden werde – am liebsten stöhnend auf Jacob –, doch meine Gedanken brechen ab.
Henry hält mir bereits zum zweiten Mal innerhalb des Abends seine Hand entgegen. Dieses Mal jedoch nicht zur Begrüßung, wie ich feststelle. »Darf ich dich um diesen Tanz bitten?«
Mein Mund öffnet sich augenblicklich. »Bitte?«
»Amara, ich möchte, dass du mit mir tanzt! Bitte tu mir den Gefallen«, erwidert er und versucht es mit einem charmanten Lächeln.
Sämtliche Blicke liegen auf uns und ich kann den stechenden Blick meines Vaters auch aus mehreren Metern Entfernung spüren. Wenn ich ablehne, werde ich morgen auf sämtlichen Titelblättern zu sehen sein. Die Presse steht draußen vor der Tür, doch die Adeligen, die sich darum reißen, wenigsten einmal in den Schlagzeilen zu landen, werden sich nicht davon abhalten lassen, ihnen von meinem Fehltritt zu erzählen.
»Mein Partner wird darüber nicht erfreut sein«, brumme ich und erhebe mich. Henry lacht leise, ehe er nach meiner Hand greift und unsere Finger miteinander verschränkt. Eine Geste, die sich so wahnsinnig intim anfühlt, obwohl ich diesen Mann mit keinem Deut leiden kann.
»Mit einem eifersüchtigen Partner kommen meine Bodyguards schon klar«, erwidert bloß, während wir gemeinsam zur Tanzfläche schreiten. Die Musik erklingt wieder, sodass die Stille im Saal aussetzt.
»Ich wusste, dass du nicht in der Lage bist, dich selbst zu verteidigen. Jacob würde dich umhauen, selbst wenn er nur ein Anwalt ist und den lieben langen Tag im Büro sitzt«, erkläre ich.
»Ein Anwalt«, sagt er und stoppt in der Mitte des Raumes. »Ich hätte nicht gedacht, dass du dich mit jemandem abgibst, der solch einen vernünftigen Beruf gewählt hat.«
Ich stoppe in meiner Bewegung und sehe ihn aus verengten Augen an. Meine Hand entziehe ich ihm.
In seinem schwarzen Anzug und der kleinen Schärpe, die er trägt, sieht er unwiderstehlich aus. Doch das, was er von sich gibt, bringt mich derartig auf die Palme, dass ich mich an seinem Anblick kaum vergnügen kann. Braune Haare sind mit Gel perfekt frisiert. Seine Zähne sind strahlendweiß und auch sonst erkenne ich kaum einen Makel.
Jedenfalls solange, bis er seinen Mund öffnet und den Bullshit, den er von sich gibt, offensichtlich auch noch glaubt.
»Ich bin dennoch eine Frau aus gutem Hause und anders als dir, wurde mir Benehmen beigebracht«, erwidere ich.
Herausforderung liegt in seinen Augen und noch einmal streckt er seine Hand nach mir aus. »Dann hast du keine andere Wahl, als mir die Ehre zu erweisen und mit mir zu tanzen«, erklärt er mir. Ein wissendes Grinsen trägt er auf seinen Lippen und ich seufze ergebend.
Ich mache einen Schritt auf ihn zu – möglichst anmutig und elegant – ehe ich meine Hand in seine lege.
»Was hälst du von einem klassischen Walzer?«, frage ich. »So etwas muss dir doch im Schlaf gelingen, nicht?«
»Im Bett gelingt mir einiges. Kostprobe gefällig?«, erwidert er neckend und ich verdrehe die Augen.
»Sehr kokett, werter Prinz«, murmele ich, ehe er mich in der nächsten Sekunde an sich heranzieht. Meine Brust trifft auf seine und sein Duft steigt mir in die Nase. Wenigsten hat er bei der Wahl seines Parfüms nicht vollkommen ins Klo gegriffen.
Sekunden vergehen, in denen er mir in die Augen sieht, bevor wir endlich im Takt der Musik zu tanzen beginnen. Ich achte kaum auf die Schrittfolge, die sich seit Jahren in meinem Kopf festgesetzt hat, denn Henry führt mich perfekt.
Wenigstens das hat sich bei ihm ausgezahlt.
»Du tanzt wunderbar«, erklärt er mir.
»Du auch«, erwidere ich ehrlich.
Überraschung schleicht sich auf seine Miene und innerlich grinse ich. Ich mag vieles sein und vor allem nicht von ihm begeistert, aber Ehrlichkeit ist mein zweiter Vorname. Es bringt nichts zu lügen, wenn ich sowieso weiß, dass ich dann unausgeglichen bin.
Wir verfallen in einvernehmliches Schweigen und bringen ganze zwei Lieder hinter uns, in denen niemand spricht.
Doch kaum hat das dritte Lied begonnen, entdecke ich Jacob in meinem Blickfeld. James taucht neben ihm auf und beide sehen nicht sonderlich begeistert aus. James, weil Jacob so aussieht, als würde er gleich, wie ein Vulkan ausbrechen, und Jacob, weil ich mit einem anderen Mann tanze.
Ich habe keine Chance, mich jetzt der Sache zu entziehen, und werde später mit ihm sprechen und ihm die Sachlage erklären, weshalb ich mich wieder zu Henry drehe. Inzwischen sind seine Hände ein wenig tiefer gerutscht und nicht mehr dort, wo es ihm im Tanzunterricht gezeigt wurde. Doch auch wenn es vielleicht anders sein sollte, stört es mich nicht. Er wirkt viel lockerer und entspannter und auch ich muss mich nicht länger anstrengen, die kerzengerade Haltung zu wahren.
»Also – wie kommt es, dass du mit einem Anwalt das Bett teilst?«, schneidet Henry wieder das Thema an.
»Wie kommt es, dass du mit einem Flittchen namens Cindy Whitmore schläfst?«, entgegne ich.
»Weil sie eine Frau ist und ich Frauen in meinem Bett liebe?«
»Du meinst also in deinem Hotelzimmer, dass du dir anmieten musst, um deine Kronjuwelen endlich mal nutzen zu können?«
»Im Gegenteil, Süße. Ich besitze eine Eigentumswohnung, sowohl in London als auch Paris«, erklärt er.
»Wow. Herzlichen Glückwunsch für das bisschen Privatsphäre. Die Bodyguards vor deiner Tür hören die sicherlich gerne dabei zu, wie du eine Frau in den Himmel schickst!«
»Schön, dass du wenigstens meine Qualitäten im Bett nicht weiter anzweifelst«, meint er grinsend.
Mir wird bewusst, was ich gesagt habe, doch ich schenke dem keine Beachtung. Ich lasse mich von diesem Typen – egal, wer er ist – nicht lächerlich machen.
»Cindy hat ja mehrmals über deinen göttlichen Schwanz in der Öffentlichkeit gesprochen. Sie hat zwar keine gute Menschenkenntnis, aber Wahrnehmungsstörungen hat sie nicht. Irgendetwas muss ja dran sein«, erwidere ich.
Allein ihren Namen auszusprechen, verursacht den Drang, meinen Magen zu entleeren. So viel Selbstbeherrschung haben ich dann glücklicherweise doch noch.
»Daran ist einiges wahr, Amara. Aber zurück zu deinem Anwalt. Soweit ich das gerade beurteilen kann, macht er die Biege und es sieht nicht danach aus, als würde er nur seine Blase leeren«, teilt er mir mit.
Mein Kopf fährt herum und tatsächlich – Jacob ist gerade dabei, den Saal zu verlassen. »Du Mistkerl«, zische ich leise. »Das ist alles deine Schuld!«
Henry lächelt unschuldig. »Aber wieso? Du hättest nicht mit mir tanzen müssen, Amara. Abgelehnt hast du aber auch nicht. Wenn hier jemand schuld daran ist, dass dein Partner wütend die Flucht ergreift – vor Eifersucht geplagt – dann ist es deine eigene«, erwidert er. In der nächsten Sekunde endet das dritte Lied und die Tanzrunde ist beendet. »Aber ich danke dir trotzdem für diesen Tanz.« Wieder verbeugt er sich und küsst meinen Handrücken. Als er sich wieder aufrichtet, lächelt er mich an. Seine Augen strahlen förmlich. »Beim nächsten Mal kannst du mir dann verraten, warum ausgerechnet du mit einem langweiligen Anwalt ins Bett gehst.« Henry dreht sich um und macht die ersten Schritte zurück zu seinem Tisch.
»Es wird kein nächstes Mal geben«, sage ich, sodass er meine Worte noch hört.
»Bilde dir das nur weiter ein«, höre ich ihn flöten, bevor er mich endgültig verlässt.
Mit großen Augen und ein wenig fassungslos über die Tatsache, dass er derjenige ist, der mich stehen lässt, setze ich mich in Bewegung.
Ich muss Jacob finden und ihm alles erklären.
Der Tanz hat nichts zu bedeuten und ich verfluche meinen Vater schon jetzt dafür, dass er mich immer wieder in so eine Lage bringt.
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