Kapitel 1
Amara
»Ich verstehe nicht, wie du dich auf solche Events freuen kannst«, murmele ich desinteressiert und blicke auf mein Handy. Die Fotos, die mein Bruder James von mir und Jacob geschossen hat, sind erstaunlich gut geworden und meine fast 800.000 Follower auf Instagram können sich diese in genau dieser Minute zu Gemüte führen.
»Ich verstehe nicht, wieso du dich jedes Mal so stark dagegen wehrst«, erwidert Jacob und legt seine Hand auf meinen nackten Oberschenkel. Das Kleid reicht knapp bis zur Mitte meines Knies, doch bereits in der Sekunde, in der James uns verlassen hat, saß es schon nicht mehr an Ort und Stelle. Jacob ist verrückt nach mir und zeigt mir das auf jede erdenkliche Weise. Zwei Jahre sind wir zusammen, wenn man die kurzen Unterbrechungen nicht weiter beachtet, und noch immer läuft es erstaunlich gut zwischen uns. Wir beide sind nicht daran interessiert, schon jetzt an die Zukunft zu denken, sondern kosten jeden neuen Moment vollkommen aus.
»Ich besuche solche Veranstaltungen nur, um meinen Vater glücklich zu machen, und weil es leckeren Champagner gibt«, erkläre ich ihm und verziehe die Lippen zu einem Grinsen. Jacob, der gerade aus dem Fenster sieht, lächelt daraufhin, bevor er seinen Kopf in meine Richtung dreht. Ich habe keine Ahnung, wie es möglich ist, dass ein Mensch derartig graue Augen haben kann. Nur leicht schimmert der Grünton hindurch und die Tatsache, dass auch sein Zwillingsbruder dieselbe Augenfarbe trägt, macht das Ganze noch besonderer. Es ist allein ihre Augenfarbe.
»Den Champagner könntest du dir auch so besorgen, Amara«, murmelt er, ehe er sich zu mir herüberbeugt und seine Lippen auf meine presst. Grinsend erwidere ich seinen Kuss, ziehe ihn in der nächsten Sekunde aber schon wieder näher zu mir. Seine Krawatte macht einen wirklich guten Dienst und irgendwie ist es verdammt heiß, sie für solche Zwecke zu benutzen.
Ich seufze leise, als seine Zunge auf meine trifft und der Kuss immer hungriger wird. Fast bin ich gewillt, die Feier sausen zu lassen und mich mit Jacob in ein Hotelzimmer einzuchecken, wo niemand uns finden und letztlich doch auf die Party schleifen kann.
Jacob hat scheinbar denselben Gedanken, denn im nächsten Moment, zieht er mich an sich und seine Hände wandern unter mein Kleid. Ich keuche, als er meinen Slip zur Seite schiebt und seine Finger auf nackte Haut treffen.
Doch bereits im nächsten Moment ist jegliche Spannung dahin. Der Wagen bremst, kommt abrupt zum Stehen und der Motor wird abgestellt. Seufzend lässt Jacob von mir ab, lässt es sich aber nicht nehmen, seinen Kopf noch einmal an meinem Hals zu vergraben und mit seinen Zähnen mein Ohrläppchen in Besitz zu nehmen. Seine Finger treten ebenfalls den Rückzug an und ich seufze leise.
»Sieh es als kleinen Vorgeschmack für heute Nacht«, flüstert er in mein Ohr und ich brumme zustimmend.
»Wehe, du machst dein Versprechen nicht wahr«, erwidere ich und stoße ihn dann spielerisch von mir. Ein Grinsen schleicht sich auf Jacobs Lippen, doch sein Blick ist noch immer ziemlich verklärt. Das Verlangen darin kann ich erkennen. Auch, wie es langsam aber sicher verschwindet.
»Glaub mir – wenn wir diesen Abend überstanden haben, dürfen wir das ruhig feiern. Auf unsere Art«, wirft er ein. Ich schüttle lachend den Kopf, richte mein Kleid und klopfe dann gegen das Fenster, um meinem Chauffeur mitzuteilen, dass wir bereit sind.
Sekunden später öffnen sich die Türen und das Blitzlichtgewitter der Paparazzi beginnt. Möglichst anmutig und elegant steige ich aus dem Wagen und warte, bis Jacob neben mir auftaucht. Seine Hand gleitet in meine und gemeinsam laufen wir den roten Teppich entlang, der für die Gäste ausgelegt wurde. Für Fotos halten wir immer wieder für ein paar Sekunden an, doch irgendwann reicht es mir und wir verschwinden im Inneren des Gebäudes.
Sofort fällt mir auf, dass die Frauen, die mir entgegenkommen, allesamt ein langes Kleid tragen.
Vermutlich sollte ich jetzt zögernd an mir herunterblicken, doch das ist absolut nicht meine Art. Stattdessen wird meine Haltung noch ein Stückchen aufrechter und das Lächeln auf meinen Lippen noch breiter.
Ich liebe es, meinen Vater auf diese Art in den Wahnsinn zu treiben. Bei jedem Event versucht er etwas aus mir zu machen, das ich nicht bin.
Ich bin keine Person, die sich mit einem Titel schmücken will, und entgegen seiner unzähligen Versuche bringt er mich immer mehr von diesen Wegen ab.
Viele erwarten von mir, dass ich mich wie die Tochter eines Lords verhalte. Mein Bruder James scheint dafür jedoch der bessere Kandidat zu sein. Er liebt solche Veranstaltungen und all das Drama, was diese meist mit sich ziehen.
»Dein Vater müsste doch auch irgendwo sein, nicht?«
Ich lächle schief. Obwohl wir bereits zwei Jahre ein Paar sind, hat mein Vater sich mit dieser Beziehung noch nicht anfreunden können. Aus unerklärlichen Gründen kann er Jacob nicht leiden. Dabei ist er alles, was man sich von einem Mann wünschen kann. Er ist ein wahrer Gentlemen, sehr intelligent und zudem als Anwalt alles andere als schlecht. Er gehört, zusammen mit seinem Bruder Nicholas, zu den Top-Anwälten in London und vertritt sämtliche Geschäfte für meinen Vater. In dieser Hinsicht hat er sich ihm gegenüber doch geöffnet.
Was Jacobs Liebe zu mir betrifft – nicht einmal im Traum würde er dran denken, ihn wie einen Schwiegersohn in Spé zu behandeln.
Deshalb lässt mein Freund auch nichts unversucht und will ihn bei jedem Treffen von sich überzeugen.
»Keine Sorge. Du wirst schon noch eine Gelegenheit bekommen, dich mit ihm zu unterhalten. Erstmal brauche ich etwas zu trinken, um den Abend überhaupt zu überstehen«, erkläre ich. Mein Freund versteht sofort und zieht mich an seiner Hand durch die Menschenmengen. Ein paar Leuten nicke ich höflicherweise zu, weil ich sie auf vergangenen Events bereits kennengelernt habe, doch ich halte nicht an, um mit ihnen Smalltalk zu halten.
Ich folge Jacob bis an die Bar und wieder fällt mir auf, wie gut ihm seine maßgeschneiderten Anzüge eigentlich stehen. Wie angegossen sitzen die Stoffe an seinem Körper und betonen seinen knackigen Hintern.
Jacob ist wirklich attraktiv und ist sich dieser Tatsache bewusst. Er trainiert fast täglich und dass immer nach der Arbeit, weil er nach fast zehn Stunden im Büro das Gefühl hat, seine Beine verselbstständigen sich.
Sobald wir unser Ziel erreichen, ordert Jacob direkt zwei Gläser des besten Champagners und als ich den ersten Schluck davon nehme und das Prickeln in meinem Mund wahrnehme, seufze ich leise.
»Der nächste Teil des jungen Adels«, murmelt Jacob neben mir und ich folge seinem Blick. Claudette Chevalier betritt mit ihrem Verlobten Jonathan Bane den Raum. In Frankreich geboren, gehört sie dennoch zum englischen Adel, denn ihr Vater ist, wie meiner, ebenfalls ein Lord. Sie trägt ein bodenlanges, weinrotes Kleid und sieht ganz fantastisch aus. Ihre blonden Haare hat sie zu einer hübschen Frisur gesteckt und nur wenige Strähnen umrahmen ihr Gesicht. Auch, wenn ich ihren Männergeschmack absolut nicht teilen kann, so weiß ich, dass sie mir im Grund eigentlich ziemlich ähnlich ist.
»Sie sieht gut aus«, höre ich meinen Freund noch einmal murmeln, doch ich gehe nicht weiter darauf ein. Mein Blick folgt ihr noch immer, doch sobald ich sehe, was ihr Ziel ist, wende ich den Blick ab.
Der Kronprinz sitzt mit seiner Gefolgschaft an einem der länglichen Tische – natürlich eingedeckt mit dem wertvollsten Porzellan, die der Veranstalter auftreiben konnte. Neben ihm befinden sich auch noch seine Geschwister am Tisch. Für Claudette und Jonathan sind noch zwei Stühle frei und mehr dürfen aus Sicherheitsgründen auch nicht an den Tisch. Immerhin ist dies eine öffentliche Veranstaltung und unsere Hoheit könnte zur Zielscheibe eines Gegenspielers werden.
»Welch eine Überraschung«, murmele ich bloß und seufze leise, ehe ich mich abwende. »Suchen wir meine Eltern und James?«
Jacob stimmt mit einem knappen Nicken zu und wendet seinen Blick ebenfalls vom Star des Abends ab.
Wieder findet seine freie Hand die meine und wir laufen zusammen durch das Getümmel an Menschen. Normalerweise bin ich eine gesprächige Person, aber die Leute, die mich hier mit kritischen Blicken bedenken, können mir getrost den Buckel herunterrutschen. Wir entdecken meine Eltern ein wenig später. Sie sitzen ebenfalls in bester Garderobe an einem Tisch und unterhalten sich. Mein Bruder James ist auch dort. Im Gegensatz zu mir wird er hier seinen Spaß haben. Er liebt es, die Karte des Adels auszuspielen, allerdings weiß ich auch, dass er sich hin und wieder eine Gespielin für die Nacht sucht. In einem Raum voller Töchter berühmter Menschen und des englischen Adels ist das sicherlich ziemlich einfach. Nicht alle sind, wie ihre Eltern, so förmlich, sondern verstehen es, wenn ein Mann wie James ihnen eine Nacht voller Extase verspricht.
Woher ich weiß, dass mein Bruder ein ausgezeichneter Liebhaber ist? Früher, als wir beide noch bei unseren Eltern gelebt haben, musste ich mir, öfter, als es mir lieb war, die Reaktionen seiner Dates anhören, die dabei ziemlich laut und ausdauernd gewesen sind. Seitdem weiß ich, dass er keineswegs schlecht bei den Frauen ankommen muss. Nicht einmal Jacob hat mich jemals derartig zum Stöhnen gebracht und dabei ist der Sex wahnsinnig gut.
»Hallo Mum. Hey, Dad«, begrüße ich meine Eltern und hauche beiden im Vorbeigehen einen Kuss auf ihre Wangen. »Wartet ihr schon lange auf uns?«
»Nur ein paar Minuten. Wurdet ihr wieder einmal aufgehalten?«, höre ich meinen Bruder fragen. Sein fettes Grinsen ist anzüglich genug, damit jeder am Tisch versteht, worauf er hinaus möchte.
Ich verdrehe daraufhin bloß die Augen. »Ich muss dich enttäuschen, James, aber nein. Dieses Mal haben wir die Finger voneinander lassen können. Na ja – fast.«
Das Knurren meines Vaters ignoriere ich und das Lächeln meiner Mutter ebenso. Sie mochte Jacob von der ersten Sekunde an und sieht seitdem etwas in uns, was ich noch nicht sehe.
Sie wünscht sich sehnlichst Enkelkinder, aber mit fast 25 Jahren weiß ich nicht, ob ich ihr diesen Wunsch erfüllen werde. Jacob ist 31 Jahre alt und damit sechs Jahre älter. Andere sind in seinem Alter längst verheiratet und dabei, eine Familie zu gründen. Deshalb bin ich froh, dass er momentan noch kein Interesse geäußert hat, sich dem nächsten Schritt unserer Beziehung zuzuwenden. Ich wüsste nicht, ob ich dem aktuell gewachsen wäre.
»James, lass deine Schwester in Ruhe«, höre ich sie sagen, weshalb ich ihr dann doch ein Lächeln schenke.
Jacob zieht mir dann einen Stuhl hervor, sodass ich mich neben sie setze, während er sich einige Augenblicke später neben James setzt und mir somit gegenüber.
»Also – kann der Abend schnell vorübergehen, damit ich schnellstens wieder nach Hause kann?«, frage ich provokant an meinen Vater gerichtet. Und obwohl er immer so redegewandt ist und mich versucht von den Leuten zu überzeugen, die anwesend sind, sagt er ausnahmsweise kein Wort.
∞
James und Jacob gehen ihren üblichen Tätigkeiten nach. Während sie sich unters Volk mischen und sich den Weg nach draußen bahnen, um eine Zigarette zu rauchen, sitze ich noch immer neben meiner Mutter. Sie erzählt mir immer gern von ihrer Modelagentur, die sie vor ein paar Jahren gegründet hat. Sie selbst ist nicht mehr als Model aktiv, obwohl sie noch immer wunderschön aussieht und den Catwalk mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit rocken würde.
Mum und Dad haben sich vor etwas mehr als dreißig Jahren, solange sind sie jedenfalls verheiratet, in Paris kennengelernt. Obwohl mein Vater sonst so konventionell und altmodisch ist, hat er meine Mutter nach wenigen Monaten schon geheiratet. Erst zwei Jahre später ist mein Bruder geboren und somit drei Jahre älter als ich.
Ich finde es nach wie vor schön, dass meine Eltern sich noch immer so sehr lieben und das vom ersten Moment an. Vielleicht ruft das auch hin und wieder die Sehnsucht nach Liebe hervor, doch im selben Moment wird mir auch wieder bewusst, dass die Liebe nur verwundbar macht. Mit Jacob ist es bisher wirklich gut gelaufen, trotz unserer vielen Pausen. Liebe ist es nicht, was ich für ihn empfinde, aber da ist definitiv eine Verbundenheit und Nähe und natürlich das unbändige Verlangen zwischen uns.
Mein Vater ist vor wenigen Minuten aufgestanden, um mit ein paar Leuten zu sprechen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er sich ein wenig zu wichtig nimmt. Obwohl er Teil der Lordschaft ist, interessiert sich doch letztlich ohnehin niemand darum. Die Königsfamilie ist das, worauf jeder seine Augen richtet.
In manchen Momenten wäre es mir auch recht, wenn wir nicht aus diesem Grund im Rampenlicht stehen würden. Ich liebe es, mir um Dinge wie Geld keine Sorgen machen zu müssen, und mag auch die Vorteile, die mir ein Leben in der Öffentlichkeit bietet, aber so, wie einige Menschen sich aufspielen, kann ich das schlichtweg nicht nachvollziehen.
»Dein Vater kommt wieder«, unterbricht Mum meine Gedanken und ich sehe auf. Allerdings bleibt mir in dieser Sekunde das Herz stehen, denn er ist nicht allein.
Mit ihm tritt Henry an den Tisch.
Henry, der nach seinem Vater den Thron besteigen wird.
Der Kronprinz von England.
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