Rotwein
Vielleicht war es ja wirklich Zeit, ihr die Wahrheit zu erzählen. Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich das noch hätte rauszögern können. Ich trank den Rest des Weines aus meinem Glas, dann drehte ich es nervös in meinen Händen. „Louis, hältst du mich wirklich für so eine Schreckschraube, dass du mir nicht erzählen kannst, was los ist? Ich meine, wenn du es mir nicht erzählen willst, dann lass es. Ich werde dich nicht dazu zwingen, mir irgendetwas zu erzählen, wenn du das nicht willst. Sag mir bitte nur, dass ich mir keine Sorgen um Violetta machen muss."
Ich sah sie überrascht an. „Es tut mir leid, dass ich dir nichts erzählt habe. Aber niemand an der Schule weiß es. Naja, außer Niall und Liam." Friederike nickte und füllte uns beiden Wein nach. „Harry und ich sind ein Paar." Sie nickte erneut, sah aber nicht sonderlich überrascht aus. Sie hatte aber auch seit heute Mittag genügend Zeit, eine Erklärung für unsere Vertrautheit zu finden und hatte offensichtlich die richtigen Schlüsse gezogen.
„Ich komme mir so dämlich vor." Ich kräuselte meine Stirn. Das hatte ich jetzt definitiv nicht erwartet. „Warum?" Friederike kämmte sich einmal mit den Fingern durch die Haare, dann schüttelte sie lächelnd den Kopf. „Noch heute Morgen habe ich dir vorgeschwärmt, wie attraktiv ich ihn finde." Das brachte mich zum Lachen. „Innerlich hab' ich dir zugestimmt. Harry ist wirklich toll." - „Du nimmst es mir nicht übel?" - „Warum sollte ich?" - „Weil ich die ganze Zeit von deinem Freund geschwärmt habe. Oh Gott, ich bin so dumm. Schon beim Elternabend... Ich bin wirklich dumm. Deshalb wollte er auch, dass Violetta nachts zu dir kommt, statt zu mir." Ich nickte. „Du bist der Freund, von dem er geredet hat. Oh Gott, hätte ich gewusst, dass du vergeben bist, dann hätte ich mich in deiner Gegenwart vielleicht etwas mehr zusammengerissen. Du musst mich für einen liebeskranken Volltrottel halten."
„Was meinst du?" Friederike fuhr sich einmal mit der Hand übers Gesicht und trank noch mehr Wein. „Louis, es tut mir wirklich leid, wenn ich dir oder deinem Freund zu nahe getreten bin. Es ist nur, ich fand dich vom ersten Moment an echt toll. Ich muss gestehen, ich war auch ein winzig kleines bisschen in dich verknallt. Und als ich beim Elternabend Harry angeflirtet habe, hast du echt eifersüchtig reagiert. Oh Gott, ich bin so dumm. Ich schäme mich gerade so sehr."
Ich schüttelte den Kopf. „Du brauchst dich deshalb nicht schämen. Du konntest ja nicht wissen, dass ich einen Freund habe." Friederike schenkte sich schon wieder nach. „Bist du schwul? Oder hätte ich eine Chance bei dir gehabt, wenn Herr Styles mir nicht dazwischen gekommen wäre?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Schwul bin ich definitiv nicht. Eher bi oder pan oder so etwas in der Richtung. Harry ist der erste und einzige Mann, zu dem ich mich hingezogen fühle. Es könnte schon sein, dass du bei mir eine Chance gehabt hättest, du bist wirklich eine attraktive und sympathische Frau. Aber mein Herz gehört jetzt ganz allein Harry. Und das wahrscheinlich schon seit ich ihn das erste Mal gesehen habe."- „Also war es Liebe auf den ersten Blick?" Lächelnd nickte ich. „Ja, das war es. Er hat mich vom ersten Moment an umgehauen."
Friederike grinste wie verrückt. „Das ist ja so romantisch. Ich freue mich für dich. Ich wünschte nur, ich hätte auch mal so viel Glück in der Liebe." Ich lächelte zurück. „Der Richtige kommt sicher noch. Du bist eine tolle Frau, Friederike. Vielleicht kommt dein Traumprinz auch bald in dein Leben gestolpert." Sie zuckte mit den Schultern und sah ziemlich betrübt aus. „Ich hatte bisher noch nicht so viel Glück mit den Männern. Irgendwie war es für mich eine völlig neue Erfahrung, jemanden wie dich oder Herr Styles kennenzulernen." - „Oh, warum das?"
„Mein letzter Freund wurde immer aggressiv, wenn er getrunken hatte. Als wir uns kennengelernt haben, hat er gar keinen Alkohol getrunken. Dann ist er immer öfter mit seinen Jungs ausgegangen und betrunken heimgekommen. Und irgendwann hat er angefangen grob zu mir zu werden. Erst verbal, später auch körperlich." Ich schluckte, das hatte ich definitiv nicht erwartet.
„Das tut mir leid für dich." Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin mittlerweile drüber weg. Nur hat mir das irgendwie den Glauben an das Gute im Mann geraubt." - „Das kann ich mir vorstellen." - „Und als ich dich dann kennengelernt habe... Du warst so sympathisch und freundlich... Sowas kannte ich gar nicht von Männern. Und ich finde, dass du einen tollen Freund hast. Ich bewundere ihn dafür, wie gut er das alles gemeistert hat. Soweit ich das mitkriege ist er auch ein toller Vater. Irgendwie hat mir das geholfen, nicht alle Männer nicht direkt in eine Schublade zu stecken." Friederike grinste schwach.
„Bist du eigentlich wegen Harry hergezogen? Du hast ja gemeint, du würdest mit einem Kumpel in einer WG wohnen. War Harry dieser Kumpel?" Das wäre zu schön gewesen. „Nein, ich kenne Harry noch gar nicht so lange. Ich bin eigentlich wieder hergezogen, weil ich mich von meiner Freundin getrennt hatte. Und ich wohne mit einem Kumpel von früher in einer WG, nicht mit Harry. Obwohl ich da auch nichts dagegen hätte." Das brachte Friederike zum Grinsen. „Und Harry habe ich kennengelernt, weil ich an meinem ersten Tag hier Zeuge davon wurde, wie Jeremy Violetta verprügelt hatte. Naja, Harry hat sie abgeholt und meine Welt auf den Kopf gestellt." Friederike gab ein begeistertes Quiken von sich.
„Die Sache mit Violetta tut mir leid, aber es ist trotzdem so süß. Ich freue mich für dich, Louis. Ehrlich." Dann stockte sie kurz und drehte nachdenklich ihr Glas in ihren Händen. „Aber du solltest nächstes Schuljahr vielleicht die Klasse abgeben. Nachher unterstellt dir noch jemand Befangenheit. Wenn ein Elternteil das rauskriegt, dann machen die dir die Hölle heiß. Und der Schmidt erst recht. Da kannst du dich auf was gefasst machen." Ich lächelte traurig. „Ich muss mir noch einen Vorwand überlegen, aber ich werde die Klasse definitiv abgeben. Ich habe aber noch nie eine Klassenarbeit von Violetta selbst korrigiert. Denn, wie gesagt, ich war vom ersten Moment an in Harry verknallt."
Friederike lächelte mich verzückt an. „Das war auf jeden Fall die richtige Entscheidung." Ich nickte und nippte erneut an meinem Rotwein. „Du behältst dich die Geschichte für dich, oder? Ich habe schon genug Ärger mit dem Schmidt. Und dessen Kumpel hat genug Beziehungen, um mich ans andere Ende des Bundeslandes zu versetzen. Ich kann und will aber nicht von Harry und Violetta weg."
Friederike schüttelte sogleich bestimmt den Kopf. „Natürlich nicht, Louis. Ich behalte das für mich. Das geht niemanden etwas an. Nur... Ich wollte nochmal nachhaken. Bitte versteh mich, du warst heute Mittag so vertraut mit Violetta, dabei hast du immer von Herrn Styles geredet, als würdest du ihn nur flüchtig kennen, wie jedes andere Elternteil eben auch... Ich wollte einfach nur wissen, warum. Als eine Kollegin, die um das Wohl ihrer Schüler besorgt ist. Ich will dir wirklich nichts unterstellen, schließlich war euer Umgang heute Mittag mehr als liebevoll. Aber du weißt, dass so eine Vertrautheit zwischen Lehrern und Schülern nicht alltäglich ist."
„Nein, das ist wirklich nicht alltäglich. Und hätte ich nicht solche Probleme mit dem Schmidt, hätte ich auch schon längst um eine andere Klasse gebeten." Ich trank die letzten Reste von meinem Wein. „Aber um Violetta brauchst du dir wirklich keine Sorgen machen, zumindest nicht meinetwegen. Ich liebe Violetta. Ich liebe sie, wie ein Vater seine Tochter liebt. Und das, obwohl sie nicht einmal meine Tochter ist. Ich hoffe, das reicht dir als Antwort."
Friederike lehnte sich nach vorne und legte ihre Hand auf mein Bein. "Das ist schön, Louis. Man hat Violetta heute Mittag auch angesehen, wie geborgen sie sich gefühlt hat, als du schließlich bei ihr warst." Ich lächelte schwach. „Ich wünschte nur, sie müsste nicht immer so viel durchmachen." - „Sie ist stark, sie schafft das schon." Ich nickte. „Ja, das stimmt. Nur weiß ich nicht, wie nächstes Schuljahr werden soll, wenn dieser Jeremy dann noch immer an der Schule ist."
Friederike schenkte sich Wein nach und stellte die leere Flasche dann neben ihren Stuhl auf den Boden. „Ich kann weiterhin Pausenaufsicht übernehmen, du musst mir nur Bescheid geben, wann. Mit meiner Unterstützung kannst du rechnen. Auch wenn du weiter gegen den Schmidt vorgehen willst, ich stehe hinter dir."
„Danke, Friederike, das bedeutet mir echt viel." - „Wie gesagt, so etwas sollte eigentlich selbstverständlich sein. Ich bin sicher, viele andere Lehrer würden auch hinter dir stehen." - „Nur leider bringt das nichts, wenn Jeremys Vater überall die Strippen zieht. Wir müssen einfach versuchen, uns weiterhin so zu arrangieren und den Schmidt vielleicht zur Besinnung zu bringen." - „Wir schaffen das. Irgendwie werden wir das geregelt bekommen."
Sie lehnte sich zurück und nahm somit auch ihre Hand von meinem Bein. „Du hast einen Teddybär?", fragte sie dann schmunzelnd. „Der gehört Violetta." Friederike gab ein verträumtes Seufzen von sich. „Das ist zu süß, wie sehr du dich um die Kleine sorgst. Hast du nicht vielleicht einen Zwillingsbruder, den du mir vorstellen könntest?" Ich musste grinsen. „Ich habe sechs Geschwister, aber mein einziger Bruder ist sechs Jahre alt." Ich biss mir auf die Lippe. Irgendwann im Laufe der Zeit hatte ich beschlossen, dabei zu bleiben, dass ich sechs Geschwister hatte. Denn Fizzy würde immer meine Schwester bleiben, auch wenn sie nicht mehr unter den Lebenden weilte.
„Schade. Aber wenn du deinen Doppelgänger findest, dann gib mir bitte Bescheid."
Bevor ich antworten konnte klopfte es an der Tür. „Ja?" Die Tür ging auf und ein bekanntes kleines Mädchen schlüpfte herein. „Oh, Hallo Frau Meyer", meinte sie dann überrascht. „Hallo Violetta. Wie geht es dir? Hast du dich von deinem Sturz erholt?" Violetta nickte, aber man sah ihr die Unsicherheit wegen Friederikes Anwesenheit an. „Es tut noch ein bisschen weh, aber der Arzt hat gesagt, dass es nichts Schlimmes ist."
Friederike nickte und erhob sich dann. „Gut, dann ist ja alles wieder in Ordnung. Ich lasse euch zwei dann mal allein. Gute Nacht ihr beiden." Damit griff sie nach der Flasche und den Gläsern und verschwand, ohne eine Antwort abzuwarten, zur Tür hinaus.
„Lou, hast du Ärger gekriegt?" Ich schüttelte den Kopf und klopfte neben mich aufs Bett. Violetta zog sich schnell die Schuhe aus und setzte sich gleich dahin. „Willst du deinen Papa anrufen?" - „Wenn es für dich okay ist?" - „Natürlich, Prinzessin." Ich sah schnell auf die Uhr. Es war kurz vor zwölf, Harry würde wahrscheinlich schon schlafen. Aber ich musste ihn sowieso noch über Violettas Unfall informieren.
Also startete ich schnell einen Videoanruf und zog Violetta auf meinen Schoss, sodass wir beide im Bild waren. „Schatz?", hörten wir Harrys verschlafene Stimme, obwohl der Bildschirm noch komplett dunkel war. „Hey Papa", antwortete Violetta für mich. „Vio? Spätzchen? Geht es dir gut?" Harry hörte sich an, als würde er sich noch immer im Halbschlaf befinden.
„Hallo du heißer Typ. Das hier ist ein Videoanruf. Magst du vielleicht das Licht anmachen, damit wir dich auch sehen können?" Man hörte etwas rascheln, dann war der Bildschirm plötzlich hell erleuchtet. „Heißer Typ", schmunzelte Harry, der jetzt im Bild erschien. Ich grinste. „Ist nur die Wahrheit."
„'tschuldigung, Papa, dass wir dich geweckt haben", mischte sich Violetta auch wieder ein. „Schon gut, Süße. Hast du wieder schlecht geschlafen?" Violetta nickte. „Ich konnte gar nicht einschlafen." - „Oh Spätzchen." Harry zog eine Schnute, bevor er seiner Tochter Luftküsse durchs Telefon sendete.
„Harry, ich muss dir noch was sagen." Harrys Augen wurden augenblicklich riesengroß. „Was ist passiert?" - „Violetta hatte einen Unfall." - „Wir waren Kanu fahren und ich bin auf einen Stein gefallen." Harry hatte eine Hand auf seine Wange gelegt und sah ziemlich bestürzt aus. „Wie geht es dir jetzt, Süße? Louis, hat sie ernsthafte Verletzungen?" Ich schüttelte den Kopf, während Violetta ihrem Vater die erste Frage beantwortete. „Mir geht es gut, Papa. Lou hat sich gleich um mich gekümmert." - „Ich war mit ihr im Krankenhaus, der Arzt hat aber gemeint, dass sie keine schlimmen Verletzungen hätte. Sie hat am Kopf geblutet, das war aber nur oberflächlich. Und ihre Schulter ist leicht geprellt. Sie hat jetzt ein paar Tage Sportverbot, aber sonst ist alles in Ordnung."
Wir hörten, wie Harry erleichtert ausatmete. „Lou, ich bin so froh, dass du gerade bei ihr bist. Drück sie bitte von mir, ja?" Wie gewünscht legte ich von hinten meine Arme um Violetta, die ja noch immer auf meinem Schoss saß, und drückte ihr ein Küsschen auf die Wange.
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Was haltet ihr von Friederike?
Und wie soll Violetta ihre ganze Schulzeit überstehen, wenn Jeremy weiterhin bei ihr an der Schule ist und für nichts bestraft wird?
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