Kühlakku
Als wir zu Hause ankamen, stellte Harry sein Fahrrad mitten in den Hof und setzte sich schnell auf den Boden. Mit leidendem Gesichtsausdruck winkelte er sein linkes Bein an und umfasste mit beiden Händen seinen Knöchel.
Ich stellte mein Fahrrad neben seinem ab und ließ mich gleich vor ihm nieder. „Hazza, was ist los?" - „Ich glaube, mein Fuß fand unsere Bruchlandung nicht so toll", meinte er und nahm seine Hände von seinem Knöchel. Schockiert betrachtete ich die Schwellung. Der Knöchel war ganz blau angelaufen und alleine das mitanzusehen, verursachte bei mir schon Phantomschmerzen.
„Scheiße, Harry. Es tut mir so leid. Ich wollte dir doch nicht wehtun!" Bestürzt legte ich meine Hände auf sein Schienbein. Dann öffnete ich vorsichtig seinen Schuh und zog ihn ihm samt Socke aus. „Muss dir nicht leidtun, Lou. Aber weh tut es trotzdem."
Violetta setzte sich neben mich und betrachtete bestürzt Harrys Knöchel. „Papa, tut es sehr weh?" Harry schenkte ihr ein gequältes Lächeln und nickte. „Ja, schon ein bisschen." Violetta lehnte sich vor, um die Verletzung genauestens zu inspizieren. Sie sah richtig goldig aus, wie sie ihre Stirn grüblerisch in Falten legte und den Zeigefinger gegen ihre Wange drückte, während sie ihre Lippen zusammengepresst hatte.
„Ich glaube, du solltest zum Arzt gehen, Papa." Sie setzte sich neben ihn auf den Boden und sah mich erwartungsvoll an. „Was meinst du, Lou?" - „Ich weiß nicht. Könnte etwas Harmloses wie eine Verstauchung sein, oder es ist etwas mit deinen Bändern. Wir sollten es auf jeden Fall kühlen."
Ich sprang auf, stellte alle Fahrräder in die Garage, bevor ich meinen Freund auf die Beine zog. Violetta schloss das Haus auf, während ich meinen Arm um Harry legte und so versuchte, ihn beim Gehen zu unterstützen.
Er legte seinen Arm um meine Schulter und verlagerte sein Gewicht auf mich, während er einbeinig bis ins Wohnzimmer humpelte. Dort ließ er sich aufs Sofa fallen und zog auch noch seinen zweiten Schuh aus. Ich schüttelte ihm ein Sofakissen auf und legte es unter seinen Kopf, bevor ich mich noch einmal seinem Fuß widmete.
Gerade, als ich ihn etwas abtastete, kam Violetta herein gerannt und hielt mir einen Kühlakku und ein dünnes Tuch hin. „Du hast doch gesagt, dass wir das kühlen müssen." Lächelnd nahm ich die beiden Gegenstände entgegen und wickelte den Kühlakku in das Tuch ein, bevor ich es vorsichtig auf Harrys Knöchel packte.
Violetta war so aufmerksam und hilfsbereit, da konnten sich viele aus ihrer Generation eine Scheibe abschneiden. Harry bedankte sich bei ihr und zog sie zu sich, um ihr noch ein Küsschen auf die Wange zu geben. „Schon gut, Papa. Aber wenn du noch mehr Schmerzen hast, dann muss Lou mit dir zum Arzt fahren." Harry nickte und sah seine Tochter ernst an. „Das machen wir, Süße. Aber es geht schon wieder. Ich sollte meinen Fuß wohl einfach etwas schonen."
So kam es dass wir es uns kurze Zeit später im Wohnzimmer bequem gemacht hatten. Violetta saß im Pyjama im Sessel und kuschelte sich in die Decke, mit der ich sie zugedeckt hatte und Harry lag in Boxershorts mit Kühlakku und Decke noch immer auf der Couch. Ich saß vor ihm auf dem Boden, lehnte mich ans Sofa und genoss, wie er mir immer wieder sanft durch die Haare kraulte.
Trotz Harrys Verletzung war der Abend dann doch noch richtig schön. Einfach, weil wir beieinander waren.
Am nächsten Morgen schliefen wir ungewöhnlich lange. Erst um zehn schlugen wir die Augen auf, als ein kleiner Wirbelwind die Schlafzimmertür gegen die Wand krachen ließ und uns unsere Namen rief.
Noch bevor ich jedoch meine Augen öffnen konnte, roch ich Harrys verführerischen Duft. Ich lag halb auf seinem Oberkörper, den ich letzte Nacht wohl als Kissen missbraucht hatte. Harry selbst lag auf dem Rücken, damit er seinen Fuß schonen konnte.
„Guten Morgen, Papa. Guten Morgen, Lou. Was machen wir heute?" Harry hatte gestern Abend noch Perrie angerufen und sie gebeten, für ihn einzuspringen. Egal, was das für eine Verletzung an seinem Fuß war, er hätte so unmöglich stundenlang in seiner Backstube stehen können. Nicht, wenn er solche Schmerzen hatte.
„Was willst du denn machen?", fragte Harry, während er einen Arm auf meinen Rücken legte und mich so am Aufstehen hinderte. „Gehen wir frühstücken?" - „Wo willst du denn frühstücken gehen?", fragte Harry lächelnd. „Na bei dir, in deiner Bäckerei." Harry sah zu mir und strich mir mit seiner freien Hand die Haare aus dem Gesicht. „Schatz, was meinst du?" - „Ich bin bei allem dabei, solange ich etwas zu essen kriege." Harry lachte, während Violetta direkt ihren Plan in die Tat umsetzen wollte. Ich wollte aber noch nicht von meinem Freund weg, weshalb dieser dann kurzerhand seine Tochter ins Bett zog, die sich dann von der anderen Seite an ihn heran kuschelte.
So konnte es meiner Meinung nach immer sein. Ein entspannter Sonntagmorgen, den wir zusammen im Bett verbrachten, bevor wir Frühstücken gehen würden. Es wäre so perfekt, wenn es da nicht diese Sorgerechtssache gäbe, die definitiv noch auf uns zukommen würde und mein Job nicht gerade auf der Kippe stehen würde. Warum gab es nur immer so bösartige Menschen, die meinten, uns Steine in den Weg legen zu müssen?
Ich versuchte die negativen Gedanken zu verdrängen und kuschelte mich noch eine ganze Weile, genau wie Violetta auch, an Harrys Brust. Irgendwann aber grummelte mein Magen, weshalb wir uns dann doch dazu entschlossen, endlich aufzustehen.
Ich lief zum Kleiderschrank, um mir Klamotten für den Tag auszusuchen, als Violetta neben mich trat. „Wir müssen für Papa auch was aussuchen, er kann ja nicht laufen." Also schob ich die Tür zu meinem Abteil des Schrankes wieder zu und machte mich stattdessen an Harrys zu schaffen. Ich drückte Violetta, die noch immer direkt neben mir stand, ein paar Klamotten in die Hand und wollte den Schrank gerade schließen, als Harrys Stimme ertönte.
„Bringt ihr den zurück in den Gefrierschrank?" Schnell drehte ich mich um, um zu sehen, von was er redete, doch bevor ich überhaupt reagieren konnte, hörte man schon einen dumpfen Aufschlag.
„Scheiße", riefen Harry und ich gleichzeitig, ehe ich mich zu Violetta umwandte und ihr Gesicht inspizierte. Harry konnte nicht werfen. Absolut nicht. Denn anstatt mir diesen dämlich Kühlakku in die Hand zu drücken, hatte er es geschafft, seiner Tochter mit der Kante davon eine Schürfwunde zu verpassen. Genau neben ihrer linken Augenbraue. Es begann sogar schon etwas zu bluten.
„Komm, Süße, ich kümmre mich darum." Ich nahm ihr die Klamotten aus der Hand, warf sie zu Harry aufs Bett, schnappte mir noch das Erste-Hilfe-Set und ging mit Violetta ins Badezimmer. Dort setzte ich sie auf den Badewannenrand und tupfte vorsichtig mit einem sterilen Tuch über die blutende Stelle.
„Tut es sehr weh, Prinzessin?" - „Ein bisschen." Ich tüpfelte noch etwas Wunddesinfektion auf die Stelle, bevor ich mich auf die Suche nach einem Pflaster machte.
Drei Stück zog ich aus der Tasche und hielt sie Violetta hin. „Na, welches möchtest du? Normal, mit Bärchen oder pink?" Violetta sah die Pflaster an und zog dann das pinke heraus. Lächelnd verstaute ich die anderen beiden wieder in der Tasche. Es war doch zu süß, dass Violetta sich für das pinke Pflaster entschieden hatte und sich nicht zu alt oder zu cool dafür fühlte.
Vorsichtig klebte ich es ihr über die Wunde und wuschelte ihr dann einmal durch die Haare. „So Prinzessin, wir sind fertig. Soll ich dir noch die Haare flechten?" Sie nickte begeistert, woraufhin ich mich gleich an die Arbeit machte.
Als wir bereits fertig angezogen im Flur standen, um aufzubrechen, stellten wir fest, dass das mit Harry so nicht klappen würde. Er könnte in seinem Zustand nie und nimmer selbst zur Bäckerei laufen. Er konnte ja nicht einmal mehr auf den Fuß auftreten, ohne in Schmerzen zu vergehen.
Gemeinsam mit Violetta ging ich also wenige Minuten später in den Keller, auf der Suche nach Krücken. Harry meinte, er hätte noch welche da, weil Emilia einmal einen Kreuzbandriss hatte und deshalb auch wochenlang nicht mehr gehen konnte. Violetta führte mich in einen Raum, in dem allerlei Krimskrams stand. Sie hätte die Krücken auch sicherlich ohne meine Hilfe gefunden, doch sie wollte nicht alleine in den Keller gehen.
Die Krücken fanden wir gleich, sie standen in einer Ecke des Raumes, direkt hinter ein paar Koffern. Die würden wir in zwei Wochen hoffentlich noch gebrauchen können, schließlich wollten wir ja noch immer gemeinsam an den See fahren, um Urlaub zu machen.
Mit Harrys Auto fuhren wir kurze Zeit später zur Bäckerei. Besser gesagt, ich fuhr. Harry saß auf der Rückbank und hatte den Fuß hochgelegt, während Violetta mein Navigationsgerät spielte. Ich hätte die Bäckerei auch ohne ihre Hilfe gefunden, doch ich spielte natürlich mit und tat, als wäre ich ohne ihre Hilfe aufgeschmissen gewesen.
Als wir die Bäckerei betraten, stand Perrie gerade hinter der Theke und räumte Brote ins Regal. Im Verkaufsraum standen keine weiteren Kunden, doch das Café schien ziemlich gut besucht zu sein.
Violetta flitzt direkt bei Perries Anblick um die Theke herum, um diese mit einem Handschlag und einer Umarmung zu begrüßen. „Guten Morgen ihr beiden", meinte sie dann an Harry und mich gewandt, während Violetta schon zur Kaffeemaschine hüpfte und sogleich damit begann, daran zu werkeln.
„Ich dachte, du könntest nicht aus dem Haus, Chef?", fragte sie, nachdem wir die Begrüßung erwidert hatten. „Ich kann nicht stehen, da ist ein großer Unterschied. Aber wir würden gerne hier frühstücken. Kannst du uns dreien bitte Rührei machen und noch zwei heiße Schokis?" Perrie nickte und tippte etwas an der Kasse ein. „Darf's sonst noch was sein?", fragte sie dann. „Ein Korb mit Brötchen und Brezeln. Standard." - „Alles?" Harry nickte, woraufhin Perrie weiter an der Kasse herumtippte, und einen Bon ausdruckte, den sie dann in der Kasse verstaute.
„Dann werde ich mich gleich an die Arbeit machen", sagte Perrie und wollte sich schon umdrehen, um im Nebenzimmer zu verschwinden, als Harry sich noch einmal räusperte. „Könntest du noch die Körnerbrötchen mit den Brezeln tauschen? Ich mag es nicht, wenn die Butterbrezeln direkt neben den normalen Brezeln liegen. Das sieht nicht gut aus. Und könntest du die Weizenmischbrote bitte nicht nebeneinander stellen? Die kann man optisch gar nicht unterscheiden, wenn sie beieinander stehen. Leg doch bitte noch die Vollkornbrote dazwischen."
Perrie lächelte zwar, doch man sah ihr an, dass sie innerlich mit den Augen rollte. „Alles klar, Chef. Sonst noch Wünsche?" - „Du könntest noch ein paar Tafelbrötchen backen. Die Körbe sollten voll sein." Perrie nickte. „Hab ich schon gemacht. Hatte nur noch keine Zeit, alles vorzuräumen. Heute Morgen war die Hölle los, ich bin mit dem Backen fast nicht hinterhergekommen."
Harry sah ziemlich zufrieden aus, als er Perrie dann endlich ihre Arbeit erledigen ließ. Hand in Hand schlenderten wir durch das Café und ließen uns in einer gemütlichen Ecke nieder, wo Violetta bereits wartend auf dem Sofa saß. Ich stellte fest, dass es das geblümte Sofa war, auf dem wir gesessen hatten, als ich Harrys Mutter kennengelernt hatte.
„Du bist ja ein ganz schön fordernder Chef", meinte ich, bevor ich einen ersten Schluck von dem Kaffee trank, den Violetta mir gebracht hatte. „Vielen Dank für den Kaffee, Prinzessin. Du hast ja sogar an den Zucker gedacht." Violetta nickte und grinste mich stolz an. „Ich weiß doch, wie du deinen Kaffee magst." Harry aber sagte nichts mehr, ein anzügliches Zwinkern war ihm wohl Antwort genug.
Es dauerte nicht lange, da kam Perrie auch schon mit zwei Tassen voll dampfend heißer Schokolade, die sie vor Harry und Violetta abstellte. Sie rannte mehrmals hin und her, bis schließlich Rührei, Brötchen und allerlei Aufstrich vor uns auf dem Tisch stand.
„So, ich hoffe, es passt jetzt alles soweit. Wenn ihr noch etwas braucht, dann ruft einfach. Und Chef, ich habe alles so hin geräumt, wie du es haben willst." Damit verschwand sie auch schon wieder. Wahrscheinlich wollte sie nur nicht noch mehr Belehrungen von Harry erhalten.
Der sah aber ganz zufrieden aus. Und auch Violetta wirkte glücklich, als sie in ihrer heißen Schokolade herumrührte. Gemütlich kämpften wir uns durch das ganze Essen, das auf dem Tisch stand, bis alles verputzt war. Es war aber auch zu lecker. Ich war mir sicher, dass keine Bäckerei in der Nähe so leckere Brötchen in einem solch schönen Ambiente bieten konnte wie Harrys.
Das Läuten der Türglocke zog unsere Aufmerksamkeit auf sich, als ein weiterer Kunde den Laden betrat. Perries freudiges Gekreische sagte uns bereits, wer da den Laden betreten hatte, noch bevor wir ihn überhaupt sehen konnten.
Ein Blick über die Schulter zeigte mir, wie Perrie und Zayn sich gerade in den Armen lagen und sich küssten. Als sie sich wieder voneinander lösten und Perrie zurück hinter die Theke verschwand, stand ich ebenfalls auf, um meinen Mitbewohner zu begrüßen.
„Hey Louis, mit dir hätte ich hier gar nicht gerechnet." - „Hey Zayn. Naja, also die Bäckerei gehört meinem Freund, so überraschend sollte das nicht sein." - „Dann konntet ihr also eure Probleme klären?" Ich nickte und zog ihn ins Café an einen Tisch mit zwei Sesseln.
„Ich wollte da noch was mit dir bereden", leitete ich das Gespräch ein. Wie konnte man seinem Mitbewohner sagen, dass man ausziehen wollte, ohne total rücksichtslos zu wirken?
„Das klingt aber gar nicht gut", lachte Zayn nervös. „Eigentlich ist es schon etwas Gutes. Harry hat mich gefragt, ob ich bei ihm einziehen möchte." Zayn wirkte ziemlich baff. Er öffnete seinen Mund, schüttelte den Kopf und sah mich dann ernst an. „Aber ihr wart vor zwei Tagen noch getrennt? Was hast du ihm denn geantwortet?"
„Ich habe ihm klargemacht, dass ich das nicht tun will, weil gerade so viel passiert. Aber Harry hat gemeint, dass er mich schon vor diesem ganzen Drama fragen wollte. Und.. Naja, also ich würde gerne bei ihm wohnen." Zayn kräuselte die Stirn und nickte langsam. „Ich musste dich praktisch eine ganze Woche lang trösten, weil er dich unfair behandelt hat. Und jetzt springst du sofort, wenn er mit den Fingern schnippt?"
Ich wollte schon meinen Kopf schütteln, als mir klarwurde, dass es genauso war. Auch wenn ich es nie so ausgedrückt hätte. „Hör zu, Zayn. Ich weiß, es klingt total bescheuert, aber ich liebe Harry und er hatte ja gute Gründe, um sich zu distanzieren. Ich wünsche mir so sehr, mit den beiden zusammenzuleben. Sie sind meine Familie, egal was letzte Woche war. Gerade jetzt müssen wir zusammenhalten. Aber es tut mir wirklich leid, dass ich dir das so kurzfristig erst sage. Ich zahle die Miete natürlich noch weiter."
„Du weißt, dass mich das Geld nicht interessiert. Ich habe nur Angst, dass du dir so sehr eine eigene Familie wünschst, dass du Harry alles verzeihst." Ich zog meine Stirn in Falten und knabberte an meiner Unterlippe. „Es geht mir aber nicht darum, eine Familie zu haben, sondern mit Harry und Violetta eine zu sein. Ich liebe Harry und ich weiß, dass er dasselbe für mich empfindet. Und neulich haben wir mit Violetta drüber geredet. Weißt du, was sie gesagt hat? Sie hat gesagt, dass sie dann ab jetzt zwei Väter hat."
Zayn sah mich überrascht an und blickte durch den Raum zu meiner Kleinen. „Wenn du dir sicher bist, mit dem was du tust, dann stehe ich natürlich hinter dir. Ich freue mich für dich, Lou." Das brachte mich zum Lächeln. „Magst du sie kennenlernen?"
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Ooh, jetzt haben wir gleich zwei Verletzte...
Könnt ihr Zayns Bedenken verstehen?
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