Krawatte
Ich ging nicht dazwischen. Ich wollte nicht dazwischen gehen. Ich würde am liebsten Yaser helfen, diesem kranken Bastard Schmerzen zuzufügen.
Doch anstatt mich in das Getümmel zu stürzen, fischte ich mein Handy aus meiner Hosentasche und betrachtete das erleuchtete Display. In dem blauen Kreis standen die Ziffern 09:57:13. Dieses Gespräch hatte nicht einmal zehn Minuten gedauert. Ich drückte das kleine rote Quadrat, um die Sprachaufnahme zu beenden. Dann schickte ich die Datei an Perrie mit der Notiz, dass sie es sich nicht in Zayns Gegenwart anhören sollte. Außerdem hängte ich es noch an eine E-Mail an, die ich an mich selber schickte. Die Cloud für arme Leute.
Dann schloss ich diese Apps und drückte auf diese eine Taste, die ich kaum mehr verwendete: Das Telefon. Zum ersten Mal im Leben tippte ich die Ziffernfolge der Polizei ein und drückte auf 'Anruf'. Als sich jemand meldete, schilderte ich schnell die Situation, die sich vor mir abspielte und die Gründe dafür. Die nette Dame am Telefon versprach mir, sogleich einen Streifenwagen loszuschicken.
Als ich meine Nachrichten checkte sah ich, dass Perrie mir geschrieben hatte. Es waren zwei kurze Sätze, in denen sie mir erklärte, dass sie Zayn zu ihrer Wohnung gefahren hatte und dieser vorerst auch dort bleiben würde.
„Yaser, kann ich deine Krawatte ausleihen?" Dieser ließ von den Mann am Boden ab und sah mich verwirrt an. „Was?" Ich nickte in Richards Richtung. „Wir sollten ihn fesseln, bis die Polizei eintrifft." - „Du hast die Polizei gerufen?" Ich nickte. „Jetzt gib mir bitte deine Krawatte." Schnell lockere er sie etwas und zog sie sich über den Kopf. Dann kniete ich mich zu Richard auf den Boden und drückte ihn in eine sitzende Position, bevor ich seine Hände hinter seinem Rücken verschränkte und die Krawatte darum band.
Hoffentlich kam die Polizei gleich, ich wollte dieses Schwein keine Sekunde länger sehen müssen.
„Ist Zayn noch hier? Kann ich ihn sehen?" Ich schüttelte den Kopf. „Er ist abgehauen. Aber vielleicht könnt ihr ja Mal ein Treffen arrangieren, wo ich euch aussprechen könnt." Yaser nickte und lächelte schmerzerfüllt.
„Louis, du musst mir glauben, ich hatte wirklich keine Ahnung. Ich liebe meinen Sohn! Es hat mir das Herz gebrochen, dass er wieder zu seiner Mutter wollte und wir danach kaum mehr Kontakt hatten. Ich habe ihn vermisst. Jeden Tag habe ich an ihn gedacht. Aber ich wollte ihn nicht bedrängen, hatte irgendwie gehofft, dass er irgendwann auf mich zukommen würde. "
Yaser klang ehrlich verzweifelt, sodass ich ihm die Schulter tätschelte, um ihm etwas Trost zu spenden.
„Ah da bist du ja, Schatz.", hallte es durch den Raum. Ich drehte mich um und sah, wie Harry auf uns zulief. „Was ist denn hier los?" Mittlerweile stand er neben mir und hatte seinen Arm locker um meine Hüfte gelegt. „Ich erkläre dir das, wenn wir zu Hause sind." Harry musterte skeptisch den Mann am Boden, dessen Gesicht mit Blut überströmt war. „Auf die Erklärung bin ich schon gespannt." Dann drückte er mir einen Kuss auf die Wange, woraufhin ich ihn nur glücklich anlächeln konnte. Mein Harry!
„Yaser? Das ist Harry, mein Freund. Harry, das ist Yaser, Zayns Vater." Harry löste seinen Arm von mir, um Yaser die Hand zu reichen. Augenblick vermisste ich die Wärme, die er ausgestrahlt hatte. Die beiden tauschten ein paar Floskeln, bevor ich mich vor meinen Freund stellte, um mich mit dem Rücken an ihn zu lehnen. In den letzten Stunden war so viel passiert, ich brauchte das jetzt einfach. Ich hörte Harrys raues Lachen an meinem Ohr, bevor er mir einen Kuss auf den Hals drückte.
Ich musste Grinsen aufgrund der Berührung. „Worauf warten wir noch? Wir hatten doch Pläne für heute Abend?", flüsterte Harry mir ins Ohr, während er seine Hände vor meinem Bauch verschränkte. Unsere Pläne...
Ich deutete auf Richard, der einfach nur genervt aus der Wäsche blickte. „Was ist mit ihm?" Harrys warmer Atem an meinem Ohr machte mich ganz verrückt. „Wir warten noch auf die Polizei. Dann können wir gehen." Harry malte mit seinem Daumen kleine Kreise und Striche auf meinen Unterbauch.
„Die Polizei?" Harry war sichtlich überrascht. Ich drehte meinen Kopf zur Seite, sodass ich ihm noch einen Kuss auf die Wange drücken konnte, bevor ich ihm alles ins Ohr flüsterte. „Der am Boden, das ist Richard. Er ist Yasers Mann, Zayns Stiefvater. Er... Er hat vor fünfzehn Jahren Zayn vergewaltigt." Harry spannte sich an, während ich gerade immer noch versuchte, das Geschehene irgendwie zu verarbeiten. Ich fragte mich, ob das irgendwann möglich wäre. „Aber das bleibt unter uns, okay? Nur Perrie weiß außerdem noch Bescheid. Sie hat auch Zayn von hier weggebracht."
Harry nickte. Gleichzeitig hörte man schwere Schritte durch den Raum tönen. Zwei Polizeibeamte kamen auf uns zu. Ein Mann und eine Frau. „Ist hier ein Louis Tomlinson?" Schnell löste ich mich von Harry und hob die Hand. „Das bin ich, ich habe angerufen."
Der nächsten Stunden verliefen wie in einem Film. Die Polizisten nahmen all unsere Aussagen auf, sogar Harry wurde noch befragt, obwohl dieser gar nichts wusste. Die Audioaufnahme musste ich an eine E-Mail-Adresse des Polizeireviers schicken, dann wurde Richard in Handschellen abgeführt.
Wir wussten alle, dass das Kapitel damit noch nicht beendet war. Schließlich musste auch Zayn noch seine Aussage machen, obwohl er sich wahrscheinlich weigern wird, noch einmal darüber zu reden. Aber vorhin konnte ich einfach nicht anders, als die Polizei zu rufen. Und jetzt hatten wir ja schließlich Beweise, es stand nicht mehr Aussage gegen Aussage. Ich hoffte, dass Zayn mir das eines Tages würde verzeihen können.
Außerdem wurde uns von der Polizei gesagt, dass Richard wohl in die Staaten ausgeliefert und dort verurteilt werden würde, was uns ziemlich egal war. Wir wollten alle einfach nur, dass diese schreckliche Person so lange wie möglich hinter Gittern steckte.
Als die Polizei dann endlich weg war, standen wir nur noch zu dritt in dem großen Raum, in welchem die Resultate dieser grauenhaften Taten ausgestellt war. Ich bemerkte, wie Yaser sich umsah und bei jedem Bild schuldbewusster dreinblickte.
„Wie konnte ich das nicht bemerken? Mein Sohn... Ich hätte es merken müssen." Er sah gebrochen aus. Er blinzelte, als müsse er Tränen zurückhalten, doch seine Wangen blieben trocken. Schmervoll kniff er die Augen zusammen. Er sank auf die Knie und vergrub sein Gesicht in seinen Händen.
Diese Szene war so herzzerreißend, dass auch mir die Tränen in den Augen standen. Ich krallte mich an Harrys Brust fest und lehnte mein Gesicht an seine Schulter. Harry legte beschützen seine Arme um mich und drückte mich an sich.
Ich konnte gar nicht sagen, wie froh ich war, dass er mir gerade so zur Seite stand. Ich atmete seinen ganz eigenen Harry-Duft ein. Augenblicklich strömte ein wohliges Gefühl durch meinen ganzen Körper, das mich etwas beruhigte. „Danke, dass du für mich da bist." Ich drückte einen federleichten Kuss in seine Halsbeuge. „Ich werde immer für dich da sein." Immer. Es wurde mir ganz warm ums Herz, trotz der grotesken Situation gerade eben.
„Wollen wir nach Hause gehen?" Nur widerwillig löste ich mich von ihm und blickte dann zu Zayns Vater, der noch immer auf dem Boden saß und in Schuldgefühlen versank. „Wir können ihn doch nicht alleine lassen, oder?" Harry schüttelte den Kopf. „Was schlägst du vor?" Er zuckte mit den Schultern. „Zu seiner Ex-Frau vielleicht?" Diese Idee klang absolut bescheuert, dennoch fiel mir keine bessere ein. „Soll ich schauen, ob sie noch da ist? Vorhin war sie mit den anderen auf der Terrasse und hat das Buffet geplündert." Ich nickte und ließ auch seine Hand los, an die ich mich bis eben noch festgeklammert hatte. Harry umfasste mein Gesicht, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und lief dann davon.
Ich blickte ihm ein wenig mit einem Lächeln im Gesicht hinterher, bevor ich mich umdrehte und neben Yaser auf dem Boden niederließ.
„Yaser?" Er blickte auf. Seine Augen waren gerötet und geschwollen, seine Wangen nass, als wäre er von einem starken Platzregen erwischt worden. „Louis. Ich bin ein grauenhafter Vater. Ich habe nie verstanden, warum Zayn nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Ich dachte wirklich, dass er einfach nur Heimweh hatte. Und ich dachte auch, dass Richard ein ehrenwerter Mann wäre, der mich tatsächlich liebt. Verflucht, warum bin ich nur so blind? Ich war fünfzehn Jahre mit einem Psychopathen verheiratet."
Er schluckte schwer und ging dann in die Hocke, bevor er sich träge erhob, die Hände auf die Knie gestützt. „Hat.... Hat Zayn auch vor mir Angst?"
Ich schüttelte den Kopf, dachte an Zayns Reaktion, als ich Yaser der Taten beschuldigt hatte. „Meinst du, es wäre okay für ihn, wenn ich nicht sofort wieder nach Amerika zurückkehre? Ich würde gerne mit ihm reden. Ich will aber nicht, dass er Angst hat, weil ich mich noch in derselben Stadt wie er aufhalte."
„Ich rede mal mit ihm. Du kannst mir ja deine Handynummer geben, dann leite sich sie an ihn weiter."
Wir gingen langsam zurück Zum Ausgang, als gerade Harry gefolgt von Patricia zur Tür herein kam. „Was ist passiert? Yaser, was ist mit Zayn? Harry hat mir gesagt, dass Richard verhaftet wurde. Was zur Hölle ist hier los?"
Yaser presste die Lippen aufeinander und fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. „Es tut mir so leid, Tricia." - „Was tut dir leid, Yaser?"
„Richard... Er hat unseren Jungen.. Er hat unseren Jungen vergewaltigt..."
Patricia zog die Luft ein und schlug sich beide Hände vor den Mund. „Nein..." Yaser nickte traurig und schuldbewusst. „Doch. Er hat es gerade gestanden. Louis hat die Polizei gerufen. Er hatte das Geständnis aufgenommen."
Harry und ich beobachteten die beiden, die gerade in stiller Trauer nebeneinander versuchten, die Wendungen des heutigen Abends zu verarbeiten.
Harry verschränkte unsere Finger und deutete mit dem Kopf in Richtung der Türe. Auf leisen Füßen verließen wir gemeinsam den Raum.
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