Fliesenboden
Perrie und ich sahen uns irritiert an. Wer war Richard? Ich kannte keinen Richard und ich war mir sicher, dass Zayn auch nie einen Richard erwähnt hatte. Was zur Hölle war hier los? Wer war Richard?
Und was noch viel wichtiger war: Was hatte er Zayn angetan, um ihn so zu traumatisieren?
Zayn atmete schwer und presste nun seine Stirn gegen seine Knie. Perrie klaubte ihr Kleid zusammen und krabbelte langsam auf Zayn zu. Der schien es aber gar nicht zu bemerken, denn er war noch immer in sich zusammengerollt.
„Zayn, Liebling", sprach sie ihn an, als sie ihm näher kam. Mit einem Ruck hob er seinen Kopf und sah zu, wie sie ihm näher kam.
Je geringer der Abstand, desto panischer der Ausdruck in seinen Augen. Kurz vor ihm hielt Perrie dann an. Mit den Knien am Boden setzte sie sich auf ihre Versen.
„Zayn. Du kannst mit uns reden. Wir sind für dich da. Wir verurteilen dich nicht für das, was du erlebt hast."
Zayn schien diese Worte nicht ganz zu begreifen, denn er sah mit leerem Blick in Perries Richtung. Perrie bemerkte dies wohl, denn sie streckte jetzt ihren Arm nach ihm aus.
Dann legte sie ihre Hand auf Zayns Oberarm. Blitzschnell zuckte Zayns Hand vor und schlug Perries Hand weg. Dann rutschte er zur Seite, brachte Abstand zwischen Perrie und sich. Als sich Perrie nicht mehr in greifbarer Nähe befand, stand er kurzerhand auf und lief rückwärts, bis sein Rücken gegen die Wand stieß.
„Zayn, was ist los?", mischte ich mich wieder ein. Er sah zischen Perrie und mir hin und her, bevor er seufzte und sich wieder auf den Boden setzte. Er saß im Schneidersitz da und fuhr sich gestresst mit beiden Händen über das Gesicht.
„Richard... Er... Er..." Er klatschte mit seiner Handfläche wütend auf den Fliesenboden.
„Richard ist hier."
Ich riss meine Augen auf. Das Monster war hier?
„Was macht er hier? Woher weiß er von der Vernissage?", bohrte ich weiter.
Zayn zupfte an den Fäden, die an den Löchern an seinen Knien abstanden.
„Er hatte keine Einladung."
Das hätte ich auch nicht erwartet.
„Mein Vater aber auch nicht."
Was hatte sein Vater denn jetzt damit zu tun? Ich sah zu Perrie, die genauso verwirrt dreinblickte, wie ich mich fühlte.
Dann fiel es mir ein. Vorhin, in der Ausstellung... Zayn hatte in die Richtung von seinem Vater gesehen. Aber neben ihm war noch ein Mann. Der mit dem vielen Gel in den Haaren.
„Ist Richard dieser Lackaffe mit den schmierigen Haaren?", fragte ich gerade heraus. Ich sah wie Zayn bei dem Namen zusammenzuckte, seine Augen danach aber überrascht aufriss. Dann nickte er.
„Und wer ist dieser Richard?", wollte nun Perrie wissen. Zayn sah sie an. Lange. Dann endlich war er zu einer Antwort bereit. „Er ist der Mann meines Vaters."
„Moment! Dein Vater ist schwul?", stieß ich aus, ohne vorher darüber nachzudenken. Dann biss ich mir auf die Lippen und wünschte mir, die Worte ungeschehen machen zu können.
Doch Zayn sah nicht weiter schockiert aus. Er nickte nur.
In meinem Kopf fügten sich die Puzzleteile zusammen.
Zayn verachtete schwule Paare, Zayns Vater war schwul. Und mit einem Mann namens Richard verheiratet. Und dieser Richard war verantwortlich für sein Trauma...
Ich riss die Augen auf. Zayns Stiefvater hatte ihm etwas angetan?
„Perrie..." Zayn atmete noch einmal tief durch, bevor er entschlossen aufstand und auf sie zuging. Vor ihr ließ er sich genau wie sie auf den Knien nieder und legte seine Hand an ihren Hals. „Es tut mir leid, wie das mit uns geendet hat. Ich war emotional total am Ende. Und mir ist klargeworden, dass ich mehr wollte. Ich wollte eine ernsthafte Beziehung führen. Ich konnte mir vorstellen, dass ich mein Leben mit dir verbringen würde. Aber ich habe dich nicht verdient. Ich will dich nicht mit in diesen Abgrund ziehen. Ich habe dich verlassen, weil du ein Sonnenschein bist, mein Leben aber nur aus Dunkelheit besteht."
Zayn und Perrie hatten mittlerweile beide Tränen in den Augen. „Was redest du denn da? Du bist perfekt für mich, hast du das denn nicht bemerkt?" Zayn schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, bin ich nicht. Und wenn ich euch wirklich erzähle, was passiert ist, dann rennt ihr sowieso schreiend weg. Dann ist es eh egal, was zwischen uns war."
Ich rutschte etwas näher zu ihm hin. „Wir werden nicht wegrennen. Wir werden auch weiterhin zu dir stehen", entgegnete ich ihm.
Zayn schüttelte seinen Kopf und ließ sich zurückfallen, sodass er jetzt mit seinem Hintern auf dem Boden saß.
„Richard hat... Richard war..." Er fuhr mit einer Hand durch die Haare und krallte sich gestresst darin fest.
„Richard ist der Grund für die Trennung meiner Eltern." Ich riss meine Augen auf. Das hatte ich jetzt nicht erwartet.
„Mein Vater hat ihn kennengelernt, als er beruflich in New York war. Er hat den Aufenthalt dort verlängert und sich von meiner Mutter getrennt, sobald er wieder zurück war."
Er seufzte und starrte an die Wand hinter uns. Ich war überrascht, wie ruhig und offen er mittlerweile redete. Wahrscheinlich, weil er sich hier in dem abgeschlossenen Raum sicher fühlte und dadurch seine Panik etwas nachgelassen hatte.
„Das war kurz nach den Osterferien. Gleich darauf hat er hier alles gepackt und ist nach New York gezogen. Innerhalb von ein paar Wochen hat er alles verraten, wofür er stand. Seinen Glauben, seine Werte. Er hat mir immer erzählt, dass die Ehe ein heiliger Bund ist, den man nicht brechen darf. Vor allem als gläubiger Muslim. Plötzlich ist er mit einem Mann zusammen, obwohl er Homosexualität immer verabscheut hat. Ich habe ihn nicht wiedererkannt. Und eine Zeit lang habe ich ihn auch dafür gehasst."
Zayn fummelte wieder an dem ausgefransten Stoff an seinen Knien herum. „In den Sommerferien kam er zurück, um mich nach New York mitzunehmen. Ich war jung und dumm. Eine neue Stadt, ein neues Land, ein ganz anderer Kontinent. Ich wollte mit. Es war aufregend."
Perrie griff nach seiner Hand. Er zog seine nicht zurück, starrte nur emotionslos auf die verschlungenen Hände.
„Als ich dann dort war, habe ich seinen neuen Freund kennengelernt." Er schloss die Augen und schluckte. „Es war so ein Wallstreetheini, der mir vom ersten Moment an unsympathisch war. Tat immer auf lieb und nett, dabei war er selber noch schmieriger als seine Haare. Vor allem wenn mein Vater dabei war, machte er immer einen auf heile Welt."
Er zupfte noch immer die Fäden von der Jeans und wirkte sehr in sich gekehrt. Die Schultern hingen erschöpft nach unten und die Stirn war konzentriert in Falten gelegt. Er wirkte klein und gebrochen.
„Es fing nach ein paar Wochen an. Mein Vater arbeitete in einem Tonstudio und hatte ganz skurrile Arbeitszeiten. Also vertraute er mich Richard an. Der hatte mit seinem ach so tollen Job an der Wallstreet natürlich geregelte Arbeitszeiten und war viel zu Hause."
Zayn zog seine Füße zu sich, sodass die Schuhsohlen aufeinander lagen. Dann klammerte er sich mit einer Hand an seinen Schuhen fest, die andere lag noch immer in Perries.
„Er verbat mir, mich mit Freunden aus der Schule zu treffen, oder generell rauszugehen. Das durfte ich nur, wenn mein Vater zu Hause war und ich ihn direkt fragte. Denn Richard hat nie etwas vor meinem Vater gesagt. Dann blieb mein Vater häufiger nächtelang weg. Er meinte immer, die Sänger seien alle nachtaktive Vögel." Er gab ein höhnisches Schnauben von sich.
„Richard zwang mich irgendwann, bei ihm im Ehebett zu schlafen." Die Hand, die eben noch auf den Schuhen lag, wanderte zu seinem Oberarm und krallte sich darin fest. Ich fragte mich, ob er das bewusst machte, oder ob das eine unterbewusst Reaktion auf seine Gedanken war.
„Am Anfang fand ich es nicht schlimm. Ich hatte Heimweh, besonders wenn mein Vater nicht da war. Ich hatte gehofft, dass Richard vielleicht nett werden würde."
Zayn schloss die Augen und presste seine Lippen zusammen. „Doch Richard ist nicht nett. War er nie und wird es auch nie sein." Er atmete einmal tief ein und wieder aus.
„Etwa nach zwei Monaten begann es dann. Ich wachte auf, weil er sich von hinten an mich presste... Und.. Und sich an mir rieb." Zayns Pupillen wanderten nach oben. Er sah die Decke an, während ihm Tränen in den Augen standen. „Ich..." Er rieb sich mit demnächst Handballen über das linke Auge. „Ich habe immer so getan, als ob ich schlafen würde. Gehofft, dass er von mir ablässt." Er zog beide Lippen zwischen seine Zähne und spannte seine Kiefermuskulatur an.
„Doch das hat er nie. Er hat sich immer weiter gerieben, bis..."
Die erste Träne kullerte ihm über die Wange. Ich strich mir übers Gesicht und bemerkte, dass auch meine Wangen nass waren. Mein Blick wanderte zu Perrie, die mit weit aufgerissenen Augen und einer Hand auf dem Mund zu Zayn starrte. „Nein..." stammelte sie.
„Ich habe mich jeden Abend mehr dagegen gewehrt, mit ihm in einem Bett zu schlafen. Aber ich hatte keine Wahl. Keinen Raum in dieser verfluchten Wohnung konnte man abschließen. Ich konnte mich nicht verstecken, nicht abhauen. Und mein Vater hat mich nicht ernst genommen, wenn ich ihn angefleht habe, nachts zu Hause zu bleiben." Seine Stimme zitterte und würde zum Ende hin immer brüchiger.
„Richard hat immer so getan, als würde ich nur an Heimweh leiden, was mein Vater wohl nicht schlimm genug fand, um bei mir zu Hause zu bleiben. Das war dann auch Richards Ausrede dafür, dass ich nachts bei ihnen im Bett schlief. Ich habe meinem Vater nie erzählt, was nachts wirklich in der Wohnung geschah, während er weg war. Zu sehr habe ich mich geschämt."
Perrie legte ihre zweite Hand auch noch auf ihre verschränkten Hände. Sie wollte ihm wohl Halt geben. Ich hielt mich zurück.
Mir war mittlerweile klar, warum Zayn so einen Hass gegen schwule Männer an den Tag legte. Warum er jede Nacht seine Zimmertür abschloss, seit er erfahren hatte, dass ich einen Freund hatte. Deshalb verhielt er sich mir gegenüber in letzter Zeit auch so komisch.
Ich rutschte noch etwas zurück, da ich ihn auf keinen Fall bedrängen wollte. Ich wollte ihm Freiraum geben. Zayn nahm meine Geste aufmerksam zur Kenntnis und zog seine Unterlippe zwischen seine Zähne. Dann wanderte sein Blick wieder hinunter zu Perries Händen, die seine umschlossen.
Er kräuselte seine Stirn und blickte an die Decke. „An meinem Geburtstag war es anders... Ich... Ich bin mitten in der Nacht aufgewacht, weil... weil..."
Er kniff seine Augen zusammen und presste seine Lippen gegeneinander, sodass diese kaum mehr zu sehen waren.
„Er hatte sein... Er hatte seinen... Seinen..." Er atmete hörbar durch die Nase aus und ein. „... In meinem Mund. Ich habe keine Luft mehr gekriegt, hatte Angst zu ersticken. Und gleichzeitig wollte ich nur noch daran ersticken."
Zayns Körper begann wieder zu zittern. Heftig zu zittern.
„Mein Vater hat mittags für mich eine Geburtstagsparty geschmissen. Es war alles so bunt, es gab Luftballons und Kuchen. Ich hatte meine Freunde von der Schule eingeladen, was wirklich nicht viele waren, da ich ja nie raus durfte. Es war alles viel zu viel. Es war so bunt und laut und fröhlich und eigentlich war ich innerlich tot. Wollte tot sein. Oder zumindest raus aus dieser Hölle."
Er lockerte seine Gesichtsmuskeln und atmete tief ein und aus. „Es sollte ein schöner Abend werden. Mein Vater war daheim. Wollte die ganze Nacht daheim bleiben. Aber gegen Mitternacht hat einer der Sänger angerufen und gemeint er hätte eine Idee für einen Wahnsinnssong, also musste mein Vater wieder los. Und ich zurück in Richards Bett."
Zayn sah wieder zur Zimmerdecke. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie er sich an Perries Hand festkrallte.
„In dieser Nacht hat er mich zum ersten Mal... Zum ersten Mal..." Seine Stimme stockte und zitterte. Er hörte sich an, als müsse er sich dringend Räuspern. Denn die Laute, die seinen Mund verließen, klangen wie eine Motorsäge, die die Stille des Raumes zerteilte.
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