Fahrradtour
Harry wollte mich umbringen, so viel stand fest. Ich schnürte gerade meine Schuhe zu, als er die Treppe herunter kam. Seine Haare hatte er zu einem Dutt zusammengebunden, was ich an sich ja schon absolut heiß fand. Doch damit nicht genug. Seine Beine steckten in Jeans-Shorts, die verboten kurz waren und sein Oberkörper wurde von einem blumigen Hemd verhüllt, oder auch nicht verhüllt, denn er hatte es wieder nur bis zur Hälfte zugeknöpft.
Mein Blick haftet an seiner nackten Brust, als ich mir mit meiner Zunge über die Lippen leckte und versuchte diesen Anblick für immer in meinem Gedächtnis zu speichern.
Ich war mir sicher, dass Harry dieses Outfit absichtlich gewählt hatte, nur um mich zu foltern.
„So willst du Radfahren?", fragte ich ihn neckend, während ich mit meinem Zeigefinger über seine nackte Brust fuhr. „Stimmt etwas mit meinen Klamotten nicht?", fragte Harry irritiert. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, alles gut. Nur sollte es verboten werden, dich so in die Öffentlichkeit zu lassen. Dieser Anblick sollte nur mir gehören."
Harry grinste und schob seine Hände in meine hinteren Hosentaschen. „Was soll ich dazu sagen? Ich würde dich am liebsten ins Bett zerren und direkt vernaschen." Ich lachte und hielt mich mit beiden Händen an der geöffneten Knopfleiste seines Hemdes fest, während Harry einmal fest zupackte.
Bevor ich allerdings meine Lippen auf seine legen konnte, kam Violetta die Treppe herunter. Als sie uns erblickte, rümpfte sie etwas die Nase, bevor sie sich auf den Boden setzte und ihre Schuhe anzog.
Diese Geste brachte Harry und mich zum Lachen. Als ich dabei seine Grübchen sah, konnte ich einfach nicht mehr wiederstehen und küsste ihn kurz auf die Lippen.
Kurze Zeit später radelten wir auch schon gemeinsam die knapp zehn Kilometer von Harry zu meinem Elternhaus. Ich fuhr gemütlich neben Harry, während Violetta energiegeladen vornedraus strampelte.
Es war ja nicht das erste Mal, dass wir zu dritt etwas unternahmen, dennoch war ich mir sicher, dass solche Familienmomente immer etwas Besonderes für mich sein würden.
Als wir dann die Fahrräder vor meinem Elternhaus abstellten, duftete es schon herrlich zum gekippten Küchenfenster heraus.
„Wie kann es sein, dass das Essen deiner Mutter so lecker riecht, du aber schon die Küche niederbrennst, wenn du sie nur betrittst?", lachte Harry mich aus, während wir Hand in Hand die paar Treppenstufen nach oben gingen.
Violetta drückte die Klingel und wippte dann ungeduldig mit den Füßen. Sie war schon ganz aufgeregt, Daisy und die anderen wiederzusehen. Harry und ich sahen ihr schmunzelnd dabei zu, als auch schon die Haustüre aufgerissen wurde.
Meine Mutter stand dort und hatte einen prüfenden Blick aufgesetzt. Ohne irgendetwas zu sagen, sah von mir zu Harry, dann zu Violetta und schließlich zu unseren verschränkten Händen. Das war wohl alles, was sie sehen wollte, denn plötzlich grinste sie, als würden Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen.
„Ich freue mich so, euch zu sehen. Zusammen und glücklich." Sie ging gleich in die Hocke, um freudig Violetta zu begrüßen, dann zog sie Harry in eine überschwängliche Umarmung, bevor sie auch mich begrüßte.
Im Flur wurden wir sogleich von meinen Schwestern überrannt, die sich alle schon auf Violetta gefreut hatten. Sie waren ganz verrückt nach ihr. Als alle sich so um Violetta scharten, wurde ich fast schon ein wenig eifersüchtig. Doch ich konnte meine Schwestern verstehen. Ich hätte mich auch als erstes auf Violetta gestürzt, nicht auf mich.
Allesamt gingen wir ins Esszimmer, wo uns ein gedeckter Tisch erwartete. Ich hatte meiner Mutter unseren Besuch vorhin noch angekündigt, daher überraschte es mich auch nicht sonderlich, dass der Tisch bereits für zehn Personen gedeckt war.
Schnell zog ich Harry hinter mir her an den Tisch, wo ich mich direkt an meinem alten Platz niederließ. Kurze Zeit später schafften es auch meine Schwestern, sich von Violetta loszureißen und zu uns an den Tisch zu gesellen. Violetta saß nun glücklich zwischen Phoebe und Daisy, während ich neben Harry saß. Wie sollte es auch anders sein.
Er hatte gleich als er sich setzte, seine Hand auf meinen Oberschenkel gelegt. Ich wusste aber nicht, ob er genau wie ich ständig die Nähe brauchte, oder ob es ihm etwas Halt bot, so inmitten meiner chaotischen Familie. Doch egal, was die Ursache war, ich genoss seine Nähe.
Nach dem Essen, lehnte ich mich pappsatt in meinem Stuhl zurück. Harrys Hand fand automatisch wieder den Weg zurück auf meinen Oberschenkel, wo er sogleich seine Finger auf Wanderschaft schickte. Er streichelte über die Innenseite meines Oberschenkels und krallte sich immer mal wieder fest, sodass ich meine Mühe hatte, mich unauffällig zu verhalten. Als er meiner Mitte gefährlich nahe kam, räusperte ich mich schnell und versuchte, mich am Gespräch zu beteiligen, um von meiner Verlegenheit abzulenken.
Doch Harry hatte anscheinend andere Pläne für mich, denn er legte seine Hand auf meine Mitte und streichelte sanft über den Jeansstoff meiner Hose.
Schwer atmend und mit hochgezogen Augenbrauen, versuchte ich das auszublenden. Versuchte auszublenden, was Harry mit mir anstellte.
Schnell trank ich einen Schluck Wasser, um zu überspielen, was unter dem Tisch vor sich ging, doch ein Blick nach links zeigte mir, dass Lottie genau wusste, was da passierte.
Harrys Hand lag noch immer auf meinen Kronjuwelen, wo er ein paar Mal fest zudrückte. Zischend atmete ich ein und versuchte es mit einem Hustenanfall zu vertuschen. Wie konnte Harry bitte so ungeniert am Tisch sitzen und mit meinen Eltern reden, als würde er nicht unter dem Tisch seine Hand auf Wanderschaft schicken?
„Mama, können wir mit Violetta raus aufs Trampolin?", fragte da Daisy und erhob sich vom Tisch. „Von mir aus gerne. Aber du solltest vielleicht Harry und Louis fragen, ob sie nicht auch mitkommen wollen."
Ich hörte, wie Lottie dreckig lachte. „Ja, Louis. Willst du nicht auch aufstehen und mit rausgehen?" Ich warf ihr einen bösen Blick zu, bevor auch Harry anfing zu reden. „Was meinst du, Schatz? Trampolin hüpfen klingt doch gut. Wollen wir mit raus?"
Ich warf ihm ebenfalls einen bösen Blick zu, bevor ich mich wieder meiner Mutter zuwandte. „Ich würde viel lieber noch eine Weile hier bleiben und mit euch reden." Und die Beule in meiner Hose verstecken, die Harry noch immer massierte.
Meine Mutter lächelte mich an, während meine Schwestern alle in den Garten verschwanden. „Ich kann euch gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass ihr euch ausgesprochen habt. Aber Harry, ich will meinen Sohn nicht noch einmal so sehen müssen."
Harry sah augenblicklich ziemlich zerknirscht aus. Er hob seine Hand von meiner Mitte und suchte stattdessen meine Hand. Die Erinnerung an die letzten Tage verursachte auch bei mir einen prompten Stimmungswechsel.
„Es tut mir wirklich leid. Ich wollte Louis niemals wehtun. Aber ich hatte Angst, Violetta zu verlieren und ich war einfach komplett überfordert."
Meine Mutter nickte und sah ihn streng an. Ich streichelte derweil mit meinem Daumen über seinen Handrücken, um ihn zu beruhigen.
„Das verstehe ich natürlich. Aber Louis hat in letzter Zeit genug durchgemacht. Bring ihn bitte einfach nicht mehr zum Weinen." - „Mama!"
Ich wandte meinen Blick zu Harry, der mich schuldbewusst ansah. Schnell legte ich meine Hand auf seine Wange und streichelte leicht darüber. „Es tut mir so leid, Louis", flüsterte er. Ich schüttelte den Kopf. „Wir haben das doch schon ausdiskutiert. Das kommt nie wieder vor."
Ich gab ihm einen schnellen Kuss auf die Lippen, bevor ich wieder nach seiner Hand griff und unsere Finger verschränkte.
„Habt ihr jetzt eigentlich herausgefunden, wer diese Frau Brandner ist, die euch das Sorgerecht klauen will?", erkundigte sich meine Mutter. Harry seufzte und drückte meine Hand etwas fester.
„Frau Brandner ist meine ehemalige Schwiegermutter, Violettas Großmutter. Und sie hat ein Problem damit, dass ich etwas für Männer übrig habe." Harry zog traurig seine Augenbrauen zusammen, woraufhin ich schon wieder den Drang hatte, ihn zu küssen. Doch da ich nicht vor meinen Eltern mit ihm rummachen wollte, musste jetzt ein herzlicher Händedruck genügen.
„Sie will dir dein Kind wegnehmen, weil sie nicht akzeptieren kann, dass du einen Mann liebst? In welchem Jahrhundert lebt diese Hexe denn bitte?" Meine Mutter war erbost aufgestanden und fuchtelte nun fuchsteufelswild mit den Armen in der Luft herum.
Harry zuckte mit den Schultern und sah noch immer ziemlich niedergeschlagen aus. Ich konnte ihn verstehen. Auch mir wollte sich nicht erklären, wie jemand so herzlos sein konnte.
„Du glaubst gar nicht, was für absurde Theorien ich gestern noch hatte, wer diese Frau sein könnte. Und ich habe wirklich geglaubt, dass Gerlinde nicht so eiskalt sein könnte."
„Moment, Gerlinde Brandner?", fragte Dan neugierig. „Ja, kennst du sie etwa?", erwiderte Harry dann. Dan zog nachdenklich seine Augenbrauen in die Höhe. „Ist das nicht die Frau vom Otto? Aus dem Golfclub?"
Irritiert sah ich zu Harry, der ebenfalls ziemlich überrascht ausschaute. Ich wusste, dass Dan regelmäßig mit seinen Arbeitskollegen golfen ging, doch mehr hatte er noch nie davon erzählt.
„Ja, Otto ist Violettas Großvater. Gerlinde und er spielen schon seit ich denken kann Golf." Dan nickte. „Die beiden sind praktisch immer da, wenn ich golfen gehe."
Harry zuckte mit den Schultern. „Ich halte mich so gut es geht aus deren Leben raus. Wir haben eigentlich nur Kontakt, wenn es um Violetta geht."
„Das ist auch gut so", warf meine Mutter ein. „Was ich bis jetzt von ihr weiß reicht, um zu wissen, dass sie ein schlechter Einfluss ist." Sie stöhnte noch einmal genervt, bevor sie sich wieder neben ihren Mann setzte.
„Kaum zu glauben, dass sie Harry für einen schlechten Einfluss hält", seufzte ich. Harry zuckte mit den Schultern. „Die Frau hat einfach keine Ahnung von Kindern. Aber ich glaube, wir werden das mit der Erziehung ganz gut hinkriegen. Und diese Sorgerechtssache überstehen wir auch noch."
Ich nickte und konnte jetzt doch nicht mehr widerstehen, ihn kurz auf die Lippen zu küssen.
„Ihr beiden seid ja so süß. Ich kann gar nicht genug davon bekommen." Meine Mutter hatte ihre Ellbogen auf dem Tisch abgestützt und ihr Kinn auf ihre Hände gelegt, während sie uns schamlos beobachtete.
„Ach, Mama. Wo wir gerade dabei sind..." - „Du bist schwanger?", lachte sie. „Falsches Drehbuch, Mama. Diese Frage kannst du dir für meine Schwestern aufheben. Ich wollte dir eigentlich gerade sagen, dass ich zu Harry ziehen werde."
Meiner Mutter fiel die Kinnlade runter, während Dan uns überrascht ansah. Harry drückte meine Hand etwas fester und legte unsere Hände auf dem Tisch ab, bevor er die Sache auch noch kommentierte. „Es ist nun mal so, dass es nicht nur uns beide, sondern auch noch Violetta gibt. Mein größter Wunsch ist es natürlich, mit Louis zusammenzuwohnen. Und Violetta akzeptiert ihn voll und ganz. Ich will ihr Halt und Stabilität bieten. Sie hat Louis schon als Vaterfigur akzeptiert, daher wäre es unnötig, das Ganze nur noch unnötig in die Länge zu ziehen, wenn wir es doch sowieso alle wollen."
Meine Mutter blickte zu mir und ich könnte schwören, dass da Tränen in ihren Augen aufblitzten. „Sie hat dich als Vaterfigur akzeptiert", wiederholte sie Harrys Phrase und lehnte sich gegen ihren Mann, der sogleich einen Arm um sie legte. „Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich für dich freue, Louis." Jetzt kullerten ihr wirklich ein paar Tränchen über die Wange.
„Mama, weinst du etwa?" Sie schniefte etwas und nickte dann. „Das macht mich gerade so glücklich." Ich lächelte und spürte, wie Harry einen Arm um mich legte und mich näher zu sich zog. „Ich liebe dich, Louis", flüsterte er mir ins Ohr, bevor er mir einen sanften Kuss auf die Wange gab.
„Können wir dir beim Umzug helfen, Louis?", fragte meine Mutter dann. „Ich weiß nicht, so viel Zeug hab' ich gar nicht mehr in der WG. Das meiste liegt sowieso schon bei Harry." Dan lachte. „Hatte Harry dann überhaupt noch ein Mitspracherecht, was den Umzug angeht? Oder bist du heimlich eingezogen, ohne dass er es gemerkt hat?" Harry stieg in Dans Lachen mit ein. „Eigentlich war es sogar meine Idee, dass er einzieht", verteidigte er mich dann.
„Dann wird das jetzt offiziell? Mit Adressänderung und allem drum und dran?", erkundigte sich meine Mutter mit einem skeptischen Unterton. „Ja, ich wollte direkt nächste Woche aufs Bürgerbüro gehen und mich ummelden." Meine Mutter knabberte etwas an ihrer Unterlippe, bevor sie weiterredete. „Du weißt aber, dass du die Adressänderung deiner Schule melden musst, oder? Es wird doch auffallen, wenn du und Violetta dieselbe Adresse habt. Und dann kriegst du noch mehr Probleme mit deinem Chef, als du ohnehin schon hast."
Ich schluckte. Eigentlich sorgte mein Chef ja grade schon dafür, dass ich nach den Sommerferien nicht mehr ans Humboldt zurückkehren konnte. Und das, obwohl meine Stelle eigentlich bis zum Ende des nächsten Schuljahres befristet war. Aber er saß nun mal am längeren Hebel, was das anging.
„Der weiß schon davon." - „Oh und wie hat er es aufgenommen?" Ich zuckte mit den Schultern und seufzte. „Ich weiß noch nicht, ob ich nächstes Schuljahr arbeiten darf. Er hat getobt und mir ein paar homophobe Aussagen an den Kopf geworfen."
Meine Mutter stand wieder auf und lief wütend hin und her. „Du musst doch etwas dagegen unternehmen?" - „Ich werde mich jetzt nach einer Festanstellung umsehen. Dann bin ich wenigstens nicht mehr Violettas Lehrer."
„Oh mein Junge. Ich wünschte, es würde endlich mal glatt laufen. Aber jetzt hast du ja zumindest Harry, der dich unterstützt. Und solltest du so schnell keine Arbeit finden, sind wir ja noch da, um euch finanziell etwas unter die Arme zu greifen."
„Danke, Mama, das ist lieb. Aber jetzt müssen wir uns erst einmal um die Sache mit Gerlinde zu kümmern."
„Darf ich sagen, dass ich diese Frau noch nie mochte?", mischte sich Dan wieder ein. „Sie spielt sich immer auf, als wäre sie die Queen höchstpersönlich." Harry nickte und rollte mit den Augen, bevor er meinem Stiefvater antwortete. „Ich kenne niemanden, der Gerlinde mag. Außer Otto vielleicht. Aber der ist auch zu gutmütig, um sich von ihr zu trennen."
„Otto ist wirklich ziemlich nachsichtig mit ihr. Aber im Golfclub hat sie einige Freundinnen, die sind aber genau auf ihrer Wellenlänge. Genauso falsch und engstirnig. Die meiste Zeit verbringt sie mit Franz, während ihr Mann einfach nur so daneben steht."
„Wer ist Franz?", fragte Harry neugierig. Es kam für ihn wohl genauso überraschend, wie für mich, dass Gerlinde soziale Kontakte pflegte. Und dass jemand freiwillig Zeit verbrachte.
„Wie heißt er noch gleich? Ich glaube, er heißt Franz Schmied oder Schmidt oder so. Er ist auf jeden Fall Pädagoge." Mir wurde augenblicklich schlecht. Ich spürte, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich. „Franz Schmidt ist der beste Freund von Gerlinde?" Ich sah zu Harry, der mittlerweile seine Augen weit aufgerissen hatte. Er hatte es auch kapiert.
Franz Schmidt, mein Chef, der Rektor des Humboldt-Gymnasiums, war der beste Freund von Violettas boshafter Großmutter.
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Gibt es eigentlich Familienzusammenkünfte, die ohne Drama ablaufen?
Und was haltet ihr von Gerlindes Freizeitgestaltung?
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