Erwachen
Als ich wenig später meinen Blick über das Ambiente schweifen ließ, stellte ich fest, dass mittlerweile alle Kerzen erloschen waren. Außerdem bemerkte ich zwei Weingläser auf dem Beistelltisch. „Hast du gemerkt, dass Francesca da war?", fragte ich meinen Freund und griff nach einem der beiden Gläser. „Nein, ich war viel zu sehr abgelenkt." Damit legte er seine Hand auf meinen Oberschenkel und griff nach dem zweiten Glas.
Wir stießen an und genossen beide den köstlichen Wein. Während ich ihn so ansah, dachte ich über unser Gespräch von vorhin nach. „War es eigentlich geplant, dass Violetta ein Einzelkind wird?" Harrys Mundwinkel fielen, dann schüttelte er den Kopf. „Nein. Wir wollten beide mindestens zwei Kinder. Aber Violettas Geburt war ziemlich kompliziert. Man musste einen Notkaiserschnitt machen, dabei kam es zu unkontrollierbaren Blutungen. Die Ärzte mussten ihr den Uterus entfernen, da sie sonst auf dem OP-Tisch verblutet wäre".
Ich dachte an Gemmas und Annes Blick an jenem Sonntagmorgen, als Violetta ihren Vater gefragt hatte, warum sie keine Geschwister hatte.
„Das tut mir leid. Du bist nämlich ein ganz wunderbarer Vater, Harry." Mittlerweile hatten wir unsere Finger verschränkt. „Violetta ist auch mein kleiner Sonnenschein. Ich liebe sie über alles." Er schloss die Augen und lächelte.
„Du bist ein toller Vater und das macht dich noch so viel liebenswerter als du ohnehin schon bist." Harry schnappte sich jetzt meine zweite Hand und verschränkte auch hier unsere Finger.
„Wollen wir dann langsam aufbrechen?" Ich trank den letzten Schluck aus meinem Weinglas und nickte. „Gerne." Hand in Hand gingen wir zurück in den Schankraum. Mittlerweile waren keine Gäste mehr anwesend. Die einzigen Personen, die zu sehen waren, waren Francesca und Lorenzo. Francesca lief durch den Raum, sammelte die Tischdecken ein und putzte die Tische ab, während Lorenzo am Tresen das Geld zählte.
„Unsere Turteltäubchen sind zurück", frohlockte Francesca. Meine Wangen erröteten, während Harry einfach nur strahlte. „Danke für alles, ihr beiden. Es war wundervoll." Da konnte ich meinem Freund nur zustimmen. „Ja, vielen Dank. Ich glaube, ich hatte noch nie so ein schönes Date. Und das Essen war himmlisch!"
Harry löste seine Hand aus meiner und legte stattdessen seinen Arm um meine Hüfte. Ich blickte zu ihm und lächelte. Er lächelte mir liebevoll entgegen, sodass seine wundervollen Grübchen zum Vorschein kamen. Ich drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen, weil ich gerade so glücklich war. Das war wirklich das schönste Date meines Lebens. Trotz der Tränen. Einfach, weil Harry da war und mir gezeigt hat, dass er mich als Teil seiner Zukunft sieht.
Harry drückte mir einen Kuss auf die Wange und ging dann zu Lorenzo. Währenddessen kam Francesca auf mich zu. „Ich hoffe, ich habe euch vorhin nicht gestört." Ich dachte daran, dass sie die Weingläser vorbeigebracht haben musste, als ich gerade auf Harrys Schoss saß, um mit ihm rumzumachen, wie zwei liebeshungrige Teenager. Meine Mundwinkel zuckten nach oben und ich musste kurz auflachen. „Nein, wir haben dich ehrlich gesagt gar nicht bemerkt."
Francesca stieg in mein Lachen mit ein. „Ich war wirklich am Überlegen, ob ich euch zu dem Wein noch Kondome dazulegen sollte, so wie ihr übereinander hergefallen seid." Ich zog meine Lippen zwischen meine Zähne und kicherte.
„Ich glaube, das verlegen wir dann doch lieber ins Schlafzimmer. Wobei ich mich vorhin fast nicht mehr halten konnte, Harry ist einfach viel zu attraktiv für diese Welt." Francesca legte eine Hand auf meinen Oberarm. „Ja, das ist er allerdings. Sag aber nicht meinem Mann, dass ich das gesagt habe."
„Natürlich nicht, Francesca." Gemeinsam gingen wir zu den beiden Männern an der Theke. Harry schenkte mir ein liebevolles Lächeln. „Wollen wir gehen?" Ich nickte und griff nach seiner Hand.
Als wir nach einer halben Stunde zurück in seinem Haus waren, trafen wir auf Niall, der sich auf dem Sofa ausgebreitet hatte und irgendwas im Fernsehen ansah. „Hey ihr zwei. Wie war euer Date?" - „Es war richtig schön", schwärmte ich, was Harry mit einem glücklichen Nicken bestätigte.
„Freut mich." Er schaltete den Fernseher aus und stand auf. „Vio schläft tief und fest. Sie hat uns den ganzen Abend in Mario Kart fertig gemacht, aber ansonsten war sie echt anständig." - „Danke, Niall." - „Jep, gerne. Ich geh dann jetzt Mal. Gute Nacht." Damit verschwand er zur Tür hinaus. Wir gingen hinauf in das obere Stockwerk, wo Harry mir den Vortritt im Badezimmer ließ. Ich fand es sehr rücksichtsvoll, dass er meine Privatsphäre respektierte und sich beim Zähneputzen nicht einfach dazustellte.
Als ich fertig war ging ich zurück ins Schlafzimmer. Wie schon am Abend zuvor saß Harry nur in Boxershorts bekleidet auf dem Bett. Halbnackt. In engen, weißen Briefs. Ich schluckte und befeuchtete meine Lippen mit meiner Zunge.
Dann rannte ich los, schubst ihn zurück in die Federn, stürzte mich auf ihn und attackierte seine Lippen mit den meinen. Meine Beine links und rechts von seinem Oberkörper, setzte ich mich auf seinen Bauch. Harry erwiderte mittlerweile den Kuss und krallte sich in meinen Haaren fest.
Viel zu schnell legte Harry seine Hände auf meine Brust und drückte mich weg. „Was... Wir...." Harry schloss die Augen und atmete schwer, während ich ihn fragend musterte. Noch immer saß ich auf seinem Bauch, die Hände mittlerweile auf meinen Oberschenkeln abgelegt.
Harry atmete noch einmal tief durch, bevor er seine Augen wieder öffnete. „Was war das denn?" Er klang belustigt, deshalb grinste ich ihn auch an. „Tut mir leid, ich konnte nicht anders." Ich zuckte mit den Schultern, woraufhin Harry loslachte. „So viel zum Thema 'Wir warten'." Harry nahm meine Hände und verschränkte unsere Finger. „Ich würde liebend gern mit dir schlafen, Louis. Aber nicht, wenn Violetta zwei Türen weiter liegt." Ich nickte und drückte seine Hand. Dann beugte ich mich vor uns stahl mir noch einen kurzen Kuss.
Wenig später lagen wir nebeneinander im Bett und kuschelten. Meinen Kopf hatte ich auf Harrys Arm gebettet und meine Hand zeichnete wirre Muster auf seinen Bauch. „Ich muss morgen wieder arbeiten." - „Ich weiß. Du hast mich gefragt, ob ich Violetta morgen wieder bringe." - „Stimmt, schon mal Danke im Voraus. Aber das heißt, dass wir nur noch drei Stunden kuscheln können." - „Wie kommst du nur mit so wenig Schlaf aus?" - „Ich mache regelmäßig Mittagschlaf. Dann liegen Violetta und ich zusammen auf dem Sofa, kuscheln und schauen irgendeinen Film. Das heißt, sie schaut den Film und ich schlafe."
Ich kicherte. „Dann hat sie ja richtig viel von deiner Anwesenheit." - „Natürlich. Schließlich missbraucht sie mich als großen Kuschelbären. Meine Anwesenheit ist da notwendig." Meine Hand blieb auf seiner Brust liegen. Ich spürte seinen Herzschlag.
„Du bist wirklich ein großer Kuschelbär." - „Das bin ich aber nur für Vio. Für dich bin ich der kleine Löffel. Gute Nacht, Schatz." Damit drehte er sich auf die Seite. Ich kuschelte mich von hinten an ihn und drückte ihm einen Kuss auf die Schulter.
Als ich das nächste Mal erwachte bemerkte ich drei Dinge gleichzeitig. Erstens, ich war nicht panisch, zweitens, Harry war nicht mehr da und drittens, irgendjemand weinte und schluchzte. Schnell tastete ich mich zum Nachttisch neben meiner Bettseite und schaltete die kleine Lampe an. Ich sah, dass die Tür aufging und Violetta hereinspickte. Ihr Gesicht war tränenüberströmt.
„Mama?", flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. „Wo ist Mama? Mama!" Den letzten Teil schrie sie mittlerweile. Ich sprang aus dem Bett und ging langsam auf sie zu. Etwa zwei Meter vor ihr blieb ich stehen und ging in die Hocke. „Violetta?" Zu meiner Erleichterung reagierte sie darauf. „Lou? Lou, wo ist Mama?" Verflucht, warum war Harry nicht mehr da?
Ich stand auf und ging näher zu ihr. Direkt vor ihr sank ich erneut in die Hocke hinab und hielt sie an beiden Oberarme fest.
„Deine Mama ist nicht hier, Violetta." Das Mädchen schniefte und drückte den Teddy, den sie bis jetzt in einer Hand gehalten hatte, mit beiden Händen an ihre Brust. „Ich will zu Mama", flüsterte sie.
Ich war verzweifelt. Überfordert fuhr ich mir durch die Haare. „Magst du in Papas Bett liegen, Violetta? Deine Mama ist nicht da, aber ich bin da." Aus ihren großen Augen quollen noch immer die Tränen. Ihre Stirn lag in Falten und ihre Lippen waren zu einer Schnute gezogen. Sie nickte langsam. Ich stand auf und nahm sie an der Hand. Am Bett angekommen schlug ich Harrys Bettdecke zur Seite und half Violetta ins Bett. Dann deckte ich sie fürsorglich zu.
Ich lief um das Bett herum und legte mich wieder auf meine Seite. Die Bettseite, in der wohl immer Violettas Mutter geschlafen hatte. Ich wollte gar nicht daran denken.
„Lou?" Ihre Stimme zitterte und sie weinte noch immer. „Ja, Violetta?" - „Halt mich, bitte." Ich rutsche näher zu ihr hin und zog sie an meine Brust, ihre Bettdecke zwischen uns. Meine hatte ich nur bis zum Bauchnabel gezogen, da es recht warm war.
Ich spürte, wie Violetta gegen meine Brust weinte und streichelte ihr dann beruhigend über den Rücken.
„Kommt Mama nie wieder?" Es zerbrach mir das Herz, die Kleine leiden zu sehen.
"Es tut mir leid, Violetta."
Es blieb eine ganze Weile ruhig zwischen uns. Alles was man hörte war Violettas Schniefen und Schluchzen.
„Weißt du noch, was du mir an Fizzys Beerdigung erzählt hast?" Ich war mir dessen bewusst, dass die Erwähnung von Fizzy ziemlich heikel war, da Violetta sie echt gern hatte. Aber es war momentan das einzige, was mir einfiel. „Ja", schniefte sie.
„Du hast mir gesagt, dass deine Mama jetzt da oben hockt und auf dich aufpasst. Du hast gesagt, dass sie jetzt dein ganz persönlicher Schutzengel ist." Violetta nickte an meiner Brust. Ich streichelte ihr über das Haar und ließ meine Hand auf ihrem Hinterkopf liegen. Ich wollte ihr Halt bieten, sie beschützen.
„Sie sieht dir immer zu, Violetta. Sie passt immer auf dich auf, sie hört dich." Sie nickte wieder. „Wir müssen fest daran glauben, Violetta. Sie hört dir von da oben zu. Erzähl ihr doch, dass du sie vermisst. Es würde dir sicher helfen."
Erst reagierte sie gar nicht, dann nickte sie und drehte sich auf den Rücken, ihren Kopf auf meinen Oberarm gebettet.
Dann sah sie von der Zimmerdecke wieder zu mir. „Können wir rausgehen?"
Ich war verwirrt. „Warum willst du raus?" - „Schutzengel wohnen im Himmel. Ich will den Himmel sehen."
Ich konnte ihr diesen Wunsch natürlich nicht abschlagen. Also schnappte ich Harrys Bettdecke, nahm Violetta an der Hand und ließ mich von der kleinen auf den Balkon führen.
Auf dem Balkon standen zwei Korksessel mit einem kleinen Beistelltisch. Ich ließ mich sogleich auf einem der beiden Sessel nieder und zog Violetta auf meinen Schoss. Dann deckte ich uns beide mit der Bettdecke zu.
Violetta blickte mich über ihre Schulter hinweg an. „Kann ich?"
Ich nickte, dann drehte sie sich wieder um und blickte hoch in den Sternenhimmel.
„Mama, hier ist Violetta." Sie drehte ihren Kopf zu mir. Ihre Augen waren gerötet und geschwollen und ihre Wangen noch immer mit Tränen benetzt.
„Du musst sie auch begrüßen, Louis. Und Fizzy."
„Ähm... hallo Emilia. Hier ist Louis. Hey Fizzy." Ich biss mir auf die Unterlippe. 'Hey Fizzy'. Zwei Worte, die ich schon seit Monaten nicht mehr gesagt hatte und von denen ich geglaubt hatte, sie nie wieder in den Mund zu nehmen.
„Hey Fizzy. Ich hoffe, dass du mittlerweile meine Mama kennengelernt hast." Ich nahm ihre Hand und drückte sie. Wollte ihr zeigen, dass ich für sie da bin.
„Mama?", fragte Violetta dann leise. „Ich hoffe, du hast mich noch lieb. Ich vermisse dich, Mama." Sie sprach leise, mit Tränen in den Augen.
Ich streichelte mit meinem Daumen über ihren Handrücken. „Sie hat dich ganz bestimmt noch lieb, Violetta."
Ich versuchte stark zu sein, doch seit der Erwähnung von Fizzys Namen standen auch mir die Tränen in den Augen.
„Mama, ich vermisse dich. Komm wieder zu mir zurück."
Erneut floss ein Strom an Tränen über ihre Wange. Weil ich mir nicht anders zu helfen wusste, drückte ich sie erneut gegen meine Brust und legte sanft meine Arme um sie.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro