Blaue Haarspange
Der Rundgang durch das Schulgebäude endete wieder im Lehrerzimmer, wo Isolde sich auf ihrem Stuhl niederließ, die linke Hand beschützerisch auf ihren Bauch legte und mit der rechten nach ihrem mittlerweile kalten Tee griff. „
Also Louis, wie ist dein erster Eindruck soweit?" Ich setzte mich auf den Platz neben sie. Laut dem Kalender der dort lag war dies der Platz von Liam Payne.
Der Name kam mir bekannt vor. Ich hob meinen Blick von dem Timer und sah wieder zu Isolde.
„Ich bin positiv überrascht. Ich meine, ich kenne noch nicht viele aus dem Kollegium, aber die die ich bereits kenne, sind mir sehr sympathisch. Auch die Klasse macht einen motivierten Eindruck. Ich freue mich ehrlich gesagt schon auf die kommende Zeit. Nur bin ich überrascht über die Klassengröße. Ist es hier normal, dass nur so wenige Schüler in einer Klasse sind?"
Sie schlürfte noch einmal an ihrem Tee, bevor sie mir antwortete.
„Ja, zwanzig Schüler sind hier das absolute Maximum. Wir halten hier nichts von größeren Klassen, da sonst die Schüler darin verloren gehen."
Ich nickte verstehend. Meine alte Schule konnte sich diesen Luxus nicht leisten. Zumal wir auch viel zu wenige Schüler hatten, um noch eine Parallelklasse eröffnen zu können.
Ich unterhielt mich noch etwas mit Isolde, bevor ich meine Tasche schnappte und mich verabschiedete. Es war dreizehn Uhr und ich wollte noch beim Musikraum vorbeischauen. Vielleicht war Niall ja dort, schließlich hatte Violetta ja erzählt, dass er auch Gitarrenunterricht geben würde.
Ich spickte vorsichtig durch die Tür zum Musikzimmer und sah Frau Meyer am Pult sitzen. Leise ging ich auf sie zu und stelle mich neben sie. „Hallo Frau Meyer, stört es sie, wenn ich mich etwas dazu setze?"
„Nein ganz und gar nicht. Übrigens heiße ich Friedericke."
„Louis"
„Also Louis, erzähl mal. Wie gefällt's dir hier? Wohnst du jetzt eigentlich in der Stadt?"
Ich ließ mich auf dem Stuhl neben ihr nieder und begann, leise, um die Schüler nicht zu stören, zu erzählen. „Bis jetzt ist mein Eindruck äußerst positiv. Und nein, ich wohne nicht hier, aber nur ein paar Kilometer weiter. Ich bin schon vor Weihnachten zu einem Kumpel gezogen." Ich war grade etwas verwirrt durch ihr Mienenspiel.
„Zu einem Kumpel also? Keine Freundin?"
Ich ballte leicht meine Hände zu Fäusten, sodass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Dann blinzelte ich noch einmal um mich zu fangen. Scheiße! Wieso tat das denn immer noch so weh?
„Ähm nein... ich habe keine Freundin." Wieder ein Zwinkern. „Interessant." Nicht interessant.
Warum sollte das bitte interessant sein? Oder...? „Naja, ist ja auch unwichtig. Welche Fächer hast du noch außer Musik?"
„Sport. Nur Sport. Dann sehen wir uns ab jetzt wahrscheinlich auch öfter in der Sporthalle. Es ist mir vorhin nicht entgangen, dass du auch Sport unterrichtest. Welche Klassen hast du?" „Ab nächster Woche übernehme ich den Leistungskurs." Sie lächelte leicht.
Eigentlich war sie ja ganz hübsch. Blonde Haare, die in leichten Wellen bis zu ihren Schultern reichten und eine zierliche Figur. „Kommt Niall denn auch öfter hier her? Violetta hatte ja erwähnt, dass er Gitarrenunterricht gibt", lenkte ich mich schnell ab. „Niall? Der ist nur hier, wenn er unbedingt muss. Aber er trifft Violetta oft privat. Er ist mit ihrem Vater befreundet. Ich glaube sogar, dass Herr Styles Nialls bester Freund hier ist. So wie die beiden miteinander umgehen."
Ich war etwas verdutzt. War Violetta das Mädchen, von dem er in der Kneipe erzählte hatte? „Woher kennst du Niall?" „Niall ist der Stiefbruder meines Mitbewohners. Wir haben uns aber auch erst Mittwoch kennengelernt." „Ah. Ja, wie gesagt, Niall verbringt viel Zeit mit den Styles'. Es wundert mich überhaupt nicht, dass er Violetta das Gitarrespielen beibringt."
„Übt Violetta oft hier?" „Ja, eigentlich täglich. Ich frage mich, warum sie heute nicht da ist. Normalerweise lässt sie keine Gelegenheit aus, Klavier zu spielen. Sehr talentiert die Kleine." Ich blickte zu dem weißen Flügel, der an der Fensterseite des Raumes stand. Der musste ein Vermögen gekostet haben. Aber ich wusste schon früher, dass es hier viele reiche Eltern gab, die der Schule hin und wieder etwas stifteten. Sehr großzügig. Oder eben erpresserisch, wie man's nimmt.
„Können Violettas Eltern sich keinen Klavierunterricht leisten?" Friedericke verzog kurz ihr Gesicht, bevor sie sich fing und wieder ein Lächeln aufsetzte.
„Violettas Vater hat eine eigene Bäckerei hier ganz in der Nähe. Die läuft ganz gut, nur denke ich nicht, dass das genügend für teure Hobbies abwirft. Man muss sich ja erstmal ein Klavier anschaffen. Das alleine kostet schon mehrere tausend Euro. Und auch die Stunden sind nicht gerade billig."
„Was ist mit ihrer Mutter?", rutschte es mir heraus, bevor ich darüber nachdenken konnte. Niall hatte ja schon angedeutet, dass dies ein heikles Thema war, das ich nicht von anderen Leuten erfahren sollte.
Tomlinson, du solltest endlich lernen, erst nachzudenken, bevor du redest!
„Violettas Mutter ist letzten Herbst an Krebs gestorben. Die beiden stecken noch mitten in ihrer Trauerarbeit. Es war für uns alle ein Schock. Vor allem Harry musste sehr kämpfen. Es ist noch immer schwer für ihn, alles zu koordinieren. Schließlich fangen seine Schichten in der Bäckerei immer sehr früh an. Wie Niall erzählt hat, benutzt er die 30 Minuten, in denen er eigentlich Pause machen sollte, dafür, um morgens heimzufahren, sich um Violetta zu kümmern und sie anschließend zur Schule zu bringen. Und nach der Schule verbringt die Kleine viel Zeit in der Bäckerei."
Ich traute meinen Ohren kaum. Wie machte er das? Ich kam mir auf einmal schäbig vor, dafür, dass ich noch vor kurzem über mein Leben gejammert hatte. Das schlechte Gewissen schien mich förmlich erdrücken zu wollen. Ich schloss kurz die Augen, um mich zu sammeln und beschloss dann, dass es Zeit war für mich, zu gehen. Ich verabschiedete mich von Friedericke, die noch fleißig mit den Augen klimperte, was in mir aber eher Antipathie ihr gegenüber hervorrief.
Schnell klaubte ich meine Sachen zusammen und ging aus dem Raum, den Gang hinunter, dann nach links, denn da sollte die Treppe zum Ausgang sein.
Sollte. Verdammt! Jetzt hatte ich mich doch verlaufen! Ich ging wieder zurück, am Musikraum vorbei und um die Ecke. Da sah ich eine blaue Haarspange auf dem Boden liegen.
Gerade, als ich mich bückte, um sie aufzuheben, hörte ich aus einem der Klassenzimmer wütende Schreie. „Scheiß Streber. Was kannst du eigentlich? Du hast ja noch nicht mal eine Mutter. Die war es wahrscheinlich leid, ein Kind wie dich zu haben. Gut für sie, dass sie weg ist."
Unbändige Wut stieg in mir auf. Wie konnte jemand solche Worte in den Mund nehmen? Ich ließ die Spange in meine Jackentasche gleiten und stürmte in das Klassenzimmer.
Ein Junge holte gerade aus, um auf das Mädchen einzutreten, das dort eh schon am Boden lag. Schnell rannte ich auf ihn zu, konnte jedoch nicht verhindern, dass sein Fuß ihre Schulter zum Knacken brachte. Ich zog an seinem T-Shirt und riss ihn mit aller Kraft von dem Mädchen weg.
Er stolperte und fiel rückwärts auf den Boden. Schnell stellte ich mich zwischen die beiden.
„Wehe, du fasst sie auch nur noch einmal an. Setz dich jetzt auf der Stelle dahin und beweg dich nicht." Ich deutete auf einen Stuhl, während ich versuchte meine Wut in den Griff zu bekommen. Ich war fuchsteufelswild.
Schnell fuhr ich herum und ging auf Violetta zu. Sie hatte sich auf dem Boden zusammengerollt und weinte stumm vor sich hin. „Violetta. Hörst du mich?" Wie war das noch gleich? Opfer auf Wunden überprüfen und erste Hilfe leisten. Opfer hat Vorrang.
Trotzdem drehte ich mich um, um zu sehen ob diese Teufelsbrut noch da war. Er hatte doch tatsächlich sein Handy rausgeholt, um Fotos zu machen.
Eilig riss ich es ihm aus der Hand und steckte es in meine hintere Hosentasche. Wie dreist und bösartig kann ein Mensch sein? Ich konnte mich gerade noch davon abhalten, ihm ordentlich eine zu scheuern.
Schnell wandte ich mich wieder Violetta zu und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. „Violetta, wie stark bist du verletzt?" Sie schluchzte einmal stark auf und stotterte dann „m-mein... mein B-B-Bauch.... aua...Schulter..." Außerdem sah ich, dass ihre Handgelenke blau angelaufen waren. „Meinst du, ich kann mir kurz deine Schulter ansehen? Und deinen Bauch? Ich möchte sehen, wie schwer du verletzt bist."
Sie schluchzte weiter und nickte dann schwach. Vorsichtig zog ich ihr das Shirt über die Schulter und sah mir die Stelle genau an. Sie war blau, aber die Schulter war zum Glück nicht ausgekugelt.
Vorsichtig drückte ich an ein paar Stellen, um festzustellen, ob etwas gebrochen war. Dem schien nicht so zu sein. Dann legte ich das Mädchen vorsichtig auf den Rücken, befahl dem Jungen hinter mir, wegzuschauen.
Erst als ich sicher war, dass er nicht hersah, entblößte ich vorsichtig ihren Bauch. Ich entdeckte einige blaue Flecken und Wunden an ihrer Hüfte und ein paar wenige über den Bauch verteilt. Es machte aber nicht den Anschein, als wären es tiefergehende Verletzungen.
Ich rückte ihr T-Shirt wieder zurecht und blickte ihr in die Augen. „Meinst du, du kannst aufstehen? Wir sollten ins Lehrerzimmer gehen, da kann ich dich verarzten." Violetta schloss die Augen und schluchzte auf, als sie versuchte, sich hinzusetzen. Schnell half ich ihr dabei. Als sie endlich stand, legte ich ihr eine Hand auf den Rücken, ständig in der Sorge, sie könnte zusammenbrechen und einen Kreislaufkollaps kriegen.
Auf dem Weg zur Tür forderte ich den Jungen, der immer noch gelangweilt die Tafel anstarrte, dazu auf, mitzukommen. Ich war echt froh, dass er mir widerstandslos ins Lehrerzimmer folgte. Violetta war aber anzumerken, wie geschwächt sie war, sie zitterte bei jedem Schritt. Zum Glück erreichten wir das Lehrerzimmer recht schnell. Immerhin kannten die beiden, im Gegensatz zu mir, den Weg.
Isolde saß noch auf ihrem Platz und schlürfte schon wieder einen Tee, während sie sich mit einem jungen Mann neben ihr unterhielt. Sonst war der Raum leer.
„Frau Marquardt? Kommen Sie mal bitte?" Ein schockierter Ausdruck stand ihr ins Gesicht geschrieben, während sie zu uns herübereilte. Auf dem Weg rief sie noch „kommen Sie, Payne, ihre Dienste werden benötigt" über ihre Schulter dem jungen Kollegen zu.
Der eilte auch gleich herüber. „Kümmern sie sich um Jeremy", forderte sie ihren Kollegen auf, während sie mir erklärte, wo ich die Listen mit den Notfallkontakten fand. Sie selbst führte das schluchzende und völlig verstörte Mädchen in das angrenzende Krankenzimmer.
Ich zog derweil den richtigen Ordner aus dem Regal und blätterte durch, bis ich die Liste der 5b in der Hand hielt.
Schnell fuhr ihr mit meinem Zeigefinger über die Liste, bis ich bei ‚S' ankam. ‚Styles, Violetta'. Rechts daneben stand ‚Styles, Harry' und eine Telefonnummer.
Schnell tippte ich sie in das Schultelefon ein und hoffte, dass er abnehmen würde. Doch alles, was ich hörte, war ein Piepsen.
Scheiße! Ich besah mir den Zettel nochmal genauer und entdeckte, dass noch jemand mit Kuli ‚Styles Bäckerei' hingekritzelt hatte. Schnell versuchte ich es bei dieser Nummer.
Es hupte zwei Mal, da erklang auch schon eine raue und doch warme Stimme. „Styles Bäckerei, Harry hier. Wie kann ich helfen?"
Mein Hirn hörte für wenige Sekunden auf zu arbeiten. Wie konnte ein Mann so eine schöne Stimme haben?
„Ähm ja... ähm... Hallo... Hier ist Louis Tomlinson, Lehrer vom Humboldt..." Super, Louis. Du wirkst definitiv wie eine seriöse Lehrperson.
„Humboldt? Ist was mit Violetta?" Er klang schon panisch.
„Herr Styles, wäre es möglich, dass sie schnellst möglichst herkommen? Es gab einen Zwischenfall mit ihrer Tochter und einem Schüler. Ich bitte Sie jedoch, Ruhe zu bewahren, ihr geht es schon wieder recht gut. Sie hat jedoch mehrere Hämatome und ist momentan sehr verstört..." „Ich bin sofort da. Wo finde ich sie?" „Sie ist im Lehrerzimmer. Ich werde dort auf Sie warten."
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