◇XXXIV◇
Irgendwie hat es sich heute falsch angefühlt. Das befreiende Gefühl während und nach dem Aufstellen einer Falle fiel dieses Mal aus. Die Medikamente, welche ich genommen hatte, hatten schon lange ihre Wirkung verloren und beinahe wieder komplett nüchtern lief ich der Straßen runter nach Hause.
Ohne Maske. Sie lag in der Bauchtasche meines Hoodies und die andere, welche ich Tag für Tag aufsetzte, hatte sich in Luft aufgelöst. Mit meinen Händen in den Taschen meines Mantels zog ich ihn etwas enger zu, da ein kalter Wind durch die Straßen zog.
Auch wenn er meine Haut quälte, kam er nicht an diese Kälte unter ihr heran. Ich fühlte mich wie ein Stück Eis. Durch und durch gefroren und das, was sich in der Mitte befand, unerreichbar. Die Tatsache, dass meine bislang gefrorenen Gefühle langsam wieder auftauten, machte mir riesig Angst.
Meine Fingerspitzen kribbelten und ich stoppte in meinen schwerfälligen Schritten, als ich eine zersplitterte Bierflasche neben dem Bürgersteig entdeckte. Ich merkte, wie ich zitternd nach einer Scherbe greifen wollte.
Ich wollte sie in meine Hand nehmen und so fest wie möglich zudrücken. Solange, bis sich die scharfen Kanten des Glases in mein Fleisch schneiden, Blut aus den Wunden quillt und von meiner Hand tropft.
Es war, wenn ich mich nicht täusche, kurz vor 2 Uhr morgens und die Straßen wie beinahe leer. Von Zeit zu Zeit fuhren Autos an mir vorbei, welche meine Umgebung für einige Sekunden erhellten. Vollkommen gegen meiner Erwartungen hielt eines dieser Autos an. Direkt neben mir.
Ich zwang mich dazu, meinen Blick von den Scherben zu lösen, und sah der Dame, die ausstieg, entgegen. Meine Unterlippe zitterte. «Alles okay, mein Junge?»
Sie kam nicht zu mir herüber, da sie nicht wissen konnte, ob ich sie vielleicht verletzten oder gar umbringen würde. Schließlich kann jeder ein Mörder sein... Tja.
Ich schluckte und nickte. «J-ja. Alles gut.» Die Lichter ihres Autos blendeten mich, aber sie gaben ihr die Möglichkeit, mich zu sehen. «Sicher? Du zitterst am ganzen Körper. Hast du etwas genommen? Soll ich die Polizei und einen Krankenwagen rufen?»
Ich schüttelte meinen Kopf und bekam es sogar auf die Reihe, ihr in die Augen zu sehen. «Nein, m-mir ist nur etwas kalt. I-ich war eben mit Freunden trinken.» Auch wenn ich mein Bestes gab, konnte ich es nicht verhindern und meine Stimme brach.
Die Dame traute sich näher an mich heran und als ich sie sah, wäre ich am liebsten auf meine Knie gefallen und hätte zu heulen und schreien begonnen. Nein, sie sah definitiv nicht wie meine Mutter aus, aber mein Verstand spielte mir Streiche. Er legte es darauf an, mich zu zerstören.
Die Frau hatte vielleicht nicht die blauen Augen oder das helle Haar meiner Mutter, aber so wie sie sich um mein Wohlbefinden sorgte und mir ansah, dass rein gar nichts okay war, musste ich automatisch an sie denken.
«Okay, dann komm gut nach Hause. Aber hier ein kleiner Tipp von mir- » Sie stellte sich vor mich und drückte mir einen Handwärmer in meine gefrorenen Hände. «-Unter der Woche trinken zu gehen, wird sich nicht positiv auf deinen Alltag auswirken. Belass es doch bei den Wochenenden, mein Junge.»
Ich zog meine Hände in die Ärmel meines Mantels zurück und spürte, wie der Handwärmer seine Arbeit machte. «Ich nehme es mir zu Herzen», kam es leise von meinen Lippen und ich zuckte zusammen, als ich eine gewärmte Hand auf meiner Schulter spürte. «Du siehst nicht gut aus, junger Mann. Soll ich dich fahren?»
Hastig schüttelte ich meinen Kopf und ging einen Schritt zurück, weg von ihr. Ich brauchte kein Mitleid. Würde sie wissen, wer vor ihr stand, würde sie nicht anbieten, mir zu helfen. Und das war auch gut so.
Diese Zuneigung machte mich fertig. Nach jedem Blinzeln sah ich Mutter vor mir und das Kribbeln in meinen Fingerspitzen wurde immer stärker. Meine nun unruhigen Augen zuckten wieder zu den Scherben am Boden links hinter mir.
Ich musste hier weg. Weg von ihrer Wärme, weg von einer Person, die es gut meinte und versuchte, nett zu sein. Ich konnte damit nicht umgehen, schon gar nicht jetzt. «Ich fühle mich auch etwas krank. Ich werde mir zu Hause einen Tee machen und morgen wahrscheinlich freinehmen. Danke für Ihre Besorgnis. Schöne Heimfahrt.»
Mit diesen Worten neigte ich meinen Kopf und quälte mir ein schwaches Lächeln auf meine nun unkontrollierbar zitternden Lippen. Ich gab ihr keine Zeit zu antworten und ging davon. Weg von ihr, ihrer warmen Zuneigung und den eiskalten Scherben am Boden. Weg von der Möglichkeit, komplett zu zerbrechen.
Ich hörte ihre langsamen, kleinen Schritte, als sie zurück zu ihrem Auto ging und etwas anderes in mir begann zu zucken. Tatsächlich hat es sich so angefühlt, als wäre etwas in mir zerbrochen und endlich vollkommen in sich zusammengefallen.
Mein vorher noch zitternder, zuckender Blick fixierte nun starr meine Schuhe an, welche nun wieder reglos auf dem dunklen Asphalt standen. Ich spannte meinen Kiefer an und versuchte zu werten, was ich jetzt tun sollte. Warum wollten meine Beine mich zurück zu ihr führen?
Ich wusste weshalb und deshalb begann ein neuer Kampf in mir. Vielleicht würde ihr Schmerz das Verlangen lindern, mich selbst zu ruinieren. Was, wenn es nur reiner Zufall gewesen war, dass mir das Aufstellen der Falle nicht den sonst versprochenen Kick gegeben hatte?
Eventuell gab mir ihr Tod den Kick, nach dem ich mich gerade so sehr sehnte. Aber sie verdiente es nicht. Oder? Schmerzverzerrt versteckte ich mein Gesicht in meinen Händen und ich versuchte, die Schreie meiner Mutter aus meinem Kopf zu verbannen, aber es ging nicht.
Urplötzlich konnte ich laut und klar vernehmen, wie die Frau von eben einstieg und die Tür ihres Autos zuzog. Zum Glück hatte sie dies getan. Ich hörte, wie sie davonfuhr. Weg von ihrem Tod und auch wenn mein Inneres gerade dabei war, sich zu zerreißen, war ich erleichtert, dass sie mir nicht gefolgt war.
Wäre sie mir hinterher, hätten die Scherben am Boden doch noch einen anderen Nutzen als das Aufschlitzen meiner Haut gefunden. Keine Ahnung, warum, aber der Drang etwas, oder besser gesagt jemanden zu töten, wurde unerträglich. Aber ich durfte nicht. Nicht jetzt. Nicht ohne einen Plan.
Ich durfte keinen falschen Schritt machen. Die Polizei war dicht hinter mir her. Sie wussten es vielleicht nicht, aber sie waren nur eine Tür von meiner Identität entfernt. Ein Ausrutscher meinerseits und alles wäre aus.
Aber wäre das überhaupt schlimm? Was wollen sie bitteschön tun? Mich töten? Nur zu. Ich bitte darum. Helft mir, es zu beenden, denn ich bekomme es selber nicht auf die Reihe. Noch immer hält mich etwas auf dieser verschissenen, kaputten Welt fest. Was war es?
Da ich es nicht wagen konnte, jemanden auf offener Straße zu töten, ging ich schnellstmöglich nach Hause. Dort stemmte ich mich an meiner Haustür ab, bis ich es geschafft hatte, sie aufzusperren. Meine zitternden Hände hatten diese Aufgabe beinahe zum Ding der Unmöglichkeit gemacht.
Der Handwärmer lag auf dem Boden neben meiner Eingangsmatte. Ich schielte kurz zu meinen Nachbarn und sah, dass bei ihnen die Lichter aus waren. Gut. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ich dachte nicht einmal daran, meine Schuhe auszuziehen.
Mein Mantel fiel von meinen Schultern und ich warf die weiße Maske auf mein Sofa. Ich konnte kaum klar sehen. Komischerweise tränten meine Augen. Ich weinte. Warum?
In der Küche suchte ich nach meiner bereits geöffneten Flasche Jack Daniels und schraubte den Deckel ab. Den würde ich heute Nacht nicht mehr brauchen. Im Bad angekommen zog ich mir meinen Hoodie über den Kopf und knallte ihn verzweifelt gegen den Spiegel vor mir.
Im Spiegelschrank griff ich nach den erstbesten Tabletten und leerte sie auf meine Handfläche. Kurz sah ich die Pillen an, meine Tränen tropften auf sie nieder und befeuchteten sie. "Fuck!" Ich schüttelte meinen Kopf und kippte mir alle in den Mund.
Ich hatte meine Entscheidung getroffen. Jetzt würde ich es beenden. Ich wollte keinen Tag länger atmen, lügen oder leben. Ich zwang mich dazu, die Flasche zu exen. Leider erreichte mich die Wirkung nicht auf Anhieb, weshalb ich bis dahin meinen Schmerz anders lindern musste.
Ich rutschte der Wand entlang zu Boden. Ich musterte meine Arme, die von bereits verblassten Narben verziert waren. Die drei schnittfreien Jahre nach dem Tod meines Vaters endeten jetzt. Alles endete jetzt.
Zum ersten Mal seit langer Zeit konnte ich es nicht mehr zurückhalten. Ich schluchzte, weinte und erstickte fast an meinen Tränen. Ich konnte es nicht mehr kontrollieren. Die kalte Klinge auf meiner Haut spürend, legte ich meinen Kopf in meinen Nacken und starrte ins Licht.
Mutter meinte, man konnte ein helles Licht sehen, wenn man starb. Aber nur, wenn man daran glaubte. Mit diesem Gedanken ließ ich die Klinge fassen und Blut fließen. Ich spürte die warme Flüssigkeit von meinem Unterarm tropfen.
Aber meine Augen hingen an dem Licht. Ich hoffte, sie wiederzusehen, und ich meinte zu glauben, dass ich Mom nur sehen würde, wenn auch ich ein Licht sah. Jedoch hauste die Angst in mir, dass das nach meinen Taten nicht mehr der Fall sein wird.
Als meine Sicht zu flackern begann, wurde mir klar, dass meine Angst berechtigt war. Ich nahm nicht mehr wahr, wie oft ich die Rasierklinge in meiner Haut versenken ließ, denn ich konnte nur noch sehen, wie das helle Licht dunkler wurde.
Alles wurde dunkel, pechschwarz. Ich zerbrach in Millionen Einzelteile, denn mir wurde endgültig klar, dass ich Mom nicht mehr sehen würde.
Vater wird mich auf der anderen Seite empfangen und mir kalt entgegenlächeln:
«Du bist das wahre Monster, Ryou. Ich habe es dir gesagt.»
*hust*
Neue Theorien, wer der Killer sein könnte? Oder war... schließlich hat er sich gerade umgebracht... man weiß es nicht.
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