XXV
Was gibt es Schlimmeres als den Tod einer Person mit anzusehen? Selten ist etwas schlimmer, aber ich habe eine Antwort hierfür: Die Gesichter der Familienangehörigen der verstorbenen Person, wenn man ihnen die tragische Nachricht beichten muss.
Es hat mir mein Herz zerrissen bei dem Anblick, wie Valerias Eltern zu Boden gingen und mich anflehten, dass dies nicht stimmte, dass ihre Tochter nicht tot sein konnte.
Kian wartete draußen, da er dafür gerade nicht die Nerven hatte. Ich wusste, dass ihm der Tod Vals naheging, doch hatte er vorher, als wir im Revier waren, versucht, professionell zu sein. Es schien mir so, als würde er erst jetzt realisieren, was geschehen war. Ich selbst war ebenfalls komplett überfordert.
Meine Finger fühlten sich taub an, als ich das Haus verließ und mich neben Kian stellte, der nachdenklich auf den Boden blickte. «Es tut weh, immer mehr Leute zu verlieren», sprach ich, als ich seinen Blick mit meinem fand. «Ich habe Angst, dass er uns alle töten wird.» Meine Beichte ließ Kian aus seiner Abwesenheit erwecken, und er schüttelte seinen Kopf.
«So weit werden wir es nicht kommen lassen, okay?» So sehr ich ihm auch glauben wollte, hatte ich ein schlechtes Gefühl. Der Killer war zu allem imstande. «Valeria ist weg. Wen trifft es wohl als Nächstes? Dich? Morris? Mich?» Ich lehnte mich an ihn und ließ ihn seine Arme um mich legen. «Ich weiß nicht, ob ich einen weiteren Tod in unserem Team ertragen könnte, Kian.»
Meine Augen wurden glasig, denn ich konnte das, was ich gerade fühlte, nicht anders ausdrücken. Es schmerzte so sehr. Hätte ich nicht darum gebeten, mit Kian zusammenarbeiten zu dürfen, wäre diese Diskussion zwischen ihr und Kian doch nie zustande gekommen. Ich konnte nichts anderes als Schuld empfinden.
Aber anscheinend war ich nicht die Einzige, denn Kian rieb sich kurz mit einer Hand kurz über seine Augen, bevor er mich traurig und verletzt anvisierte. «Ich hätte ihr nicht sagen sollen, dass sie gehen soll.» «Sie hätte die Falle doch so oder so ausgelöst. Spätestens dann, wenn wir Feierabend gemacht hätten.»
Kian konnte mein Argument nachvollziehen, dennoch verrieten seine Augen, dass es ihm trotzdem schwer im Magen lag. «Wir hätten die Falle finden und alles vermeiden können.» Er hatte recht. Aber er vergaß etwas. «Weißt du, was wir nicht können?»
Ich legte meinen Kopf in den Nacken, um mich Kian entgegenstrecken zu können. Der Aschblonde schüttelte seinen Kopf und ich konnte seinen Atem an meinen Lippen spüren. Sein Blick wurde sanfter.
«Wir können es nicht mehr ändern, aber dafür können wir etwas ganz anderes tun. Für Valeria und auch für alle anderen, die dem Killer zum Opfer gefallen sind.» Ich hob meine rechte Hand an und fuhr mit meinem Zeigefinger dem Rand seiner Narbe, die seinen Nacken und Hals verschönerte, nach.
«Wir können für sie weitermachen? Sie sind nicht gestorben, damit wir aufgeben.» Kurz streckte ich mich energisch und stellte mich auf meine Zehenspitzen, damit ich Kian küssen konnte. Er erwiderte, aber ihm fehlte an Euphorie.
Zuerst dachte ich, er wolle einfach nicht und ich soll ihn in Ruhe lassen, doch schon nach kurzer Zeit begann er in den Kuss hineinzugrinsen. Sanft zog er mich noch näher an sich und legte seine Hand an meine Wange. «Wieder etwas, dass ich von dir lernen sollte: Die Hoffnung stirbt immer zuletzt, wenn man mit dir zusammen ist, was?» Ich begann zu grinsen und küsste ihn erneut.
Ein wohliger Seufzer entfloh mir, als unser Kuss inniger wurde. Als ich mich von ihm löste, fiel ich zurück auf meine Fersen und wurde gleich wieder knappe 10 Zentimeter kleiner. «Hoffnung kann niemals sterben. Nicht, wenn man lebt und versucht zu kämpfen. Das Einzige, was sterben kann, ist der Wille, und wenn der weg ist, reist ihm die Hoffnung hinterher.»
Kian blieb eine Weile still und sah mich einfach nur an. Er studierte mich und ließ mich mit seinem Blick rot wie eine Tomate werden. Sein Daumen strich über meine Haut und stoppte auf meiner Unterlippe. Dort ruhte er und ich selbst konnte spüren, wie ich unter seiner Berührung zitterte.
Ich konnte nicht fassen, wie sehr mir Kian unter die Haut ging. Ich fühlte mich wieder so, als wäre ich 15 und stünde vor meinem allerersten richtigen Freund. Nein, dies hier war viel intensiver. Wesentlich intensiver, als es mein Teenager-Ich überhaupt aushalten könnte.
«Wenn das mit der Polizei nicht klappt, solltest du es als Motivationscoach oder Dichterin versuchen», murmelte Kian nah an meinen Lippen, bevor er mir einen weiteren Kuss stahl. Ich knurrte kurz, doch begann gleich darauf verschmitzt zu grinsen. «Wenn dann nur dein Motivationscoach, okay?»
Die Augenbrauen meines Gegenübers sprangen verspielt in die Höhe. «Wobei willst du mich denn motivieren?» Ich legte meine Unterarme auf seine Schultern, vergrub meine Hände in seinen Haaren und lächelte ihn an. «Oh, oh, oh. Was habe ich denn für Gedanken in dir erweckt, Walker?» «Wer hat hier von Gedanken gesprochen, Evans? Das war eine ernste Frage.»
Es kostete mich eine Menge ab, um auf dem Boden zu bleiben. Am liebsten würde ich jetzt den Sprung wagen und mich an Kian klammern, aber wir befanden uns in der Öffentlichkeit und noch dazu in der Nähe von Valerias Elternhaus. Hier so etwas zu tun, wäre unmoralisch und respektlos.
Genau deshalb küsste ich Kian ein letztes Mal und löste mich dann komplett von ihm. «Wir beide wissen, dass es das nicht war.» «Wahrscheinlich schon», stimmte mir der Eisblauäugige zu.
Wir machten uns auf den Weg zur U-Bahnstation und während wir nebeneinander hergingen, glitt meine Hand in seine. Erschöpft stolperte ich neben ihm her und entlockte anderen Passanten mehrere Lacher, als ich mich fast hinlegte.
Ja, heute war ein langer Tag gewesen und ich freute mich ziemlich auf mein Bett. Doch als ich darüber nachdachte, konnte ich mich gar nicht auf meine nächtliche Ruhe freuen. Nicht, nachdem das alles heute passiert war. Nicht nach Valerias Tod. Nicht nach der Erkenntnis, dass dieser Killer tatsächlich das Sagen hatte und uns durchgehend verarschte.
Ich würde wahrscheinlich kein Auge zubekommen. «Ich bin todmüde, aber ich weiß genau, dass ich heute Nacht nicht schlafen werden kann», meckerte ich, als wir auf eine Bahn warteten und Kian sich an mich wandte. «Ich wahrscheinlich auch nicht.»
Ich blickte auf in seine Augen und nickte ihm müde zu. «Gut, dass ich nicht alleine leiden werde», scherzte ich und wurde direkt von ihm umarmt und an sich gezogen. Seine Körperwärme erschwerte mir den Kampf gegen meine Müdigkeit nur noch mehr, aber ich wandte nichts dagegen ein.
Schließlich fühlte es sich himmlisch an, bei ihm zu sein. «Gut zu wissen, dass du mich leiden sehen willst.» Die U-Bahn kam und als wir einstiegen, drehte ich mich zu Kian um und biss mir neckisch auf meine Unterlippe. «Immer doch.»
Mittlerweile war Feierabend und das nicht nur für uns. Die U-Bahn war brechend voll und ich fühlte mich wie in einer Sardinenbüchse. Grauenhaft. Wenigstens roch es nicht so wie in einer. Obwohl, manchmal war das ja tatsächlich der Fall, aber heute schienen wir Glück gehabt zu haben.
«Hast du heute eigentlich noch etwas vor?», fragte ich beiläufig und sah kurz zu einem jungen Herrn. Dieser hielt die Hand seines Kindes oder Geschwisterchen und kniete sich dann neben ihm hin, um es zu beruhigen, da es dem Kind anscheinend zu laut war und zu viele Leute gab.
Ich mochte es genauso wenig. Mir wird manchmal sogar richtig mulmig zumute, wenn wir Menschen wie Ameisen auf einem Donut aufeinander hocken. «Nicht wirklich. Morris kommt noch rüber und wir schauen uns das Dokument, in das reingeschrieben wurde, noch genauer an. Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du auch kommen möchtest, aber da du ja so müde bist, gehe ich schwer davon aus, dass du nach Hause willst.»
Normalerweise wäre ich gerne dabei, aber heute nicht. Ich war müde und trauerte um Valeria. Ich brauchte eine Pause. Auch wenn ich diese Pause nicht mit Schlaf verbringen kann, kann ich zu Hause sein, mit meiner Familie quatschen und einfach mal loslassen.
«Du hast recht. Aber schreib mir trotzdem, wenn ihr etwas findet, okay?» Kian versprach mir, dass sie es tun würden, und lehnte sich vorsichtig zu mir herunter.
Wir stolperten ein wenig, da das Halten der Subway einen Ruck verursachte, aber immerhin schlug ich mir meinen Kopf nicht an der Scheibe an, wie der Teenager gegenüber von mir, der sehr wahrscheinlich schlafen wollte und seinen Kopf deswegen an der Scheibe angelehnt hatte.
Ein sanfter, weicher Kuss verlieh mir die Flügel eines Engels und Kian verabschiedete sich leise von mir, da das hier seine Haltestelle war. «Bis morgen, okay?» «Bis morgen.»
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