Die dunkle Seite
Die Visionen verschwanden nicht mehr. Wann immer ich wollte konnte ich in andere Menschen hineinsehen. Ich versuchte es allerdings die meiste Zeit zu ignorieren, indem ich mich einfach auf die Haut der Menschen konzentrierte. Allerdings funktionierte das nicht immer zuverlässig, manchmal brauchte ich mehrere Minuten bis ich wieder normal sehen konnte. Deshalb hatte ich erst einmal zu Hause geübt, bis ich es einigermaßen unter Kontrolle hatte. Zum Glück war ich meistens allein, sodass niemand viel mitbekam. Letztendlich beschloss ich erst einmal niemanden davon zu erzählen, da ich nicht für verrückt erklärt werden wollte.
Am zweiten Wochenende der Ferien ging ich mit meinen Freunden ins Kino. Danach schlenderten wir noch ein wenig durch die Innenstadt und stoppten noch am Buchladen. Danach ging es zurück zur Bushaltestelle. Schließlich war ich allein, da mein Bus als letztes kam. Wie immer. Ich beobachtete die Leute um mich herum und plötzlich sprang meine Sicht um. Aufgrund der vielen Leute, die nun alle leuchtende Silhouetten waren, war es extrem hell und ich kniff geblendet die Augen zusammen. Mit aller Macht konzentrierte ich mich auf das Äußere der Menschen, doch es wurde nicht besser. Auch nach mehreren Minuten, als ich im Bus saß, weigerten sich meine Augen mir zu gehorchen. Ich lehnte meinen Kopf an die angenehm kühle Scheibe. Langsam bekam ich von der Helligkeit Kopfschmerzen! Und mulmig wurde mir auch. Was wenn ich nie wieder normal sehen konnte?! Andererseits war es bis jetzt immer von allein wieder verschwunden. Allerdings hatte es noch nie so lange gedauert. Jetzt war bestimmt schon eine halbe Stunde vergangen. Ich spürte wie die Angst in mir hochkochte. Das musste doch irgendwie funktionieren!
"Avani, ganz ruhig versuchs nicht zu erzwingen.", sagte jemand neben mir. Ich kannte die Stimme irgendwo her. Der jemand setzte sich neben mich.
"Und wie solls sonst funktionieren?", fragte ich panisch. Falsch, ganz falsch, ich hatte niemanden davon erzählt, ergo meinte der Typ was anderes.
Allerdings schien er sehr wohl im Bilde zu sein.
"Komm erstmal wieder runter. Dann stellst du dir vor wie Menschen aussehen, ... oder fang erstmal mit deinen Händen an."
Woher wusste der Typ, was mit mir los war? Aber wenn man schon Hilfe bekam, ... versuchen konnte ich es ja mal. Ich sah mit zusammengekniffenen Augen auf ihre Hände. Knochen, Sehnen, Muskeln. Ich stelle mir Haut vor. Das Ergebnis war das gleiche wie vorher.
Frustriert blickte ich auf und bereute es sofort. Das Licht stach mir brutal in die Augen. Sicher würde ich blind werden, wenn das so weiter ging.
"Und woher willst du überhaupt wissen, wie das funktioniert?", fragte ich fast schon wieder panisch.
"Vertrau mir. Versuch es einfach ."
"Hab ich doch grade!", jammerte ich. Es sammelten sich Tränen in meinen Augen. Nein, ich werde jetzt nicht anfangen zu heulen.
"Dann nochmal.", sagte der jemand.
Die erste Träne lief über meine Wange.
"Mensch, reg dich ab", seufzte der Jemand.
Etwas berührte mich kurz an der Schulter und die Lichter verblassten auf einmal mehr und mehr. Ich drehte mich zu dem Jemand neben mir um. Es war Niklas.
Ich starrte meinen Schulkollegen ungläubig an. Tausende Fragen wirbelten durch meinen Kopf. Langsam droht die Panik mich zu übermannen. Die letzten Wochen hatte ich versucht irgendwie mit meinem Zustand klar zu kommen und vor allem ihn vor allen zu verstecken. Wie hatte er das herausgefunden? Was war passiert? Wie hatte das gemacht? Und vor allem
"Wer bist du?", fragte ich.
"Dein Mitschüler.", antwortete er.
"Ach so. Du kommst hier her, kannst auf irgendeine Art Gedanken lesen, blockierst mich irgendwie und sagst dann du bist ein ganz normaler Mensch. Dann geh ich auch total beruhigt nach Hause und wundere mich auch gar nicht mehr darüber.", schrie ich ihn fast an. Was dachte er sich eigentlich? Die wenigen anderen Fahrgäste drehten sich misstrauisch zu uns um.
Er antwortete erst nicht. "Nicht hier. Wir müssen ehe gleich aussteigen. ... Außerdem stehst du unter Schock.", sagte er schließlich.
Als wir draußen waren starrte ich ihn wütend an. Ok, ein bisschen neugierig war ich auch.
Er seufzte. "Geh nach Hause.", sagte er und drehte sich um.
Ich hielt ihn fest. "Ich geh erst, wenn du mir sagst was das eben war."
"Dann wird es wohl eine kalte Nacht.", sagte er, machte sich los und ging weg. Einfach so.
"Hey!", rief ich hinterher, "Du kannst jetzt doch nicht einfach abhauen!", aber da war er schon um die nächste Ecke verschwunden. Ich rannte hinterher, aber er war schon verschwunden.
"Idiot!", fluchte ich, allerdings blieb mir nun wirklich nichts anderes mehr über, als nach Hause zu gehen.
Zu Hause angekommen ging ich in mein Zimmer und starrte die Wand wütend an. Warum passierte ausgerechnet mir sowas? Ich war ja nicht mal ein richtiger Mutant. Nicht mal wehren konnte ich mich. Richtige Mutanten hatten Kräfte wie Metall kontrollieren, Gedanken lesen, Wetter, übernatürliche Stärke. Was konnte ich? 'Ich kann sehen, dass du dir mal deinen linken Arm gebrochen hast.' Super. Aber wenigstens sah man es ihr nicht an, das sie anders war. Sie hatte mal ein Bild von einem "richtigen" Mutanten gesehen, der eine Krötenhaut hatte und ohne eine Spezialbrille nichts sehen konnte. Da hatte sie es doch gar nicht so schlecht erwischt.
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