Kapitel 11: Sicht Tessa
Verdammt.
Jetzt war der einzige Ausgang, mein einziger Fluchtweg versperrt. Cam würde mich aufschlitzen, mein Auge aufspießen oder mich auf andere Weise seinem Gott opfern. Na klar, wahrscheinlich war das schon sein Plan, seit wir in der Klinik aufeinander getroffen waren.
Vielleicht war das seine Masche. Er brich irgendwo ein, spielte jemandem vor, ihm helfen zu wollen, obwohl er in jedem Menschen nur ein weiteres Stück für seine Sammlung sah.
Es war abstoßend.
Aber was mich wirklich aufregte, war das ich es nicht gemerkt hatte. Ja, ich hatte fliehen wollen, war davon ausgegangen, das er verrückt war. Aber so etwas hätte ich niemals erwartet.
Er war abstoßend.
Doch wenn ich hier fliehen wollte brachte mir auch das nichts.
Leider wusste ich nun, dass er ein Mörder war. Er würde nicht zögern, mir in einem Kampf die Kehle aufzuschlitzen. Aber ich war das nicht.
Ich konnte ihn nicht töten. Das würde ich nicht über mich bringen.
Das machte all dies schwieriger. Die einzige Lösung wäre, ihn für eine kurze Zeit auszuknocken.
Was ich in dem Keller gefunden hatte, war ein Altar. An sich war das nichts Schlimmes. Viele Gläubige besaßen etwas, einen kleinen Tisch oder einen Schrank, um ihren Göttern etwas zu opfern.
Doch Cam besaß ein riesiges Marmorpult, das so groß war wie ein Mensch.
An den Ecken waren Handschellen angebracht und auf einem kleineren Tisch daneben lagen unterschiedliche Messer in verschiedenen Größen und Formen.
Auf einem Gestell, das aussah wie ein Notenständer befand sich ein Buch, auf das ein Drudenfuß gemalt war.
Mit roter Farbe waren lateinische Schriften an die Wände geschrieben.
An einem Haken an der Wand hing eine schwarze Kutte.
Und nun stand ich hier, inmitten seiner mörderischen Utensilien wie ein Schaf auf der Schlachtbank.
„Tessa!", ein erstickter Laut drang aus seiner Kehle, bevor er fortfuhr, „es ist nicht so, wie es aussieht!"
Wie gelähmt stand ich da und blickte zu ihm die Treppe hoch. Aber dieser Satz ließ mich fast auflachen.
Es ist nicht so, wie es aussieht!
Das klang wie aus einem dieser schlechten Vorabendserien, wo er versucht, sie davon zu überzeugen, dass er nichts mit ihrer besten Freundin hatte.
Aber am Ende hatte er doch immer etwas mit ihr gehabt.
Und so war es dieses Mal auch.
Es war ganz genau so, wie es aussah.
Der Junge, dem ich begonnen hatte zu vertrauen, war ein Mörder. Wenn ich ihn also nicht überwältigte würde er mich umbringen.
Jeden Muskel angespannt wartete ich darauf, dass er endlich zu mir runter kam, um zu kämpfen. Die Treppe hatte nur fünf Stufen, mit wenigen Schritten wäre er bei mir. Aber dieses Warten tat meinen Nerven nicht gut.
Ich war mir sicher, er würde sich gleich mit seinem Messer auf mich stürzen.
Aber ich wollte, dass er es jetzt tat.
Doch plötzlich sanken Cams Schultern in sich zusammen. Er stand ratlos da, als hätte er vergessen, was er hatte tun wollen. Noch immer das Messer in der Hand.
Mir war bewusst, dass das daran klebende Blut von dem Schwein stammte, dessen Fleisch er für das Abendessen aufgeschnitten hatte.
Aber genau so gefühllos, wie er es bei dem Tier durchgeführt hatte, würde er auch mich schneiden, wenn ich erstmal auf seinem Altar lag.
Jedoch machte er noch immer keine Anstalten, mich anzugreifen. Also beschloss ich, den ersten Schritt zu machen.
Ich rannte auf ihn zu, sprang die Treppe hoch, umrundete ihn mit zwei Schritten und stieß ihn die Stufen hinunter, in der Bewegung versuchte ich, ihm das Messer aus der Hand zu reißen, doch es gelang mir nicht und ich schnitt mir mit der Klinge in mein eigenes Fleisch.
Überrascht und mit einem entsetzten Ausdruck endete sein Fall auf dem kalten Steinboden. Es knackte fürchterlich. Ich wollte umdrehen und abhauen, so schnell, wie ich konnte, doch erst jetzt bemerkte ich, dass die Tür geschlossen war.
Sie ließ sich von innen nicht ohne Schlüssel öffnen. Jedoch war ich mir sicher, das Cam einen bei sich trug, da er sonst nicht den einzigen Ausgang geschlossen hätte.
Vorsichtig stieg ich die Stufen wieder hinunter und bewegte mich vorwärts zu dem Körper, der seltsam verdreht da lag.
Wieso hatte ich ihn so leicht überrumpeln können? Cam lag mindestens fünf Meter vom Treppenansatz entfernt, dabei hatte ich ihn eigentlich mehr angestupst und Hulk war ich auch nicht.
Weshalb also war es so passiert?
Mit einem Seufzen beugte ich mich zu ihm hinunter, bedacht, da ich nicht dachte, das er tatsächlich tot war.
Aber was wenn doch? Vorhin meinte ich noch, ich wäre keine Mörderin. Aber jetzt hatte ich ihn ohne nachzudenken die Treppe hinuntergestoßen. Ich war mir nicht sicher, ob er noch lebte. Aber er konnte durch den kurzen Sturz doch nicht sterben.
Mit vor Anspannung angehaltenen Atem griff ich in seine Hosentasche. Tatsächlich war er dort. Der Schlüssel.
Ich zog ihn heraus und wollte schon wieder die Treppe hinauf, als sich Cam plötzlich bewegte.
Mit einer einzigen abrupten Bewegung schlug er mir den Schlüssel aus der Hand.
Dieser schlitterte über den Boden in eine dunkle Ecke unter der Treppe. Dort lag er im Schatten, so dass ich ihn nicht weiter sah.
Cams Augen glühten rot auf, als er langsam aufstand. Sein Kopf lag abgeknickt auf seinen Schultern, doch er nahm ihn in beide Hände und schob ihn zurück in die richtige Position.
Mit einem irren Lachen musterte er mich.
„Dachtest du, ich wäre so einfach zu töten?"
Vor Angst schockstarr sah ich ihn einfach nur an. Jetzt war es vorbei. Nochmal würde ich den Jungen nicht überwältigen können. Er war viel muskulöser gebaut als ich. Meine einzigen Vorteile waren, das ich kleiner und damit flinker war, und der Überraschungseffekt.
Doch er hatte noch immer das Messer.
Mit einem Mal griff er nach meinem Handgelenk und riss mich in die Luft. Mein Arm wurde ausgekugelt.
Ich trat ihm mit dem Knie in den Bauch, dafür landete er einen Fausthieb in meinen Brustkorb.
Immer wieder drosch er auf mich ein und ich konnte nichts dagegen tun, da ich hilflos in der Luft hing. Mein Bauch tat weh, da Cam immer wieder die selber Stelle attackierte.
Beim nächsten Schlag schwang ich mit meiner Hüfte nach links, um mich so ein wenig zu schützen. Tatsächlich traf Cam nur die Luft. Bei seinem nächsten Ansatz drehte ich mich erneut weg. Zum zweiten Mal schlug er daneben. Er schnaubte wütend.
Doch jetzt hatte er mich bestimmt durchschaut und würde dorthin schlagen, wohin ich mich gedreht hatte.
Nun drehte ich mich nicht weg.
Cam prügelte zum wiederholten Mal auf die Luft ein.
In dem Moment, als er seinen Arm zurückzog, nahm ich Schwung und trat ihm direkt in den Magen.
Der Junge krümmte sich vor Schmerzen und ließ mich endlich los.
Das Messer fiel mit einem Klirren zu Boden.
Ich hob es auf und rannte damit zur Treppe, wo ich in der Dunkelheit nach dem Schlüssel suchte. Zu fliehen war meine einzige Möglichkeit, zu gewinnen. Und jenes ging nur, solange er abgelenkt war.
Ich fischte unter dem Absatz, aber konnte ihn nicht finden.
Jedoch fand ich ihn nicht, ohne direkt hinzuschauen.
Ich würde meinen Blick von Cam abwenden, der gerade schon wieder aufstand. Ich hatte nicht viel Zeit
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