Ten
DEAN
Seit über einer Woche herrscht Funkstille zwischen Emily und mir. Ich weiss nicht was ich davon halten soll. Eigentlich müsste ich beruhigt sein, doch ihre Art sagt mir, dass etwas dahinter steckt. Sie sieht mich manchmal so an, als ob sie mich am liebsten erdolchen würde und dann wiederum so, als hätte ich etwas an mir, dass sie beschützen müsste.
Ich komme da echt nicht mehr mit und manchmal erwische ich mich, wie ich mir ihretwegen Gedanken mache. Was stimmt mit mir denn nicht? Wieso kann ich es nicht einfach so hinnehmen und mich daran erfreuen, dass sie es anscheinend doch kapiert hat? Doch ich kann nicht, es ist, als würde mich etwas daran hindern. Und dennoch ist da diese unsagbare Wut auf sie, die ich nicht ergründen kann. Von der ich mich lossagen will, aber das kann ich nicht ohne ihr wehzutun. Erneut. Und ob sie das übersteht weiss ich nicht.
Aber verdammter Mist, ich muss einfach weiterhin stark sein. Für sie. Für mich. Für uns alle. So sehr ich mich auch an diesem Votum festhalte, so weiss ich auch, dass dies nicht für immer sein kann. Das Band- an dem ich mich festhalte- wird reissen und dann, dann wird sie nichts mehr vor mir schützen. Blake hat wenigstens eingesehen, dass von ihr keine Gefahr mehr ausgeht.
Doch er findet nach wie vor immer etwas um mich zu Recht zu weisen, oder mir zu zeigen, wer das Sagen in der Gruppe hat. Was mir mehr denn je auf den Zeiger geht. Doch ich muss mich fügen, muss mich ihm beugen. Auch wenn es mich ankotzt. Die schrille Trillerpfeife unseres Sportlehrers, Mr Thomas, reisst mich in die Wirklichkeit zurück.
Wir sind bei knappen zehn Grad draussen und müssen uns nach seiner Meinung körperlich ertüchtigen. Was bei ihm zwanzig Liegestützen und andere Aufwärmübungen sind. Doch das macht mir nichts aus, im Gegensatz zu meinen anderen Mitschülern. Die sich zitternd und bibbernd abmühen, während ich vor Wärme und Kraft nur so strotze. Ich spüre die neidischen Blicke der anderen auf mir und sauge sie, wie ein Schwamm das Wasser, in mir auf. Genau diese Reaktionen geben mir die Kraft das alles zu überstehen.
Egal ob in der Schule oder Zuhause. Meine Wange brennt noch immer wenn ich an die letzte Backpfeife denke, die mir meine Mutter verpasst hat, weil ich in ihren Augen nicht der Sohn bin der sie sich wünscht, sondern mehr nach dem Mistkerl von Erzeuger komme, den sie nie wieder sehen will. Irgendwann, das habe ich mir geschworen, werde ich ihr beweisen, dass ich nicht so bin wie er. Doch es fällt mir schwer mich ihr zu beweisen, denn keine zwei in Mathe, oder eins in Sport ändert ihre Meinung von mir.
In ihren Augen bin ich ein Faulpelz, ein Versager wie mein Vater. Die Wut kehrt zurück und ich intensiviere die Liegestütze, lege mich mehr ins Zeug als alle zusammen und kassiere dennoch nur einen dummen Spruch von Thomas. Mein Blick schweift zu Emily, die keine richtige Liegestütze hinbekommt und keinen Halt im feuchten Gras findet. Ich will ihr sagen, dass sie die Finger in die Erde graben soll, damit sie das Gewicht besser verteilen kann. Doch ich schlucke meinen Rat hinunter, denn Blakes Warnung schwirrt mir wieder durch den Kopf.
Was ich total ätzend finde. Und dann passiert es, Emily rutscht aus und landet auf der Nase. Alle beginnen zu lachen und zeigen mit dem Finger auf sie. Ich will sie anschreien, dass sie das lassen sollen, nur ich darf Emily aufziehen, doch als sie sich aufrappelt schlucke ich schwer. Ihr Sportshirt klebt ihr feucht am Körper und betont ihre Oberweite, die mir bis dahin noch nie so ins Auge gestochen ist. Doch heute erwischt sie mich kalt.
Verdammt, wie sie sich wohl in meinen Händen anfühlen würden?
Scheisse, ich muss meine Gedanken in eine andere Richtung lenken. Sonst bekomme ich noch einen Ständer und das ist nicht das, was ich will. Zumindest nicht hier in der Schule. Da kommen mir das Gelächter und die spitzen Beleidigungen der anderen gerade recht.
„Ist dir die Milch eingeschossen, oder wieso sind da zwei Flecken?", kreischt ein Junge, der mit jedem Wort eine kleine Sprühfontäne von sich gibt.
„Ja genau, von wem sie wohl geschwängert wurde? Bestimmt nicht von jemand aus unserer Schule. Die würden dich ja nicht mal mit der Kneifzange anfassen, stimmt's Dean?"
Verdammter Mist!
Ich weiss nicht was ich sagen soll, ich spüre die Blicke der anderen auf mir, die mir verdeutlichen, dass ich weitermachen soll und da ist aber noch Emilys Blick, der mir die Kehle zuschnürt.
„Na aber sicher, im Leben nicht würde ich sie in mein Bett lassen", sage ich automatisch und komme mir im selben Moment wie der grösste Arsch auf der Welt vor. Na bravo!
Emily senkt den Blick und rappelt sich auf, murmelt Mr Thomas eine Entschuldigung zu und rennt davon. Ich habe ein schlechtes Gewissen, doch ich lache mit den anderen mit.
Was kann ich schon anderes tun?
Wir werden dazu verdonnert eine Extrameile zu rennen und als niemand hinsieht, entferne ich mich von den anderen und mache mich auf die Suche nach Emily. Ich finde sie nicht weit vom Sportplatz entfernt. Sie steht mit hängendem Kopf und bebenden Schultern mit dem Rücken zu mir und weint sich wahrscheinlich die Augen aus dem Kopf.
Was mir leid tut, doch ich bin wie gelähmt, kann mich nicht bewegen. Geschweige denn etwas sagen. Als sie sich umdreht zucke ich zusammen und sie erschrickt ebenfalls. Ihre Augen weiten sich und auf ihrem ebenmässigen Gesicht kann ich die Verzweiflung und die Demütigung erkennen, die sie wegen mir und den anderen erleiden musste. Doch als sie mich erkennt, ändert sich schlagartig ihr Ausdruck und sie verzieht ihre Augen zu schlitzen. So wütend habe ich sie noch nie erlebt.
„Was willst du hier, Dean?", zischt sie und wischt sich mit dem Handrücken über die Augen. Sie trägt kein Make-up und auch keine Mascara- was sie auch gar nicht braucht- sie ist so wunderschön. So natürlich und echt. Doch das kann ich ihr nicht sagen, nicht jetzt und auch sonst nicht.
„Ich wollte mich für das vorhin entschuldigen", sage ich, doch sie lässt mich nicht weiter reden.
„Verpiss dich, Dean! Spar dir deine Entschuldigungen, weil du sie sowieso nicht ernst meinst. Geh!", brüllt sie mich an und ballt ihre kleinen Händen zu Fäusten. So ausser sich wie sie jetzt gerade ist, bin ich mir nicht sicher, ob sie sie nicht doch zum Einsatz bringen würde, wenn sie könnte. Doch ich weiche nicht zurück, auch wenn sie mich noch immer ansieht, als wäre ich die Ausgeburt der Hölle. Und vielleicht bin ich auch das.
„Es tut mir wirklich leid, aber ich ...", wieder lässt sie mich nicht zu Ende reden, sondern fällt mir ins Wort.
„Hau ab! Verpiss dich Dean!" Unweigerlich schrecke ich zurück, denn Emily stürmt auf mich zu, ihr tränennasses Gesicht wird von weiteren heimgesucht. Dicke Tränen fliessen über ihre Wangen, die sie schnell wegwischt, doch ohne den anderen Einhalt zu gebieten.
„Hörst du schlecht? Ich hab gesagt du sollst dich verpissen!", zischt sie weiter und schubst mich. Ihre Hände liegen gespreizt auf meiner Brust und die Kraft mit der sie mich von sich stösst, lässt mich einige Schritte nach hinten taumeln. Ich bin sprachlos und in meinem Innern macht sich eine riesige Kluft bemerkbar. Ich laufe Gefahr hineinzufallen und nie wieder einen Weg nach draussen zu finden. Das muss ich verhindern, ich muss es einfach.
„Geh!", wispert sie und lässt mich los. Ich öffne den Mund, will etwas sagen, doch ich schliesse ihn wieder, drehe mich um und setze zum Gehen an. Doch ich komme keine drei Schritte weit, als sie mir etwas nachruft, dass mich noch mehr entsetzt als ihr Ausraster.
„Ja, geh nur! Du Feigling! Das ist das einzige was du kannst. Drohungen ausstossen und sich dann verpissen", zischt sie. Ich bleibe wie angewurzelt stehen, balle meine Hände zu Fäusten und versuche mich zu beherrschen. Doch das ist angesichts ihrer Worte kaum machbar. Die Wut brodelt nicht nur unter meiner Haut, nein, sie hat es geschafft, dass sie überkocht. Das hätte sie nicht tun sollen. Ich drehe mich um und stürme auf sie zu, Emilys Augen sich auf mich gerichtet. Gross und so blau wie der verdammte Ozean, den ich noch nie gesehen habe.
„Scheiss drauf!", knurre ich, umschliesse ihr Gesicht mit beiden Händen. Ihre Augen flattern, ich spüre wie ihr Herz schneller schlägt, höre es als wäre es eine Playlist die auf endlos gestellt ist. Es schlägt schnell. Es schlägt kräftig. Und es schlägt nur für mich. Ihre Lider schliessen sich, ihre Lippen beben, ihr Atem geht stossweise- genau wie meiner. Sie weiss was ich vorhabe und sie will es ebenso sehr wie ich.
Doch kann ich es?
Kann ich sie küssen und alle Warnungen zum Trotz der sein, der sie verdient und der ich sein will?
Ich weiss es nicht. Ja. Nein. Vielleicht. Das ist alles so beschissen, dass ich bereit bin das alles über Bord zu werfen und sie endlich zu küssen. Denn das ist das was ich will, in meinen Träumen, in jeder verfickten Stunde die wir zusammen verbringen und genau in diesem Moment.
Ich will Emily Hale küssen, will sie brandmarken und mir einverleiben. Ich will all das und noch so vieles mehr. Doch dann flüstert sie meinen Namen. Leise und heiser dringt ihre Stimme in mein Bewusstsein.
„Dean", ein Drängen und ein Flehen sie endlich zu küssen. Ich bin ihren Lippen so verdammt nahe, ich kann ihren warmen und süsslichen Atem riechen. Wieso riecht sie so gut? Ich weiss es nicht. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen, ist gewillt den ersten Schritt zu tun, doch das kann ich nicht.
„Nein." Es klingt nicht mehr als ein leiseres Krächzen. Ich räuspere mich.
„Nein", wiederhole ich und dieses Mal fester. Ich sehe zu wie ihre Hoffnung zerplatzt fast so wie eine beschissene Seifenblase. Emily öffnet die Augen, Sehnsucht und Schmerz kann ich in ihnen lesen und es zerreisst mir fast das Herz mit an sehen zu müssen, wie ich ihr wieder wehtue. Doch es ist das Beste für uns alle. Klar, red' dir bloss diesen Scheiss ein.
„Ich kann nicht Em. Du weißt doch, ich bin nicht gut für dich", sage ich bedächtig und streichle mit dem Daumen über ihre Unterlippe. Sie fühlt sich zart an, verdammt weich und voll. Gibt es überhaupt so volle und perfekt geschwungene Lippen? Herzförmig. Symmetrisch und einfach nur perfekt. Ich sollte gehen, sie loslassen in mehr als nur einer Hinsicht. Doch ich kann nicht, will nicht.
„Wieso küsst du mich nicht einfach, Dean?", flüstert sie und lehnt ihre Stirn gegen die meine. Ich atme dieselbe Luft wie sie, was eine berauschende Wirkung auf mich hat. Mein Gehirn fühlt sich völlig benebelt an, fast so als käme nicht genügend Sauerstoff zu meinen grauen Zellen. Doch mein Herz pumpt gerade so heftig, als würde ich an einem Triathlon teilnehmen.
„Ich spüre doch, dass du es auch willst. Da ist etwas, etwas Starkes, Mächtiges, Gefährliches", das letzte Wort flüstert sie heiser und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Denn das Gefährliche bin ich und das muss sie einfach akzeptieren. Doch das wird sie nicht, wenn ich ihr zeige was ich wirklich für sie empfinde. Also treffe ich eine Entscheidung, auch wenn sie mir sehr, sehr schwer fällt.
„Aber da ist nichts, Emily. Nichts was uns verbindet. Du bist bloss ein Mädchen das mir den Kopf verdreht, wieso auch immer und von der ich nichts will. Kein Kuss. Kein Fick. Nichts!", schleudere ich ihr ins Gesicht und könnte mir die Zunge abbeissen. Aber es muss sein, um sie zu schützen muss ich sie verletzten. So ist es nun mal. Beschissen, einfach nur total beschissen.
„Nein. Du lügst, du lügst Dean", haucht sie und will mich küssen, stellt sich erneut auf die Zehenspitzen, schliesst die Augen und spitzt die Lippen. Doch ich nehme die Hände von ihrem Gesicht, weiche nach hinten aus und bringe somit etwas Abstand zwischen uns. Sie sieht mich an, so unglaublich verletzt, dass es mir die Kehle zuschnürt. Ich bin ein totaler Arsch!
„Nein, ich lüge nicht. Und jetzt hör auf mich küssen zu wollen und reiss dich zusammen. Ist ja nicht mit anzusehen wie du dich hier anstellst, als hättest du es nötig endlich geküsst zu werden", feixe ich und komme mir noch schäbiger vor. Doch ich tue das Richtige, das rede ich mir zumindest ein. Emilys wunderschöne Lippen beben, ihr Körper zittert heftig und in ihren ozeanblauen Augen schimmern wieder Tränen. Die ich verursacht habe, wie scheisse sich das anfühlt.
„Geh, Dean. Lass mich in Ruhe", sagt sie leise und klingt gebrochen. Dieses Mal gehe ich wirklich und lasse sie alleine. Ich muss mich von ihr fernhalten, ein für alle Mal.
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Was denkt ihr? Ist Dean wirklich ein Arsch?
eure Amanda
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