»6« Eine eher negative Gefühlsregung
K A T R I N A
Drei...
Vier...
Fünf...
Sechs...
Still zähle ich die Sekunden im Kopf, seit Leroy losgefahren ist.
Jetzt sind es volle zehn Minuten seit wir losgefahren sind. Ich schaue aus dem Fenster und versuche mir zu merken, wo wir hinfahren. Doch es bringt mir nichts. Ich würde den Weg nicht so leicht zurück finden, da die Straßen mir vollkommen fremd sind und ich hier kaum Menschen sehe. Ich hoffe, das Zählen der Sekunden wird mir helfen, um am Ende wissen zu können, wie weit diese Lagerhalle von dem Ort entfernt ist, an dem er nun fährt.
Wohin geht es überhaupt?
Doch fragen werde ich nun sicher nicht. Auch weil ich es wegen des Klebestreifens auf meinen Lippen nicht kann, doch vor allem, weil mein Gefühl mir sagt, dass er mir ohnehin nicht antworten würde.
Ich verziehe bei dem Versuch zu schlucken das Gesicht. Mein Mund ist so trocken, dass das Schlucken bereits weh tut. Ich habe solch einen Durst. Wann habe ich zuletzt eigentlich getrunken? Wie lange war ich bewusstlos und wie lange in diesem Raum, während der Bedenkzeit? Diese Ungewissheit schürt die Panik an. Ein flaues Gefühl macht sich in meinem Bauch breit, wie als würde eine Klaue nach meinem Magen greifen und diesen zerquetschen. Wie viele Tage sind überhaupt vergangen, seit der Kerl mich entführt hat? Es war Mitternacht. Als ich wach wurde, konnte ich die Lichtstrahlen einer aufgehenden oder untergehenden Sonne sehen. Der Gedanke, dass es vielleicht nur die aufgehende Sonne war, beruhigt mich ein wenig. Belassen wir es dabei. Es sind sicher nur einige Stunden vergangen und deshalb ist die Sonne auch aufgegangen und nicht wieder untergegangen, denn das würde bedeuten, dass ich mehrere Stunden bewusstlos war.
Nein. Es sind ganz sicher nur wenige Stunden vergangen. In der Früh wurde ich wach, mir wurde gesagt, dass ich mich entscheiden muss und man ließ mich sehr lange wieder allein. Jetzt dämmert es bereits. Also sind bald erst vierundzwanzig Stunden vergangen.
Dennoch sehr viele Stunden...
Ich brauche Wasser. Oder sonst etwas zu trinken, aber ich muss jetzt etwas trinken, sonst hyperventiliere ich noch.
Mein Blick fällt auf ihn.
Konzentriert fokussieren sich die tiefen, kühlen Augen auf die Straße, sehen nicht ein einziges Mal zu mir. Eine Strähne seines Haars hat sich gelöst und fällt ihm in die Stirn, doch er macht sich nicht die Mühe diese wegzustreichen. Ich räuspere mich leise, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Nichts. Er blinzelt nicht einmal.
Gott, ich brauche jetzt etwas zu trinken!
Also wimmere ich. Mehr als dumpfe Geräusche von mir zu geben, kann ich nicht. Und es klappt. Zum ersten Mal schaut Leroy vom Spiegel aus zu mir. Verzweifelt hebe ich die Brauen und schiele auf meinen Mund.
Hoffentlich versteht er, was ich meine.
Doch er wirft mir bloß einen ausdrucksleeren Blick zu, ehe er wieder auf die Straße sieht. Wenn ich könnte, würde ich nun empört schnauben. Also versuche ich es ein weiteres Mal, vielleicht versteht er ja gar nicht, was ich ihn wissen lassen will. Doch auch als ich mich beim nächsten Mal räuspere, sieht er mich nicht an, was mich innerlich verärgert knurren lässt.
Mir wird warm vor Schamgefühl, als ich - statt mich wieder zu räuspern - stöhne. Und dann folgt ein dumpfes brüllen tief aus meiner Brust, was mich selbst erschreckt.
Du meine Güte, was sind das für Geräusche, die aus meinem Mund kommen?
Leroy lenkt nach rechts und hält den Wagen an.
„Du klingst wie ein Walross." Ich kann durch seinen Ton nicht einschätzen, was er denkt. Weder klingt er genervt, noch wirklich wütend und doch liegt kein Funke Freundlichkeit in seinen Augen, als er sich zu mir umdreht. Schluckend hebe ich mein Kinn und versuche ihm somit klar zu machen, dass er den Streifen abziehen soll.
Und das tut er auch. Ziemlich grob, wenn man mich fragt.
„Verdammt", hauche ich und würde mir am liebsten mit der Hand über meinen Mund streichen, doch ich lasse es sein. Hätte ich vor einigen Tagen meinen kleinen Frauenbart entfernt, so hätte es sicher nicht so sehr gezogen.
Erwartungsvoll sieht Leroy mich an.
„Nun... Ich habe wirklich Durst", beginne ich leise. Sein Blick ist so verdammt intensiv, dass ich nur mühevoll ein Wort über die Lippen bringe.
„Und dafür hast du mich jetzt anhalten lassen?", fragt er mich, nachdem er mich lange angesehen hat. Seine Stimme klingt noch rauer und um einiges finsterer, wenn er leiser spricht. Schluckend sehe ich ihm von einem Auge ins andere. Hat er das jetzt wirklich gesagt?
„Ich habe schon seit mehreren Stunden nichts getrunken. Ich brauche jetzt wirklich etwas zu trinken", erwidere ich so fest wie nur möglich, auch wenn ich ihm dabei nicht in die Augen sehe. Diese verunsichern mich nämlich nur. Naja, trotzdem klinge ich schwach, aber vielleicht wecke ich nur so sein Mitgefühl. Er hat mich nämlich entführt, obwohl ich nichts verbrochen habe. Ich bin unschuldig und habe es nicht verdient, dass man mich wie einen Verräter der Mafia behandelt.
Die behandelt man sicher schlimmer, Rina...
Leise atme ich aus und hebe wieder den Kopf, um ihn doch noch in die Augen zu sehen. Diese Stille verunsichert mich.
„Es interessiert mich nicht", entgegnet er plötzlich, bevor er mir den Klebestreifen wieder auf die Lippen presst und sich dann von mir abwendet. Fassungslos blinzle ich ihn an.
Was zum Teufel?
Es interessiert ihn nicht? Wie... Was...
Abermals schluckend wende ich den Blick ab und sehe aus dem Fenster. Meine Augen füllen sich langsam mit Tränen, die ich jedoch zu unterdrücken versuche. Wie kann man nur so unfreundlich antworten? Womit habe ich all das überhaupt verdient? Schlimm genug, dass ich entführt wurde, jetzt bekomme ich auch nichts zu trinken? Und dann wahrscheinlich auch nichts zu essen.
Zeitgleich bei dem Gedanken knurrt mein Magen, so laut wie ein Bär.
Ich schließe beschämt die Augen und lehne meinen Kopf an das kühle Fenster. Dabei spüre ich seinen penetranten Blick auf mir.
Das Kratzen im Hals wird durch den Klos, der sich weiter bildet und schon zu schmerzen beginnt, nur stärker.
Warum ist er so gemein?
Schwer ziehe ich die Luft durch die Nase ein. Still warte ich und versuche mich zu beruhigen, an den Hunger und den Durst nicht allzu sehr zu denken, doch plötzlich hält der Wagen kräftig an, sodass ich nach vorn geschleudert, vom Gurt jedoch wieder zurück gedrückt werde. Ich hole tief Luft und blicke aus großen Augen zu Leroy. Dieser aber hat sich bloß zu mir gedreht und blickt mich finster an. Eine Stelle an seinem Kiefer zuckt.
„Au", zische ich, als er mir wieder den Streifen abzieht.
Dann kommt plötzlich eine Wasserflasche zum Vorschein. Seine rechte Hand packt mich am Nacken und zieht mich verdammt nah an sich ran, woraufhin sich der Anschnallgurt unangenehm in mein Bauch bohrt. Bevor ich etwas sagen kann, drückt er mir die Öffnung der Wasserflasche fest gegen die Lippen.
Das Wasser fließt mir die Kehle runter und bei dem Versuch zu schlucken, verschlucke ich mich. Wild huste ich auf, doch Leroy hat nicht die Absicht mir die Wasserflasche vom Mund zu nehmen. Stark drehe ich meinen Kopf auf die andere Seite und entkomme somit der Flasche. Röchelnd hole ich tief Luft und muss husten.
Oh Gott, ich bekomme kaum Luft!
Ich huste und huste. Als ich mich nach einer Weile langsam beruhige, beiße ich mir auf die Unterlippe um einen lauten Schluchzer zu unterdrücken. Fest kneife ich die Augen zusammen, doch es ist zwecklos.
„Hier hast du zu trinken", höre ich ihn leise schnauben.
Ich drehe den Kopf weg, will ihn nicht länger ansehen müssen.
Aus dem Augenwinkel erkenne ich, wie er sich wieder umdreht und sodann losfährt. So grob geht er mit mir um, nur weil ich etwas trinken wollte? Wie würde er denn reagieren, wenn ich mal wirklich ein Verbrechen begehe und etwas ganz, ganz schlimmes tue?
Er würde mich töten.
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„Wir sind da", durchbricht seine eiserne Stimme meinen leichten Schlaf.
Bevor ich überhaupt realisieren kann, dass Leroy scheinbar schon ausgestiegen ist und an meiner Seite steht, hat er mich schon abgeschnallt und wie ein Sack Kartoffeln über seine Schulter geworfen. Seine Hand liegt gefährlich nah an meinem Hintern, weswegen ich scharf die Luft einziehe. Langsam hebe ich vorsichtig den Kopf und sehe ein riesiges Tor mit goldenen Verzierungen, welches sich wie von Zauberhand wieder schließt, sobald wir passieren. Davor stehen etwa vier Männer in schwarzen Anzügen, mit seriösen, dunklen Brillen und Headsets in den Ohren. Ihre Bewegungen wirken angespannt und alarmbereit, genauso wie ihr ganzer Körper eine übertriebene, militärische Straffheit verströmt.
Diese Männer sehen verdammt gefährlich aus. Das sind sie natürlich auch. Denn sie arbeiten für Leroy Kingston. Den Mafiaboss.
Ich muss schlucken. Mir wird mal wieder klar, wo ich mich eigentlich befinde. Und dass ich doch tatsächlich weder darauf geachtet habe, wo wir hinfahren, noch die Sekunden gezählt. Verdammt! Wie werde ich nur zurückfinden, wenn ich in den nächsten Tagen fliehe?
Egal. Darum kümmerst du dich, wenn es soweit ist.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als ich plötzlich abgesetzt werde. Eine Couch? In seinem Haus?
Ich richte mich auf und sehe mich kurz um. Wir befinden uns in einem Wohnzimmer. Ein wirklich sehr schönes, modernes Wohnzimmer. Die sandfarbenen Wände sind mit mondänen Porträts geschmückt, welche ich mir jedoch nicht näher ansehe, da meine Augen hastig, jedoch interessiert umher huschen. Ich spüre die Fußbodenheizung unter meinen Füßen, sobald meine Zehen sich langsam absetzen. Wow, denke ich mir, als ich zu meinen Füßen sehe. Der glänzende Parkettboden besteht aus Fischgrätenmuster und sorgt für Eleganz. Aus den großen französischen Massivholzfenstern im gesamten Haus sieht man jedoch nur einen weiten Garten, welcher von hohen Mauern umzingelt ist. Irgendwie... bitter.
Warme Finger reißen mich aus meiner Beobachtung und lassen mich verschreckt zusammenzucken. Leroy löst meine Fesseln und ich entspanne mich langsam. Erleichtert schließe ich kurz die Augen und kreise die Schultern, ehe mir ein kleiner Seufzer über die Lippen kommt.
„Was passiert jetzt?", traue ich mich zu fragen.
Leroy blickt auf mich herab, sobald er wieder vor mir steht. Lange und stumm. Er ist wirklich schön. Schon damals in der Schulzeit war er sehr attraktiv, doch er war ebenso viel älter als ich. Vier ganze Stufen war ich unter ihm. Damals hat er so oft gelächelt... Gut, es war mehr ein Grinsen, bei dem er wusste, dass die Mädchen schwach werden, aber dennoch. Er hat fröhlicher ausgesehen.
Jetzt wirkt er so kalt und gefühllos.
Wer hätte schon gedacht, dass er der Mafiaboss ist? Niemals habe ich damit gerechnet, dass es jemand ist, der mir bekannt ist.
„Ich habe eine Köchin und auch eine Haushälterin. Ich habe einen Handwerker, aber damit würdest du ohnehin nicht klarkommen", beginnt er. Ich runzle zunächst verwirrt die Stirn und kann bei seinem letzten Satz nur die Lippen zusammenpressen. Es stimmt, ich bin nicht handwerklich begabt, doch er sagt es nicht, weil ich so aussehe, als könnte es so sein sondern eindeutig, weil ich eine Frau bin.
Dann seufzt er.
„Du bist sowas von unnötig."
„Ich habe nicht darum gebeten, mich zu entführen", erwidere ich kleinlaut. Am liebsten würde ich verärgert schnauben, doch die Angst war schon immer stärker als der Mut in mir, also halte ich die Klappe.
Kurz flackert etwas in seinen Augen auf, doch es verschwindet genauso schnell wie es auch gekommen ist.
„Du kannst dich um meine Hunde kümmern", entgegnet er nach einer kleinen Weile, in der er scheinbar überlegt hat und diesmal funkeln seine Augen sogar amüsiert, während ich meine nur aufreißen kann.
Seine Hunde?!
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Hallo, meine Lieben!
Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen!
Rina hatte nur Durst :/ Und Leroy reagierte wie ein Arschloch.
Wünschen wir der Armen viel Glück 🍀
Bis bald!
SevenTimes-
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