Kapitel 11 - Zweifel
„Wie geht es dir?"
„Wie soll es mir schon gehen? Ich werde in wenigen Wochen Mutter und ich habe keinen Plan, wie ich das machen soll – keinen Plan, wie man eine Mutter ist", erwiderte sie bitter und schaute weiter in die Ferne.
„Harry hat mir erzählt, was gestern passiert ist", sagte Bill nach einer Weile leise. „Nur mir", fügte er hinzu.
~
Es war ein Tag, wie jeder andere auch. Es war Anfang September, was bedeutet, dass die Geburt von Harrys und Ginnys Baby mit jedem Tag nun näher rückte. Eigentlich hätte das Freude in Ginny wecken sollen. Eigentlich.
„Hey Gin", begrüßte Harry seine Frau als er am Freitag von der Arbeit kam. Er hatte sie im Babyzimmer gefunden, was sie vor einigen Wochen mit der Hilfe von der ganzen Familie fertiggestellt hatten. Sie saß zwischen Stramplern, Windeln, kleinen Mützchen und Söckchen auf dem Boden und starrte, ohne etwas zu sagen durch den Raum.
„Gin?", fragte Harry vorsichtig. „Ginny?"
Endlich blickte sie zu ihm auf. „Ich kann das nicht Harry!", sagte sie ausdruckslos, während ihre Augen glänzten.
Er zog die Augenbrauen zusammen. „Was, Gin? Was kannst du nicht?", hakte er nach und setzte sich vorsichtig neben sie auf eine freie Stelle, die er zwischen den ganzen Babysachen gefunden hatte.
„Das alles hier! Ich weiß nicht, wie man eine Mutter ist! Ich- ich weiß weder wie man ein Baby wickelt noch wie man stillt. Ich kann die verschiedenen Schreiarten eines Babys nicht auseinanderhalten und wie man ein Baby am besten hält. Woher weiß ich, ob ich genug Sachen für es habe? Woher weiß ich wann es Hunger hat und nicht einfach nur gewickelt werden möchte? Wie-"
„Hey Gin, sieh mich an", unterbrach Harry sie und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. Tränen liefen aus ihren Augen hinab über seine Hände.
„Harry, es fühlt sich alles wie ein riesengroßer Fehler an! Wir hätten niemals so unverantwortlich sein dürfen. Wir haben ein Baby gemacht, ein- ein kleines unschuldiges Wesen. Und- und es ist noch nicht mal auf der Welt und ich habe schon das Gefühl zu versagen. Wir hätten niemals so unverantwortlich sein dürfen!" Ihr ganzer Körper bebte, während ihr immer mehr Tränen über die Wangen und über Harrys Hände liefen.
„Ginny-", fing Harry an und versuchte so ruhig wie möglich zu klingen.
Doch sie schüttelte den Kopf. „Nein Harry, es gibt keine Worte, die du sagen könntest, um mir ein besseres Gefühl zu geben! Ich- ich habe davon schon genug gehört. Dass ich toll als Mutter sein werde, weil Molly Weasley meine Mutter ist und sie eine so tolle Mutter ist. Ich wurde ja regelrecht dazu geboren eine Mutter sein!", schluchzte sie und Harry erkannte die Ironie in ihrer Stimme. „Dabei vergessen alle, dass ich erst zweiundzwanzig geworden bin! Ich bin zweiundzwanzig verdammte Scheiße! Und ja, meine Mum hat noch früher Kinder bekommen, aber sie hat sich dafür entschieden. Sie wollte so früh Mutter sein!" Ein weiterer Schluchzer durchfuhr ihren ganzen Körper und vermischte sich mit Zittern. Ihr ganzer Körper bebte als Harry sie in den Arm nahm und ihr über den Kopf strich.
Es brachte nichts zu sagen, dass alles gut werden würde. Dass es vielleicht nur die Hormone waren, die aus ihr sprachen. Es brachte auch nichts verletzt darüber zu sein, dass sie die Entscheidung sich für das Kind entschieden zu haben im Moment bereute. Ihm ging es oft nicht anders, musste er sich zugestehen. Auch wenn er nicht die Entscheidung bereute, fragte er sich, ob sie sich wirklich richtig entschieden hatten.
„Ich kann das nicht, Harry! Ich kann das nicht!", sagte Ginny erneut zwischen Schluchzern.
Kurzerhand schlang er einen Arm unter ihre Kniekehlen und den anderen um ihren Oberkörper und hob sie hoch. Auch schwanger konnte er Ginny noch einfach tragen, da sie ziemlich klein war und sie durch das Training, was sie bis vor einer Woche noch durchgeführt hatte, nicht sonderlich viel in der Schwangerschaft zugenommen hatte.
Langsam ging er in ihr Schlafzimmer und legte sie behutsam auf dem Bett ab, ehe er nach seinem Zauberstab griff. Er verschickte einen Patronus und legte sich dann neben Ginny und drückte sie an sich.
„Ich kann das nicht", erwiderte sie nochmal schluchzend.
„Shhh", sagte Harry leise und strich ihr über das Haar. Er hoffte, dass sie seine Verzweiflung nicht spüren konnte, doch er bezweifelte, dass sie in dem Moment auch nur irgendwas um sich herum wahrnahm.
„Ginny? Harry?", hörte er ein paar Minuten später die Stimme von seiner Schweigermutter, ehe sie kurze Zeit darauf das Schlafzimmer betrat. „Ginny Schätzchen, was ist los?", fragte sie schockiert als sie ihre Tochter schluchzend an Harry geklammert vorfand.
Ginny blickte kurz mit verquollenen Augen zu ihrer Mutter auf. „Ich kann das nicht, Mum! Ich kann keine Mutter werden!"
„Oh Schätzchen", sagte Molly mitfühlend und ging um das Bett herum, um sich auf Ginnys Seite vom Bett zu setzen.
Als sie die Hand ihrer Mutter auf ihrem Rücken spürte, kamen ihr noch mehr Tränen hoch und ihr Körper fing wieder an unkontrolliert zu beben.
„Atme, Gin", sagte Harry leise. „Du musst atmen."
Molly stand wieder vom Bett auf und verschwand kurze Zeit in das Badezimmer der Potters. Kurze Zeit später kam sie mit einem Trank wieder und setzte ihn an Ginnys Lippen. „Trink das, Schätzchen."
Ginny tat wie ihr befohlen und kurze Zeit später entspannte sich ihr Körper und sie glitt in einen traumlosen Schlaf.
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Sie schnaubte. „Warum hat er es ausgerechnet dir erzählt?"
„Weil ich der Einzige von deinen Brüdern bin, der selbst Kinder hat", erwiderte Bill.
„Und wie sollst du mir in irgendeiner Weise helfen?", fragte Ginny und besaß endlich die Güte ihren ältesten Bruder anzuschauen. „Soweit ich weiß, bist du ein Mann. Und Fleur ist nicht ungeplant mit einundzwanzig schwanger geworden."
„Das heißt aber nicht, dass ich keine Zweifel hatte", gab er zurück. „Aber du hast recht. Niemand weiß, wie du dich fühlst. Und niemand hat das recht zu behaupten, dass man weiß, wie du dich fühlst. Das wird aus unserer Familie wahrscheinlich niemand wissen können. Aber wir wollen dir alle helfen."
Ginny schnaubte erneut und ließ ihre Hand über ihren Bauch wandern. „Mir ist nicht mehr zu helfen."
Bill ignorierte ihren Kommentar. „Es ist völlig in Ordnung, dass du dich so fühlst, aber das sollte nicht deine ganze Aufmerksamkeit rauben. Ich bin fest davon überzeugt, dass du eine gute Mutter wirst, auch wenn du jetzt der Meinung bist, dass du überhaupt keinen Plan hast. Viel kommt intuitiv, wenn das Baby auf der Welt ist. Und viel kannst du gar nicht falsch machen, wenn du dem Baby einfach das gibst, was es am meisten braucht: Liebe." Er lächelte. „Und davon wird es wahrscheinlich von dir und Harry genug bekommen."
Er machte eine kurze Pause. „Wir sind eine Familie, Ginny. Wir sind für dich da, egal was ist, du musst das nicht alles alleine machen. Du hast Harry, der alles dafür tun würde, dass du glücklich bist und, dass es dir gut geht. Du hast Mum, die bei euch einziehen würde, um euch unter die Arme zu greifen. Und du hast uns anderen, die vielleicht außer Dad, Fleur und ich nicht viel Ahnung von Babys haben, aber trotzdem sind wir alle für euch da."
Ginny schaute ihren Bruder wieder an. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. „Versprochen?"
„Versprochen!"
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„Wie geht es dir, Harry?", fragte Arthur und trat neben Harry, der vom Küchenfenster aus die Unterhaltung zwischen Bill und Ginny beobachtete. „Molly hat mir von gestern erzählt."
Harry zuckte mit den Schultern. „Besser als Ginny. Aber ich glaube es wird alles erst wieder hundertprozentig gut, wenn das Baby da ist und Ginny nicht mehr diese Zweifel hat."
Arthur legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wenn du jemanden zum Reden brauchst, Sohn, ich habe immer ein offenes Ohr für dich."
Harry blickte seinen Schwiegervater an und lächelte. „Danke Arthur!"
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„Ist das normal?", fragte Harry seine Schwiegermutter mit Tränen in den Augen als beide das Schlafzimmer verlassen hatten.
Mitfühlend schaute Molly ihn an. „Ich hatte auch Zweifel und das ist auch völlig normal, aber so schlimm wie bei Ginny habe ich es noch nie erlebt."
„Ich fühle mich so hilflos", gab Harry mit erstickter Stimme zu, woraufhin Molly ihren Schwiegersohn in den Arm nahm. Er fühlte sich geborgen in dieser Umarmung, obwohl Molly, wie Ginny, einen Kopf kleiner war als er.
„Sie hatte eine Panikattacke. Niemand hätte ihr da wirklich helfen können", sagte sie und löste sich von ihm. „Es wird besser werden, Harry. Und ihr werdet das durchstehen. Zusammen."
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