10. Kapitel | Bleeding Out
Die Unterrichtsstunden vergingen quälend langsam, kaum eine Stunde war besonders spannend. Ich interessierte mich nicht sonderlich für all die Stunden. Schon immer war ich nicht gerade der fleißigste Lerner in der Schule gewesen, beschränkte mich auf Fächer, die mir Spaß machten und die ich irgendwann noch brauchen würde.
Gerade als ich dabei war meinen Radiergummi in kleinste Teilchen mithilfe meines Lineales zu schneiden, klopfte es an die Tür.
Als diese sich kurz daraufhin öffnete, trat ein älterer Herr den Raum. Seine Haare waren weiß, sein etwas stärker gebauter Körper steckte in einem viel zu engem Anzug, welcher aussah, als würde er jeden Moment platzen.
Etwas amüsiert musste ich grinsen.
Am Tag zuvor hatte mich der Mann, welcher das Internat leitete, schon in seinem pingelig sauberen Büro empfangen, mir die scheinbar äußerst wichtigen Schulregeln erklärt, an die sich anscheinend eh niemand hielt.
Dabei war mir aufgefallen, dass der Direktor wohl eine Schwäche für ausgefallene Krawatten haben musste – an diesem Tag trug er nämlich eine rosa-blau gestreifte Krawatte mit pinken Punkten.
Leise musste ich kichern.
Die heutige Krawatte konnte sich nämlich auch sehen lassen; Waldgrün gefärbter Stoff, bedruckt mit orangenen Kringeln.
Sein Stil war ziemlich...eigen.
Die Stimme des Direktors, die eher mehr einem Streifenhörnchen ähnelte als einem Menschen, riss mich aus meinen Gedanken.
„Jay Reynolds, kommen Sie bitte mit in mein Büro. Ich darf mir Ihren Schüler doch sicher für einige Minuten ausborgen, oder?"
Der Direktor hatte sich an den Mathelehrer gewandt, welcher freundlich lächelte und nickte.
„Natürlich, Mister Willams", meinte der Mann zu ihm, nickte ihm zu.
Dann wandte er sich wieder der Tafel zu, begann elend lange Gleichungen aufzuschreiben, die mehr Ähnlichkeit mit Hieroglyphen hatten.
Leise stöhnte ich auf, sah noch zu, wie Jay sich erhob und dem Mann folgte.
Vielleicht traute Jay sich jetzt endlich mit dem Direktor zu reden?
Jay brauchte nämlich dringend Hilfe...
Ich seufzte auf, begann die Gleichung in mein Heft zu übertragen, doch schon nach weniger als der Hälfte drifteten meine Gedanken wieder ab.
Jay...
Es dauerte lange, bis Jay wieder zurückkam, sich schweigend auf seinen Platz zurücksetzte. Die Chemiestunde hatte mittlerweile angefangen, und alles wies daraufhin, dass diese letzte Stunde des Tages alles in Sachen Langeweile toppen würde.
Nachdenklich beugte ich mich nach vorne, versuchte einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen. Doch dies erwies sich als unmöglich; Jay hielt seine Schultern gesenkt, seine Haare verdeckten dabei wie immer sein Gesicht.
„Jay?!"
Erst nachdem die Lehrerin den Jungen das dritte Mal gerufen hatte, sah er zu der Frau hoch. Es war meine Gelegenheit.
So erhob ich mich etwas, konnte tatsächlich sein Gesicht sehen.
Eine einzige Träne lief ihm über die Wange, welche er jedoch in diesem Moment hastig wieder wegwischte.
„Komm doch an die Tafel und schreibe die Reaktionsgleichung auf, die wir letzte Woche begonnen haben."
Ich sah, wie Jay zusammenzuckte, kurz zu zögern schien.
Jedoch erhob er sich, stand langsam auf und ging zu der Tafel.
Vorsichtig nahm der Junge eine Kreide hoch.
Dann starrte er die leere, grüne Tafel an, welche sauber von einem Schüler gelöscht worden war.
„Weißt du sie etwa nicht?", meinte die Lehrerin etwas spöttisch zu ihm, worauf dieser erneut zusammen zuckte.
Mit einem leisen Poltern – es war so still in der Klasse, dass selbst eine aufprallende Stecknadel lauter als die jetzige Ruhe gewesen wäre - ließ er die Kreide fallen, rannte aus dem Klassenzimmer.
Irritiert saß ich da, sah ihm nach.
Was sollte das denn?
Was hatte Jay vor?
Warum war er einfach so verschwunden?
Ich beschloss nach der Stunde nachzusehen.
Gesagt, getan. Sobald es klingelte, sprang ich auf und ging mit schnellen Schritten zu der Klassentür, welche ich öffnete und hindurchschlüpfte.
Nur wo sollte ich suchen?
Ich stand etwas unsicher im Flur, sah mich um.
Dann ging ich zielstrebig in mein Zimmer.
Vielleicht war er ja dort, auch wenn ich daran zweifelte.
Doch tatsächlich.
Als sich die Türe mit dem allbekannten Quietschen öffnete und ich langsam eintrat, erblickte ich ihn.
Er saß eng zusammengekauert in der dunkelsten Ecke, schluchzte leise auf.
Zögerlich kam ich ihm näher, kniete mich vor ihn hin.
„Jay...?", flüsterte ich leise, dann zog ich ihn vorsichtig in meine Arme.
Er schluchzte auf, schmiegte sich - zu meinem Erstaunen - an mich.
„Hey...was ist los, hm?", fragte ich leise, wiegte ihn sanft hin und her und strich beruhigend über seinen Rücken, so wie meine Mutter es immer bei mir tat, wenn es mir nicht gut ging.
Eine Weile sagte er nichts, ich dachte schon, dass er mir gar nicht antworten wollte, dann jedoch flüsterte er leise: „Es wird mir nur alles zu viel...nichts Schlimmes..."
Ich seufzte auf, dann zog ich ihn vorsichtig hoch, drückte ihn auf sein Bett.
„Jay. Das ist schlimm, okay? Es sollte nicht sein, ja? Hast du mit dem Direktor darüber geredet?"
Schweigend senkte der Junge sofort seine Blicke, schüttelte kurz daraufhin seinen Kopf.
Ich seufzte erneut auf.
„Ach, Jay...", flüsterte ich leise, umarmte ihn wieder.
„Er...er hält mich für einen Dieb", flüsterte der Junge in meinen Armen leise, schluchzte auf.
„Er hat mir gedroht mich anzuzeigen, wenn ich das Geld Robin nicht zurückzahle, dabei habe ich es gar nicht..."
Ich erinnerte mich nur zu gut an die Szene von gestern, wie Robin den Jungen beschuldigt hatte, fünf Euro geklaut zu haben.
„Und wieviel Geld?", fragte ich nach. Gestern waren es fünf Euro, das war nicht einmal so viel, das konnte ich ihm im Notfall auch zahlen...
„500 Euro...", hauchte Jay, dann schluchzte er erneut auf.
Erschrocken zuckte ich zusammen.
500 Euro.
Das war viel zu viel...
Ich drückte ihn fest an mich, strich sanft über seinen Rücken.
„Shh...alles wird wieder gut...wir kriegen das irgendwie hin..."
Lange saßen wir da, Jay's Schluchzen war immer leiser geworden und schließlich komplett verstummt.
Schweigend saß ich auf dem Bett, hielt ihn einfach in meinen Armen.
Ich musste einen Plan finden; Eine Lösung an Land holen.
Denn Jay...war etwas Besonders.
When the day has come
But I've lost my way around
And the seasons stop and hide beneath the ground
When the sky turns gray
And everything is screaming
I will reach inside
Just to find my heart is beating
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