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48 - Brachmond

Bei Paris, Westfränkisches Reich

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Loki sass im Schneidersitz auf dem Käfig und blickte direkt ins gleissende Licht der Sonne. Die hellen Strahlen blendeten ihn fast bis zur Blindheit, aber es war ihm einerlei. Schon als er aufgewacht war, hatte er es in der Luft gerochen. Heute würde es ein guter Tag werden und die freundlichen, warmen Strahlen auf seinem Gesicht bestätigten ihn in dieser Annahme.

„Weisst du, ich hätte nie gedacht, dass ich meinen besten Freund so verlieren würde. Ich dachte immer, wir sehen uns in Walhalla wieder."

Unter ihm regte sich Rurik im eisernen Käfig. Er sass mit nacktem Oberkörper in seinem eigenen Blut, das ihm vom Rücken rann und hatte - bis Loki ihn soeben geweckt hatte - erschöpft geschlafen. Der Käfig war nicht sonderlich gross, weshalb Rurik nur sitzend hatte dösen können. Für jemanden mit der Körpergrösse und solchen Verletzungen am Rücken eine äusserst unbequeme Angelegenheit. Aber für Loki war das schliesslich das, was ein Verräter verdient hatte. Körperliche Qualen.

„Loki? Wie lange sitzt du da schon?", brachte Rurik mit heiserer Stimme hervor.

Er hatte wieder die ganze Nacht gebrüllt und getobt, was ihm unglaublich viel Kraft gekostet haben musste. Aber er hatte den Anblick nicht ertragen können, wie Ragnar zu Aveline ins Zelt gegangen war, diesen bösartigen Ausdruck in den Augen. Loki wusste, dass sich Rurik um das Wohl dieses Mädchens sorgte.

„Eine ganze Weile schon. Habe dir beim Schlafen zugesehen. Du bist so schön wie ein Eber, wenn du pennst. Hat dir das eigentlich jemals einer gesagt? Und schnarchen tust du genauso."

Rurik schnaubte durch die Nase.

„Hat dir Ragnar befohlen, mich kurz vor meiner Hinrichtung noch zu bespassen, oder warum bist du hier?"

Loki schüttelte den Kopf und liess seine Locken wirbeln.

„Nein, hat er nicht. Wollte nur mit meinem Kumpel quatschen, bevor ich dich nie wieder sehe. Störe ich dich? Soll ich abhauen?"

Rurik versuchte, sich aufrechter hinzusetzen, aber die Bewegung musste Schmerzen verursachen, denn er stöhnte auf.

„Nein, schon gut", brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Loki beugte sich vor und blickte durch die Gitter des Käfigs zu seinem Freund herunter, den Augenkontakt suchend, aber dieser starrte nur auf seine Füsse. Geschlagen. Besiegt.

„Und? Wie fühlt es sich an im Käfig? Gefällt es dir?", fragte Loki aufrichtig neugierig.

„Nicht sonderlich."

„Der Schmied hat absichtlich die Gitterstäbe nicht so eng aneinander geschmiedet, damit die Luft besser zirkuliert. Dennoch nicht so gemütlich, was? Zum Glück musst du ja nicht mehr lange da drin sitzen. Die holen dich gleich."

Loki kicherte ab seinen eigenen Worten und richtete den Blick wieder in die Ferne. Von seiner Position aus sah er ganz gut über das grosse Zeltlager. Die weissen Zeltplanen schienen hell in der Sonne und die Schiffe, welche auf dem Fluss ankerten, wiegten sich sanft in den Wogen.

„Als liege dir mein Komfort am Herzen", sagte Rurik müde.

Von Weitem sah Loki Ragnars Prunkschiff. Er kniff die Augen zusammen, denn er meinte, etwas aufblitzen zu sehen. Dann grinste er.

„Du solltest mich nach all den Jahren doch besser kennen, Rurik. Dein Wohl lag mir schon immer am Herzen."

„Dann bist du also hier, um mich zu unterhalten", sagte Rurik und blickte hoch zu seinem Freund.

„Korrekt!", grinste Loki zurück.

Die blauen Augen der Freunde trafen sich und für einen Moment war da wieder die Sympathie und Freundschaft, die sie teilten. Diese Verbundenheit, die sie seit ihrer Kindheit gefühlt hatten, seit dem ersten Mal, als sie sich über den Weg gelaufen waren.

Loki war damals ganz alleine als Halbstarker durch Vestervig gewackelt und war auf Rurik und seinen Vater gestossen, die soeben gemeinsam einen Hirsch erlegt hatten und zur Hütte bringen wollten. So neugierig wie der Lockenkopf gewesen war, war er den beiden gefolgt und hatte Jari dabei zugesehen, wie er den Hirsch ausnahm.

Loki kicherte ab der Erinnerung. Das waren damals noch gute Zeiten gewesen, als er und Rurik beste Freunde gewesen waren und sie nichts trennen konnte. Absolut nichts. Heute war das jedoch anders. Das Band der Freundschaft war schwächer geworden und Loki gefiel das nicht.

Er merkte, wie er ganz in seine Erinnerungen abdriftete und schüttelte den Kopf, um bei der Sache zu bleiben. Den Blick richtete er wieder nach vorne in die Ferne.

„Erzähl mir, wie fühlt es sich eigentlich an, sich gegen Ragnar gestellt zu haben? Hat es was gebracht? Fühlst du dich jetzt besser?", fragte er und kicherte leise.

Rurik seufzte.

„Ich will nur noch, dass es vorbei ist."

„Ach komm. Ein bisschen solltest du das schon geniessen! Diese Anspannung, bevor alles endet!", rief Loki aus und breitete die Arme aus, wie wenn er meinte, Rurik solle doch noch seine letzten Atemzüge dafür verwenden, die Schönheit des normannischen Zeltlagers aufzunehmen und den Moment zu geniessen.

„Ich ergebe mich meinem Schicksal, Loki. Ein Leben voller Genuss und Leidenschaft habe ich geführt. Jetzt will ich dem Tod ins Antlitz blicken."

„Du lässt es zu, dass das Schicksal das mit dir macht? Den Blutadler?! Wirklich?!"

„Ich beuge mich dem Willen der Götter. Mein Leben endet vielleicht heute, aber ich lebe in den Herzen weiter, die ich zurücklasse."

Ab den Worten verdrehte Loki genervt die Augen. Die Melodramatik seines besten Freundes ging ihm mächtig auf die Nerven. Er mochte solch schnulziges Zeug nicht.

„Ist doch nicht dein Ernst", sagte er.

Loki hielt sich die Hand an die Stirn, um wieder über den Fluss blicken zu können. Unablässig starrte er zum Prunkschiff. Er stand auf, um besser sehen zu können, denn er meinte, dort etwas erkannt zu haben. Ein bösartiges Lächeln formte sich auf seinen Lippen und kräuselte seine Augenpartie.

Rurik schwieg, also sprang Loki vom Käfig und kauerte sich neben ihn hin. Er umgriff die Gitterstäbe mit seinen Händen und drückte sein Gesicht ans Eisen. Er wollte seinem besten Freund für die letzten Momente doch noch etwas näher sein. Und für das, was folgen sollte, wollte er ihm in die Augen blicken.

„Was, wenn ich dir sage, dass heute noch nicht dein Tag gekommen ist, um zu sterben? Was würdest du mir sagen?"

Rurik warf Loki einen genervten Blick zu. Er wusste, dass sein Freund ihn nur wieder veräppelte. Selbst in einer solch ernsten Situation konnte es Loki nicht verkneifen, seinen Freund zu ärgern.

„Dann würde ich dir sagen, dass du verrückt bist."

Loki kicherte ganz aufgeregt und lehnte seine Stirn an die Eisenstange. Seine blauen Augen schielten auf das rostige Gitter.

„Vielleicht bin ich das, darum werde ich ja von so vielen verachtet. Nur die Verrückten mögen mich, ist dir das eigentlich auch aufgefallen? Niemand mag mich so wirklich. Selbst die Götter fürchten sich vor mir!"

„Warum sollten sich die Götter denn vor dir fürchten?", fragte Rurik.

Ein merkwürdiges Grinsen formte sich auf Lokis Gesicht und er kramte etwas aus seiner Hosentasche hervor. Sein Blick huschte links und rechts über seine Schultern, bevor er die Hand aus der Tasche zog. Er wollte sichergehen, dass sie nicht gesehen wurden, denn das war eine Sache zwischen ihm und seinem besten Kumpel. Er drückte sein Gesicht fester an die Eisenstäbe.

„Weil ich das Schicksal in der Hand habe und nicht sie", sagte er und hielt den rostigen Gegenstand vor Ruriks Nase.

Der Schlüssel zum Käfig.

Ruriks Augen weiteten sich, als er realisierte, was Loki da in den Fingern hielt. Dann lehnte er sich vor und klammerte seine Hände an die Gitterstäbe.

„Woher hast du den?!"

Loki grinste nur noch breiter.

„Habe gestern Abend gegen Thorsten um die Wette gesoffen. Der wollte feiern und auf deine Hinrichtung anstossen. Als der dann nach fünf Bechern umgekippt ist, habe ich mir den Schlüssel gestibitzt."

„Und wo ist Thorsten jetzt?"

„Schläft seinen Rausch aus."

Rurik schüttelte ungläubig den Kopf, da hob sein Freund den Zeigefinger in die Luft.

„Bevor ich dich hier befreie, will ich aber eine Bedingung stellen."

Rurik runzelte die Stirn, denn er verstand nicht, warum sein Freund jetzt noch was von ihm verlangte. Er seufzte.

„Welche?"

„Wenn ich dich rauslasse, holst du bitte deine Heilerin. Die muss dich nämlich wieder zusammenflicken. Ragnar hat dich übel zugerichtet. Die hat es geschafft, Audgisil von den Toten zurückzuholen, also wird sie dich auch wieder herrichten können."

„Natürlich hole ich sie", sagte Rurik aber dann schien er zu überlegen.

Loki sah, wie seine Gedanken rasen mussten. Er wusste offensichtlich nicht, wie er unbemerkt durch das Zeltlager schleichen sollte, um zu Ragnars persönlicher Unterkunft zu gelangen. Loki konnte ein weiteres verrücktes Kichern nicht unterbinden. Er fand es lustig, dass er wusste, was sein Freund denken musste. Er kannte diesen Kerl einfach zu gut.

„Das ganze Lager ist voll mit Ragnars Männern. Wie in Odins Namen soll ich unentdeckt dort hin gelangen?", meinte er dann.

Loki grinste breit und drehte Rurik den Rücken zu. Er lehnte seine Schultern an die Gitterstäbe und richtete seinen Blick über die Wiese, an welcher die Zelte standen. Das Wasser des Flusses glitzerte in der Sonne.

„Ich habe für Ablenkung gesorgt", sagte er und streckte seine Hand aus, um Rurik etwas in der Ferne zu zeigen.

Sein Finger deutete zum Fluss, dort wo die Schiffe ankerten. Rurik kniff die Augen zusammen und versuchte, durch die Gitterstäbe etwas zu sehen. Seine Adleraugen mussten sich an das helle Licht, das ihm entgegen schien, erst gewöhnen, bevor er die Umrisse der Boote sehen konnte.

Dann bemerkte er es.

Der dünne Rauchfaden, der sich von Ragnars Schiff in die Lüfte hob. Kaum bemerkbar, aber nicht mehr viel Zeit musste verstreichen und der braune Strich würde sich in eine mächtige Russwolke verwandeln.

„Die Flamme des Todes hat wieder zugeschlagen. Diesmal bei Ragnar, diesem Schwein", sagte Loki und beobachtete mit seinem Freund, wie der Faden immer dicker wurde.

Allmählich waren Rufe in der Ferne zu vernehmen. Unruhe breitete sich im Zeltlager aus. Einige Männer mussten den Rauch gerochen haben und kamen panisch herangestürmt.

„Wie hast du —?", wollte Rurik fragen, aber Loki hatte schon die Antwort parat.

„Mein Schild", grinste er.

Rurik konnte es nicht unterlassen und seine Lippen ebenfalls zu einem Grinsen zu formen. 

„Wenn dein Vater jetzt wüsste, dass du sein wertvolles Leder gegen diese Kupferplatten getauscht hast, nur um Ragnars Schiff in Brand zu setzen..."

„...hätte der mir eine stolze Tracht Prügel verpasst", beendete Loki den Satz seines Freundes. „Ich weiss."

Grinsend sassen sie da und betrachteten das Spektakel, das sich langsam vor ihnen abspielte. Erste grössere Flammen züngelten bereits den grossen Mast hoch und schnappten sich das prächtige Rahsegel. Das Segel, auf das Ragnar so stolz war.

„Ohoooo!", lachte Loki, als es Feuer fing und die Rufe panischer wurden.

Die Wikinger rannten durchs Zeltlager und versuchten das Feuer zu löschen, damit es nicht auf die anderen Boote überschlug. Allerdings war das grosse Prunkschiff schon dermassen von den Flammen verschlungen, dass es allmählich auch die Schiffe entzündete, die direkt daneben ankerten.

Erst als drei weitere Boote in Flammen standen und sie sicher waren, dass niemand mehr im Zeltlager herumlungerte, öffnete Loki Ruriks Käfig. Dieser kroch mit aller Mühe heraus und raffte sich mit Hilfe seines Freundes auf die Beine. Etwas schwankend stand er auf den Füssen. Die Wunden auf seinem Rücken quälten ihn, aber Rurik biss die Zähne zusammen. Noch war es nicht vorbei. Noch musste er bei Kräften bleiben.

Gemeinsam schleppten sich die zwei Freunde durch das Zeltlager, das mittlerweile leergefegt war, denn alle hatten sich am Ufer versammelt, um zuzusehen, wie das Feuer gelöscht wurde.

„Was in Odins Namen ist hier los?!", hörten sie Ragnars Stimme von Weitem brüllen.

Sie blieben stehen und beobachteten, wie der Jarl aus seinem Zelt über den Vorplatz stolperte und dann in die Richtung der Schiffe rannte. Mittlerweile hatte also selbst der Jarl Wind von dem Drama am Fluss bekommen. Umso besser, denn nun hatten sie freie Bahn.

Loki schleppte Rurik bis zum Vorplatz und löste dann den Arm von seinen Schultern.

„Na los, hol dir dein Reh."

Rurik warf ihm einen dankenden Blick zu und schritt über Ragnars Vorplatz.

„Du wartest aber hier?"

„Ich muss Thorsten noch seinen Schlüssel zurückbringen. Aber ich komme gleich wieder. Du kannst auf mich zählen, mein Bruder. Das weisst du doch."

Rurik nickte und schleppte sich zum Eingang. Dann verschwand er hinter der weissen Zeltplane.

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Als er das kleine Bündel auf Ragnars Bett entdeckte, blieb ihm für einen kurzen Moment das Herz stehen. Die Gestalt lag unter einem grossen Bärenfell und hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt. Ein leises Wimmern war zu vernehmen. Auf dem Boden lag Avelines grünes Kleid in Fetzen. Daneben ihr eh schon arg lädiertes Untergewand. Ruriks Magen verkrampfte sich. In drei Schritten war er am Bett und beugte sich vor, um zu sehen, ob das wirklich Aveline war, die in der Pritsche lag.

Durch die gebückte Haltung verzog es die zerfetzte Haut auf seinem Rücken schmerzhaft. Er biss die Zähne zusammen.

„Aveline?", presste er hervor.

Die Gestalt rührte sich und ihre kupferbraunen Locken kamen hervor, als sie sich aufsetzte. Ihr Gesicht war tränenverschmiert, ihre Augen geschwollen. Sie zog das Fell bis zur Brust, um ihre Nacktheit darunter zu verdecken. Ihr Anblick brach ihm das Herz. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was Ragnar mit ihr angestellt hatte.

„Rurik?", krächzte sie.

In ihren bernsteinfarbenen Augen glänzte die Verwirrung. Er kletterte aufs Bett und nahm sie in die Arme. Sie war wie erstarrt und konnte gar nicht fassen, ihn hier zu sehen. Ihre Haut war kalt.

„Es tut mir so leid", murmelte er.

„Oh, du bist es wirklich!", stiess sie aus und klammerte sich an ihn.

Er zuckte zusammen, als sie mit ihren Händen über seinen offenen Rücken fuhr. Erschrocken zog sie ihre Arme zurück. An ihren Fingern glänzte sein Blut.

„Dein Rücken", sagte sie erschüttertet.

„Nicht der Rede wert", flüsterte er nur.

Sie lehnte ihre Stirn an seine Brust und atmete erleichtert auf. Mit einer zärtlichen Berührung strich er ihr über die Wangen und drückte ihr dann einen Kuss auf die Lippen. Sie schloss die Augen, während ihr noch Tränen aus den Augenwinkeln flossen. Ihr Mund schmeckte salzig.

„Was ich gesagt habe... Ich meinte das alles nicht", sagte Rurik, als sich ihre Lippen wieder voneinander lösten.

Er blickte ihr reumütig in die Augen und sie konnte nicht anders, als zu lächeln.

„Ich weiss. Schon vergessen", hauchte sie.

„Gut", flüsterte er und strich ihr die Strähnen aus dem Gesicht. „Und jetzt komm. Ich bringe dich hier raus."

Er löste er sich von der Umarmung und kletterte vom Bett. Sie rutschte an den Rand und verschränkte die Arme vor der Brust, wie wenn sie sich wegen ihrer Blösse schämte. Ihre nackte Haut schimmerte im gedämpften Licht, das durch die Zeltplanen schimmerte. Rurik musterte ihren Körper. Ausser den Würgemalen von Kjetill an ihrem Hals schien sie unverletzt zu sein. Er atmete auf, denn er hatte schon befürchtet, dass Ragnar sie foltern würde. Dass sie soweit unversehrt geblieben war, erleichterte ihn sehr.

Sein Blick schweifte durch den Innenraum des Zeltes und blieb an einem dunkelblauen Kleidungsstück hängen, das über Ragnars Stuhl hing. Er bekam es zwischen die Finger. Das war nicht das Kleid, mit welchem sie gekommen war. Das war ein anderes.

„Das Kleid hat mir Ragnar geschenkt. Er will mich zu einer seiner Huren machen. Er meinte, dieses Blau stehe mir so gut", antwortete Aveline leise.

Rurik knurrte wütend. Er erinnerte sich an die Worte des Jarls, damals, als er Aveline für sich beansprucht hatte und wie sehr es Ragnar gestört hatte, dass er diese Perle nicht für sich hatte behalten dürfen. Wenn Ragnar sie genommen hätte, wäre sie zu einer seiner Freudenmädchen verkommen. Dann wäre sie nicht zu der Frau geworden, die Rurik so sehr liebte.

„Dazu wird es nicht kommen. Zieh das an. Wir gehen", sagte er dann und reichte Aveline das Kleid.

Aveline zog sich den Stoff über den Kopf und Rurik half ihr, die Schnüre zuzuziehen. Als sie sich zu ihm drehte und ihre Haare glatt strich, trafen seine Augen auf ihre. Eine unangenehme Frage brannte auf seinen Lippen und er traute sich kaum, sie zu stellen. Er nahm ihre Hand in seine und strich ihr mit dem Daumen über den Handrücken.

„Hat er...?", fragte Rurik, aber er konnte den Rest des Satzes nicht bilden, zu sehr quälte ihn die alleinige Vorstellung davon, was Ragnar gemacht haben könnte.

Er wusste, dass es nicht der Moment war, so etwas zu fragen, aber er musste es wissen. Er musste es wissen, denn er konnte nicht mit dem Gedanken vom Wikingerlager fliehen, dass Ragnar sich an ihr vergangen hatte. Dass er ihr Unbeschreibliches angetan hatte. Wenn dem so wäre, dann würde er dem Kerl hinterherjagen und ihm mit baren Händen den Kopf vom Leib reissen.

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein. Er wollte erst nach deiner Hinrichtung damit anfangen", hauchte sie und blickte zu Boden.

Die Erleichterung breitete sich in seiner Brust aus. Er war so froh zu hören, dass sie nicht auch das noch hatte durchmachen müssen. Rurik drückte ihre Hand fester, um ihr die Sicherheit zu geben, die sie suchte.

„Das wird er nicht mehr können. Versprochen."

Er schritt zum Ausgang und wollte die Zeltplane aufschlagen, da hielt sie ihn aber noch zurück. Sie zögerte.

„Wie kommen wir hier raus?", fragte sie unsicher.

„Loki hat für Ablenkung gesorgt."

Ihre Augen weiteten sich, wie wenn ihr diese Antwort nicht gefiel. Loki, der sich die letzten Stunden alles andere als freundschaftlich verhalten hatte.

„Loki?! Bist du dir sicher, dass er —"

„Er hat mich aus dem Käfig gelassen. Meinem besten Freund vertraue ich blind. Er wird uns hier rausbringen", unterbrach sie Rurik.

Aveline blickte ihn zögernd an. Sie musste anderer Meinung sein, dies verriet ihr skeptischer Gesichtsausdruck. Aber Rurik wusste, dass er sich auf seinen besten Freund verlassen konnte. Der hatte ihm schon immer den Rücken gestärkt.

Er zog sie zu sich und legte seinen Arm um sie.

„Komm. Wir müssen gehen."

Sie schloss die Augen, wie wenn sie sich selbst überwinden musste, aus dem Zelt zu treten, aber dann schenkte sie ihm ein Lächeln. Es war ein Lächeln, das ihm augenblicklich das Herz erwärmte. Es kam aus ihrem Inneren und widerspiegelte alles, was sie für ihn empfand. Tiefes Vertrauen und reine Zuneigung.

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Als sie aus dem Zelt traten, winkte Loki die zwei hektisch zu sich. Er hatte Wache gehalten und tänzelte nervös auf den Zehenspitzen. Noch war niemandem aufgefallen, dass der einzige Gefangene aus dem Käfig entwischt war und Loki wollte, dass das eine Weile auch so blieb.

„Na, da seid ihr ja endlich! Habt ihr es da drin noch getrieben oder warum hat das so lange gedauert?"

Rurik schüttelte nur den Kopf.

„Jetzt sag du Schlaukopf, wie wir hier raus kommen."

„Bitte folgen", grinste Loki und lief los, in die Richtung der kleine Pferdekoppel.

Aveline lehnte ihren Kopf an Ruriks Oberkörper und liess sich von ihm durchs Zeltlager führen. Keiner schien irgendwas zu merken, denn die hohen Flammen, welche von den Schiffen in den Himmel stiegen, raubten allen die Aufmerksamkeit. 

Niemand merkte, dass sich die drei gerade davonschlichen.

Sie erreichten die Koppel und suchten sich geeignete Pferde aus. Loki sprang auf eine braune Stute, während Rurik einen schwarzen Hengst wählte. Er half Aveline auf den Rücken des Tieres und hievte sich mit der letzten Kraft, die er noch hatte, ebenfalls hoch.

Im gestreckten Galopp ritten die drei davon und liessen das Zeltlager der Normannen hinter sich. Die dunkelbraunen Rauchschwaden stiegen immer weiter gen Himmel und verdunkelten fast schon die Sonne. Das Prunkschiff von Ragnar Sigurdson brannte lichterloh.

...

Als sie genügend Land gewonnen hatten und sich in Sicherheit wogen, liessen Rurik und Loki ihre Pferde in den Trab übergehen. Aveline lehnte ihren Rücken an Ruriks Brust und schloss erschöpft die Augen. Sie hatte die letzten Nächte kaum geschlafen und merkte, wie die Müdigkeit sich langsam über sie legte und sie nicht mehr dagegen ankämpfen konnte. Rurik hielt das Pferd mit einer Hand an der Mähne und schlang den anderen Arm um ihren Oberkörper. Er drückte ihr einen sanften Kuss auf den Hinterkopf.

Loki musterte die beiden Verliebten und kicherte.

„Weisst du Rurik. Ich dachte immer, ich würde dich an ein Schwert verlieren. Aber dass ich dich tatsächlich an eine Frau abgeben muss, das wäre mir nie und nimmer in den Sinn gekommen!"

Rurik konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.

„Mein Herz gehört vielleicht ihr, aber als Freund und Bruder hast du mich nicht verloren!", antwortete er.

Loki nickte zustimmend.

„Wohl wahr. Wohl wahr."

Sie ritten eine ganze Weile lang schweigend nebeneinander, alle drei erschöpft von den letzten Tagen. Der Weg kreuzte sich mit einer Strasse und Rurik wollte sogleich in westliche Richtung weiterreiten, da blieb Loki stehen. Überrascht stoppte Rurik sein Pferd und blickte fragend zu seinem Freund.

Dieser hatte wieder dieses Grinsen im Gesicht, das er nur dann aufsetzte, wenn er irgendeine Dummheit ausgeheckt hatte.

„Geht ihr mal da lang. Ich muss in eine andere Richtung", beantwortete Loki Ruriks stumme Frage.

„Wohin willst du denn gehen?"

„Oh, das weiss ich noch nicht. Zurück nach Vestervig kann ich ja nicht, da wartet nur ein betrunkener Vater auf mich, eine Stadt, die mich nicht ernst nimmt und Weiber, die sich nur über mich lustig machen. Da muss ich nicht zurück."

Rurik nickte zustimmend bei den Worten. Er verstand Loki. Das Leben im kargen Norden war zu Ende - für sie beide.

„Ich werde mich etwas treiben lassen und die Frauenwelt erkunden. Ich muss doch mein Weib finden! Jetzt wo du mir die Frauen nicht mehr wegschnappen kannst, bleibt mehr für mich übrig!", lachte Loki.

Rurik runzelte nur die Stirn, aber erwiderte das fröhliche Lachen seines Freundes.

„Die Frauenwelt kann sich glücklich schätzen!"

Loki kicherte und legte seinen Kopf in den Nacken.

„Wer nicht bei drei auf dem Baum ist, wird von mir bestiegen!", jauchzte er.

„Ich würde das nicht zu laut schreien", meinte Rurik kopfschüttelnd.

Loki liess ihn allerdings nicht ausreden.

„Lass sein mit deinem gut gemeinten Rat, du Frauenheld. Ich muss das schon alleine schaffen! Habe es schliesslich auch hinbekommen, eine Königin zu küssen - und das ganz ohne dich! Die Frauen sollen den waschechten Loki Marson erleben, wie er leibt, lebt und liebt!"

„Die Väter sollten ihre Töchter besser einsperren", sagte Aveline, denn sie war ihrem Gespräch gefolgt.

„He!", protestierte Loki.

„Ich bin mir sicher, du findest ein passendes Mädchen", meinte Rurik und schmiegte seinen Körper fester an Aveline.

Sie erwiderte die Zärtlichkeit und schloss wohlig die Augen.

„Oh das werde ich!", lachte Loki.

„Danke, mein Bruder", sagte Rurik und blickte Loki dabei ernst in die Augen. „Ich schulde dir was."

„Ach was! Sowas macht man unter Freunden! Du hättest für mich das Gleiche getan", grinste Loki.

Dann gab er seinem Pferd einen kleinen Zwick in die Rippen und rief:

„Wir sehen uns, mein Freund. Wenn nicht in Midgard, dann in Walhalla!"

Mit diesen Worten galoppierte er davon, ohne noch ein weiteres Mal zurückzublicken. Nur seine goldenen Locken wippten mit dem Galopp des Pferdes auf und ab.

Rurik schüttelte seinen Kopf. Er wollte sich gar nicht vorstellen, in welche Abenteuer sich sein bester Freund stürzen würde, aber er wusste, dass Loki ganz gut auf sich alleine aufpassen konnte.

...

Rurik trieb sein Pferd wieder an und folgte dem kleinen Waldweg, welcher westwärts führte. Sie ritten auf dem Weg, bis sie an der Stelle ankamen, an welcher sie vor ein paar Tagen von Kjetill und Emmik überrascht worden waren. Rurik hoffte, dass die drei Buben dort geblieben waren.

Er liess die Mähne des Pferdes los und schlang beide Arme um Avelines Oberkörper. Es erfüllte ihn mit so viel Glück, sie sicher in seinen Armen zu wissen. Sie seufzte selig ob der zärtlichen Umarmung und lehnte ihren Hinterkopf an seine Brust. Ihre Finger verkeilte sie in seine und zog seine Arme fester an sich.

„Bitte lass mich nie wieder los", murmelte sie.

Rurik schmunzelte und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe.

„Das werde ich nicht mehr wagen."

Als sie um die Kurve bogen, sahen sie in der Ferne drei Gestalten und einen Hund, die allesamt am Wegesrand kauerten. Die Diebesbande hatte tatsächlich auf sie gewartet. Einer der Buben war aufgestanden und rannte ihnen sogleich entgegen.

Es war Nouel. Sein Gesicht strahlte vor Glück, als er seine Schwester erkannte. 

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Liebe ReggaeGirl4

Dieses Kapitel widme ich dir, weil du dir ein glückliches Ende gewünscht hast (und ich mir heimlich auch - auch wenn ich das nie zugeben wollte). Danke für deine tollen Kommentare, wegen denen ich manchmal schallend lachen musste! Ich hoffe, du kannst jetzt wieder beruhigt schlafen ;-) 

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