46 - Brachmond
Paris, Wesfränkisches Reich
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„Ich fasse es nicht, dass dieser Bastard Frauen am Verhandlungstisch haben möchte! FRAUEN!", zeterte Karl. „Erst tötet er beinahe meinen Boten und dann verlangt er so etwas Unerhörtes!"
„Dieser Mann weiss die Anwesenheit von Damen eben zu schätzen", sagte Irmentrud und zupfte an ihren langen Ärmeln.
Die zwei Adligen standen in ihrem Palast, der von den Wikingern in seine Einzelteile zerlegt worden war. Diese hatten gewütet und waren dann wieder gegangen, ohne das Palastpersonal all zu sehr in Mitleidenschaft zu ziehen.
Irmentrud hatte mit Gundelinde mehrere Tage in ihrer Kammer ausgeharrt, bis sie sich wieder in die Gänge getraut hatte. Nun stand sie mit ihrem Gatten am Eingang ihres Zuhauses und wartete auf die Ankunft der Normannen. Sie hoffte, dass dieses Mal keine Türen eingetreten werden mussten.
Der Wikingeranführer hatte Karls Laufbursche mit der Botschaft zum König geschickt, er wolle sie für eine Verhandlung treffen. Der Jarl hatte verlangt, dass genauso viele Frauen am Tisch sitzen sollten, wie Männer anwesend waren, denn dies war schliesslich normannische Tradition. Man wollte Frauen am Tisch haben, damit es nicht langweilig wurde.
So trug die Königin an diesem Tag ihr dunkelblaues Lieblingskleid. Dasselbe Kleid, welches sie getragen hatte, als sie diesem einen Wikinger begegnet war. Ein Tag, den sie nie und nimmer vergessen würde. So nahe war sie einem echten Nordmann gekommen! So gefährlich nahe!
Sie konnte ein kleines Schmunzeln bei dem Gedanken nicht unterdrücken und hielt sich die Hand vors Gesicht, damit ihr Gatte nichts davon mitbekam.
„Diesen Heiden sollte man Manieren beibringen! Weiber haben am Verhandlungstisch nichts zu suchen!", rief Karl und richtete seine Krone.
Irmentrud schloss genervt die Lider. Sie hatte die Ansichten ihres Gatten sichtlich satt.
„Es ist ja nicht so, dass du etwas gegen ihn in der Hand hättest, um seine Bedingung abzuschlagen", zickte die Königin.
„Wie bitte?", sagte Karl entsetzt und schritt auf seine Gattin zu.
„Dieser Mann hat deinen Palast ausgeraubt und belagert deine Stadt seit Wochen, während du dich im Wald versteckst. Du stehst mit dem Rücken zur Wand. Da wirst du es doch schaffen können, für ein einziges Mal mit Frauen zusammen an einem Tisch zu sitzen."
Karls entsetzten Gesichtsausdruck ging unter, als sich die Pforte auf dem Hofplatz öffnete und eine Gruppe Normannen hereinmarschierte. Die Männer waren zwar unbewaffnet, wirkten deswegen aber keinesfalls weniger bedrohlich. Die Wikinger sahen mit ihren wilden Haaren, grimmigen Gesichtern und langen, ungepflegten Bärten furchterregend gefährlich aus. Allen voran marschierte der Anführer in dunklem Leder gekleidet.
Karl wich bei dem Anblick unwillkürlich ein paar Schritte zurück. Irmentrud blieb standhaft und liess ihren Blick durch die Männer schweifen, auf der Suche nach diesem einen Gesicht. Als sie das schelmische Grinsen umrandet von goldenen Locken erblickte, stieg ihr die Wärme in die Wangen. Tatsächlich, er war auch dabei! Das erquickende Gefühl in ihrer Magengegend brachte sie mit dem Druck ihrer Handfläche zum Schweigen.
Sie liess ihren Blick schnell von dem Wikinger ab und musterte die anderen Ankömmlinge. Links neben dem Anführer ging ein älterer Mann mit hellgrauem Haar und rechts ein grosser, klotziger Brocken mit dunklem Schopf. Sie stutzte, als sie hinter dem Häuptling eine Frau erblickte, die den vier Wikingern folgte. Eine Frau, die alles andere als nordisch aussah. Eine Fränkin!
„Hol deine Zofen", murmelte Karl neben Irmentrud, der die Personen gezählt hatte.
Sie wandte den Blick von der herannahenden Gruppe ab und schaute zu ihrem Gatten. Er knirschte sichtlich mit den Zähnen ob der Vorstellung, mit den Kammerdienerinnen an einem Tisch sitzen zu müssen.
„Wir brauchen vier davon."
Irmentrud nickte und drehte sich auf dem Absatz um. Das Echo ihrer Schritte pochte durch die Gänge. Ihre Zofen befanden sich alle im hinteren Teil des Königshauses und mussten für diesen Anlass noch hergerichtet werden.
Die Königin wusste schon, dass die helle Aufregung zwischen den Frauen ausbrechen würde, wenn sie erfuhren, dass sie mit Wikingern an einem Tisch sitzen durften.
...
Karl schob sich näher zu der einzigen Leibgarde, die er zu seinem persönlichen Schutz hatte aufbieten dürfen. Der Bote hatte betont, dass die Wikinger unbewaffnet zur Verhandlung kommen würden. Da Karl der Kahle diesen Unmenschen aber nicht traute, hatte er sichergestellt, dass er sich mindestens hinter einem Lanzenträger verstecken konnte. Nur im Falle, dass diese blutrünstigen Tiere plötzlich doch Lust hatten, ihn niederzustrecken.
Die Normannen stiegen die Treppe zum Eingang hoch und blieben wenige Stufen unter Karl stehen. Der Anführer mit rostblonden Haaren und Schmuck im Bart grinste breit. Karl starrte dem Kerl auf die wulstige Narbe mitten im Gesicht. Eine hässliche Kriegsnarbe war das, die zu einem solch scheusslichen Menschen passte.
Die junge Frau, welche etwas zögerlich hinter den Wikingern gegangen war, trat langsam zwischen den Männern hindurch und brachte die letzten Stufen bis zum König hinter sich. Sie machte einen tiefen Knicks und grüsste ihn auf Fränkisch.
„Votre Majesté", hauchte sie und erhob sich sodann von ihrer Verbeugung.
Karl nickte ihr zum Gegengruss zu.
„Bonjour, Madame. Sie sind also die... Übersetzerin?"
Die junge Frau war bildhübsch, stellte er fest. Allerdings wirkte sie müde. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Sie wollte gerade antworten, da räusperte sich der Wikingeranführer hinter ihr und sprang die Stufen empor, sodass er auf Augenhöhe mit dem König war. Er streckte ihm seinen muskulösen Arm hin und sagte:
„Jeg er Ragnar Sigurdson. Jarl af Nordjylland, erobrer af dit land og snart danskernes konge!"
Karl packte die Hand des Wikingers und schüttelte sie. Von seinem Grossvater wusste er, dass sich Normannen mit einem kräftigen Druck am Unterarm begrüssten. Er hatte kein Wort von dem verstanden, was ihm der Kerl soeben gesagt hatte, weswegen er hilfesuchend zur Übersetzerin schielte. Diese nickte und begann sogleich die Worte auf Fränkisch aufzusagen:
„Ich bin Ragnar Sigurdson. Jarl von Nordjütland, Eroberer deines Landes und bald König der Dänen!"
Karl biss sich auf die Zähne und grummelte. Dieser Schurke sprach mit ihm wie ein Mann mit seinem Gaul. Eine absolute Dreistigkeit! Den König hatte man mit Respekt anzusprechen.
Die Übersetzerin musste seinen irritierten Gesichtsausdruck gesehen haben, denn sie verlagerte unruhig das Gewicht von einem Bein aufs andere.
„Die Normannen haben in ihrer Sprache keine Höflichkeitsform. Entschuldigt, eure Majestät", erklärte sie dann.
„Hmpf", entkam es Karl bloss.
Aber dann stellte auch er sich in all seinen Titeln vor, dabei hielt er sich die Hand an die Brust und senkte seinen Kopf, in Ehrfurcht vor sich selbst.
„Sei gegrüsst, Ragnar! Vor dir steht Karl der Kahle, König von Westfranken, Erbfolge von Ludwig des Frommen und Enkel von Karl dem Grossen."
Die Frau wandelte die eleganten Fränkischen Worte in ein Genuschel um, das in Karls Ohren ganz merkwürdig und schief klang und er fragte sich für einen Moment, ob sie tatsächlich richtig übersetzt hatte. Diese Sprache klang so ulkig, weswegen Karl kaum glauben wollte, dass dies wirklich von Menschen gesprochen wurde.
Der Wikingeranführer nickte zufrieden, klopfte Karl dann plötzlich freundschaftlich auf die Schulter und brabbelte irgendwas, das von der Fränkin mit 'Na, komm mein Freundchen. Lass uns an deinem Tisch essen, mächtig saufen und über den Frieden verhandeln!' übersetzt wurde.
Karl lief rot an, denn er war eine derartige Frechheit einfach nicht gewohnt. Aber er besann sich eines Besseren und führte die Wikinger in die Speisehalle. Die Leibgarde lief dem König dabei so nahe an den Fersen, dass sie beinahe über seine Füsse stolperte.
Als sich die schwere Tür zum Speisesaal öffnete, blieb die Garde wie vereinbart am Eingang stehen. Die Verhandlungen sollten ohne bewaffnete Männer im Raum stattfinden - noch so eine absurde normannische Regel.
Karl stellte mit Entsetzen fest, dass sich seine Gattin und ihre Zofen bereits an die Tafel gesetzt hatten. Was ihn störte, war nicht die Anwesenheit von niedrigen Weibern in seinem Speisesaal, sondern dass seine Frau nicht die Kopfbedeckung trug, welche üblicherweise das Haupt von verheirateten Frauen schmückte. Sie sah so aus, als wäre sie nicht vermählt!
Die Frauen kicherten aufgeregt, als die Krieger Ragnar Sigurdsons mit Karl und der Übersetzerin in den fürstlichen Saal traten.
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Irmentrud fuhr sich durch die langen braunen Strähnen. Wie sehr sie es liebte, die Haare offen und unverdeckt zu tragen! Eigentlich tat sie das immer nur dann, wenn sie mit ihrem Gatten alleine war. Aber dieser Wicht wusste ihre Haarpacht nicht zu schätzen - ganz anders als die Männer, die soeben den Raum betreten hatten.
Sie hatte sich die Haarpracht absichtlich noch Kämmen lassen, bevor sie in den Speisesaal gegangen war, denn sie wollte sich von ihrer schönsten Seite zeigen. Wenn sie schon den Teufeln ins Gesicht schauen musste, dann wollte sie mindestens gut dabei aussehen.
Mit erhöhtem Puls blickte sie zum Eingang und erhob sich elegant, als die Männer durch den Raum schlenderten.
Sie wusste, dass sie schön war. Das mussten ihr die erstaunten Gesichter der Normannen nicht beweisen, aber es tat gut, zu sehen, dass diese Männer ihre körperliche Anziehung so offenkundig zeigten. Kein Franke mit genügend Anstand hätte es jemals gewagt, die Königin und ihre Zofen dermassen lüstern anzugaffen, aber die Normannen gönnten sich ungeniert das überaus entzückende Aussehen der Damen.
Irmentrud konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, insbesondere weil sie die Wut ihres Gattens in seinem Gesicht ablesen konnte. Vielleicht half ihm die offensichtliche Begierde dieser Männer seiner Frau gegenüber, um selber zu realisieren, was er an ihr hatte.
Die junge Dolmetscherin trat hervor und kam auf die Königin zu. Sie wirkte schüchtern und irgendwie fehl am Platz. Der blonde Lockenkopf folgte ihr und blieb dicht hinter ihr stehen.
„Eure Majestät. Es ist mir eine Ehre, Euch ebenfalls zu treffen", hauchte die junge Frau höflich und machte einen Knicks.
„Willkommen", nickte Irmentrud gütig.
„Die Jütländer haben etwas, das sie Euch retournieren möchten", fuhr die Übersetzerin fort und blickte über die Schulter.
Der Wikinger mit gelocktem Haar, der in Irmentruds Gemach eingebrochen war, sie von ihren Stoffen entledigt und ihr den Schmuck vom Körper abgezogen hatte, trat auf sie zu und streckte ihr etwas hin. Seine hellen, lebendigen Augen glänzten schelmisch und er trug wieder dieses verführerisch böse Grinsen auf den Lippen. Dasselbe Grinsen, mit welchem sie geküsst worden war. Irmentruds Augen fielen auf den Gegenstand in seiner Hand.
Ihre Krone.
Der goldene Kopfkranz mit den weinroten Rubinen schimmerte in seiner Hand. Der Normanne hatte sich nicht die Mühe gegeben, seine Pfoten zu waschen, bevor er das Schmuckstück zurückgab. Als Irmentrud die Krone entgegennahm, berührten ihre Fingerspitzen seine raue Handfläche. Augenblicklich schlossen sich seine Finger um ihre Hand und hielten sie fest.
Irmentrud riss die Augen leicht erregt auf. Kein Mann durfte es wagen, die Königin gegen ihren Willen anzufassen! Das schien dem Kerl aber egal zu sein. Er hob ihre Hand, die die Krone umschloss, zu seinem Gesicht und drückte ihr einen Kuss auf den Handrücken.
„Fotre Maschöstä", sagte der Wikinger in gebrochenem Fränkisch.
Die Königin unterdrückte das Prusten, das ihr beinahe von den Lippen entglitten wäre und schenkte ihm stattdessen ein höfliches Lächeln. Sie wollte schliesslich nicht über seine Bemühungen spotten.
„Monsieur", sagte sie.
Er nickte dann und liess ihre Hand frei, die sie erleichtert zu sich heran zog. Gundelinde kam sogleich herbeigeeilt und half Irmentrud, die Krone auf ihr königliches Haupt zu platzieren.
Die Verhandlungsparteien setzen sich an den Tisch und die Diener begannen sogleich, den Rotwein auszuschenken.
Karl wollte seinen unerwünschten Gästen imponieren und ihnen das beste Essen servieren, das das westfränkische Reich zu bieten hatte. Drei sensationelle Gänge waren geplant. Wenn er die Wikinger schon nicht mit seiner Armee beeindrucken konnte, dann immerhin mit seinem guten Geschmack. Selbst bei einer Belagerung konnte der König nämlich grosszügig auftischen.
„Dieser Wein ist aus dem besten Weinbaugebiet im meinem Reich: Burgund!", sagte Karl stolz und hob seinen Kelch in die Höhe.
Der König sass am langen Ende der Tafel. Links von seiner Tischecke befand sich der Wikingeranführer und daneben die Übersetzerin, welche sogleich seine Worte dem Jarl ins Ohr flüsterte. Ragnar nickte, hörte aufmerksam zu, was ihm da gesagt wurde und hob dann seinen Kelch in die Höhe.
„Skål!", grinste er und knallte seinen Kelch an das Trinkgefäss des Königs.
Dieser blinzelte schon wieder verwirrt ab dieser Geste, die er so nicht kannte.
„Prost", sagte die Übersetzerin und hob ihren Kelch ebenfalls in die Luft, denn alle Wikinger hatten plötzlich ihre Becher angehoben, um das Trinken einzuläuten. Bei den Normannen begann ein Festmahl offenbar mit Alkohol.
„Schkol?", mühte sich Karl mit der fremden Sprache ab.
Sein kläglicher Versuch gefiel Ragnar und er lachte laut auf, wiederholte den Trinkspruch und stürzte sich das Getränk in den Rachen. Seine Männer taten es ihm gleich.
Die Vorspeise wurde serviert. Es gab Gerstensuppe mit Lauch und Speckwürfel. Kaum waren die Schalen serviert worden, machten sich die Normannen sogleich über das Essen her. Karl löffelte elegant und kultiviert seine Suppe, anders taten es jedoch die Heiden. Sie schlürften und schmatzten genüsslich, so als hätten sie nie etwas von Anstand gehört. Karl blickte irritiert in die Gesichter der mampfenden Normannen.
Währenddessen konnte sich Irmentrud am anderen Ende der langen Tafel kaum auf ihre Suppe konzentrieren. Der heisse Blick des Lockenschopfs ruhte unablässig auf ihr. Er sass rechts neben ihr, war näher zu ihr herangerückt und frass sie mit seinen Augen förmlich auf. Sie fühlte sich beobachtet und schaffte es kaum, einen Bissen herunterzukriegen.
Derweilen waren die anderen Normannen in ein Gespräch untereinander vertieft. Karl schwieg und versuchte den Worten dieser kuriosen Sprache zu folgen, aber es war aussichtslos. Er verstand absolut nichts und die Dolmetscherin schwieg. Sie rührte ihr Essen nicht mal an. Die Dame schien keinen Appetit zu haben.
Dann wurde der Hauptgang serviert. Zwei ganze Fasane wurden aufgetischt, kross am Feuer gebraten und mit Äpfeln und Zwiebeln gefüllt. Dazu gab es Bohnen und noch mehr Wein zum Trinken. Ein herrlicher Duft erfüllte den Saal.
Während des Hauptganges sollte das Verhandlungsgespräch beginnen. Dies kündigte die Übersetzerin an, die sich geräuspert hatte und Karl vorsichtig ansprach. Er nickte und blickte den Jarl erwartungsvoll an.
Irmentrud konnte die Worte von der Distanz nicht hören, denn sie sass ganz am anderen Ende der Tafel. Nur wenige Gesprächsfetzen drangen zu ihr herüber. Aber das hartnäckige Fasanenstück auf ihrem Teller verlangte ihre ganze Aufmerksamkeit ab. Mühselig versuchte sie, das Fleisch mit ihrem Messer vom Knochen zu trennen, aber es gelang ihr nicht.
Ehe sie sich versah, beugte sich der blonde Wikinger über die Tischkante zu ihr herüber, packte das Stück Fleisch mit seinen baren Händen und hob es ihr vor die Nase. Die Zofen hielten erschreckt den Atem an. Es war eine bodenlose Unverschämtheit, im Essen der Königin herumzustochern, überhaupt ihr Essen in die nackten Finger zu nehmen!
Der Normanne schien die entsetzten Damengesichter aber zu ignorieren und streckte der Königin das Fasanenstück entschlossen hin. Sie schielte vom Fleisch zu ihm und wieder zurück. Er liess nicht locker und machte eine nickende Kopfbewegung.
Langsam legte die Königin ihr Messer neben dem Teller ab und schob sodann ihre Ärmel nach hinten. Dann umgriff sie das Stück Fleisch mit den Fingern. Anstatt sich mit dem blöden Messer abzumühen, war es viel einfacher, den Fasanen in den Händen zu halten und die Fleischstücke mit den Zähnen vom Knochen zu trennen. Eine äusserst unkönigliche Art und Weise zu essen.
Aber das breite Lachen, das ihr der Wikinger zeigte, als sie den Vogelschenkel mit ihren schmalen Fingern zum Mund hob und herzhaft hineinbiss, war unvergesslich. So voller Lebenslust, frei von jeglicher Ernsthaftigkeit. Dieser Lockenschopf strahlte eine Heiterkeit aus, welche Irmentrud unglaublich anziehend fand.
Die Zofen sahen den vergnügten Ausdruck im Gesicht des Normannen und kicherten leise. Die Damen bekamen nichts mehr von der Verhandlung mit, denn sie hatten alle nur noch Augen für den sonderbaren Wikinger, der ihnen sein schelmisches Lächeln schenkte und ausreichend für Unterhaltung sorgte.
Während das eine Tischende in stiller Erregung weiter ass, wurde die Verhandlung am anderen Ende der Tafel lauter.
„Ragnar sagt, er werde seine Männer zurückziehen, allerdings unter einer Bedingung", übersetzte die Dolmetscherin.
„Was fällt dem eigentlich ein, dem König von Westfranken Bedingungen zu stellen!", rief Karl aus.
Die braunhaarige Übersetzerin rutschte auf ihrem Stuhl hin und her. Sie fühlte sich sichtlich unwohl zwischen den Fronten.
„Er bietet Euch eine Abzahlung. Eure Majestät, wenn Ihr die Dänen bezahlt, dann werden sie so schnell verschwinden, wie sie gekommen sind."
Karl knallte seinen Weinkelch auf die hölzerne Tischplatte, was Irmentrud auf der anderen Seite aufschrecken liess. Sie war gerade dabei gewesen, aus ihrem eigenen Kelch zu trinken, aber nun hatte sie sich beinahe den Wein über ihr Kleid geschüttet.
Sie tupfte die wenigen Tropfen, die ihr ins Gesicht gespritzt waren ab, da regte sich der Wikinger neben ihr schon wieder. Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie sah, wie er aufgestanden war, sich über die Ecke zu ihr lehnte und seine Hand an ihr Gesicht legte.
Mit dem Daumen wischte er ihr über das Kinn und fing somit die Weintropfen auf, die ihr vom Aufzucken im Gesicht gelandet waren. Während er ihr über ihre Konturen fuhr, blickte er ihr schmunzelnd in die Augen. Sein ganzes Gesicht strahlte vor Selbstbewusstsein und da war er wieder, dieser scherzhafte Funke, der Irmentrud so faszinierte. Ohne mit der Wimper zu zucken, schob er sich den Daumen in den Mund und lutschte den Wein von seinem Finger.
„Was tut der Kerl da mit meiner Frau?!", rief Karl vom anderen Ende.
„Loki! Hvad laver du?!", knurrte Ragnar, der nichts von dem kleinen Intermezzo mitbekommen hatte.
Loki hob unschuldig die Arme und setzte sich wieder hin. Irmentrud entging nicht, wie er ihr dabei noch zuzwinkerte. Die Zofen gickelten aufgeregt, denn sie hatten den knisternden Blickaustausch zwischen den beiden deutlich gesehen.
Als der Hauptgang verspeist war, kamen die Knappen und räumten die Teller weg. Wasserschalen und Leinentücher wurden den Gästen gereicht, damit sie sich von der Sauerei, die sie selbst veranstaltet hatten, säubern konnten.
Die Nachspeise - eine gigantische Käseplatte mit Trauben, Baumnüssen und Honigwaben - wurde in der Mitte des Tisches platziert. Ein lobendes Raunen ging durch die Normannen, denn so viele Käsesorten, wie da serviert wurden, kannten sie gar nicht. Während sie sich neugierig durch die verschiedenen Käsestücke probierten, ging die Verhandlung weiter.
„Ragnar möchte wissen, ob Ihr Euch über die Höhe der Abzahlung Gedanken gemacht habt?", fragte die Übersetzerin.
Irmentrud wurde hellhörig. Sie hatte sich die ganze Zeit ablenken lassen, aber eigentlich wollte sie schon wissen, welche Geschäfte ihr Mann am anderen Tischende trieb.
„Dreitausend Livres", brummte Karl und nahm einen kräftigen Schluck von seinem Kelch.
Irmentrud schnaubte verächtlich. Ihr Mann bot viel zu wenig! Der Rückzug der Normannen aus Westfranken war weitaus mehr Wert als lausige dreitausend Livres. Sie wusste, wie viel Silber in der königlichen Schatzkammer lag. Da gab es noch Luft nach oben und sie war sicher, dass sich dieser Ragnar nicht mit diesem Angebot zufrieden geben würde.
„Mein werter Gatte, wenn ich euch Männer unterbrechen darf", erhob die Königin ihre Stimme, sodass man ihr über die lange Tafel hinweg die Aufmerksamkeit schenkte.
„Was willst du?", fragte Karl mässig begeistert.
„Ich würde den Herren mehr bieten, im Tausch für das Versprechen, dass sie auf ihrer Rückreise nicht mehr auf den Gedanken kommen, die Dörfer zu plündern, nur weil der König zu knauserig war."
Der Seitenhieb sass. Das war an Karls zu Stein gewordenem Gesicht deutlich erkennbar. Die Übersetzerin zögerte und traute sich noch gar nicht, dem Jarl irgendwas zu sagen. Dieser musterte nur die Reaktionen. Es schien ihn allerdings zu amüsieren, dass Karl ab den Worten seiner Frau so mürrisch geworden war.
„Das ist doch absurd!", sagte Karl. „Überlass die Verhandlungen mir und wende dich dem Klatsch und Tratsch deiner Zofen zu!"
Die Dolmetscherin sprach derweilen auf den Jarl ein, der erst unbeeindruckt nickte, aber als ihm dann der Betrag genannt wurde, sein Kopf zur Seite legte, sodass sein Nacken knackte. Er starrte mit düsterem Blick zum König. Dann zischte er etwas auf Nordisch, was Karl nicht verstand. Dieser blickte fragend zur Dolmetscherin, die dann sagte:
„Ragnar verlangt zehntausend Livres."
Karl knallte seine Faust auf den Tisch, sodass sein Geschirr schepperte.
„Dieser Bastard! Was glaubt der, wer er eigentlich ist?!"
Die Übersetzerin blinzelte verunsichert und blickte wieder zu dem Jarl. Sie sass in einer Zwickmühle zwischen den beiden, das konnte man ihr ansehen. Irmentrud seufzte laut und übernahm das Wort nochmals.
„Komm ihm entgegen! Kein Mann, der noch bei klarem Verstand ist, würde auf dein Angebot einschlagen, Karl. Das weisst du doch", sagte sie.
Karl beugte sich zu seinem Berater, der neben ihm auf der rechten Seite sass und bisher noch kein Wort gesagt hatte. Die zwei Männer hatten eigentlich in der Nacht zuvor Ewigkeiten über mögliche Verhandlungstaktiken diskutiert. Offensichtlich ergebnislos. Die Männer flüsterten hinter vorgehaltener Hand. Dann hob Karl wieder seinen Kopf und verkündete.
„Fünftausend Livres. Nicht mehr."
Als dem Jarl der Betrag übersetzt wurde, schüttelte dieser nur den Kopf und verschränkte seine Arme vor sich. Auch dieses Angebot gefiel dem Wikinger nicht. Irmentrud verdrehte die Augen, denn das Ungeschick ihres Mannes nervte sie doch sehr.
„Gute Frau, wie ist dein Name?", fragte sie die Übersetzerin.
Diese blickte etwas überrascht zur Königin und murmelte dann ihren Namen.
„Aveline. Du scheinst die Normannen besser zu kennen, als wir. Welche Vorgehensweise würdest du meinem Gatten empfehlen?"
Die Übersetzerin starrte die Königin entrüstet an. Dass man sie um ihre Meinung fragte, mit dem musste sie wohl als letztes gerechnet haben.
„Ich..."
„Du hast unter Normannen gelebt, nicht wahr?", fragte Irmentrud weiter.
Die junge Frau nickte und Irmentrud sah, dass auf ihrem Gesicht ein trauriger Ausdruck hing. Ein Ausdruck, den man nur auf den Gesichtern von Menschen sah, die sich an einst bessere Zeiten erinnerten. Zeiten, die nicht mehr gut waren.
„Was würde ein Normanne jetzt tun?"
Karl brummte etwas Unwichtiges, das Irmentrud schlicht ignorierte. Sie wollte die Antwort darauf wirklich wissen. Die Fränkin nahm sich Zeit und überlegte.
„Ein anderer Jarl würde Ragnar fragen, wie viel er bereit wäre, ihm entgegen zu kommen, damit beide zufrieden sind."
„Na, also. Hier hast du deine Antwort. Karl. Frag ihn!"
„Du hast mir in meine Verhandlungstaktiken nicht reinzureden!", zeterte der König.
Irmentrud blieb beharrlich. Sie liess sich nicht von ihrem Mann einschüchtern. Die Tatsache, dass dieser eine Wikinger neben ihr sass, hatte ihr komischerweise mehr Zuversicht geschenkt, als sie sich je erträumen lassen hätte. Ihr Erlebnis in der Schlafkammer hatte ihr mehr Mut gegeben. Mut, das Leben entschlossener am Schopf zu packen und ihren arroganten Gatten in die Schranken zu weisen.
„Deine Taktiken scheinen ja soweit nicht aufzugehen. Ich schlage dir bloss eine Alternative vor. Nimm sie oder lass es und wir werden spätestens heute Abend wahrscheinlich alle geschlachtet."
Karl knurrte hörbar, aber gab dann nach. Er winkte der Übersetzerin zu, was das Zeichen für sie war, dass sie doch ebendiese Frage dem Wikinger stellen solle.
„Achttausend Livres", kam sogleich als Antwort.
Der König stiess die Luft zischend durch den Mund und schüttelte abermals seinen Kopf. So schnell würde er nicht klein beigeben.
„Siebentausend!", fauchte er.
Die Fränkin übersetzte ein weiteres Mal und zu Karls eigener Überraschung nickte der Wikingeranführer plötzlich.
„Er ist einverstanden."
Karl blinzelte etwas verunsichert. Er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass sie sich so schnell einigen konnten. Der Jarl erhob sich plötzlich und streckte dem König brüderlich die Hand über den Tisch hin.
Die Dolmetscherin übersetzte seine Worte:
„Siebentausend Livres als Danegeld für den Frieden zwischen den Christen von Westfranken und den Normannen Nordjütlands!"
Karl der Kahle erhob sich ebenfalls und packte die massige Hand des Wikingers. Die Männer schüttelten sich die Arme und markierten damit den Abschluss der Verhandlung. Es war beschlossen. Die Normannen würden Paris und Westfranken im Tausch für siebentausend Silbermünzen hinter sich lassen und in den hohen Norden zurückkehren.
Zufrieden sank Karl auf seinen Stuhl. Obwohl es ihm doch schmerzte, so viele Livres dafür zahlen zu müssen, war er dennoch froh, diese Ungeziefer bald los zu sein.
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Liebe SarinaEmma
Dieses Kapitel ist für dich, weil du dir so sehr eine Wiki-Lovestory für die Königin gewünscht hast, mich deine Kommentare immer wieder zum Lachen bringen und weil deine Pinterest-Wand mich mehr mag als dich. ♡
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*** Kleine Ankündigung für die letzten Kapitel ***
Wir nähern uns dem Ende und ich habe wegen der Weihnachtszeit folgende Veröffentlichungen geplant:
Mittwoch, 23.12.20 - 10:00 Uhr
47 - Brachmond
Samstag, 26.12.20 - Uhrzeit wird noch bekanntgegeben (habt ihr Wünsche?)
48 - Brachmond
Epilog I - Vestervig
Epilog II - Westfranken
Nachwort & Leserkommentare
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