45 - Brachmond
Bei Paris, Westfränkisches Reich
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„Ragnar?"
„Nicht jetzt", winkte der Jarl ab und schüttelte frustriert seinen Kopf ab dem elenden Anblick, welcher sich ihm bot. „Das kann doch nicht wahr sein!"
Er marschierte zum nächsten Zelt und schlug die Plane auf. Beim Gestank, der ihm entgegenwehte rümpfte er vor Ekel geschüttelt die Nase. Das Lazarett war am Rande der Zeltstadt aufgebaut worden, damit die von der Seuche befallenen Männer von den Gesunden getrennt werden konnten. Ganze dreissig Zelte hatte man dafür geopfert, um Platz für die Kranken und Sterbenden zu machen.
Ragnar hatte sich nach drei Tagen endlich selbst überwunden und war die Krankenstätte besuchen gegangen, um den Kriegern Mut zuzusprechen. Was er sah gefiel ihm aber ganz und gar nicht. Die mutigen, starken Krieger Sigurdsons lagen kränklich in ihrem eigenen Saft auf den Pritschen und wurden dahingerafft wie zarte Pflänzchen im Frost.
„Ich habe wichtige Neuigkeiten", murmelte Thorsten, der hinter dem Jarl herging.
„Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?! Nicht jetzt!", knurrte Ragnar und schritt zum nächsten Zelt.
Er atmete laut ein, hielt dann die Luft an und trat ein. Thorsten folgte ihm ins Dunkle. Der Hauptmann konnte bei dem Gestank ein Husten nicht unterdrücken und hielt sich die Hand vor den Mund. Vor ihnen lagen vier Männer schlaff auf ihren Pritschen. Zwei davon waren dem Tod näher als je zuvor. Die anderen beiden schienen besserer Laune und blickten ihren Jarl mit glasigen Augen an.
Ragnar tauschte ein paar höfliche Worte mit seinen zum Tode verdammten Kriegern aus und sprach ihnen Mut zu. Der Klang seiner Stimme liess aber deutlich verlauten, dass er nicht an ihre Genesung glaubte.
Thorsten fühlte sich sichtlich unwohl in dem engen Raum, denn er befürchtete, selbst von der Seuche befallen zu werden. Die schwüle Hitze, die sich seit ein paar Tagen über den Fluss gelegt hatte, half nicht sonderlich, sondern machte den bestialischen Gestank nur noch schlimmer.
„Es ist Kjetill", meinte Thorsten dann. „Er ist zurückgekehrt."
Ragnar wandte sich ihm zu und packte seine kräftigen Schultern.
„Kjetill? Warum hast du mir das nicht gleich gesagt?!"
Thorsten kratzte sich am Hinterkopf und suchte nach einer Antwort, da wurde er bereits aus dem Zelt geschoben. Er wusste nicht, wie er es Ragnar sagen sollte, dass Kjetill nicht ganz mit dem zurückgekehrt war, was er eigentlich hätte sollen. Der Jarl war aber schon seit Tagen in übelster Laune und Thorsten wollte nicht noch mehr zur Steigerung seines Zorns beitragen, also schwieg er.
„Wo ist der Kerl?", fragte Ragnar.
„Auf deinem Vorplatz."
Der Jarl nickte zufrieden und hetzte in die Richtung seines Zeltes. Die zwei Männer liefen durch das Lager und erreichten den kleinen Vorplatz. Kjetill sass bereits auf einem Höcker unter der grossen Stoffplane und wartete auf ihre Ankunft.
„Kjetill! Bringst du mir die Köpfe dieser Bastarde?!", rief Ragnar von Weitem, als er den Hünen unter der Plane erblickte.
Kjetill stand auf und zupfte etwas nervös an seiner Hose. Er begrüsste den Jarl mit einem kräftigen Händedruck und wartete, bis er sich auf einen Hocker niedergelassen hatte. Dann schüttelte er vorsichtig den Kopf.
„Nein, Ragnar. Wir waren kurz davor, sie zu finden, aber —"
„Willst du mir etwa sagen, ihr habt sie noch immer nicht gefunden?! Wie lange wart ihr unterwegs? Wochen?!", fauchte Ragnar schon.
Kjetill strich sich die langen Strähnen aus dem Gesicht. Ragnars Zorn war berechtigt, in Anbetracht seines Scheiterns.
„Wie gesagt, eigentlich hatten wir sie gefunden. Wir waren schon dabei, ihre Köpfe abzutrennen. Aber..."
Er dehnte den Spannungsbogen absichtlich in die Länge.
„Aber?!", fragte Ragnar ungeduldig.
„Rurik kam uns dazwischen."
Ragnars verwirrter Blick sprach Bände. Der Name seines ersten Hauptmannes war seit einer Weile nicht mehr gefallen. Niemand hatte sich getraut nach Ruriks verschwinden noch von ihm zu sprechen, denn jedes Mal, wenn er den Namen hörte, explodierte Ragnar vor Wut.
„Ihr habt Rurik gesehen?!"
Kjetill nickte aufgeregt.
„Ja, genau. Wir haben die Diebe zufälligerweise in einem Waldstück gefunden. Wir hätten sie eigentlich fast geschnappt, aber Rurik war plötzlich auch da und hat gegen uns gekämpft."
„Warum sollte er -", wollte Thorsten fragen, der mitgehört hatte.
„Er hat Emmik getötet", unterbrach Kjetill den Hauptmann.
Ragnar fiel die Kinnlade runter und auch Thorsten war sprachlos. Sie beide hatten nicht mit dieser Information gerechnet.
„WAS?!", donnerte der Jarl.
Kjetill schluckte leer. Der Verlust seines besten Freundes Emmik nahm ihn doch sehr mit. Es war nicht die Tatsache, dass er getötet worden war, sondern wie - durch die Hand eines Verräters.
„Rurik hat uns daran gehindert, die Diebe zu köpfen. Er hat sie verteidigt. Keine Ahnung, weshalb der hinter uns her war. Aber der wollte auch auf mich los."
Ragnars Blick wurde dunkel. Seine blaugrünen Augen funkelten schon fast schwarz vor Wut. Seine Hände, die auf seinen Oberschenkeln ruhten ballte er zu Fäusten.
„Wo ist dieser Verräter jetzt?", fragte er.
Kjetill blickte hinter sich zu der Stelle, an welcher das gestohlene Pferd noch stand, dann wandte er sich wieder Ragnar zu. In seinen Augen glänzte der Spott.
„Ich vermute, der wird gleich hier sein."
Ragnars skeptische Augenbraue jagte in die Höhe. Niemand, der einen solchen Verrat begangen hatte, würde es jemals wagen, zu Ragnar zurückzukehren. So leichtsinnig war Rurik nicht.
„Warum sollte der zurückkehren? Du hast gesehen, wie der deinen Freund abgemurkst hat. Der ist doch nicht dumm!", sprach Thorsten, was Ragnar dachte.
Kjetill warf dem zweiten Hauptmann einen siegessicheren Blick zu. Er schien offensichtlich anderer Meinung zu sein.
„Weil ich was Wertvolles von ihm gestohlen habe."
„Rurik schert sich doch nicht um Gegenstände!", donnerte Thorsten.
Ragnar nickte, denn er stimmte seinem Hauptmann zu. Rurik Jarson war alles Gold und Silber dieser Welt einerlei. Dieser Kerl brauchte solche Dinge nicht, sondern gab sich mit anderen Sachen zufrieden. Eine einfache Jagd auf einen Feldhasen konnte diesen Mann schon glücklich machen. Schmuck und Schätze scherten ihn nicht.
„Er wird es aber zurückhaben wollen. Da bin ich mir sicher", meinte Kjetill und zeigte ein breites, selbstzufriedenes Grinsen.
„Warum bist du dir da sicher?", fragte Ragnar dann.
„Weil ich ihm sein Mädchen genommen habe."
Ragnar starrte den Hünen ungläubig an. Er wusste zwar nicht, wovon Kjetill genau sprach, aber es hatte sein Interesse geweckt. Wenn Männer Dummheiten begingen, dann war das in der Regel immer wegen einer Frau. Dem Jarl war es allerdings schleierhaft, welche Frau es denn Rurik angetan haben könnte. Es war kein Weib auf Raubfahrt mitgekommen.
Sein Blick wanderte zu Kjetills Pferd, das am Pfahl angebunden stand. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, erhob er sich und schritt zielstrebig auf die Stute zu. Er sah schon, dass da ein Stoffhaufen auf dem Rücken des Tieres lag. Als er die Stute umkreist hatte und ihn auf der anderen Seite die kupferbraunen Locke anstrahlten, lachte er laut auf.
Sie lag bäuchlings auf dem Pferd, ihre Arme und Beine hingen schlaff herunter.
„Ha! Die verlorene Perle! Du hast sie mir zurückgebracht!", stiess Ragnar aus.
Kjetill kam zu ihm und drehte den regungslosen Kopf von Aveline ins Licht, so dass die Sonne auf ihr Gesicht schien.
„Für die wird er zurückkommen. Du hättest ihn sehen sollen. Der Mann war blind vor Zorn."
Ragnar grinste breit, was seine wulstige Narbe an den Lippen bizarr verzog. Er strich ihr fasziniert durch die Locken.
„Ist sie tot?", fragte er und schob eine Strähne von ihrem Gesicht.
Die elfenbeinfarbene Haut schimmerte edel im Tageslicht. Wahrlich, sie war eine Perle und Ragnar konnte glücklicher nicht sein, sie gerade vor sich zu haben. Er hatte schon gedacht, dass die Götter es böse mit ihm meinten, aber diese Schönheit vor ihm war der Beweis dafür, dass die Asen auf seiner Seite waren. Sie mussten sie ihm geschickt haben.
„Ich glaube nicht", meinte Kjetill und legte seine grosse Hand auf ihre Kehle. „Ihr Herz schlägt noch, selbst wenn ich sie fast nach Asgard gewürgt habe."
Ragnar zog Kjetills schmutzige Hand von ihrem Hals und begutachtete selbst die Würgemale. Dunkelrote, violette, unschöne Flecken, die dieser Rüpel an ihrem makellosen Hals hinterlassen hatte.
Mit seinen Fingerspitzen spürte Ragnar es. Den Puls. Das Zeichen, dass ihr kleines Herzchen dennoch schlug, selbst wenn ihr Geist sie für einen Moment verlassen haben musste.
Er nickte zufrieden und klopfte Kjetill auf die Schultern. Selbst wenn der Wikinger seinen Auftrag nicht erfüllt hatte, war er dennoch nicht mit leeren Händen zurückgekehrt. Er hatte ihm sogar etwas weitaus Wertvolleres als die dummen Köpfe dieser Diebesbande gebracht: Die Perle, die schlussendlich den Verräter zu ihm zurückbringen würde.
„Ich schicke dir heute eine Hure in dein Zelt vorbei!", meinte Ragnar dann grosszügig.
Kjetill war sichtlich erfreut über diese Belohnung. Lange war es her gewesen, seit er mit einer Frau seinen Spass gehabt hatte, da war ihm selbst eine dreckige, fränkische Hure recht.
Ragnar zeigte derweilen auf den reglosen Stoffhaufen.
„In mein Zelt mit ihr! Und macht den Käfig bereit. Wir haben einen tollwütigen Wolf zu fangen!"
Aveline wurde ins Zelt getragen und in sein Bett gelegt. Ragnar persönlich wollte sich um sie kümmern und vor allem wollte er alleine mit ihr sein. So schubste er die Männer nach draussen und schloss die Zeltplane.
Sie lag bleich in seiner Liege und wirkte irgendwie friedlich. Ragnar grinste und deckte sie mit seinen Decken zu. Frieren sollte seine Perle ja nicht, denn er brauchte sie noch. Sie sollte es gemütlich haben, wenn sie aufwachte.
Er band ihr ein Seil um die Handgelenke und befestigte es am dicken Bettpfeiler. Selbst mit allergrösster Kraft würde sie es nicht schaffen, sich loszerren zu können. Er wollte sie schliesslich nicht wieder gehen lassen.
Er schob seinen Stuhl näher an die Pritsche und setzte sich. Nun galt es bloss darauf zu warten, dass ihr Geist wieder zurück in ihren Körper fand.
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Das sanfte Flattern der Baumwollplanen weckten Aveline aus ihrem bewusstlosen Zustand. Irgendwas in ihrem Hals kratzte fürchterlich und sie hustete laut, um sich von dem unangenehmen Gefühl zu befreien. Sie wollte ihre Hände vor die Lippen halten, aber da merkte sie, dass ihre Handgelenke aneinander gebunden worden waren. Erschüttert öffnete sie die Augen und setzte sich auf.
Sie blinzelte angestrengt durch den Raum, allerdings war ihre Sicht noch verschwommen. Sie erkannte nur einen weissen Stoff, der über ihr hing und mit dem Wind sanft segelte. Der Husten liess nicht nach, sie keuchte und räusperte sich, um die Trockenheit in ihrem Hals loszuwerden, es half aber nichts.
„Hier. Wasser", sagte eine Stimme auf Nordisch neben ihr und liess sie den Kopf drehen.
Ragnar Sigurdson sass auf einem Stuhl neben dem Bett und grinste sie mit seiner schiefen Fratze an. Überrascht öffnete sie ihren Mund, allerdings entkam nur ein leises Krächzen von ihrem Hals. Sie räusperte sich, aber die Trockenheit stach zu sehr in ihre Kehle.
In ihrem Kopf begann es zu rattern, die Gedanken rasten, während sie eine Erklärung suchte. Wie war sie hierher gekommen? Die Erinnerungen an den Kampf im Wald kamen langsam zurück, aber so viele Details lagen in den dunklen Ecken ihres Gedächtnisses. Das machte alles keinen Sinn.
Schon wieder juckte es in ihrer Kehle und sie versuchte den Husten zu unterdrücken. Ragnar streckte ihr einen Holzbecher hin. Sie starrte ihn aber nur misstrauisch an.
„Wasser, habe ich gesagt", meinte er mit mehr Durchsetzungskraft.
Zögerlich nahm sie den Becher zwischen die Finger. Es fiel ihr schwer ihn zu halten, wo doch ihre Handgelenke aneinandergebunden waren. Sie streckte ihre Nase an den Rand und roch erst an dem Getränk, denn sie traute dem Jarl nicht - überhaupt nicht. Die Geste liess ihn spöttisch aus der Nase schnauben.
„Glaubst du wirklich, ich würde dich vergiften? So hinterhältig kann nur ein Weib denken", sagte er abschätzig.
Aveline hob den Becher an ihre Lippen und nippte vorsichtig an der kühlen Flüssigkeit. Sie schloss die Augen, denn das Wasser linderte den stechenden Juckreiz in ihrem Hals. Während sie gierig trank, spürte sie Ragnars Blick auf ihr. Sie hob ihre Lider nicht, denn sie wollte den Blickkontakt mit diesem Ungeheuer möglichst vermeiden.
Sein herablassendes Grinsen sah sie selbst aus den Augenwinkeln. Sie leerte den Becher mit gierigen Schlucken und streckte ihn dem Jarl wieder hin.
„Danke", krächzte sie.
Ihre Stimme klang anders als sonst. So als hätte sie sich wundgeschrien, aber sie erinnerte sich nicht daran, überhaupt in dem Gefecht gekreischt zu haben. Sie erinnerte sich nur daran, wie sie versucht hatte, Kjetill mit Worten zu bearbeiten, ihren Bruder in Ruhe zu lassen und wie dann Rurik Emmik angegriffen hatte. Was danach folgte, lag hinter dem schwarzen Schleier der Verdrängung.
Ihre Hände wanderten zu ihrer schmerzenden Kehle. Mit zittrigen Fingerspitzen tastete sie sich den Hals ab. Sie zog hörbar die Luft ein, als ihre Finger über die Druckstellen fuhren.
Kjetill hatte sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt! Jetzt erinnerte sie sich klar und deutlich. Wie er sie irrsinnig angegrinst hatte, während ihr die Luft ausging, so als geniesse er es, mitzuverfolgen, wie ihr das Leben aus dem Körper wich. Sie erschauderte. Dieser Kerl war abscheulich.
Ragnar merkte ihr Unwohlsein und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, sodass das Leder knirschte.
„Hat gewaltig zugedrückt, der Flachkopf, was?", grinste er und goss mehr Wasser aus der Karaffe in den Becher.
Dann streckte er ihr das Getränk wieder hin, was Aveline dankbar annahm. Dieses Kratzen war unerträglich und das Wasser hatte es tatsächlich gemildert. Sie trank abermals gierig und legte anschliessend ihre zusammengebundenen Hände mitsamt Becher auf den Schoss.
„Der Grobian weiss wirklich nicht, wie man mit einer Frau umgeht. Hätte dir fast den Hals geknickt", meinte Ragnar und beobachtete sie mit Adleraugen, wie die Worte auf sie wirkten.
Aveline schluckte beschwerlich. Ihre Augen ruhten auf den braunen Decken und wanderten dann zu Ragnar hinüber. Sie verstand nicht, weshalb er sich so freundlich ihr gegenüber zeigte. Dieser Mann war ihr noch nie geheuer gewesen und war es selbst jetzt nicht, wo er ihr mit scheinbarer Gutmütigkeit begegnete.
Er musste irgendwas im Schilde führen, das spürte Aveline ganz deutlich. Warum sonst hatte er sie in seinem Zelt angebunden?
„Warum bin ich hier?", stellte sie die Frage, die so offensichtlich im Raum stand, dass Ragnar nur darauf gewartet haben musste.
Der Jarl lachte trocken auf und breitete seine Arme vor ihr aus.
„Weil ich gerne Gäste in meinem prächtigen Zelt empfange! Besonders Überraschungsgäste!"
Avelines Augenbrauen jagten in die Höhe. Ihr Blick schweifte flüchtig über die üppige Innenausstattung seines Zeltes. Der Kerl schaffte es selbst auf Plünderung prunkvoll zu leben. Sie hob ihre Hände zu ihrem Gesicht und blinzelte ihn fragend an.
„Gäste werden bei dir gefesselt?"
Er grinste, so dass seine gelben Zähne hervorblitzten. Die Mittagssonne drückte spürbar durch den weissen Stoff und eigentlich hätte die freundliche Brise Abkühlung bringen sollen. Alles, was der Windstoss allerdings tat, war die sonst schon so schwüle Luft aufzuwirbeln und bis unter die Spitze des Zeltes zu treiben. Aveline merkte, wie ihr durch die Hitze schwindelig wurde. Sie stiess die Decke mit ihren Beinen vom Körper.
„Die Fesseln dienen nur zu dramatisierenden Zwecken", antwortete Ragnar.
„Was willst du von mir?", fragte Aveline gleich weiter.
„Mein Jarl", sagte Ragnar.
„Wie bitte?"
„Was willst du von mir, mein Jarl? Du hast deinen Häuptling mit Respekt anzusprechen."
„Du bist nicht mein Jarl", zischte Aveline.
Ihre Augen funkelten böse, was Ragnar nur noch mehr zu amüsieren schien. Sie beugte sich vor und zeigte ihm ihre Zähne, wie wenn sie ein Tier wäre, das ihn beissen wollte. Ragnar zuckte von ihrem Anblick ziemlich unbeeindruckt die Schultern.
„Ich bin derjenige, der dir deine Freiheit geschenkt hat. Ich darf wohl etwas Respekt einfordern."
„Du hast mir nur das gegeben, was mir zugestanden hat. Dafür, dass ich deine Leute geheilt habe, obwohl sie alle den Tod verdient hätten", knurrte Aveline.
Sie wusste nicht, woher diese Wut kam, die sie verspürte und ihr war bewusst, dass sie eigentlich in keiner Lage war, so mit dem Jarl zu sprechen, aber sie war nicht in Stimmung, höflich und nett zu sein. Nicht mit diesem Kerl. Nicht nach der Begegnung mit seinen Männern im Waldstück. Er hatte alles Gift verdient, das sie auf ihn speien konnte.
„So, so. Das, was dir zugestanden hat."
„Warum bin ich hier und warum hälst du mich gefangen?", sagte sie lauter und zog wütend an dem Seil, so dass der Eckpfeiler wackelte, aber nicht nachgab.
„Oh, die Wölfin wird bissiger. Das gefällt mir! Keine Bange, ich verrate dir gerne, weshalb du hier bist", lachte Ragnar und stand dann auf.
Er ging vor der Pritsche auf und ab und fuhr sich mit der Hand durch den geflochtenen Bart.
„Eigentlich könnte ich deine Heilkräfte ganz gut gebrauchen. Meine Männer verrecken an irgendeiner merkwürdigen Krankheit..."
Aveline verdrehte die Augen.
„Kommst du ohne mich als Heilerin nicht klar?", provozierte sie ihn, aber Ragnar fuhr sogleich in seiner Rede fort.
Er schien sie nicht gehört zu haben oder hören zu wollen.
„...und obwohl ich dich tatsächlich als Heilerin in meinem Feldlazarett gebrauchen könnte, taugst du im Moment als Übersetzerin viel mehr."
Die Antwort kam so unerwartet, dass Aveline erst einmal nur verwirrt blinzeln konnte.
„Ich verstehe nicht. Übersetzen? Wozu?", murmelte sie.
Ragnar seufzte laut, wie wenn ihr Unverständnis seine Nerven strapazierte. Für ihn war die Sache sonnenklar.
„Ein Bote des fränkischen Königs hat es gewagt, ins Lager zu kommen. Nachdem wir uns einen Spass mit dem Mann erlaubt haben, haben wir ihn in den Käfig gesteckt. Naja, erst wollte ich ihn erhängen lassen, aber da du jetzt aufgetaucht bist, haben wir jemanden, der dem Kerl eine frohe Botschaft überbringen kann."
Sie blinzelte, während sie seine Worte verarbeitete.
„Welche Botschaft?", fragte sie dann.
„Dass Ragnar Sigurdson mit dem König verhandeln will."
„Du willst ein Treffen mit —"
„Mit dem König. Ja. Der Bastard soll sich endlich aus seinem Versteck trauen. Ich will verhandeln."
Avelines Augen formten sich zu schlitzen.
„Der Ragnar Sigurdson, den ich kenne, verhandelt nicht. Der nimmt sich, was er will."
Ragnar grinste schon wieder, was sein vernarbtes Gesicht grässlich verzog.
„Recht hast du ja. Aber auch ein Jarl geht mal neue Wege!"
Aveline schüttelte unsicher den Kopf, denn sie glaubte ihm kein Wort. Ragnar war nicht der Typ dazu, Verhandlungen auf Augenhöhe durchzuführen. Sie befürchtete, dass er dem König beim Treffen sogleich seine Axt in die Brust schlagen könnte.
Ragnar streckte seinen Zeigefinger in die Höhe, wie wenn er erwartete, dass sie ihm noch weiter zuhörte. Er schein noch nicht fertig zu sein.
„Das ist nicht alles, was ich möchte. Es gibt noch etwas, das du für mich tun wirst."
Er schwieg, um die Spannung zu steigern. Es war, wie wenn er erwartete, dass sie ihm die Frage stellte, was er denn noch meine. Aber sie tat ihm diesen Gefallen nicht. Sie wollte nicht wissen, was er sonst noch alles mit ihr vorhatte. Sie schwieg eisern und starrte auf ihre zusammengebundenen Hände auf dem Schoss.
Also fuhr Ragnar fort:
„Du wirst an der Verhandlung für mich übersetzen."
Es dauerte einen Moment, bis sie realisierte, was er da gerade von sich gelassen hatte. Aveline kippte die Kinnlade runter. Die Überraschung war ihr ins Gesicht geschrieben. Sie sollte für Ragnar übersetzen - vor dem König? In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken.
Ragnar brauchte sie!
Diese Erkenntnis liess die Zuversicht in ihr hochsteigen. Natürlich! Im Zeltlager der Normannen sprach niemand beide Sprachen. Sie war die Einzige Person weit und breit, die sowohl Fränkisch als auch Nordisch fliessend sprechen konnte. Diese Aufgabe hätte ursprünglich Luca übernehmen sollen. Jetzt erinnerte sie sich, denn ihr Freund hatte ihr sogar davon erzählt.
Ragnar war von ihr abhängig. Wie sonst würde er diese Verhandlungen durchführen können? Ein leichtes Schmunzeln formte sich auf ihren Lippen. So einfach würde sie es diesem Monster aber nicht machen.
„Vergiss es!", zischte sie. „Dir helfe ich nicht."
Ragnar grunzte laut und hielt sich dabei die Hand an den Bauch. Ein kehliges Lachen entkam von seiner Brust. Das war nicht die Wirkung, die Aveline mit ihren Worten erzielen wollte. Er schien mit dieser Antwort gerechnet zu haben.
Nachdem er sich von seinem kleinen Lachanfall erholt hatte, wischte er sich eine Träne aus den Augenwinkeln.
„Du wirst mich zu der Verhandlung begleiten und für mich übersetzen. Du wirst die Seite der Wikinger vertreten", sagte er sodann mit mehr Autorität in der Stimme.
Ragnar akzeptierte kein Nein, das wusste sie, aber sie wollte nicht. Sie wollte diesem Ekel nicht behilflich sein. Dieser Mann war für so viel Unheil verantwortlich.
„Nur über meine Leiche!", rief sie.
Solche Dinge sollte sie Ragnar eigentlich nicht ins Gesicht rufen, denn wenn er wollte, konnte er ihrem Todeswunsch kurzerhand nachkommen. Dessen war sie sich sehr bewusst. Dennoch wollte sie Stärke zeigen und sich von ihm nicht unterkriegen lassen.
„Du würdest also eher sterben, als mir zu helfen?", fragte er stirnrunzelnd.
„Ganz genau", murmelte sie, aber sie merkte selbst, wie ihre Stimme nicht mehr überzeugend klang.
Sie wollte gerade zur Frage ansetzen, wie er denn ohne sie jemanden fände, der sowohl Fränkisch als auch Nordisch sprach, da wurde die Zeltplane aufgeschlagen und Loki trat ins Innere. Als er Aveline im Bett gefesselt erkannte, verrutschten seine Gesichtszüge und sein Lachen, das er im Gesicht getragen hatte, verstarb augenblicklich.
Sie blickte ihn flehend an, aber Loki schien ihre stille Bitte nicht zu erkennen. Stattdessen drehte sich der Lockenschopf zu seinem Jarl.
„Du hast mich gerufen, mein Jarl?"
„Loki!", stiess Aveline aus, in der Hoffnung, Ruriks bester Freund könne ihr irgendwie helfen.
Dieser würdigte sie aber keines Blickes. Er blickte unentwegt zu seinem Jarl und ignorierte sie. Ragnar schritt auf Loki zu und legte den Arm um seine schmalen Schultern.
„Loki Marson. Mein guter Mann! Du kommst gerade rechtzeitig. Wir warten nämlich auf die Rückkehr deines Freundes. Ich habe gehört, du hättest ihn auch ganz arg vermisst. Nun hat das Warten ein Ende. Er wird schon bald zurückkehren und du sollst ihn empfangen. Hast du verstanden? Du sollst ihn empfangen und zu mir bringen."
„Rurik?", fragte er verdutzt. „Rurik ist wieder da?"
„Ja, der."
„Nein!", rief Aveline aus, denn sie verstand, was für ein Spiel Ragnar gerade spielte.
Loki kratzte sich am Hinterkopf und runzelte die Stirn.
„Aber der ist doch schon seit Wochen weg. Warum sollte der jetzt zurückkehren wollen?"
Der Bursche schien die Teile noch nicht zusammengesetzt zu haben. Ragnar deutete mit seinem Finger auf Aveline.
„Wegen der da."
Loki liess seinen Blick zu Aveline schweifen. Sein Gesichtsausdruck war emotionslos, nur leichte Verwunderung war daraus zu lesen.
„Also, geschätzter Loki. Wirst du deinem Jarl den Gefallen tun und ihn augenblicklich zu mir bringen, wenn du ihn findest?", fragte Ragnar, um sicherzustellen, dass Loki ihn verstanden hatte.
„Loki, bitte nicht!", flehte Aveline.
Der Lockenkopf wandte seinen Blick von ihr ab, nickte seinem Jarl zu und verliess das Zelt mit den Worten, dass sich Ragnar auf ihn verlassen könne. Aveline blickte Loki entsetzt hinterher.
Das durfte doch nicht wahr sein!
Ragnar verschränkte die Arme triumphierend vor sich.
„Wieder zu dir", sagte er dann und schob den Stuhl näher an das Bett. „Wo waren wir stehen geblieben?"
Er beugte sich nach vorne, um ihr direkter in die Augen blicken zu können.
„Ahja. Du wirst meine kleine, schöne Übersetzerin sein."
„Nein!", sagte Aveline wieder. „Ich werde dir nicht helfen!"
Ragnar seufzte und senkte den Kopf. Seine Bartperlen baumelten in der Luft und verleiteten ihn dazu, sie in die Finger zu nehmen und zwischen Daumen und Zeigefinger zu drehen.
„Ist das so?", sagte er.
„Du wirst mich nicht dazu bringen können!", zischte sie.
Er lachte abermals kehlig auf. Der Stuhl knirschte, als er sich zurücklehnte. Ein dunkler Schatten zog über seine blaugrünen Augen. Er starrte sie nieder und sagte nichts mehr. Etwas verunsichert über seine plötzliche Wesensveränderung zog Aveline die Knie zu sich heran.
„Weisst du eigentlich, was wir Normannen mit Verrätern anstellen?", fragte er.
Aveline schüttelte den Kopf. Ihr Herz schlug plötzlich schneller in ihrem Brustkorb.
„Wenn du mir nicht helfen möchtest, dann werde ich dir das liebend gerne an deinem Rurik zeigen."
Sie riss ihre Augen weit auf.
„Nein", sagte sie.
„Wir müssen nur warten, bis er dich retten kommt", meinte Ragnar und schon wieder formte sich dieses bösartige Grinsen auf seinen Lippen.
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Loki tänzelte über den Platz. Er hätte nie damit gerechnet, Aveline im Bett von Ragnar vorzufinden, geschweige denn sie überhaupt noch lebend zu sehen. Er hatte ja schon längst damit gerechnet, dass sie irgendwo tot am Strassenrand lag.
Was sie hier bloss trieb?
Er zuckte mit den Schultern und summte wieder sein Lieblingslied vor sich hin. Ihm konnte das ja egal sein. Was scherte er sich um die Angelegenheiten anderer Leute. Ragnar musste schon seine Gründe gehabt haben, sie ans Bett zu fesseln. Vielleicht war der Jarl ja wütend auf sie, weil sie einfach plötzlich verschwunden war.
Während Loki durch die Zelte schlenderte und seine Kriegerkollegen mit einem Kopfnicken grüsste, kreisten seine Gedanken um seinen besten Freund. Rurik war also wegen Aveline davongerannt, wie ein blinder Hund, der einer lecker riechenden Wurst hinterher hechelt.
„Typisch", sagte Loki im Selbstgespräch. „Der hat es immer in den Eiern gespürt, wenn er sie gesehen hat."
Er ging weiter und kickte einen Hornbecher weg, der mitten auf dem Weg lag. Das Saufgelage von letzter Nacht zehrte noch an seinen Kräften und vor allem an seiner Fähigkeit, gerade zu gehen. Seit Tagen waren sie schon nicht mehr auf Plünderung gewesen, weil Ragnar entschieden hatte, dieses doofe Zeltlager aufzustellen und auf das Auftauchen des Herrschers dieses Landes zu hoffen, der sich feige wie ein Franke irgendwo im Dickicht versteckte. Wenn Loki bestimmen könnte, wären sie schon längst weitergezogen und hätten zahlreiche Städte erobert.
Ganz in Gedanken verloren schlenderte er an den Zelten vorbei, als er plötzlich aufgeregte Stimmen hörte, die vom Rande des Lagers kommen mussten. So neugierig wie Loki war, sputete er in die Richtung, denn er wollte schliesslich wissen, was sich dort Aufregendes abspielte.
Abrupt blieb er stehen, als er am Ort des Geschehens ankam. Es war Rurik, der da laut zeterte.
„Was hast du mit ihr getan?!", brüllte er.
Rurik kniete auf Kjetills Rücken, der bäuchlings und mit blutendem Gesicht auf dem Boden lag und keuchte. Rurik atmete schwer, während er den dünnen Hünen auf die Erde drückte. Kjetill wehrte sich nicht mehr, denn in dieser Position war er dem aufgebrachten Hauptmann ausgeliefert.
„Ich habe sie gevögelt, scheiss Verräter! Was denn sonst! Ich bin über sie drüber und habe sie weitergereicht!", rief Kjetill in den Dreck.
„Du scheiss Arschloch!", stiess Rurik aus und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. „Sag mir endlich, wo sie ist?! Wo hast du sie hingeschleppt!"
Loki wunderte sich über Ruriks Zorn. Was wohl in seinen besten Freund gefahren war? Ein Kreis von neugierigen Zuschauern hatte sich um die beiden gebildet und Loki drückte sich durch, damit er zu seinem Freund gelangen konnte.
„Rurik", sagte er, aber dieser hörte ihn nicht.
Der Hauptmann knurrte noch immer wie ein Biest. Seine Axt lag unberührt im Gurt, aber Loki wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie Anwendung fand und Kjetill den Kopf kürzte.
„Ich schwöre dir, ich zerteile dich in tausend Stücke, wenn du mir nicht gleich verrätst, was du mit ihrer Leiche getan hast!", brüllte Rurik.
Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Der Mann war nicht mehr bei Verstand. So aufgebracht hatte Loki seinen besten Freund noch nie in seinem Leben gesehen. Er kam noch etwas näher.
„Leiche? Aber sie ist doch gar nicht tot", sagte Loki.
Augenblicklich wirbelte Rurik hoch, packte seinen Freund am Kragen und riss ihn zu sich, so dass sich fast ihre Nasen berührten.
„Was?! Was hast du gesagt?!", rief er ihm ins Gesicht.
Loki blinzelte irritiert und legte seine Hände auf Ruriks Fäuste.
„Hallo auch dir", murmelte er.
„Sie lebt?! Ich muss es wissen! Wo ist sie?! Sag es mir!"
Loki verdrehte die Augen, was Rurik dazu bewegte, ihn energisch zu schütteln.
„SAG ES MIR!"
„Ist ja gut, ist ja gut! Dein Gör ist bei Ragnar. Quicklebendig. Keine Ahnung, was der von ihr will."
Rurik liess seinen Kragen los und stampfte los. Loki zögerte und blickte seinem bestem Freund hinterher. Was in Odins Namen war in ihn gefahren? Er erkannte ihn nicht. Das war ein anderer Mensch, der da so wütend in die Richtung von Ragnars Zelt marschierte. Das war nicht Rurik.
Mit einem sicheren Abstand von mindestens zehn Schritten folgte er seinem aufgebrachten Freund.
„Ragnar!", brüllte sich Rurik heiser.
Er zog seine Axt aus dem Gurt und stampfte laut fluchend durch das Lager. Die Männer kamen aus ihren Zelten oder streckten ihre Köpfe durch den Stoffschlitz, um nachzusehen, wer hier einen solchen Lärm veranstaltete. Loki lief weiterhin hinter Rurik her und jedes Mal, wenn dieser den Namen des Jarls laut schrie, zog er seinen Kopf ein. Ruriks Rufe gingen unter die Haut.
„Ragnar! Wo ist sie?!", schrie Rurik, als er beinahe schon am Vorplatz angekommen war.
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Aveline gefror das Blut in den Adern, als Ruriks Stimme von draussen zu ihr und Ragnar ins Zelt drang. Für einen Moment war es ganz still, dann erfasste ein leichter Windstoss die Baumwollplanen und liessen sie energisch aufflattern, wie wenn die Luft den panischen Herzschlag von Aveline aufgenommen hätte.
Ein Stimmenwirrwarr wuchs an. Leute mussten sich auf dem Vorplatz versammelt haben. Interessierte Krieger, neugierige Zuschauer. Schaulustige.
„RAGNAR!", hörten sie Rurik brüllen.
„Oh, da ist er ja schon", schmunzelte Ragnar und erhob sich von seinem Stuhl.
„Nein!", stiess Aveline aus.
„Habe ich es nicht schon immer gesagt? Rurik kommt, wenn ich ihn brauche. Ob als treuer Krieger oder Verräter seines eigenen Volkes."
Ragnar strich die rostblonden Haare nach hinten und richtete sich seine Kleidung.
„Es ist an der Zeit, dass ich mit Rurik ein Exempel statuiere", sagte er und schritt zum Ausgang des Zeltes.
Er wollte schon die Plane heben und sich gebückt durch den Ausgang zwängen, da stand Aveline im Bett auf, so gut es angebunden ging.
„Warte!", rief sie.
Ragnar blieb stehen und blickte sie erwartungsvoll an. Das fiese Schmunzeln kräuselte seine Lippen. Wie sehr Aveline seine Visage doch hasste.
„Was ist denn, meine Perle? Was willst du mir sagen?", säuselte er.
Avelines Kinn zitterte, als sie die Worte aussprach, die sie so nicht hätte sagen wollen. Aber ihr blieb keine andere Wahl.
„Ich tue es", murmelte sie.
„RAGNAR!", dröhnte Rurik von draussen.
Ruriks Rufe übertönten ihre Worte. Ragnar hob eine Hand zu seiner Ohrmuschel, so als hätte er sie nicht verstanden.
„Was? Ich kann dich nicht hören", sagte er.
„Ich übersetze für dich bei der Verhandlung mit dem König!", sagte Aveline.
„Braves Weib."
„Du musst mir aber im Gegenzug versprechen, dass du Rurik nichts antust und dass du ihn sein lässt! Gib mir dein Wort!"
„Ja, ja", grinste Ragnar.
Aveline glaubte ihm nicht, aber welche Wahl blieb ihr? Sie wollte nicht, dass Rurik etwas zustiess.
„Dein Wort, Ragnar! Gib mir dein Wort! Du musst es mir versprechen! Sonst werde ich alles falsch übersetzen und dafür sorgen, dass die Verhandlung scheitert."
Ragnar seufzte hörbar genervt, dann sagte er:
„Du hast mein Wort. Versprochen."
Aveline legte ihren Kopf schief und warf ihm einen durchdringenden Blick zu. Sie hoffte, dass Ragnar trotz seines schlechten Rufes ein Mann von Ehre war. Ein Wikinger hält sein Wort. Das war etwas, das sie in Vestervig gelernt hatte. Auf das Wort eines Normannen konnte man vertrauen. Normalerweise.
„Ich schwöre dir im Namen meines Gottes, wenn du dein Wort nicht hältst, Ragnar Sigurdson von Nordjütland, dann werde ich dich höchst persönlich zum Teufel jagen!", fauchte sie.
Ragnar lachte auf.
„Deine Krallen kannst du später ausfahren. Du schläfst heute Nacht nämlich bei mir", sagte er und schritt aus dem Zelt.
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