27 - Wonnemond
Paris, Westfränkisches Reich
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Loki tauchte seine Hände ins kalte Wasser des Flusses und bespritzte damit sein Gesicht. Die blutigen Tropfen, die von seiner Nase perlten, lösten sich im trüben Wasser des Flusses auf. Er warf sich eine weitere Ladung Wasser ins Gesicht und schnaubte durch die Nase. Ein klebriger, dunkelroter Schleim trat aus, den er sich mit dem Ärmel abwischte. Seine Hand strich über die Platzwunde an seiner Augenbraue, die noch immer arg blutete.
„Scheisse!", fluchte er und tupfte sich die Verletzung mit einem Lappen ab.
„Loki?", hörte er Rollo hinter sich.
„Lass mich!"
„Alles in Ordnung? Ich —", setzte Rollo an, doch verstummte sogleich beim Anblick von Lokis zerschlagenem Gesicht.
„Ich hab gesagt, lass mich in Ruhe!"
Das Antlitz des Lockenschopfs war derbe verunstaltet worden. Fäuste hatten in seinem Gesicht getobt - ausnahmsweise mal nicht die Fäuste seines Vaters - und nun versuchte Loki mit dem schmutzigen Lappen, das rinnende Blut zu stillen. Der zweite Hauptmann Thorsten Bordson hatte ihn während eines Tobsuchtsanfalles so zugerichtet. In Lokis Magen brodelte der Zorn. Einerseits weil dieser fiese Hauptmann ihn dermassen verdroschen hatte, obwohl er gar nichts verbrochen hatte und andererseits weil sein bester Freund die Schuld an all dem trug.
Als Ragnar vor drei Tagen mit Entsetzen festgestellt hatte, dass nebst seinem ersten Hauptmann Rurik auch sein fränkischer Sklave und somit die einzige Person in seiner Armee, welche die örtliche Sprache verstand, nicht mehr aufzufinden waren, hatte er augenblicklich Suchtrupps losgeschickt, um in den umliegenden Dörfern nach den beiden zu suchen. Der Jarl hatte gehofft, dass Rurik von selbst wieder auftauchen würde und sich nur im Suff davongemacht hatte. Als Rurik allerdings selbst nach drei Tagen nicht zurückkehrte, riss Ragnars Geduldsfaden und er wollte den besten Freund ausfragen lassen, denn dieser musste schliesslich über das Verbleiben des ersten Hauptmannes Bescheid wissen.
Thorsten Bordson hatte die Aufgabe gefasst Loki zu befragen und da es zur Art des zweiten Hauptmannes gehörte, seine Verhöre mit Gewalt durchzuführen, endete die Befragung in einer Prügelei. Loki hatte dem wütenden Thorsten nicht verraten können, wohin der erste Hauptmann verschwunden war. Thorsten hatte Loki allerdings nicht geglaubt und ihn ans Flussufer geschleppt um ihn mit Fäusten zu bearbeiten.
Nachdem dieser selbst unter Todesdrohungen nicht mit der Sprache rausgerückt war, hatte der breite Wikinger dem schmalen Burschen die Faust ins Gesicht geknallt, bis das Blut an seinen Fingerknöcheln klebte und Loki vor Benommenheit kaum noch ein Wort über die Lippen hatte bringen können. Dann hatte Thorsten ihn frustriert am Uferrand liegen gelassen und war laut fluchend davon gestampft.
Selbst wenn Loki es gewusst hätte, wohin Rurik verschwunden war, er hätte es diesem Dummkopf nie verraten. Aber Loki wusste wirklich nicht, wohin sein bester Freund gegangen war. Er selbst war genauso überrascht und ratlos über das Verschwinden seines Freundes, wie alle anderen auch. Loki kannte Rurik allerdings, denn er war schliesslich mit diesem Pflock aufgewachsen. Er wusste, dass sich sein Freund niemals grundlos von seiner Pflicht drücken würde. Rurik war ein ehrenvoller Mann und Loki vermutete, dass irgendwas Aussergewöhnliches ihn dazu bewegt haben musste, zu verschwinden.
Mit zitternden Fingern tastete sich Loki das zerschlagene Gesicht ab. Seine Knie gruben sich in den Ufersand des Flusses. Die Wunde an seiner Augenbraue brannte und das Blut floss noch immer tröpfchenweise aus seiner Nase. Seufzend erhob er sich und wandte sich Rollo zu.
„Na? Seh ich furchterregend aus?", fragte er den Skagener Burschen, der betreten da stand.
Dieser hatte einen äusserst bedrückten Gesichtsausdruck aufgesetzt und wirkte wie immer viel zu klein in seiner Rüstung.
„Kannst von Glück reden, dass dir kein Zahn ausgeschlagen wurde", antwortete Rollo.
„Ich habe eine harte Birne. Da braucht es schon mehr als Thorstens kleine Fäuste, um mir den Kopf einzuschlagen", meinte Loki.
Er hielt sich den Lappen an die Stirn, um die Blutung am Kopf zu stoppen. Das leichte Brennen der Verletzung ignorierte er, denn er war sich schliesslich gewohnt, mit verbeultem Gesicht durchs Leben zu gehen. Sein Vater hatte ihm das zur Genüge beigebracht. Immerhin eine Sache, die er ihm gelehrt hatte: Von einer kleinen Schramme im Gesicht nicht gleich losheulen zu müssen.
Loki versuchte es positiv zu sehen. Mit verhauenem Gesicht würde er noch furchterregender aussehen und dem Feind mehr Angst einjagen können, als üblich. Es war schliesslich alles eine Frage der Perspektive.
„Hat Ragnar gesagt, wann es losgeht?", fragte Loki.
Rollo wechselte das Gewicht von einem Bein aufs andere. Er fühlte sich sichtlich unwohl dabei, das Offensichtliche nicht anzusprechen: Der Grund, weshalb Loki eben verdroschen worden war.
Rollo hatte den fassungslosen und enttäuschten Ausdruck auf dem Gesicht von Loki gesehen, an dem Tag, an dem Rurik verschwunden war. Es war nicht schön gewesen, zu sehen, wie sehr es Loki mitgenommen hatte, dass sein bester Freund einfach gegangen war, ohne ihm irgendeinen Hinweis zu hinterlassen. Der quirlige Bursche wirkte betrübt, selbst wenn er es mit seiner Lockerheit überspielte. Es hatte ihn verletzt. Aber vor allem hatte es Loki wütend gemacht, weshalb er sich umso mehr auf den anstehenden Angriff freute.
„Wir greifen zur Mittagsstunde an", murmelte Rollo.
Loki nickte zufrieden und formte ein Lächeln mit seinen angeschwollenen Lippen.
„Gut, dann sollen sich die Walküren bereit machen, uns in ihren schönen Armen zu empfangen", sagte er und marschierte zu den Schiffen. Den blutigen Lappen warf er in die Strömung des Flusses. „Wird auch wirklich Zeit!"
Rollo schluckte leer und folgte ihm schweigend. Er hatte von allen, die über Ruriks plötzliches Verschwinden rätselten, wahrscheinlich am meisten gehofft, dass der Hauptmann zurückkehren würde, bevor sie in die Schlacht ziehen würden. Rurik hatte sich sehr vorbildlich um Rollo gekümmert und ihm die wichtigsten Kampftechniken beigebracht. Die Vorstellung, dass Rollo jetzt alleine und ohne Ruriks Unterstützung gegen die Franken kämpfen müsste, versetze ihn in Panik.
Rollo fürchtete sich vor dem Tod. Das hatte er in der Nacht nach der ersten Schlacht feststellen müssen. Seine Hände hatten unaufhörlich gezittert und die Bilder gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Dass er plötzlich Angst verspürte war eine Tatsache, die er sich kaum traute, irgendjemandem zu verraten. Ein wahrer Wikinger durfte sich nicht vor dem Tod fürchten, aber Rollo hatte Angst. Angst, dass es schmerzhaft werden könnte. Angst, dass er quälend langsam, um Luft röchelnd, vor Schmerzen kreischend und nach seiner Mutter flehend von Midgard gehen würde. So wie er es auf dem Schlachtfeld bei den Franken beobachtet hatte, die grässlich gestorben waren. Der Tod in der Schlacht war hässlich und grauenvoll und er fürchtete sich davor, selbst so zu enden.
Er wusste, dass Hauptmann Jarson seine Furcht gespürt hatte. Nicht umsonst hatte sich Rurik vor ihm in die vordersten Reihen der Schlacht gestellt und die meisten Schläge für ihn abgewehrt. Rollo war kein guter Krieger, das hatte er selbst feststellen müssen. Obwohl er doch einige Franken ins Jenseits befördert hatte, war ihm das doch ziemlich schwer gefallen. Es war keine leichte Angelegenheit das Schwert ins Fleisch eines Mannes zu bohren.
Auch wenn die Euphorie des Tötens während der Schlacht einen unbeschreiblichen Höhepunkt erreicht hatte, bei welchem Rollo nur noch in Trance im Schlamm gestanden und die Todesschreie und das mörderische Gebrüll kaum noch vernommen hatte, waren die Nächte danach für ihn unerträglich gewesen. Die Erinnerungen an die Augen der Opfer, die er getötet hatte, ätzten sich in sein Gedächtnis wie ein Brandmahl, das unangenehm juckte.
Ruriks Präsenz in der Schlacht hatte ihm Sicherheit gegeben, dass er lebendig aus dem Getose des Tötens herauskommen würde. Aber jetzt, wo der Hauptmann fehlte und Ragnar beschlossen hatte, ohne ihn weiterzuziehen, verkrampfte sich Rollos Magen und die Angst kroch in seine Glieder. Lokis Begeisterung für den drohenden, immer näher kommenden Tod machte es für den schmächtigen Skagener nicht einfacher. Er hatte sich am frühen Morgen schon zwei Mal übergeben müssen, solch grosse Angst verspürte er.
Er heftete sich an Lokis Fersen und folgte ihm über die Bretter bis zum Prunkschiff. Die Segel waren bereits gehisst worden und leuchteten blutrot im morgendlichen Sonnenlicht. Lange genug waren die Wikinger am selben Ort verharrt, hatten ihre Kräfte gesammelt und die Gegend ausgekundschaftet. Unweit von ihrem Ankerplatz hatten sie eine Grossstadt entdeckt. Dorthin wollten sie nun weiterziehen. Es war Ragnars Plan, die fränkische Stadt an diesem Tag mit seiner mächtigen Flotte anzugreifen und so waren die Schiffe wieder auf Vordermann gebracht und die Waffen geschliffen worden.
Loki zog sich seine lederne Rüstung über die rote Tunika und nahm seinen Schild von der Reling. Rollo tat es ihm gleich und setzte sich neben ihm hin. Der düstere Gesichtsausdruck auf Lokis Gesicht verflog beim Anblick seines eigenen, schönen Schildes augenblicklich. Nicht nur sein besonderer Schild, sondern auch die herannahende Schlacht stimmte den quirligen Burschen glücklich - selbst mit zerschlagenem Gesicht. Fürs Schlachten musste man schliesslich nicht schön sein.
...
Die Anker wurden geliftet und die Schiffe ruderten zügig flussaufwärts der grossen Stadt entgegen. Loki klopfte Rollo auf die Schultern, so dass seine Rüstung klapperte. Er liess seine Hand auf dem jungen Skagener ruhen und begann laut seine Bitte an Odin auszusprechen. Ein Gebet, das für sie beide gelten sollte. Dabei blickte er Rollo mit Begeisterung in die Augen:
„All-Vater Odin, der du sitzt in Gladsheim auf dem Thron, erhöre unsere Bitte. Eine grosse Schlacht steht uns bevor, in der wir in deinem Namen Blut vergiessen werden. Lass unsere Klingen schneller und genauer jeden treffen, der uns vernichten will. Gewähre uns den Sieg über unseren Feind!"
Einige Männer auf dem Schiff hatten seinen Appell an Odin gehört und murmelten ihm zustimmende Worte zu. Das verleitete Loki dazu, aufzustehen und seine nächsten Worte der ganzen Besatzung zu widmen. Mit den Armen weit ausgebreitet donnerten seine Worte über die Köpfe der Krieger. Seine Stimme hallte über den spiegelglatten Fluss.
„Oh Odin! Sollte aber unser Tod kommen, dann lass unser letzter Gedanke nicht ‚Hätte ich doch bloss...' gewesen sein! Nein! Unsere Namen sollen in den glänzenden Hallen von Walhalla erklingen! Wenn wir gehen, dann wollen wir auf einem Berg der Toten unserer Feinde sterben! Schreiend und in fremden Blut getränkt sind wir auf diese Welt gekommen und genau so werden wir von dieser Welt gehen! Allmächtiger Odin, für dich greifen wir zur Axt, zu unserem Schwert und für dich empfangen wir den Tod mit offenen Armen! Für Walhalla! Für Odin!"
Die letzten Worte rief Loki aus vollstem Herzen. Die Männer auf dem Prunkschiff brüllten innbrünstig mit ihm mit:
„Für Walhalla!"
Sie waren bereit zu sterben und dem Tod ins Gesicht zu lachen. Ragnar nickte dem verrückten Loki anerkennend zu. Wenn es ums Motivieren seiner Krieger ging, dann war ihm auch Recht, wenn das ein anderer tat. Und Loki wusste schon immer, wie man die Männer schlachtfreudig machte. Das lag daran, dass er es selbst so liebte, in den Kampf zu ziehen. Das Töten war seine Leidenschaft und wer etwas mit einer solchen Hingabe tat, der tat es gut.
Das Prunkschiff glitt allen voran an der Spitze der grossen Flotte und mit jedem Ruderschlag kamen sie ihrem Ziel näher.
Vor ihnen erhob sich Paris aus dem Vormittagsdunst. Die Stadt lag auf der Île de la Cité, einer Flussinsel, die über zwei Brücken mit dem Festland verbunden war. Eine mächtige und robuste Mauer umgab die ganze Stadt. Wachtürme zu beiden Seiten dienten Paris zum Schutz vor Angriffen. Von der Ferne waren die fränkischen Soldaten schon zu erkennen, wie sie sich über das Gemäuer lehnten und dem Anblick der bedrohlichen Wikingerflotte kaum glauben konnten.
Mit jedem Ruderschlag fühlte sich Rollo unwohler in seiner Haut. Seine Hand verkrampfte sich um den Griff seines Rundschildes. Er war alles andere als bereit, dem Tod ins Gesicht zu grinsen, aber ihm blieb keine Zeit mehr, um sich auf irgendeine Weise aus dem Staub zu machen. Die Schiffe glitten so schnell flussaufwärts, dass sie innert kürzester Zeit die Spitze der Insel erreicht hatten und die Schlacht ihren Anfang nahm.
Augenblicklich wurden die Wikinger von einem ersten Pfeilregen begrüsst. Das Zischen der herabfallenden Pfeile hallte Rollo in den Ohren, während er seinen Schild schützend über den Kopf legte und versuchte, den Pfeilen, die sich krachend zu seinen Füssen ins Holz bohrten, auszuweichen. Die Ruder wurden eingezogen, die Anker ausgeworfen und die Männer rannten über die Schiffe, der Insel entgegen. Eine Handvoll Wikinger packten die Holzleitern, die sie gebaut hatten und sprangen damit aus dem Schiff an die Mauer. Von oben prasselten Steine auf sie herab, welche die Franken ihnen entgegenwarfen, um zu verhindern, dass sie ihre Leitern anlegen konnten.
Die ersten Leitern prallten an die steinerne Mauer, sodass der Staub aufwirbelte. Die Höhe der Mauern hatten die Wikinger korrekt eingeschätzt. Die Leitern waren gerade lang genug, damit die Normannen der Wand entlang hochkraxeln konnten, ohne dass die Franken aber die Leitern umstossen konnten. Jeweils zwei starke Männer mit Schild geschützt platzierten sich an den Füssen der Leitern und hielten sie fest, damit die Krieger, die hinaufkletterten, gesichert waren. In einer rasenden Geschwindigkeit knallten unzählige Leitern an die Mauer von Paris. Die Wikinger waren so schnell, dass die Franken auf dem Wall kaum Zeit hatten, das heisse Pech vorzubereiten und den Angreifern über die Köpfe zu schütten.
Mit kräftigen Zügen kletterten die ersten Wikinger über den Rand der Mauer und lieferten sich einen erbitterten Kampf mit den Soldaten, die sie oben mit ihren Schwertern empfingen. Rollo folgte Loki die wackelige Leiter hoch. Sein Herz pochte wie wild in seiner Brust und er war froh, dass Loki vor ihm auf der Leiter stand, denn ein Franke schwang sein Schwert bedrohlich vor seinem Kopf hin und her. So flink wie Loki allerdings war, sprang er den restlichen Abstand die Mauer hoch und schlug dem Franken die Axt mitten ins Gesicht. Dieser fiel schreiend die zehn Meter in die Tiefe.
Rollo packte die Gelegenheit und kletterte sicher über die Mauerkrone. Vor seinen Füssen eröffnete sich ein atemberaubender Ausblick über die Dächer der fränkischen Stadt. In den Gassen unter ihnen schrien und kreischten die Bewohner schon panisch. Die ängstlichen Menschen rannten in die Richtung der Brücken, die sie auf das sichere Festland bringen konnten. Was sie aber nicht wussten, war, dass Ragnar genau diese Brücken in Flammen aufgehen lassen wollte.
„Augen nach vorne, Dummkopf!", brüllte Loki und schlug einem weiteren Franken die Axt in die Brust, der Rollo beinahe sein Schwert in die Flanke gerammt hätte.
Rollo zuckte erschreckt zusammen und verstärkte den Griff um seine eigene Waffe. Es galt schliesslich einen Kampf zu überleben. Er fühlte sich mit der Situation allerdings mehr als überfordert. Von beiden Seiten des Walles kamen fränkische Soldaten herangestürzt, bereit ihr Leben dafür zu lassen, diese Stadt vor den Wikingern zu verteidigen. Loki rannte in eine Richtung den Franken entgegen und schleuderte einem Soldaten seine Axt entgegen. Bei seiner Treffsicherheit traf er den Franken in die Brust und als er bei ihm angekommen war, hatte er ihm die Waffe auch schon wieder aus dem Fleisch gezerrt, bevor dieser sterbend auf die Knie gestürzt war.
Rollo stand wie eingefroren auf dem Rand der Mauer, der Abgrund bedrohlich nahe an seinen Fersen. Ein Fehltritt und er würde in den sicheren Tod stürzen.
„Rollo, verdammt nochmal! Beweg deinen Arsch hierher!", brüllte Loki und wehrte einen Schwerthieb mit seinem Schild ab.
Er parierte den Hieb und stiess sein Schild dem Franken ins Gesicht. Die herausstehenden Walrosszähne bohrten sich in dessen Gesicht und der Soldat kreischte vor Schmerzen auf. Loki lachte und riss sein Schild um sich, um sogleich mit dem Schwung seine Axt dem Mann in den Nacken zu befördern. Als die scharfe Klinge die Hauptschlagader des Franken durchtrennte, spritzte Loki das Blut entgegen. Die warmen Tropfen liefen ihm übers Gesicht und er wischte sich mit dem Ärmel übers Kinn. Schmutz und Blut vermischten sich mit seinem Schweiss. Genau so, wie es ihm gefiel.
Rollo hatte sich noch immer nicht bewegt, denn die Angst lähmte seine Beine. Loki sah das und seufzte laut. Dann rannte er zu seinem Kollegen zurück, aber da stürzten sich zwei fränkische Soldaten von der anderen Seite auf den jungen Skagener. Loki war nicht schnell genug und konnte nur noch mit an sehen, wie der eine Franke sein Schwert schwang. Ein lautes Krachen ertönte, als Rollo den Hieb geschickt mit seinem Schild abwehrte.
Der Skagener blickte dem Franken, der ihn soeben hatte töten wollen, panisch ins Gesicht. Dieser holte gleich nochmals aus, um den nächsten Hieb auszuteilen, da duckte sich Rollo und das kalte Eisen brauste über seinen Kopf hinweg. Mit einer schnellen Bewegung stach Rollo sein Schwert in den Bauch des Franken, der ihn, als die Klinge sich in seinen Rumpf bohrte, nur mit grossen Augen anstarrte. Rollo sah, wie das Leben aus den Augen des Mannes wich und sich seine Pupillen plötzlich weiteten. Er konnte seinen Blick nicht von dem Sterbenden ablassen und starrte ihm unentwegt ins Gesicht. Dann zog er langsam sein Schwert aus dem Körper des Feindes.
Rollo sah nicht, wie der zweite Franke, der mit dem Sterbenden mitgerannt war, sein Schwert hob und auf ihn niederschmetterte.
„Rollo!", schrie Loki entsetzt, aber es war zu spät.
Das Schwert traf Rollo am Kopf und blieb in seinem Schädel stecken, so dass der Franke es mit aller Kraft herausziehen musste. Seine eigene Waffe fiel dem Skagener sofort aus den Händen. Ein helles Klirren ertönte, als das Metall zu Boden schepperte. Rollo schwankte stark auf dem Rand der Mauer. Er drohte rücklings in den Abgrund zu stürzen.
Ausser sich warf Loki seine Axt auf den fränkischen Soldaten und traf ihm am Kopf. Der Körper des Franken fiel zur Seite. In wenigen Sprüngen war Loki bei Rollo angekommen und packte seine Hand, bevor sein Körper rücklings in den Fluss gestürzt und für immer verschwunden wäre.
Das Blut floss über Rollos Gesicht. Er sackte in sich zusammen. Loki stöhnte auf, als der Körper des Skageners auf ihn fiel und er ihn auf den Boden der Mauer legen musste. Rollo röchelte und spuckte Blut, seine Beine zuckten durch die Kopfwunde unkontrolliert. Loki holte Rollos Schwert und legte es dem Burschen schnell auf die Brust. Dann packte er Rollos zuckende Hände und half ihm, seine Waffe zu umgreifen. Nur mit seiner Waffe in der Hand würde er nach Walhalla reisen können. Der Blick des Skageners war voller Entsetzen.
„Lass los, mein Bruder", murmelte Loki dem Jungen zu. „Die Walküren sehen dich schon."
Rollos Augen weiteten sich. Tränen liefen ihm die Wangen hinunter. Er wollte nicht gehen.
„Wir sehen uns in Walhalla, mein Bruder. Habe keine Furcht. Odin wird dich empfangen!", sagte Loki und presste seine Hände auf die zitternden Finger des Skageners.
Nach einem weiteren Atemzug liess der junge Bursche los und sein Brustkorb senkte sich ein letztes Mal, nur um sich dann nie wieder zu heben. Loki verharrte einen Moment bei seinem Freund, während hinter ihm mehr Wikinger über die Mauer kletterten und in die Stadt stürzten. Der Tod war kein schöner Anblick, aber immerhin waren Rollos Gesichtszüge jetzt entspannt. Er war an einem besseren Ort.
Als Loki sicher war, dass Rollo seine Reise nach Asgard angetreten hatte, kehrte er dem Toten den Rücken zu und sprintete der Mauer entlang zum nächsten Turm, wo er eine Treppe vermutete, die ihn runter in die Strassen dieser herrlichen Stadt bringen würde. Seinen Schild und seine Axt warf er sich auf den Rücken, damit er schneller durch die Gassen rennen konnte. Er wollte keine Zivilisten schlachten und es schien, als hätten sich die fränkischen Soldaten zurückgezogen. Auf den Strassen rannten nur unschuldige Menschen umher, die Loki nicht um ihr Leben bringen wollte.
Rurik hatte recht gehabt. Mit dem Töten von Unschuldigen würde Loki nur seine Energie verschwenden und das wollte er nicht - nein. Was er wollte war ein sonniges Plätzchen zu finden, auf welchem er sein Schild ausprobieren konnte. Es hatte sich noch keine gute Gelegenheit ergeben, in welcher er ein paar Dächer hatte in Brand setzen können. Glücklicherweise schien an dem heutigen Tag die Sonne hell am Himmel. Ideales Wetter für sein Vorhaben!
Loki bog in eine Gasse ein, die zum Marktplatz führte. Etwas ausser Atem blieb er stehen und beobachtete, wie die Bewohner der Stadt panisch davonrannten. Er kicherte amüsiert. Das Geschrei und das Chaos waren wie Musik in seinen Ohren. Eine Frau, die vor ihm umgefallen war und sich aufraffte, kreischte beim Anblick seines grinsenden, zerschlagenen Gesichts hysterisch.
In aller Ruhe und mit der üblichen Gelassenheit in all der Hektik analysierte Loki die Marktstände und suchte nach einer geeigneten Stelle, an welcher er die Entzündbarkeit seines Schildes testen konnte. Er hob seinen Schild gen Sonne, bis er den Lichtfleck erkannte, den die Kupferplatten von seinem Schild auf die Marktplanen warfen. Er wartete geduldig und bemühte sich, den hellen Fleck immer auf denselben Ort scheinen zu lassen.
Mittlerweile war der Marktplatz wie leergefegt und wenn jemand an Loki vorbeirannte, dann war das bloss noch ein plündernder Wikinger. Der Lockenkopf fokussierte sich auf den hellen Fleck und wartete geduldig. Sachte stieg ein Rauchfaden aus der Mitte des weissen Punktes hervor, was Loki ein breites Grinsen aufs Gesicht zauberte. Sein Schild konnte also die Hitze der Sonne auf einen Punkt konzentrieren, sodass daraus Feuer entsprang. Mit Entzücken beobachtete er, wie sich plötzlich ein Loch bildete und die Stoffplane des Marktstandes Feuer fing.
„Na, also. Geht doch", kicherte Loki entzückt und lief zum nächsten geeigneten Platz, um dort dasselbe zu tun. Diese Stadt sollte schliesslich in den Flammen versinken.
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