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25 - Wonnemond

Bei Aachen, Lotharingien

~

„Wer hat dir eigentlich dein Lächeln geraubt?", fragte Faralda eines Abends, als sich die beiden Frauen einmal mehr auf dem Karren zusammengerollt hatten und sich unter die Wolldecken verkrochen, um von der kalten Nachtluft zu fliehen.

Aveline hatte ihrer Freundin bereits den Rücken zugedreht und hob müde den Schopf, um ihre feuerhaarige Freundin anzublicken.

„Der Teufel selbst", murmelte sie und drehte sich wieder um.

Sie war erschöpft, denn ein langer Reisetag lag hinter ihnen. Seit Anbruch des Tages, noch bevor die Sonne den Horizont gestreift hatte, waren sie aufgestanden und losgezogen. Sie hatten am späten Nachmittag endlich die Grenze zwischen dem ostfränkischen Reich und Lotharingien überschritten. Dort waren sie einmal mehr in eine Soldatenpatrouille geraten, die sie belästigt hatte und die sie nur mit Faraldas vorlauter Klappe von sich hatten abwimmeln können.

Aveline war von der Wanderhure an ihrem ersten gemeinsamen Abend über die politische Situation im Frankenreich aufgeklärt worden. Das Frankenreich - so wie Aveline es kannte - gab es nicht mehr. Das Land war zwischen den Söhnen des Kaisers Ludwig des Frommen in drei Stücke aufgeteilt worden und so, wie es sich unter Königen nun mal gehörte, stritten sich diese Brüder aufs Bitterste um die Landstriche.

Avelines Heimat bestand neuerdings aus drei Reichen: Westfranken, Lotharingien und Ostfranken. Seit Monaten herrschte kein Frieden mehr zwischen den künstlich aufgezogenen Landesgrenzen.

Auf ihrer Reise durch das von Unruhen geplagte Reich waren die zwei Frauen an verwüsteten Bauernhöfen vorbeigekommen oder hatten gar verletzte Vasallentruppen am Wegesrand gesehen, die sich von einer Schlacht erholten und ihre Toten auf Bahren trugen. Das Elend und die Zerrissenheit des Landes war an jeder Strassenkreuzung deutlich zu spüren.

Für die zivile Landbevölkerung bedeuteten solche Konflikte, dass plündernde und vergewaltigende Soldatentrupps durchs Land zogen und ihr nebst der Menschenwürde auch das letzte Korn raubten, das sie besass. Die ganz Unglücklichen, die nahe an den Grenzlinien lebten, wurden manchmal am selben Tag von beiden Seiten überfallen: Einmal von ostfränkischen Vasallen und ein andermal von lothringischen Soldaten. Es schien gar, dass die Soldaten eigentlich nicht ihresgleichen bekämpften, sondern nur darauf aus waren, sich an der lokalen Bevölkerung zu vergehen, denn die wehrte sich schliesslich nicht.

Aveline hätte nicht gedacht, dass Franken solch ehrenlose Bastarde sein konnten, aber was sie von Faraldas Erzählungen gelernt hatte, hörte sich beinahe schlimmer an, als das, was sie von den Normannen gewöhnt war. Die Nordmänner waren schon schrecklich genug gewesen, aber die Taten der ostfränkischen Soldaten waren auf ihre ganz eigene Art grässlich.

Aveline war froh, dass sie schnell durch das ostfränkische Reich gezogen waren. Faralda hatte ihrem Esel unaufhörlich auf den Hintern gepeitscht, so dass dieser in einer unglaublichen Geschwindigkeit über die Wege galoppiert war. Jetzt schmerzte Avelines Rücken allerdings, denn es war alles andere als gemütlich gewesen, den ganzen Tag auf diesem wackeligen Karren zu verharren.

„Das kann gar nicht sein!", lachte Faralda.

Wieder hallte dieses bauchige, laute Lachen durch die Nacht und schreckte die gesamte Fauna in Hörweite auf. Ein Vogel flatterte aus einem Gebüsch über ihre Köpfe in den Himmel.

„Wie meinst du das?", fragte Aveline.

„Na, das wäre ja ich gewesen, die dir das Lachen geraubt hat. Ich bin nämlich der Teufel höchst persönlich!", sagte sie mit einem Grinsen auf den Lippen, so dass ihre Zähne im Schein der kleinen Fackel blitzten.

Aveline gähnte. Sie wollte nur noch die Augen schliessen und in einen tiefen Schlaf abdriften. So lange war es her, seit sie sich das letzte Mal richtig hatte ausruhen können. Mit dieser Quasselstrippe war es schlicht unmöglich, sich in der Nacht zu entspannen.

„Wie kommst du auf sowas? Wegen deinen roten Haaren?", fragte Aveline.

Faralda schüttelte den Kopf, so dass der ganze Wagen mit ihrer Bewegung mit wackelte.

„Nein. Das hat mir einmal ein Mann gesagt!"

„Einer deiner Kunden?"

„Ja, einer meiner Freier. Er meinte: ‚Zwischen deinen Beinen liegt das Tor zur Hölle!'", kicherte Faralda.

„Eine schöne Hölle ist das", stellte Aveline schulterzuckend fest.

Daraufhin prustete Faralda laut auf.

„Du bist lustig, weisst du das?", gluckste sie und drehte sich auf den Bauch, so dass es wieder der ganzen Karren schüttelte. „Wenn wir es schon davon haben. Von wegen Hölle und so. Eine Sache interessiert mich ganz brennend. Glaubst du eigentlich an das Paradies?"

Aveline seufzte hörbar und wenn sie ihrer Freundin nicht den Rücken zugedreht hätte, wäre es der rothaarigen Freudendame nicht entgangen, dass Aveline sehr deutlich die Augen verdreht hatte. Faralda quasselte ihr zu viel. Insbesondere zu Zeiten, an denen es extrem unpassend war. Heute war wieder so ein Tag. Eigentlich wollte Aveline nur noch erschöpft einschlummern, aber ihre quirlige Freundin hielt sie einmal mehr unnötig lange wach.

„Faralda, ich bin todmüde. Jetzt ist nicht die Zeit für solch tiefgründige Gespräche."

Faraldas Hände knallten auf die Holzbalken des Wagens, was Aveline dazu veranlasste, sich ihrer Freundin irritiert zuzuwenden.

„Komm schon! Du hast fast den ganzen Tag auf dem Karren geschwiegen! Mir stehen ein paar Gespräche mit dir zu. Das ist schliesslich mein Esel, der uns durch die Ländereien schleppt. Wenn ich alleine hätte sein wollen, dann hätte ich genauso die nächste Kröte vom Strassenrand auflesen können, anstatt dich. Die wäre mindestens freundlicher und weniger hässlich, als du! Und wahrscheinlich noch gesprächiger!"

Aveline ignorierte Faraldas Versuch, sie mit ihren spitzen Kommentaren zu provozieren.

„Du hast gesagt, du brauchst eine starke Frau an deiner Seite. So. Ich bin stark und befehle dir jetzt, zu schweigen!"

„Nein, Ave, dass kannst du nicht mit mir tun! Biiitte!", flehte Faralda schon fast und setzte sich auf den Karren auf, so dass das Gefährt stark schwankte.

Aveline stöhnte genervt auf und setzte sich aufrecht hin. Ihre kupferbraunen Locken lagen wirr auf ihrem Kopf, so wie sie halt fielen, wenn sie sich schlafen legen wollte.

„Was habe ich mir bloss mit dir eingebrockt", murmelte sie und rieb sich die Augen.

„Die liebste Ruhestörerin, die du je in deinem Leben getroffen hast!", schmunzelte Faralda und schlug die Beine in den Schneidersitz.

„Wohl eher ein schrecklicher Plagegeist", murmelte Aveline. „Also, was war deine Frage, die so wichtig ist und nicht bist zum nächsten Tag warten kann?"

Faralda grinste und warf sich ihr feuerrotes Haar nach hinten. Das war eine Bewegung, die bei ihr unglaublich elegant wirkte und ihre grosse Oberweite leicht zum Vibrieren brachte. Aveline wusste, dass diese Bewegung zu Faraldas Verführungskünsten gehörte. Bei Männern musste das Freilegen des Halsansatzes und der baren Schultern gemischt mit dem lieblichen Wackeln ihrer Brüste so einige Gefühlsregungen hervorrufen. Bei Aveline funktionierte dieser Trick aber glücklicherweise nicht. Die Hure konnte sie nicht verführen, weshalb sie nur desinteressiert in ihr Gesicht blickte.

„Glaubst du an das Paradies?", wiederholte die Wanderhure ihre Frage und schaute Aveline gespannt in die Augen.

Die Intensität der zweifarbigen Iris bohrte sich in Avelines Netzhaut und liess sie leer schlucken. Dieses mysteriöse Auge verursachte ihr immer noch ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. So als könne es durch sie hindurch schauen. Aveline blinzelte, um dem Auge auszuweichen und antwortete dann platt:

„Ja."

Sie legte sich der Länge nach wieder hin, denn mit dieser Antwort hatte sie die Frage der Wanderhure beantwortet. Aber Faralda fuchtelte wild mit ihren Händen, denn sie wollte nicht locker lassen. Das Gespräch war in ihren Augen noch lange nicht beendet. So leicht würde Aveline nicht davonkommen.

„Moment! So schnell kannst du dich nicht vor meiner Frage drücken!", rief Faralda aus. „Du musst mir noch sagen, weshalb du das glaubst."

„Faralda, bitte nicht."

„Biii—", quietschte sie schon.

Aveline stöhnte genervt auf. Diese Masche hatte sie schon einmal abgezogen und es ging ihr gehörig auf die Nerven.

„Schon gut, schon gut!", unterbrach sie ihre laute Freundin. „Ich glaube an das Paradies, weil ich hoffe, dass es einen besseren Ort gibt, als dieses erbärmliche Leben hier."

Faraldas Gesichtszüge verrutschen sichtlich.

„Dieses erbärmliche Leben hier?! Achte auf deine Wortwahl, gute Frau! Wovon redest du?"

„Ich rede von diesem Leben, von diesem Land, von dieser... dieser Welt. Es ist ein scheusslicher Ort mit schrecklichen Menschen."

„Du bist ein trauriger Mensch, Ave", stellte Faralda fest und verschränkte die Arme vor sich.

Ihr warmes Lächeln war erloschen und sie blickte ihre Freundin mit ihren zweifarbigen Augen besorgt an. Das ozeanblau schien dunkler als sonst, als hätte sich ein finsterer Schleier darüber gelegt.

„Aber ich verstehe schon. Das Leben war unbarmherzig mit dir. Du hast viele böse Menschen getroffen. Ich selbst bin auch nicht gerade das beste Beispiel. Es ist vollkommen verständlich, dass du so denkst. Aber weisst du was?"

So schnell wie das Schmunzeln auf ihren vollen Lippen verschwunden war, erschien es auch wieder. Ihre blaubraunen Augen blitzten im Schein der Fackel. Faralda schenkte Aveline ein breites Lächeln, ihre weissen Zähne waren deutlich zu sehen.

„Ich glaube, dass es ein Trugschluss ist", sagte sie triumphierend.

Aveline blinzelte verwirrt. Sie war eindeutig zu müde, um über diese Worte nachzudenken, also fragte sie nach:

„Was ist ein Trugschluss?"

„Warum sollte es etwas geben, das besser ist als das echte Leben, hä? Das geht doch gar nicht! Es gibt nichts besseres, als das Geräusch von Vögeln in den Bäumen, der kühle Luftzug im Nacken an heissen Sommertagen, das warme Mahl nach einem anstrengenden Tag, der volle Becher Wein bei Liebeskummer, ein langes Gespräch mit einer guten Freundin oder der richtig gute Sex mit dem Mann deines Herzens. Wie bitte soll das Paradies besser sein, als das? Zeig mir bitte mal einen Ort, der das alles schlagen kann."

„Aber die Kirche sagt doch was anderes", murmelte Aveline zur Verteidigung.

Faralda kicherte und hielt sich die Hand vor den Mund.

„Was wissen keusche Priester schon vom echten Leben?! Jetzt mal ehrlich, Ave! Die dürfen ja nichts davon selbst geniessen. Für die ist das Paradies am Ende vielleicht tatsächlich ein besserer Ort, im Vergleich zu ihrem tristen Dasein im Zölibat. Aber für uns - für dich und mich - ist das Paradies genau vor unserer Nase!", sagte Faralda und tippte dann mit ihrem Finger Aveline auf die Nasenspitze. „Warum sollen wir nach etwas streben, das wir nicht einmal wissen, ob es existiert? Nur weil irgendsoein Kerl in heiliger Kleidung behauptet, da gebe es ein Ort, der so viel besser ist, als das hier? Wirklich?! Glaubst du das wirklich?!"

„Ich weiss nicht... Ich dachte schon, dass —"

Jetzt war die Wanderhure in Fahrt gekommen und der Wortschwall war nicht mehr zu stoppen.

„Es verleitet dich dazu, immer zu denken, dass all das hier nicht schön genug, nicht gut genug ist. Das ist der Trugschluss, meine Liebe! Die Priester wollen nur, dass du denkst, das Leben ist kacke. So wirst du aber nie glücklich! Wenn du immer denkst, die Welt ist ein schrecklicher Ort, und das Paradies sei anderswo zu finden, dann wirst du nie deinem Glück begegnen. Du wirst immer denken, das Gute kommt erst danach - wenn du tot bist. Ganz ehrlich! Was für eine Scheisse ist das denn? Ich muss erst sterben, bis ich glücklich sein kann? Das Paradies ist kein fantasievoller Ort irgendwo im Himmel, meine Liebe. Das Paradies ist genau hier. Zwischen dir und mir, zwischen den Bäumen und uns, zwischen dem Himmelsfirmament und der Welt. Das Paradies ist hier, auf Erden. Es ist echt, es ist spürbar, hörbar, fühlbar und nicht irgendwo im weit entfernten Dunkeln oder Hellen zu finden. Die Welt ist dein Paradies!"

Sie breitete die Arme aus und zeigte auf die Natur, die sie umringte. Aveline blickte um sich. Mehr als die Finsternis erkannte sie kaum, nur das, was durch den fahlen Lichtkegel der Fackeln beleuchtet wurde. Besonders viel ausser den rauen Brettern des Karrens und den struppigen Büschen ganz in der Nähe gab es nicht zu sehen.

„Das hier soll also das Paradies sein", murmelte Aveline langsam und liess ihren Blick auf den Esel schweifen, der neben dem Karren stand und sie dumm anblickte.

„Ja!", lachte Faralda.

„Und das sagt mir die Dame mit der Hölle zwischen den Beinen", schüttelte Aveline den Kopf. „Du hast wieder zu viel getrunken."

„Du bist einfach zu einfältig, um mich zu verstehen", lachte Faralda und legte sich wieder hin.

Aveline tat es ihr gleich und stützte ihren Kopf auf ihre Arme, so dass sie auf dem Rücken liegend die Sterne betrachten konnte.

Es war eine wolkenlose Nacht und die Stelle am Waldrand, an der sie rasteten, bot einen herrlichen Blick auf den schwarzen Nachthimmel. Eine ganze Weile lang betrachteten die zwei Frauen stumm die glitzernden Sterne.

„Jetzt, wo du mich vom Schlafen abhältst, habe ich auch eine Frage an dich, meine gute Freundin", meinte Aveline dann.

„Nur raus damit."

„Was willst du eigentlich in Paris? Das hast du mir noch nicht erzählt."

Faralda kicherte aufgeregt. Sie liebte es im Schein der kleinen Fackel auf ihrem Wagen Gespräche über dies und das zu führen. Sie schnappte hörbar nach Luft, so als müssten ihre Lungen Anlauf nehmen, um die Geschichte erzählen zu können. Und dann begann der nächste Wortschwall und Aveline konnte sich gemütlich zurücklehnen und horchen.

Die Wanderhure schilderte Aveline im aufgestellten Plapperton wie sie erfahren hatte, dass ein berühmter Frauenwirt in Paris lebe, der ein ganzes Haus besässe, in welchem die freien Frauen leben dürften und ihre Männer empfangen konnten. Ein ganz neues Konzept, was die Sicherheit für Wanderhuren fast ins Unermessliche erhöhte. Ein Dach über dem Kopf zu haben und somit nicht mehr auf den unsicheren Strassen rumlungern zu müssen, um sich vögelfreudige Männer zu suchen, das war für die Hure eine willkommene Abwechslung.

Aveline bereute schon nach einem kurzen Moment, diese Frage überhaupt gestellt zu haben, nämlich als Faralda bis ins kleinste Detail ihr anfing von ihrem letzten Freier zu erzählen und wie dieser sich nach dem Akt plötzlich geweigert hatte, sie für ihren Dienst zu bezahlen und wie Faralda ihn mit ihren Zähnen an seinen haarigen Eiern gepackt hatte und ihm hatte drohen müssen, einer seiner Hoden abzubeissen, wenn er sie nicht augenblicklich bezahle. Über das Schamhaar, das Faralda dann tagelang zwischen den Zähnen steckengeblieben war, wollte Aveline eigentlich auch nichts wissen. Aber so offenherzig, wie die Wanderhure von ihren Abenteuern erzählte, war sie kaum noch zu bremsen.

Erst als selbst die Insekten im Wald verstummt waren, weil es schon so spät war, verstarb auch der Redefluss der Wanderhure und die zwei Frauen fielen in den Schlaf.

...

Am nächsten Morgen fühlte sich Aveline gerädert. Faraldas Frauengespräch, das bis in die frühen Morgenstunden gedauert hatte, hinterliess deutliche Spuren an der Fränkin. Dunkle Augenringe schmückten ihr müdes Gesicht und ihre Lider waren angeschwollen. Sie fühlte sich nicht sehr wohl in ihrer Haut und schob sich die Kapuze weit über die Stirn. Selbst als sie sich das Gesicht an einem kleinen Fluss wusch, konnte sie sich die Müdigkeit nicht aus dem Antlitz waschen. Faralda hingegen schien der Schlafmangel nichts auszumachen. Ganz im Gegenteil sogar, sie schien munter und pfiff auf dem Karren eine unbekannte Melodie.

Die Holperfahrt auf dem Klapperkarren ging weiter und sie zogen in südwestliche Richtung. Sie fuhren an zahlreichen, weiten Ackerfeldern und Weideflächen vorbei und hielten für die nächste Nacht an einem Bauernhof. Aveline hatte nie daran gedacht, die Bauern zu fragen, ob sie bei ihnen in den Scheunen im Stroh schlafen könne. Aber Faralda schämte sich für nichts und war so dreist, bei den Bauern an die Hoftüre zu klopfen und sie geradeaus zu fragen. Manchmal bot sie ihnen sogar ihre „zusätzlichen" Dienste an.

Als einer der Bauern eher mit der dünneren Schönheit neben Faralda liebäugelte, verpasste die Hure dem Mann eine Ohrfeige mit den Worten „Die junge Frau ist nicht zu haben!" und verliess den Hof laut zeternd, so dass die neugierigen Nachbarn aus dem Haus sprangen und etwas zum Tratschen hatten.

Am nächsten Abend, als sie einmal mehr die Nacht auf dem Karren im Freien verbringen mussten, weil kein Bauer sie in seine Scheune hatte lassen wollen - selbst nicht als Faralda ihnen angeboten hatte, ihre Dienstleistung mit ihrer akrobatischen Zunge zu vollziehen - hatte die Wanderhure Aveline ein Lied auf ihrer Knochenflöte vorgespielt. Das Instrument war aus dem Schienbein eines Schafes gefertigt worden und wies gerade mal vier Löcher auf.

Aveline traute ihren Ohren nicht, als sie die heiter wirkenden Töne hörte. Die Wanderhure spielte ihr ein Hirtenlied mit fröhlichen, wellenförmigen Melodien vor. Ein galoppierender Rhythmus trug Aveline die Klänge hoch und runter. Faralda bewegte ihren Oberkörper zur Musik, die Lider halb geschlossen, eine Strähne im Gesicht. Aveline war ganz gefangen von dem Anblick ihrer rothaarigen Freundin, die sich so konzentriert und voller Hingabe auf das Musikstück konzentrierte.

Als sie die Flöte von den Lippen hob schenkte ihr die Fränkin ein Lächeln. Es war ein Lächeln, das von Herzen kam und das sie lange keinem mehr gezeigt hatte. Aber ihre aufgestellte Freundin hatte es verdient. Für ihre Unbeschwertheit und für ihre Strassenklugheit. Auch wenn es ihr viele Nerven kostete, mit dieser energiegeladenen Dame unterwegs zu sein, war Aveline dennoch froh, auf sie gestossen zu sein.

„Das war wunderschön, Faralda!", lobte Aveline. „Woher hast du das Flötenspielen gelernt?"

Die Wanderhure lächelte fast schüchtern und strich sich die rote Strähne von der Stirn.

„Mein Vater war Hirte und das Lied hat er immer seinen Schafen zum Einschlafen vorgespielt", antwortete sie.

Aveline hob überrascht die Augenbrauen. Irgendwie hatte sie noch nie daran gedacht, dass ihre Reisebegleitung einst ein normales Leben geführt hatte, bevor sie zur Hure geworden war. Irgendwie musste ihr Leben eine merkwürdige Wendung genommen haben, dass sie derart vom sittlichen Dasein abgekommen war. Sie wollte sogleich zur Frage ansetzen, da kam ihr aber Faralda dazwischen.

„Ja, auch wir Huren haben eine Vergangenheit, die eher wenig mit Rumhuren zu tun hat!", lachte Faralda. „Bei mir bestand mein Leben hauptsächlich aus Schafen und Wolle."

Aveline nickte verständnisvoll.

„Natürlich, natürlich", murmelte sie.

Eine Frage brannte ihr aber noch auf den Lippen und sie wusste nicht, ob sie diese wirklich stellen sollte. Faralda schien Avelines Neugierde zu erahnen.

„Du weisst, dass du mir alle Fragen stellen kannst, die du möchtest. Ich schäme mich für nichts!", grinste sie.

Aveline biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte der Hure nicht zu nahe treten, aber dennoch wunderte sie sich über etwas ganz besonders.

„Also, was ich fragen wollte. Also... wie... wie kam es dazu, dass du zu dem geworden bist?"

„Dass ich das Leben als freie Frau gewählt habe?", wiederholte Faralda die Frage.

Aveline nickte etwas geniert. Sie selbst hatte Mühe, so offen darüber zu sprechen, aber dennoch verspürte sie diese Neugierde, mehr von Faralda erfahren zu wollen. Wie um alles in der Welt war diese selbstbewusste, kluge Frau zu dem geworden, was sie war - zum Abschaum der Gesellschaft? Und vor allem wie konnte sie dabei so lebensfroh sein?

„Ich habe es mir nicht ausgesucht, meine Liebe. Vor knapp fünf Jahren hat sich ein Kerl bei der Schafsweide meines Vaters an mir vergangen und damit sowohl die Ehre meiner Familie als auch mich in den Dreck gezogen. Da ich dann deswegen für den Heiratsmarkt untauglich geworden war und mein Vater nichts mehr mit mir anfangen konnte, wurde ich schliesslich von Zuhause verstossen. So blieb mir keine andere Wahl, als mir meinen Verdienst mit dem zu machen, was ich am besten kann. Die Männer zu verführen und mit meinen Brüsten um ihren Verstand zu bringen!", sagte Faralda und schüttelte ihre Schultern, so dass dabei ihr grosser Busen wackelte.

Ihr Grinsen wirkte für Aveline völlig fehl am Platz.

„Aber das ist doch schrecklich", hauchte Aveline. „Warum sollte dein Vater dich verstossen, wenn es gar nicht deine Schuld war."

„Dass ich vergewaltigt wurde? Aber du kennst doch die Männer, Ave. Am Ende sind immer die Weiber schuld."

„Ich finde das nicht richtig. Ehrlich", murmelte Aveline.

Sie hatte keine solch schreckliche Geschichte von ihrer munteren Gefährtin erwartet und wusste nicht mehr, was sie sagen sollte. Sie war sprachlos und ihr war es unangenehm, dass sie das Thema überhaupt angeschnitten hatte.

„Ach, Ave, meine Geschichte ist noch harmlos im Gegensatz zu dem was andere Huren erlebt haben!"

„Trotzdem. Ich finde es schrecklich, dass du jetzt so ein Leben führen musst... nur weil... nur weil ein Kerl sich bei dir nicht zurückhalten konnte."

„Dein Mitgefühl ist rührend, Schätzchen, aber das brauche ich nicht", lachte Faralda. „Es war ein Mann, der mich zwar zu dem gemacht hat, was ich jetzt bin, aber ich bin jetzt die, die die Männer zu dem macht, was sie sind. Nämlich Schweine!"

Faralda lachte ab ihren eigenen Worten. Sie schien sich sehr über ihren eigenen Humor zu amüsieren. Aveline hingegen überhaupt nicht.

„Er hat dir deine Würde genommen", sagte Aveline ernst.

Das Kichern der Wanderhure verstummte und sie blickte ihrer Freundin fragend in die Augen.

„Was spielt es für eine Rolle, dass ich bei meinem ersten Mal vergewaltigt wurde?", fragte sie.

„Eine grosse! Du hast die Zärtlichkeit eines Mannes noch nie erlebt", entgegnete Aveline. „Du bist nicht diejenige, die die Männer zu Schweinen macht. Sie sind die, die dich zum Abschaum dieser Welt machen. Und du lässt sie noch. Du lässt es zu, dass sie mit dir alle Schweinereien tun können, die sie wollen."

„Ave, du unterstellst hier, dass jeder meiner Freier ein Schwein ist. Das sind sie gar nicht", entgegnete Faralda.

„Das kann ich mir kaum vorstellen."

„Weisst du... viele von den Männern wollen eigentlich nur eines."

„Das da wäre?"

„Zuneigung."

Aveline blinzelte verwirrt.

„Sie wollen nicht bloss mit dir schlafen?", fragte sie verdutzt.

Faralda schüttelte den Kopf.

„Oh nein, das ist nur Nebensache und meist eh schnell vorbei. Die Männer brauchen eine starke Frau, die sie in die Arme nehmen kann. Sie suchen Geborgenheit und warme Brüste, an die sie ihre Köpfe schmiegen können."

„Ich verstehe nicht..."

Aveline verstand wirklich nicht, was ihre Freundin ihr hier erzählen wollte. Es war für sie eine solch fremde Welt und sie hatte Mühe, sich in die Lage ihrer Freundin hineinzuversetzen. Faralda hatte die Verwirrung erkannt und schien sehr gewillt zu sein, Aveline die Sache zu erklären.

„Weisst du was das beruhigendste Gefühl sein kann, wenn alles um dich herum zusammenzubrechen scheint?"

Aveline schüttelte den Kopf.

„Der Herzschlag eines anderen Menschen. Selbst wenn die Welt noch so grausam ist, dieser eine Herzschlag, der mit dir da ist und neben dir unaufhörlich pocht, das ist der Inbegriff der Geborgenheit. Du siehst es bei Tieren und beim Menschen. Wir brauchen einander und wir fühlen uns sicher, wenn wir die Gewissheit dieses anderen Herzschlages spüren", sagte Faralda und nahm Avelines Hand und führte sie an ihre voluminöse Brust.

Aveline wollte die Hand zurückziehen, aber Faralda presste ihre Handfläche auf ihre Brust und sagte:

„Spür es. Dieses Herz schlägt mit deinem, Ave. Du bist nicht allein. So dunkel die Welt um dich herum auch ist, du bist nicht alleine."

Aveline hörte auf, ihre Hand zurückziehen zu wollen und schloss die Augen. An ihrer Handfläche spürte sie es, das sanfte Pochen des Herzes ihrer Freundin und merkwürdigerweise überkam ihr dabei ein wohliges Gefühl. Sie hatte recht. Es war beruhigend den Herzschlag eines anderen Wesens zu spüren. Es war die Gewissheit, dass das Leben weiterging, trotz allem oder wegen allem.

Nach einem Moment der Stille zog Aveline ihre Hand zurück.

„Wie kannst du nur ein so aufgestellter Mensch sein, wenn dir doch so viel Schreckliches widerfahren ist", sagte sie kopfschüttelnd.

„Ave, ich habe keine Zeit für Trübsal! Das Leben ist da, um genossen zu werden!", grinste Faralda wieder. „Aber bevor wir das Thema ganz wechseln! Ich wollte von dir auch noch was wissen."

„Was könntest du denn noch von mir wissen wollen?"

„Hast du schon mal gevögelt?"

Aveline glaubte, sich verhört zu haben.

„Wie bitte?!", stiess sie aus.

„Du sprachst vorher davon, dass es dir leid tue, dass ich die Zärtlichkeit eines Mannes noch nie erlebt habe. Es klang, wie wenn du wüsstest, wovon du sprachst. Na, rück raus damit! Hast du?! Sag, hast du?!", bohrte sie neugierig nach.

„Ich will nicht darüber reden", antwortete Aveline sogleich.

„Biiitte", flehte Faralda. „Ich verrate es auch keinem!"

„Wem willst du denn bitte was verraten?"

„Meinem Esel!"

„Ach, hör auf."

„Biiitte!"

„Faralda!"

„Biiitte, erzähl es mir!", flehte die Wanderhure mit gefalteten Händen.

Aveline verwarf genervt die Arme. Ihre Freundin kriegte auch immer alles, was sie wollte - so durchsetzungsstark wie sie eben war.

„Schon gut! Schon gut! Sei bitte einfach leise! Dann erzähle ich dir eben jedes kleinste Detail meines Lebens."

„Gut. Genau so will ich das", nickte die Hure.

Aveline verdrehte die Augen.

„Du bist unmöglich, weisst du das?"

„Jetzt nicht vom Thema ablenken! Hattest du schon dein erstes Mal?"

Aveline seufzte schwermütig und wandte den Blick von ihrer Freundin ab. Sie starrte in die kleine Flamme der Fackel, die am Rande des Karrens in der Luft tänzelte.

„Ja, das hatte ich", sagte sie gedankenverloren.

Faralda blieb still und musterte Avelines Gesichtszüge. Für ihre Verhältnisse blieb sie eine unerträgliche Weile leise. Ein kleines Schmunzeln kräuselte ihre vollen Lippen, die sich dann aber zu einem Kreis formten.

„Oh", stiess Faralda aus.

„Oh, was?", antwortete Aveline sogleich.

„Ooooooh", sagte die Hure langgezogen.

„Was?!"

„Es war gut!", grinste Faralda.

„Was war gut?", fragte Aveline verdutzt, denn sie verstand nicht ganz, worauf ihre Freundin hinauswollte.

„Na, dein erstes Schäferstündchen, was denn sonst?! Du hättest gerade dein Gesicht sehen sollen, als du dich daran erinnert hast!"

Aveline lief rot an und fuchtelte mit ihren Armen vor ihrem Gesicht.

„Nein. Da war gar nichts!"

„Oh doch, da war was! Da war so einiges!", kicherte Faralda.

„Nein! Hör doch auf!", wehrte Aveline ab.

„ERZÄHL MIR DAVON!", rief Faralda etwas zu laut.

Aveline schreckte zurück, denn sie hatte nicht erwartet, dass ihre Freundin ihr direkt ins Gesicht schreien würde. Obwohl, das hatte sie schon mehrmals getan in der Zeit, in der sie mit ihr mitgereist war. Mittlerweile sollte sie eigentlich auch nichts mehr schockieren.

„Niemals!", sagte Aveline barsch und verschränkte die Arme vor sich.

Die Glut in ihrem Gesicht wollte nicht erlöschen, Aveline spürte, wie ihre Wangen brannten. Die unerträgliche Neugierde ihrer Freundin machte ihr zu schaffen. Faralda starrte sie eindringlich an und Aveline meinte fast, dass das zweifarbige Auge ihre Gedanken lesen konnte.

„Niemals", wiederholte sie etwas leiser.

„Verstehe schon. Eine Geniesserin schweigt. Aber dieser Kerl, der dir das angetan hat, möchte ich einmal kennenlernen", lachte sie.

„Das wirst du nie", gab Aveline zurück.

Es war tatsächlich unmöglich, aber den Teil der Geschichte wollte sie ihrer Freundin ersparen. Solle sie sich doch über Avelines Liebeserfahrungen freuen können.

„Oh, Ave. Sag niemals nie! Ich bekomme immer das, was ich will", trällerte Faralda und klatschte dabei in die Hände.

„Jetzt hör doch auf mit deinen blöden Sprüchen!"

„Was, hast du denn schon genug von den Sprüchen einer Wanderhure? Ich hätte da noch so viele Dinge, die ich dir —"

„Bitte, um deines eigenen Lebens willen. Halte einfach die Klappe", sagte Aveline erschlagen und warf sich rücklings auf den Karren, so dass alles wieder wackelte.

„Wie du wünschst, aber den Kerl gönne ich mir in Echt, irgendwann einmal."

„Faralda!"

„Ja, ist ja gut. Ich hör schon auf... aber eines könntest du mir noch verraten."

„Was?"

„Wie hiess er denn?"

„Faralda!", rief Aveline und warf ihre leere Tragetasche der Hure an den Kopf. „Klappe!"

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