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14 - Ostermond

Triggerwarnung:
Meine Lieben. Aus Respekt den sensiblen Geschöpfen dieser Welt gegenüber, möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die folgenden beschriebenen Ereignisse für manche Gemüter schwer zu verdauen sein könnten. Ihr seid hiermit gewarnt.

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Hedeby, Südjütland

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Die hagere Nonne stand mit einem leeren Korb in der Hand vor Aveline. Sie trug ein einfaches Leinenkleid und ihre dunklen Haare versteckten sich nicht mehr unter einer Haube, sondern waren zu einem festen Zopf nach hinten geflochten. Eine Frisur, wie Normanninnen sie trugen. Die Nonne glich kaum noch der Frau, die Aveline aus ihrer Vergangenheit in Fécamp kannte. Sie war dürr, ihre Haare waren von grauen Strähnen überzogen und auf ihrem Gesicht zeigten sich tiefe Furchen.

Trotz ihrer besorgniserregenden Erscheinung, schenkte Schwester Joscelin Aveline ein warmes Lächeln.

„Schwester!", stiess Aveline ein zweites Mal aus, denn sie konnte nicht glauben, dass sie vor einer vertrauten Person stand.

„Aveline, mein Kind", sagte die Nonne mit einem ähnlich überraschten Ton in der Stimme. „Du lebst, Gott sei Dank! Ich habe jeden Tag für dich gebetet."

„Ich kann es nicht glauben, Euch hier anzutreffen! Wie seid ihr hierher gekommen?"

„Ich wurde nach Hedeby gebracht, nachdem man mich in der Hafenstadt verkauft hatte", antwortete die Schwester. „Wo hat man dich -?"

„Vestervig. Nordjütland", antwortete Aveline zwischen zusammengebissenen Zähnen.

Die Nonne nickte stumm. Sie schien Kenntnisse über die Siedlungen der Normannen zu haben. Auch sie lebte schon eine beträchtliche Zeit unter Wikingern. Ihre freie Hand strich über Avelines Wange, während in ihren grauen Augen ein besorgter Glanz schimmerte.

„Ich habe dich kaum erkannt. Du bist in keinem guten Zustand, mein Kind. Was ist geschehen? Warum hängt der Tod an dir?"

„Der Tod hängt an mir?", fragte Aveline verwundert.

Der Schmerz in ihrer Körpermitte flammte wieder auf und sie keuchte. Sie taumelte auf ihren Beinen vor und zurück, was die Nonne dazu veranlasste, sie an der Schulter zu greifen, um ihr Stabilität zu geben. Aveline versuchte aufrecht zu stehen, aber es war unmöglich. Sie stand gebückt da und klammerte ihre Arme um den Körper.

„Was ist mit dir?", fragte Joscelin.

„Krämpfe", murmelte Aveline und verzog das Gesicht.

Die Schwester blickte ihre Freundin lange an und schien zu überlegen. Dann packte sie Aveline am Oberarm und schleppte sie der Hauptstrasse entlang weg vom Marktplatz. Der leere Korb an ihrer Seite wippte auf und ab.

„Komm, mein Kind. Du brauchst etwas zu Essen. Der Hungertod macht sich schon in deinem Magen breit."

Aveline strauchelte der Nonne hinterher. In ihrem Leib spürte sie wieder dieses schreckliche Ziehen, welches weisse Punkte vor ihren Augen tanzen liess. Dass sich Hunger so schlimm anfühlen könnte, hätte sie nie gedacht.

„Wohin gehen wir?", keuchte sie.

Die Nonne antwortete nicht auf ihre Frage. Sie zog sie weiterhin am Ellbogen hinter sich her. Nachdem sie ein beachtliches Stück dieselbe Strasse zurückgehastet waren, auf welcher Aveline vor wenigen Momenten angekommen war, bogen sie in eine enge Seitengasse und tauchten ins Häusermeer. Man musste hintereinander gehen, so eng war es auf dieser kleinen Strasse. Bewohner wichen entrüstet zur Seite, als Schwester Joscelin mit ihren bestimmten Schritten und ihrem grossen Korb an ihnen vorbeimarschierte, Aveline im Schlepptau.

„Schwester! Ich kann nicht so schnell. Die... die Schmerzen!", stöhnte Aveline auf, als sie an einer Kreuzung kurz innehielt. „Mein Magen. Ich habe seit Tagen nichts gegessen."

„Das wollen wir ändern", murmelte Joscelin und ging sogleich weiter.

Aveline folgte ihr in einer gekrümmten Haltung. Ein Höllenfeuer loderte in ihrem Körper. Ein Brand, der urplötzlich entfacht worden war und der nicht mehr erlöschen wollte. Es fühlte sich an, als ob sie innerlich zerbarst. Aveline fiel auf die Knie, denn sie hatte keine Kraft mehr, weiterzugehen. Der Schmerz lähmte ihre Beine, beschwerte ihr das Atmen.

Was war das bloss? Solch schrecklichen Hunger hatte sie all die Tage zuvor nicht gespürt. Warum jetzt?

„Schwester", krächzte sie, aber da flackerten die hellen Punkte vor ihren Augen wieder auf und sie sah nichts mehr - nur weisses Licht.

Sie hörte noch, wie die Nonne gedämpft ihren Namen rief.

...

Ein zufriedenes Grunzen. Der Gestank von Fäkalien und verwestem Gemüse. Ein klammes Gefühl auf der Haut. Aveline gewann ihr Bewusstsein wieder. Sie blinzelte. Das grelle Licht vor ihren Augen nahm ihr die Sicht, sie sah nichts.

Wo war sie?

Mit den Händen tastete sie den Boden ab. Sie spürte den kalten, nassen Boden unter sich. Da stupste sie etwas Feuchtes von der Seite an. Sie kniff die Augen stark zusammen und hob ihre Lider. Der weisse Vorhang hob sich und sie blickte direkt in eine rosarote Rüsselscheibe eines Schweines. Die Sau schmatzte genüsslich, mit einem vermeintlichen Lächeln auf den Lippen, und schnupperte an Avelines Haaren.

Entsetzt stiess sie das Tier, welches quiekend aufsprang, von sich und kroch über den Boden in die Ecke auf der anderen Seite. Sie sass in einem eingezäunten Schweinestall - eindeutig, denn vor ihr wühlten und suhlten sich zehn Schweine glücklich im Schlamm.

Warum war sie hier?

Sie überlegte fieberhaft, da kamen die Erinnerungen schon wieder zurück. Schwester Joscelin! Sie wollte aufstehen, um ihre Freundin zu suchen, aber mit der Bewegung hatte sie den schlummernden Schmerz in ihrer Mitte wieder geweckt. Das Feuer pulsierte von ihrem Unterleib in den Rücken und in die Beine.

„Ah!", schrie sie laut, denn stumm konnte sie dieses Stechen nicht ertragen.

Da tauchte auf einmal die Schwester am Zaun auf, eine Holzschale in der Hand. Sie warf einen Blick über die Schultern. Irgendwas schien sie zu beunruhigen. Aveline blinzelte zu ihr hoch.

„Schwester. Was -?"

„Shhhh", hauchte Joscelin als Antwort.

Aveline verstand nicht, was vor sich ging, geschweige denn, wo sie sich befand. Die Nonne blickte weiterhin nervös um sich, als befürchte sie, gesehen oder gehört zu werden.

„Warum?", fragte Aveline.

„Mein Herr darf nicht erfahren, dass ich dich mitgebracht habe. Sonst stecke ich nur wieder eine Tracht Prügel ein. Tut mir leid, mein Kind."

„Ihr seid die Sklavin eines -?"

„Schweinehändlers. Ja", beendete Schwester Joscelin den Satz ihrer Freundin.

Aveline setzte sich aufrecht hin und biss sich auf die Zähne. Ihre nackten Füsse versanken im Schlamm und die Farbe ihres Kleides war unter dem dunkelbraunen Schlick kaum noch zu erkennen. Die Kälte des Bodens liess ihren Körper verkrampfen, was das Stechen in ihrem Leib noch entsetzlicher machte. Sie hielt sich die Hand an den Bauch.

„Schwester! Dieser Schmerz, es will nicht aufhören!", presste sie heraus.

Die Nonne blickte besorgt zu ihr herunter und kletterte über den Holzzaun ins Schweinegehege.

„Hier, iss das", sagte sie und reichte Aveline eine Schale Roggengrütze mit Milch und Honig. „Das ist mein Abendmahl, aber du kannst das jetzt besser gebrauchen, als ich."

Aveline blickte ihrer Freundin dankbar in die Augen und als sie den Inhalt in der Schale sah, vergass sie für einen Moment die ganze Pein. Essen! Seit so langer Zeit hatte sie das nicht mehr zu Gesicht bekommen, geschweige den gerochen. Gierig leerte sie die Schüssel in einem Atemzug.

Die Schwester schaute ihr dabei schmunzelnd zu. Es war schön zu sehen, wie sie Aveline mit diesem kleinen Mahl helfen konnte, selbst wenn es für sie bedeutete, dass sie hungernd ins Bett gehen würde.

Aveline hielt die Schale in ihren Händen und lehnte sich an die Holzlatten des Geheges.

„Danke", flüsterte sie und schloss erschöpft die Augen.

„Gern geschehen, mein Kind", antwortete Joscelin zärtlich. „Fühlst du dich besser?"

„Mhm."

„Gut, das freut mich! Jetzt sag mir aber, was in aller Welt machst du hier in Hedeby?"

Aveline hob ihre Lider und lächelte schwach, denn sie freute sich innerlich bereits auf die Reaktion ihrer Freundin auf ihre Antwort.

„Ich gehe nach Hause, Schwester. Ich bin frei, ich bin keine Sklavin mehr!"

Die Schwester riss ihre Augen vor Ungläubigkeit weit auf, so dass das Grau darin im Sonnenlicht blitzte.

„Frei? Wie hast du...?"

„Das ist eine unendlich lange Geschichte", sagte Aveline.

„Ich habe alle Zeit der Welt. Erzähle mir davon!", antwortete die Schwester mit einem Lächeln auf den Lippen.

Aveline war dankbar um die Ablenkung und legte die leere Grützeschale auf ihren Schoss. Dann begann sie zu erzählen. Ihr Herz fühlte sich mit jedem Wort, das ihren Lippen entkam, leichter an. Sie hatte es wahrlich vermisst, mit einem Menschen zu sprechen. Es tat gut, einer Vertrauten ihre Geschichte zu erzählen. Jemanden zu haben, der zuhörte. Sie erzählte der Nonne ihre ganze Odyssee. Diese hörte gebannt zu und nickte bei manchen Einzelheiten ganz aufgeregt.

Aveline schilderte, wie sie in Vestervig als Sklavin gelebt hatte, wie sie dort ihren guten Freund Richard verloren hatte und wie sie fast ihr eigenes Leben gelassen hätte. Sie erklärte Joscelin, wie sie sich langsam an das Leben dort gewöhnt hatte und wie man ihr ganz unerwartet die Freiheit geschenkt hatte und wie sie - dumm wie sie war - trotzdem dort geblieben war, weil sie am Irrglauben festgehalten hatte, dass sie dort ein freies Leben führen könne, trotz allem. Dann erzählte sie ihr, dass sie gegangen war und wie beschwerlich ihre Reise bis nach Hedeby gewesen war.

Sie erzählte der Nonne nichts von dem Tag, der alles veränderte. Der Tag, der ihr noch immer jede Nacht Albträume bescherte und ihr Herz zum rasen brachte.

Schwester Joscelin schüttelte ungläubig, jedoch fasziniert den Kopf.

„Du hast Unglaubliches erlebt, mein Kind. Du warst so tapfer! Ich staune, aber ich wusste schon immer, dass du es schaffen würdest. Ich bin froh, dass du endlich nach Hause gehen kannst, mein Kind. Du hast es mehr als verdient."

Aveline spürte, wie diese Worte ihr wohl taten. Wie es Balsam für ihre Seele war, dass jemand ihr Anerkennung gab, für das, was sie hatte durchmachen müssen. Sie wollte sich gerade nach vorne beugen, um der Schwester eine dankende Umarmung zu geben, aber da zerriss es sie innerlich. Sie schrie ungewollt laut auf und krümmte sich.

Mit beiden Armen versuchte sie, gegen den Schmerz zu drücken, aber es half alles nichts. Die Schwester blickte sie entgeistert an.

„Was geschieht mit dir?!", rief die Nonne.

„Ich weiss es nicht. Bitte, helft mir!", schrie Aveline verzweifelt.

Sie rollte sich auf den Boden, ihre Hände in ihren Schoss gepresst. Das war nicht ihr Magen, der rebellierte. Ihr Unterleib riss es gerade entzwei! Aveline kniff die Augen zusammen. Ein kalter Schweiss brach aus ihren Poren heraus. Ihr wurde wieder übel und ein bitteres Gefühl verbreitete sich in ihrem Maul.

Ein entsetzlicher Krampf wütete in ihrem Unterleib und plötzlich spürte sie eine Wärme, die über ihre Schenkel schwappte und sich auf den Boden ergoss.

„Oh", stiess sie aus und schob sich das Kleid über die Knie.

Ein dunkelroter Blutfaden rann von ihrer Mitte auf die Erde. Aveline begann zu zittern.

„Was ist das?", murmelte sie und blickte die Nonne hilflos an.

„I-ist das deine Blutung?", fragte Joscelin.

Ihr war es peinlich, dies laut auszusprechen, aber da es so offensichtlich war, dass Aveline aus ihrer Körpermitte blutete, wollte sie es nicht ungesagt lassen. Aveline blinzelte verwirrt.

„Meine Blutung?"

„Dein regelmässiger Blutfluss. Für das Gleichgewicht deiner Körpersäfte", antwortete die Schwester.

Das musste Aveline doch wissen - als Frau.

„Das kann nicht sein", stiess Aveline erneut hervor. „Solche Krämpfe hatte ich dabei noch nie."

Sie blickte ungläubig an sich herab. Das Blut war tiefrot und wies schwarze Klumpen auf. Das hier war etwas Anderes, das spürte sie. Sie kannte ihren Körper und ihre regelmässige Blutung nur zu genau. Das, was hier mit ihr geschah, hatte sie noch nie erlebt. Sie zog die Knie an sich heran, denn sie meinte, damit die Schmerzen lindern zu können. Ein erneuter Krampf bahnte sich an.

„Das ist nicht meine Blutung", keuchte sie.

„Oh Gott!", stiess Schwester Joscelin plötzlich aus. „Ein Abort. Du hast einen Abort, mein armes Kind!"

Aveline erstarrte bei den Worten zu Stein. Es war als hätte man ihr ins Gesicht geschlagen. Eine Fehlgeburt?! Konnte das sein?

Ja, das konnte sein! Das war sogar mehr als wahrscheinlich. Diese eine unvergessliche Nacht, in der ihre Welten aufeinander getroffen und sie zu einem Element geworden waren - Rurik und sie. Im Liebesrausch hatte nichts mehr eine Rolle gespielt. Alles, was in diesem Moment gezählt hatte, waren sie beide gewesen und die Gewissheit der Berührung des anderen; das Band der Liebe, das sie verband; die Leidenschaft, die sie aneinander schweisste.

„Oh nein", hauchte sie.

Ihr Herz setzte aus und für einen Atemzug schien alles um sie herum stillzustehen. Eine eisige Kälte schlang sich um ihren Brustkorb und bahnte sich ihren Weg durch ihre Glieder bis in die Fingerspitzen. Sie fror plötzlich ganz fürchterlich und schaffte es nicht, ihr Herz wieder zum Schlagen zu bringen. Es wollte nicht. Es wollte einfach nicht!

„Nein", wiederholte sie. „Nein, nein, nein, nein. Bitte nicht!"

Tränen liefen ihr über die Wangen. Bodenlose Verzweiflung umklammerte ihr Herz, das jetzt doch wieder langsam Schläge ausführte, wie eine Pflicht, die es eigentlich nicht mehr vollbringen wollte.

Sie spürte, wie sich ihr Körper krampfhaft entleerte und es schmerzte sie so sehr. Die Anstrengung, die ihr Unterleib dafür betrieb, um sich von dem zu befreien, was in ihr lungerte, war schrecklich.

„Mein armes Kind", sagte Schwester Joscelin nur und tätschelte ihre Schulter.

Aveline wollte das nicht. Sie wollte diesen Verlust nicht, aber ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr. Um jeden Preis und unter der fürchterlichsten Pein musste dieses Kapitel geschlossen werden. Ihr Leib hatte es entschieden. Aveline ergab sich zitternd und liess ihren Körper das tun, was er für richtig hielt.

Sie weinte dabei bitterlich und jedes Mal, wenn ein erneuter Krampf sie überkam, klammerte sie sich in den schlammigen Grund. Aber sie liess es mit sich geschehen, denn ändern konnte sie es nicht. Es war verloren. Der unscheinbare Samen der in ihr gewachsen war, ohne dass sie es gemerkt hatte, versickerte im Schlamm. In Liebe gepflanzt und im Dreck verendet.

Schwester Joscelin blieb bei ihrer Freundin. Sie hielt Avelines Finger in ihren knochigen Händen und sprach ihr aufbauende Worte zu.

Wie sehr hätte sich Aveline jetzt gewünscht, dass er hier wäre und ihr die Hand hielt und nicht die Nonne. Wie sehr sie sich nach seinem Geruch und seinen Armen sehnte, jetzt wo sie im kalten Schlamm sass. Wie sehr sie sich in diesem Moment gerade wünschte, dass all das nur ein böser Traum war und sie endlich erwachen würde. Dass die Zeit zurückgedreht werden könnte und sie diesen schmerzhaften Verlust nicht fühlen musste. Dass der kleine Funken Hoffnung in ihr jetzt nicht erlosch. Aber diese Wünsche würden unerfüllt bleiben, dessen war sie sich schmerzlich bewusst.

Eine ganze Weile lang sassen die zwei auf dem Boden des Schweinestalls. Die Hand der Nonne war noch immer behutsam mit der von Aveline verkeilt, deren Schluchzen langsam verebbte.

Als es vorbei war und sich die Krämpfe gelegt hatten, bot Joscelin ihrer Freundin an, sie bis zum Bach in der Stadt zu begleiten, damit sie sich waschen konnte. Diesen Vorschlag nahm Aveline mit einem schwachen Nicken an.

Zusammen gingen sie zum Fluss und Joscelin half Aveline dabei, möglichst ohne Entblössung und ohne Verlust ihrer Würde sich selbst und insbesondere ihren zerrissenen Unterleib zu säubern.

Aveline fühlte sich leer. Sie spürte nicht, wie ihr die Schwester dabei half, sich zu waschen, um das Blut von den Beinen zu bekommen. Ihre Haut war genauso taub wie ihre Seele. Es war, als sei mit diesem Verlust das letzte Licht aus ihrem Leib gehaucht worden. Als wäre mit dem Herzschlag, der nie in ihr pochen durfte, alle Liebe und Wärme aus ihr entwichen.

Sie folgte der Nonne wortlos zurück zum Schweinestall und sank ermattet auf den Boden. Eine merkwürdige Emotionslosigkeit nistete sich ein und liess sie stundenlang ins Nichts starren.

Für den Rest des Tages verharrte Aveline still und in sich gekehrt an derselben Stelle. Schwester Joscelin hatte ihr etwas Stroh gebracht, damit sie nicht im kalten Schlamm sitzen musste. Aber das war ihr einerlei, denn spüren tat sie die Kälte nicht. Sie war selbst kalt geworden. Ihr Herz schlug träge in ihrer Brust, zu erschöpft, zu entsetzt um das lebensspendende Blut in die Glieder zu pumpen. Ihre Augen blickten leblos auf den Matsch.

Kein Wort tauschte sie mit der Nonne aus, die immer wieder beim Stall vorbeikam, um zu kontrollieren, wie es ihrer Freundin ging. Aveline schwieg in sich hinein. Die Schwester stellte keine Fragen mehr und sie war ihr dafür sehr dankbar.

Eine schlaflose Nacht stand Aveline bevor, aber sie hatte sich daran schon gewöhnt. Die hier war nicht anders, als die unzähligen Nächte davor. Die unheimlichen Geräusche der Düsterheit und die unheilverheissenden Schatten, die um einen herum huschten, jagten Aveline keine Schauer mehr über den Rücken.

Sie starrte in die Dunkelheit und noch nie fühlte sie sich der Finsternis so nahe, wie jetzt. Schwarz. Ihr Herz war zu einem kalten, dunklen Klumpen geworden. Sie krallte ihre Finger in die Brust, so als wolle sie diesen eisigen Stein aus dem Brustkorb reissen.

...

Am nächsten Tag kam die Schwester spät am Nachmittag zu ihr, um ihr wieder einen Bissen von ihrem Essen zu geben.

„Es ist wahrscheinlich besser so. Sonst hättest du das noch austragen müssen", meinte Joscelin tröstend, während sie ihr dabei zusah, wie Aveline lustlos mit den Fingern in der Schale wühlte.

Es waren freundlich gemeinte Worte, die Aveline jedoch keinen Trost spendeten. Im Gegenteil, sie versetzten ihr einen weiteren Stich ins verwelkte Herz. Sie empfand überhaupt nicht dasselbe. Es war nicht besser so.

Aveline brach das Schweigen, denn sie wollte mit der Wahrheit rausrücken. Sie wollte sicherstellen, dass über ihr Geheimnis keine falsche Annahme schwebte.

Das, was sie verloren hatte, war nicht mit Gewalt gezeugt worden. Im Gegenteil, es war aus der Reinheit der Zärtlichkeit entstanden. Es war kein Verlust, über den sie sich erleichtert fühlen konnte. Es war der Verlust eines Lebens, das sie in Händen hätte halten können. Es war der Verlust von etwas, das hätte sein können und das nun in die Unendlichkeit des Unmöglichen verschwunden war.

Sie hielt ihre Hände auf ihren brachen Unterleib, so als ob ihr Verstand und ihr Körper noch nicht wahrhaben wollten, dass das unschuldige, kleine Wesen dort nicht mehr gedieh.

„Sein Name war Rurik", flüsterte Aveline so leise, dass Schwester Joscelin erst fragend blinzelte aber dann die Augenbrauen hob.

„Der -?"

„Ja, der Vater des -", wollte Aveline sagen, aber ihre Stimme versagte.

Ohne, dass sie es wollte, schossen ihr wieder Tränen in die Augen und sie wimmerte. Ihr totes Herz wog so schwer in ihrer Brust, dass ihre Schultern absackten und sie sich zusammenkrümmte. Sie rang um Worte, denn ihre Kehle verschnürte sich eng, als drücke ihr jemand den Hals mit der Hand zu.

„Lass es raus, mein Kind. Es wird dein Herz erleichtern", flüsterte die Nonne und drückte aufmunternd ihre Hand.

Aveline seufzte laut, als sie der Schwester zu erklären begann, wie es zu all dem gekommen war. Wie sie sich ausgerechnet in den Wikinger verliebt hatte, der sie nach Jütland gebracht hatte. Der, der eigentlich die ganze Schuld für ihr elendes Leben - für all das hier - trug.

Sie schilderte der Nonne, welch Gefühle sie für ihn entwickelt hatte. Weil er ein guter Mensch gewesen war, selbst als Heide; Weil er hinter dem harten Schutzwall eine fürsorgliche und äussert selbstlose Seite gehabt hatte; Weil er sie als das genommen hatte, was sie war und ihre Fähigkeiten zu schätzen gewusst hatte; Weil er sie als seinesgleichen behandelt hatte - als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt; Weil sich das Leben mit ihm plötzlich so richtig angefühlt hatte; Weil er ein unglaublich leidenschaftlicher Mann gewesen war, was ihr am Ende den Verstand geraubt hatte.

Schlussendlich erzählte sie ihr, wie es zu dem entsetzlichen Tag gekommen war, an dem sie ihn tötete und wie sehr sie ihn jetzt gerade vermisste. Wie sehr sich jede Faser ihres Körpers nach ihm sehnte, so als fehle ein Stück von ihr, das ohne ihn nicht existieren wollte. Und wie sie ihn gleichzeitig dafür verabscheute, dass sie immer noch solche Gefühle für ihn hegte.

„Ich will das nicht fühlen", wimmerte sie. „Ich will es nicht!"

Ein tiefer Schluchzer, der aus ihrer Kehle entkam, rüttelte ihren ganzen Körper. Es tat weh, darüber zu sprechen. Ihr Gesicht war nass vor Tränen und sie wischte sich mit beiden Handflächen über die Wangen.

„Wenn ich es gewusst hätte... Ich hätte nicht...", schluchzte sie.

Schwester Joscelin setzte sich neben sie und legte den Arm um Avelines Schultern. Sie hielt sie an ihre Seite gepresst und strich ihr sanft über den Arm, jedes Mal wenn sich ihr Körper vor Trauer schüttelte. Avelines Kopf ruhte auf den mageren Schulter der Nonne. Zusammen sassen sie im Schlamm, im Leid vereint.

„Du musst ihn sehr geliebt haben", sagte die Nonne, nachdem sich Avelines Weinkrampf gelegt hatte. „In deinen Träumen werdet ihr wieder vereint sein. Das sei dir bis an dein Lebensende gesichert."

Aveline sah nicht, was daran tröstlich sein sollte. Für sie fühlte es sich an, als ob sie ihn nie loswerden würde. Dieser Teufel, den sie von sich abschütteln wollte, der sich aber stur an sie heftete, wie ein düsterer Schatten, nur weil er sie quälen wollte.

„Seine Seele verfolgt mich, Schwester. Sie hetzt mir nach. Ich sehe ihn überall. Er verfolgt mich", murmelte sie und blickte ihrer Freundin in die Augen.

Aveline erwartete, dass sie darin Furcht oder Entsetzen sehen würde, aber sie lag falsch. Die Augen von Schwester Joscelin glänzten mild.

„Seine Seele beschützt dich, mein Kind. Sie verfolgt dich nicht."

„Aber... Ich habe ihm sein Leben genommen."

„Wenn er dich genau so geliebt hat, wie du ihn, dann wird selbst seine Seele dir das nicht nachtragen."

„Wie könnt Ihr sowas sagen? Ich verstehe nicht..."

„Die Liebe ist freundlich, mein Kind. Sie lässt sich nicht reizen und trägt Böses nicht nach. Liebe verzeiht."

Die Worte jagten Aveline eine Gänsehaut durch Mark und Bein und sie klammerte sich näher an ihre Freundin. Ein tiefer Schluchzer entkam ihrer Brust. Das machte nichts besser.

Schwester Joscelin sass ruhig daneben und hielt sie in den Armen. Sie wippte vor und zurück und tröstete ihre Freundin, während diese unaufhörlich weinte. Es gab nichts mehr zu sagen, also schwiegen sie. Vor ihnen wälzten sich die Schweine im Schlamm, ahnungslos über das Leid, das sich gerade vor ihnen abspielte.

Als sich Avelines Gefühlsausbruch wieder gelegt hatte, reichte ihr Schwester Joscelin eine Decke für die Nacht. Sie konnte ihr keine bessere Unterkunft als den halb überdachten Schweinestall bieten. Aber Aveline war froh, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Sie hatte es geschafft, unter Wikingern zu leben, also würde sie es auch schaffen, eine weitere Nacht neben Schweinen zu schlafen.

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