Kapitel 72
Bei Fremden
Kapitel 72
Mit einem Grinsen schlief ich an dem Tag ein. Am Samstag überlegte ich dann erst richtig darüber, was Hakan gesagt hatte. Lag es wirklich daran, weil ich Osman nicht lange sah, dass ich ihn als fremd annahm. Würde ich mich an ihn gewöhnen?
Wir frühstückten zu dritt. Ich knabberte an meinem Brot während ich dumm auf den Tisch starrte. Es war mir unangenehm hier zu sitzen. Ich war die Quelle der Probleme für die beiden. Nach dem Frühstück stieg ich langsam die Treppen hoch. Das Haus schien wie leer zu sein. Trotzdem erdrückte mich alles. Meine Kraft war am Ende. Auch wenn ich so tat, als sei ich glücklich, fühlte ich mich fehl am Platz.
In meinem Zimmer kramte ich in meinen Sachen herum und sah dabei mein Erspartes, was ich gesammelt hatte, um mir ein neues Leben anzufangen, wenn ich älter war. Was hatte ich damals für Träume und was für Träume hatte ich heute? Mir fiel wieder ein, dass ich ein Stück des Geldes dafür ausgegeben hatte, um Erdem und Alara zu beobachten, als sie in diesem teuren Restaurant waren. Damals hatte ich Erdem gehasst...
Was für Zeiten.
Heute war er wie ein Bruder für mich. In seiner Gegenwart fühlte ich mich geborgen, auch der Kummer verging und er wusste ehrlich zu gut, wie man einen zum lachen brachte. Nur bei Osman fühlte ich mich scheiße. Es war, als gehörte ich nicht dazu.
Ich starrte das Geld an und überlegte, irgendwann ehrlich zu gehen. Einen Neustart zu führen. Das war doch schon immer mein Traum gewesen? Vielleicht hatte es etwas Gutes an sich? Ich hätte alles hinter mir. Vor allem dieses schlechte Gewissen, das mich jeden Tag plagte.
Mit einem Ruck schloss ich die Schublade wieder. Als ob ich das schaffen würde? Ich könnte das doch nicht packen... Ich hatte ja nicht einmal einen Platz zum Arbeiten gefunden. Wie unfähig war ich? Uff.
»Damla!«, hörte ich Erdems Stimme nach mir rufen. Sofort öffnete ich meine Zimmertür. »Was ist?!«
»Komm runter, lass uns raus!«
Ich rannte dir Treppe hinunter, wo Erdem schon auf mich wartete. Mit einem breiten Grinsen rannte ich in seine Arme und ließ den Kummer aus mit heraus.
»Wirst du immer so in meine Arme springen, Kleines?«, lachte er.
»Immer«, erwiderte ich und wir gingen raus.
Er fuhr mich mit dem Auto in die Stadt und wir shoppten erst einmal eine ganze Weile. Auch wenn ich nicht der Shopping-typ war, tat es richtig gut, auf andere Gedanken zu kommen. Später gingen wir in ein Café und bestellten uns etwas. Die Bedienung war ziemlich flink, weshalb wir nicht lange warten mussten.
»Wie geht es dir?«, fragte mich Erdem.
»Äh, gut«, behauptete ich. So richtig wusste ich gar nicht, wie es mir wirklich ging. »Warum fragst du?«
»Keine Ahnung. Du hast in letzter Zeit zu viele Stimmungsschwankungen.«
»Stimmungsschwankungen?«, lachte ich.
»Ja. Beim Frühstück hättest du noch heulen können und jetzt? Jetzt lachst du wieder.«
Ich stocherte mit dem Löffel in meinem Café herum und dachte nach. War ich wirklich komisch geworden?
»Hey«, sagte Erdem sanft und hob mein Gesicht mit seiner Hand. »Es ist okay. Sogar normal-«, er lachte leicht und dabei blitzten seine weißen Zähne auf. »Das Problem ist nur, du versuchst damit alleine klar zu kommen. Du bist nicht allein.«
Ein Lächeln kräuselte sich auf meinen Lippen. Ich war nicht allein. Es von ihm zu hören, war ein so großes Geschenk. Es tat gut. Wie eine Medizin.
Zu Hause wollten wir einen Film sehen. Erdem stellte den Film an, während ich noch kurz meine Pyjama in meinem Zimmer anzog. Danach stieg ich wieder die Treppen hoch und hörte etwas. Abrupt stoppte ich und hörte genauer hin. Es kam von dem Zimmer von Osman. Die Tür war einen Spalt auf. Eigentlich wollte ich einfach runter gehen und es ignorieren, aber meine Neugier war einfach zu groß. Deshalb guckte ich rein und sah Osman am weinen. Es brachte mir das Herz. Neben ihm lag das Bild meiner Mutter- meiner Mutter! Meine Augen füllten sich automatisch. Sein Schluchzen brach mir das Herz und Erdems Worte hallten in meinem Kopf wieder. "Du bist nicht allein."
Ein Kloß bildete sich in meinen Hals. Ich versuchte ihn runter zu schlucken, doch es klappte nicht. Mein Körper wurde plötzlich so schwer, sodass ich mich an der Wand festhalten musste. Ich schloss die Augen und sah immer noch das Bild, wie er weinte und seine Stimme hörte sich immer schmerzhafter an. Wie dumm ich doch war. Glaubte ich ehrlich, dass nur ich litt? Glaubte ich ehrlich, dass nur ich enttäuscht war? Verloren war? Dass nur ich lebte? Dass es nur mich betraf? Ich war doch so dumm, so dumm. Er hatte sie doch geliebt? Sie geliebt mit ihren Macken und Mängel. All ihre Seiten.
Ich biss die Zähe fest zusammen und ballte meine Fäuste, um nicht laut aufzuschluchzen.
»Damla!? Kommst du nicht?«, rief Erdem von unten. Ich schluckte und war erleichtert den Kloß endlich runter bekommen zu haben. Schnell und leise ging ich einige Stufen wieder hoch, damit mich Osman nicht von der Nähe hörte.
»Bin sofort da!«, versuchte ich so normal wie möglich zu klingen. Danach rannte ich in das Badezimmer und wusch mein Gesicht. Zum Glück waren meine Augen nicht gerötet oder so. Es war nicht sehr auffällig. Ich trocknete mein Gesicht und ging dann zu Erdem. Ich kuschelte mich zu ihm auf die Couch und der Film startete.
»Wieso hast du geweint?«, fragte er mich plötzlich. Uff, er merkte auch alles.
»Wusstest du, das ist bei mir so ein Hobby geworden.«
Er lachte leicht. »Sag, sag.«
»Es ist nichts und jetzt pscht! Ich will den Film sehen!«
In dieser Nacht konnte ich kaum schlafen. Ich wälzte mich im Bett und versuchte vergeblich nicht an das Geschehene zu denken, an meine Dummeit, an alles. Ich wollte nicht einsehen, dass ich meine Umwelt nicht mehr wahrgenommen hatte und dass Osman wirklich alles in sich hineingeschlossen hatte, damit ich und Erdem keinen noch größeren Kummer hatten.
Ich stand auf und lief in die Küche. Ich trank etwas, aber es tat nicht so gut. Mein Hals wurde sogar trockener. Plötzlich klopfte es an der Haustür. Verwirrt sah ich auf die Uhr. Es war halb zwei und irgendjemand klopfte an der Haustür? Mit langsamen und vorsichtigen Schritten ging ich zur Tür und blieb stehen. Wer konnte das sein? Klopften Einbrecher an der Tür? Was wenn es irgendein asozialer Penner oder so war? Wenn ich nach Erdem rufen würde, würde er es rechtzeitig hören?
In meinem Kopf kreisten tausend Fragen, während mein Herz schneller klopfte und mir warm wurde. Ich spürte schon, wir die Angst sich in meiner Brust verstaute und nebenbei ich schon wusste, dass ich mich meiner Neugier ergeben würde.
Es klopfte wieder und ich hörte eine bekannte Stimme. Schlagartig öffnete ich die Tür und erblickte in zwei Augen. Sie waren weit aufgerissen und ein Lächeln kräuselte sich auf den Lippen. Sie hatte sich leicht verändert. Zwischen meinen Augenbrauen bildete sich eine Falte.
Was tat sie hier? War es so leicht einfach mal wieder in mein Leben zu platzen, nach all dem, was geschehen war?
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Danke für all eure Unterstützung und motivierenden Kommentare :)
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