Kapitel 65
Bei Fremden
Ge. 03- Kapitel 65
Mein Kopf ging sofort in die Richtung zwischen unseren Schultern. Wirklich! Unsere Hände waren ineinander verschränkt. War das ein Traum? Konnte das Wirklichkeit sein? Mein Herz hatte einen Ruck gemacht und war völlig aus dem Takt geworden worden. Mir schloss das Blut ins Kopf und ich spürte, wie es mir augenblicklich warm wurde.
Ich sah wieder nach vorne und blickte In Erdems finstere Augen. Er kam mit großen Schritten auf uns zu. Aus Reflex hielt ich Hakans Hand fester, was mir sofort Sicherheit gab.
»Metin, lass uns unter vier Augen sprechen!«, rief er und sah mich dabei gar nicht an. Seine Wut und sein Hass galt allein Hakan. Hä?
»Wieos redet ihr nicht hier?«, fragte ich und Erdem sah sofort zu mir. Sein Blick wurde weicher und besorgter, als ob er nicht die Person war, die gerade noch so wütend gewesen war. »Nein. Ich will nur mit ihm reden.«
»Worüber? Über mich? Glaubst du, das interessiert mich nicht?«
»Damla, such dir nicht die falschen Leute aus-«
»Ich weiß, was ich tue.«
Erdem wendete sich einfach von mir weg und sah Hakan wieder mit demselben hasserfüllten Blick an, wie gerade. »Hast du nichts zu mir gesagt?«
»Ich hab's versucht.«
»Was heißt hier, ich hab's versucht, hä? Das ist kein Spielzeug. Es ist meine Schwester, okay und niemand- niemand darf ihr je wehtun.«
»Sie hatte nie ein Problem mit mir.«
Erdem starrte meine und Hakans ineinander verschränkten Finger an.
»Willst du mich verarschen?«, fragte er und ich stellte mich zwischen die beiden, weil sie aussahen, als ob sie übereinander fallen wollten. Wegen mir!
»Hakan, ich gehe lieber«, nuschelte ich und deutete weg, damit es hier nicht eskalierte. Ich hätte das alles ja gerne geklärt, aber die beiden verstanden nichts über Sprache. Uff.
Ich ging mit Erdem weg. Er war mit dem Auto hier. Ich stieg ein und bereute es sofort. Hakan sah mich währenddessen immer noch an. Ich lächelte ihm zu und machte ihm ein Zeichen, dass alles okay war. Jetzt würde ich es klären. Ich spürte wieder diese Sicherheit und lachte mich dabei aus. Wie konnte ich gestern annehmen, dass mich Hakan nicht mögen sollte wegen meinem Aussehen? Wie dumm von mir.
Erdem stieg ebenfalls ein und fuhr mit Vollgas davon.
»Wohin fahren wir?«, fragte ich.
»Keine Ahnung!«, rief er wütend und fuhr sich durchs Haar. »Damla, was soll das? Du weißt doch, wie sehr ich diesen Typen hasse.«
»Ja, ich weiß, ich mochte ihn ja zuerst auch nicht-«
»-aber!?«
»-aber wir sind jetzt gute Freunde, okay?«
»Freundschaft? Gerade sah das aber ganz anders aus, Damla.«
»Das hat dich nicht zu interessieren«, sagte ich kalt und starrte nach Draußen. Wir fuhren viel zu schnell.
»Ich weiß! Ich weiß und genau das macht mich so fertig. Du- du bist immer so stur und hörst niemandem zu! Ich will, dass du keinen Fehler begehst.«
»Erdem, vertraust du mir?«
»Was?«
»Das war eine ganz einfache Frage! Vertraust du mir?«
»Natürlich.«
»Dann lass mich das entscheiden.«
Wir stoppten abrupt und ich wäre einahe nach vorne geknallt.
»Ich hatte nie vor, irgendetwas zu bestimmen«, sagte er und sah mich dabei eindringlich an.
»Uff, ich will mich nicht streiten!«, rief ich und legte meinen Kopf in meine Arme. »Wollt ihr mich zur Heulsuse machen oder was?«
»Damla«, murmelte er leise und strich mir durchs Haar. »Ich vertraue dir, aber nicht diesem- diesem-«
»-bitte!«
»Okay, ist gut«, brummte er und parkte. Wir stiegen aus uns setzten uns in ein Café. Kaum hatten wir uns hingesetzt, konnten wir etwas bestellen und saßen schweigend voreinander. Ich blickte ihm in die Augen und er in meine und ihn verstand ihn blind. Dabei musste ich grinsen, denn er hatte verloren.
»Die kleinste schlechte Geste von ihm und ich breche ihm alle Knochen«, drohte Erdem als letztes und unsere Bestellung kam. Ich kicherte wie ein kleines Kind.
»Das heißt aber nicht, dass ich kein Auge auf ihm habe! Er wird dir weder zu nah kommen, noch dir irgendetwas falsches sagen.«
»Hahaha, Erdem, du bist so dumm, weißt du das?«
»Ja ist schon gut, Fräulein Demir.«
Zu Hause ging ich wie immer in mein Zimmer und sperrte mich ein. Ich hatte keine Lust mit irgendjemandem zu sprechen. Stattdessen chillte ich den ganzen Tag, sah mir Serien durch mein Handy an und entspannte mich.
Der nächste Tag war ein Freitag. Das hieß, dass wieder das Ende der Woche nahe lag. Ich machte mich wie immer fertig und war glücklich, dass schließlich doch alles richtig lief. Summend ging ich die Treppen hinunter und aß in der Küche etwas. Danach machte ich mich schon auf den Weg zur Schule. Alara war heute nicht da. Sie hatte Schnupfen. Ich hatte eigentlich auch keine Lust auf Schule und wollte mich abmelden, zwang mich dann aber doch noch zu bleiben. In der Pause sah ich Hakan und ging auf ihn zu. Ich erklärte ihm, dass alles in Ordnung war, auch mit Erdem und er freute sich so sehr deswegen. Seine Augen funkelten und sein Gesicht erstrahlte. Je mehr ich bei ihm blieb, desto unlieber verließ ich ihn. Er war ein wirklich toller Mensch. Wieso vertrug er sich bloß nicht mit Erdem?
»Kannst du dir schon deine Zukunft vorstellen?«, fragte Hakan mich, als ich mit ihm durch den Schulhof ging.
»Ähm, na ja. Nicht so ganz. Eher schwammig.«
»Ich kann mir meine ganz gut vorstellen.«
»Ach, und wie ist sie?«, fragte ich und wurde plötzlich sehr neugierig.
Er sah hoch, grinste und schüttelte dann den Kopf. »Nö«
»Man Hakan, ich hab dir meins auch verraten!«
»Du hast schwammig gesagt, das zählt nicht!«
»Man, zier dich nicht so wie ein Mädchen und sag es endlich!«
Er lachte. »Mädchen?«
»Genau, Hakan das Weibsmann.«
»Du spinnst.«
»Du aber auch.«
»Warum sollte ich bitte spinnen?«
»Vielleicht, weil du dich mit einer Spinnerin abgibst?«
Es schellte wieder und dieses Schellen trennte wieder unsere Wege. Irgendwie bekam ich immer Herzklopfen, wenn es zur Pause klingelte. Ich freute mich auf unsere Gespräche und ich konnte es nicht fassen, als die Schule zu ende war und ich wie immer auf meinem Bett lag. Ich rief Alara an und erzählte ihr, was passiert war.
»Da ist aber jemand schwer verknallt«, rief sie voller Freude.
»Nein so ist das nicht!«, versuchte ich die Situation geradezubiegen.
»Nein nein, sicher nicht«, erwiderte Alara ironisch und ich konnte mir schon bildlich vorstellen, wie sie sich dabei die Augen verdrehte.
Das Wochenende verging wirklich rasch, ohne das großartig etwas passierte. Meine Mutter sprach nur kaum. Sie aß auch fast nichts mehr, was mir allmählich Sorgen bereitete. Ich legte mich am Sonntag ins Bett und wollte schlafen, doch es klappte einfach nicht. Meine Gedanken waren zu durcheinander. Ich konnte sie nicht einmal ordnen, weshalb ich aufstand. Da hörte ich auch schob jemanden leise nach mir rufen. »Damla, konm runter!«
Ich stieg die Treppen hinunter, ohne das Licht anzumachen und erkannte das Gesicht meiner Mutter am Ende der Treppen. Sie sah mich mit ihren großen Augen an. Was aber mehr meine Aufmerksamkeit erregte, war der Koffer, der neben ihr war.
Bevor ich etwas sagen konnte und sie bloß dumm anstarrte, fing sie an zu reden. »Ich halte es hier nicht mehr aus.«
Ich schwieg. Was sollte ich dazu noch groß sagen?
»Tag für Tag wird es hier enger für mich! Es ist der Tod! Der Tod, Damla, ich sterbe hier.«
Ihr Gesichtsausdruck war Mitleid erregend. »Ich will hier weg. Für immer. Einfach fliehen. Genauso wie du. Du willst hier auch weg, Maus. Du willst hier weg, fliehen, mit mir, mit deiner Familie.«
Ich runzelte meine Stirn vor Verzweiflung.
»Maus, ich liebe dich. Ich liebe dich mehr, als ich die Freiheit. Ich liebe dich mehr, als ich mich liebe. Würde ich dich sonst rufen? Ich musste an dich denken, du bist mein Leben, mein Kind, du bist mein Glück, nun komm zu mir, komm zu Mama.«
Sie strack mir ihre Hand heraus. Sie wollte mich umarmen. Langsam kam sie auf mich zu und drückte mich in ihre Arme. In diesem Augenblick spürte ich schon die Wärme, die aus ihr heraus strahlte.
Als wir uns voneinander lösten, strich sie mir durch das Haar. »Wir sind eine Familie. Wir halten zusammen. Ich bin immer für dich da. Vertrau mir Maus, ich bin deine Familie, nicht diese Menschen hier. Lass uns fliehen.«
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro