02.
• Angus & Julia Stone - Wherever You Are •
Zuhause war alles wie immer. Yashar stellte gerade seine Tasche vorne ab, als Asena mit einem Stück Toastbrot, das ihr im Mund steckte, aus der Küche gerannt kam. Sie trug ihre Arbeitskleidung und sah jetzt schon ziemlich gestresst aus, noch bevor ihre Schicht im Krankenhaus überhaupt angefangen hatte.
Als sie Yashar sah, fing sie an zu strahlen, nahm den Toast aus ihrem Mund und sagte: »Hey. Wie war die Schule? Du siehst aus, als könntest du jemanden zum Reden gebrauchen.«
Yashar sah sie verwundert an. Dass sie mit einem einzigen Blick auf ihn, wusste, dass es ihm schlecht ging überraschte ihn. Er hatte sich nie für ein offenes Buch gehalten, aber vielleicht war sie auch einfach gut darin, Gesichter zu lesen.
Er wollte sie anlächeln. Das hätte das Mindeste sein sollen, das er ihr hätte schenken können, nachdem sie ihm regelrecht das Leben gerettet hatte. Und obwohl sein Kopf das wusste, konnte er sich nicht dazu überwinden die Mundwinkel zu heben. Er war einfach zu müde. Es war keine Müdigkeit, die von langen Nächten und zu wenig Schlaf zeugte, sondern eine Müdigkeit, die sich langsam, über einen längeren Zeitraum, in seine Knochen schlich und einnistete.
Aber das alles konnte er ihr nicht erzählen, denn wie sollte er jemals einem anderen Menschen von seinen Problemen erzählen, wenn er sie selbst nicht richtig verstand? Er wusste, dass er keine Hilfe erwarten konnte.
Egal wie nett und hilfsbereit Asena auch war, dachte Yashar, sie würde es niemals schaffen, ihn komplett zu verstehen. Nicht, dass er sie dafür verurteilte - er war keinem anderen Menschen je so dankbar gewesen wie seiner Tante -, er sah nur keinen Sinn darin, etwas zu versuchen, von dem er bereits zu Beginn wusste, dass es sinnlos war. Also zuckte er einfach nur mit den Schultern. »Hab' Chemie zurück bekommen. Ist eine Sechs geworden.«
Das war die einfachste Antwort. Eine Antwort, die jeder verstand und nachvollziehen konnte.
Asenas Augen wurden groß. »Ach Herrje. War das ein Ausrutscher oder hast du schon länger Probleme in Chemie? Brauchst du Nachhilfe?«
Die Antwort lag Yashar bereits auf der Zunge, als Asenas sanfter Blick aufeinmal an Intensivität gewann. Sie packte ihn mit ihrer freien Hand an der Schulter. »Yashar, ich meine das ernst. Ich möchte, dass du alles bekommst, was du brauchst und was mir im Rahmen des Möglichen erscheint. Also, wenn du Nachhilfe benötigst, dann sag mir das. Nein!«, rief sie, als er ihr Angebot gerade auf ein Neues abschlagen wollte. »Du musst nicht jetzt sofort antworten. Lass dir Zeit. Ich muss jetzt gehen. Die Spätschicht beginnt gleich. Im Kühlschrank findest du die Lasagne von gestern. Hab viel Spaß und lass dich von den Jungs nicht ärgern.«
Sie lächelte wieder und Yashar könnte schwören, dass dieses Lächeln Berge verrücken konnte. Denn wenn Asena lächlte, war es nie nur ihr Mund, der strahlte, sondern ihr ganzes Gesicht, nein, ihr ganzes Wesen.
Yashar musste den Blick abwenden. Das Strahlen war zu viel für ihn. Jedes Mal, wenn Asena ihm Wärme und Liebe entgegen brachte, hatte er das Gefühl, es nicht verdient zu haben. Er fühlte sich wie ein Eindringling in diesem Haus. Wie ein Parasit.
Mit gesenkten Lidern starrte er auf den Boden. Im nächsten Moment spürte er Asenas Lippen. Sie drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und verließ dann das Haus.
Yashar blieb einige Sekunden lang im Flur stehen. Er konnte sich nicht bewegen. Alles an ihm fühlte sich falsch an. Er hatte das Gefühl, er wäre eine leere Hülle. Als wäre er nicht dieser Körper, sondern als stünde er daneben. Als wären sein Körper und sein Geist nicht ein und dieselbe Person.
Dieses Gefühl erinnerte ihn an damals, wenn er sich mal wieder in seinem Zimmer versteckt hatte, hinter verriegelter Tür, während sein Vater gegen das Holz seiner Tür hämmerte und Yashar mit zusammengekniffenen Augen und zitternden Fingern betete, dass die Tür dieser gewalten Kraft standhalten konnte. Er hatte gewartet und die Schimpfwörter und Hasstiraden seines Vaters über sich ergehen lassen, bis dieser eingeschlafen war oder sich endlich wieder beruhigt hatte.
Das alles sah er vor sich. Wie ein echt wirkender Film liefen die grässlichen Erinnerungen an ihm vorbei, als ihn plötzlich ein Geräusch zusammenzucken ließ. Ein reales Geräusch.
Yashar blinzelte. Fast, als hätte er tatsächlich im Stehen geschlafen. Nur, dass er die ganze Zeit über wach gewesen war. Sein linker Arm tat weh, und als er den Blick senkte, um nachzusehen, bemerkte er, dass er ihn mit seiner rechten Hand umklammert hielt. Seine Fingernägel bohrten sich tief in die Haut.
Er schüttelte den Kopf, rieb sich über die Augen und versuchte, sich auf die Geräusche zu konzentrieren, statt auf das starke Pochen in seiner Brust.
Es war das übliche Gebrüll und Gelächter aus dem Wohnzimmer.
Er schloss die Augen, atmete tief ein und wieder aus und schüttelte dann den Kopf. Du bist kein Parasit. Sie wollen dich hier. Asena will dich. Er wiederholte die Worte, die ihm langsam wieder erlaubten ruhig zu atmen.
Als er sich schließlich wieder beruhigt hatte, ignorierte er die Geräusche und ging direkt in die Küche.
Nachdem er sich die Lasagne in der Mikrowelle warm gemacht und sich hingesetzt hatte, kam jemand in die Küche. Yashar betete, dass es Miguel war, aber natürlich wurden seine Gebete nicht erhört.
Das erste, das er sah, waren die zerstrubbelten, honigfarbenen Strähnen, die in alle Richtungen zeigten. Dann richtete er den Blick auf die beiden blauen Augen, die bereits auf ihm lagen.
Yashar schluckte, während Alexejs Lippen sich zu einem Lächeln verzogen. »Hey, Cavallo, was sitzt du denn hier so alleine herum?«
Yashar riss den Blick von Alexejs unglaublich blauen Augen und deutete mit der Gabel in seiner Hand auf das Essen vor sich. Er hörte Alexej seufzen, dann ein paar Schritte. Als Yashar dieses Mal den Blick hob, sah er Alexejs Rücken. Er war zum Kühlschrank gegangen und beugte sich gerade vor, um zwei Bier heraus zu holen. Yashar schloss die Augen, zählte bis Drei und öffnete sie wieder.
»Du kannst mit deinem Essen auch ins Wohnzimmer kommen. Miguel und ich beißen nicht«, hörte er Alexej auf einmal sagen, bevor dieser sich umdrehte und der Kühlschranktür einen sanften Stoß verpasste.
»Passt schon«, murmelte Yashar nur.
Alexej blieb stehen, eine Dose Bier in jeder Hand, und musterte ihn, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt. Yashar riss den Blick von ihm los. Er wollte ihn nicht ansehen und noch weniger wollte er von ihm angesehen werden.
Schließlich sagte Alexej: »Du bist echt seltsam.« Und obwohl Yashar die Worte mehr verletzten als er je zugeben würde, taten sie doch nicht so weh wie er erwartet hätte. Denn sie klangen zwar nicht wie ein Kompliment, aber auch nicht wie eine Beleidigung, sondern mehr wie eine nüchterne Aussage. Eine Beobachtung.
Yashar schluckte das Essen in seinem Mund herunter, das ihm Zeit gegeben hatte, um über seine Antwort nachzudenken. »Ich bin gerne alleine, das ist alles.«
Es war nicht die Wahrheit. Yashar wollte nicht alleine sein. Er hasste es, alleine zu sein. Sobald er alleine war, kamen seine Erinnerungen wieder. Nur konnte er Alexej nicht den wahren Grund nennen, wieso er lieber alleine in der Küche saß als im Wohnzimmer mit Miguel und ihm.
Als Alexej nicht sofort antwortete, hob Yashar den Blick. Alexej musterte ihn wieder mit diesem seltsamen Blick, den er nicht deuten konnte. Doch als sich ihre Blicke trafen, veränderte sich etwas in seinen Augen. Alexej zuckte bloß mit den Schultern und sagte: »Wie du meinst.«
Und dann war er wieder weg.
A/N:
So stelle ich mir Yashar übrigens vor:
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