13.
• Tedy - It's Over Now •
Es ist dunkel. Das Licht im Zimmer ist inzwischen ausgeschaltet und eigentlich sollten wir schon längst schlafen, aber ich bekomme einfach kein Auge zu und Atlas' Atem nach zu urteilen, ist auch er hellwach.
Ich wüsste gerne, was ihn wach hält. Welche Gedanken und Gefühle gerade in ihm toben und welche Sorgen ihn davon abhalten, einzuschlafen.
Mir ist bewusst, dass er direkt neben mir auf dem Boden liegt. Wenn ich die Hand ausstrecken würde, könnte ich ihn berühren. Ich würde es gerne tun, würde gerne nach seiner Hand greifen und sie drücken, würde ihn gerne bitten, unter meine Decke zu kriechen und mich einfach in den Arm zu nehmen, so wie früher.
Atlas' Umarmungen sind etwas ganz Besonderes. Ich glaube nicht, dass man das verstehen kann, wenn man noch nie in den Genuss gekommen ist, aber sie haben schon immer etwas Magisches an sich gehabt. Er brauchte immer nur die Arme um mich zu schlingen und schon war alles besser. Die Tränen waren getrocknet, die Wut verpufft und die Sonne trat hinter den grauen Wolken hervor.
Der Wunsch, ihn einfach zu berühren, ist enorm, so enorm, dass ich mich zügeln muss, um nicht einfach die Hand nach ihm auszustrecken. Ich will diese Situation zwischen uns nicht noch seltsamer machen, als sie es ohnehin schon ist.
Vermutlich brauche ich gerade einfach menschlichen Kontakt, Körperkontakt, um mich von der Trennung mit Yashar abzulenken. Obwohl er mich vor so ein lächerliches Ultimatum gestellt hat und ich immer noch nicht fassen kann, wie egoistisch er sich verhalten hat, überkommt mich langsam die Trauer. Es ist, als würde ich erst jetzt realisieren, was eigentlich passiert ist, als würde ich erst jetzt begreifen, dass es wirklich vorbei ist zwischen uns.
Alles was heute Nachmittag passiert ist, kommt mir so unreal vor, als wäre alles nur ein Traum, als läge ich immer noch schlummernd in meinem Bett. Was würde ich dafür geben, dass all das nur ein Traum ist! Man muss kein Genie sein, um zu wissen, dass Yashar Atlas nicht leiden kann. Die gesamte Schule weiß es vermutlich. Aber ich war der festen Überzeugung, dass er sich anstrengen würde, dass er um unsere Beziehung kämpft und sich zusammenreißt. Er muss Atlas ja nicht um den Hals fallen und ihm auch kein Liebesgeständnis machen, aber für mich hätte er ruhig mal die Zähne zusammenbeißen können.
Klar, Yashar ist nicht perfekt, aber ich habe ihn wirklich geliebt und ich hätte um diese Beziehung gekämpft, wenn er sie mir nicht einfach vor die Füße geworfen hätte. Ich kann immer noch nicht fassen, dass er einfach so mein Zimmer verlassen und die Tür hinter sich zugeknallt hat. Wir sind fast zwei Jahre lang zusammen gewesen. Zwei Jahre lang habe ich alles mit ihm geteilt, den Großteil meiner Zeit mit ihm verbracht und jetzt soll alles vorbei sein? Einfach so?
Frustriert reibe ich mir mit den Händen über das Gesicht und hoffe, dass ich nicht jeden Augenblick wieder anfange zu weinen, aber jetzt wo es so dunkel und leise ist und ich mich immer wieder im Bett winde, hin und her und hin und her, schaffe ich es nicht, die Gedanken abzustellen, die ich den ganzen Tag über zu verdrängen versucht habe.
Ich sehe wieder Yashar vor mir, seinen Gesichtsausdruck, als er mich gezwungen hat, mich zwischen Atlas und ihm zu entscheiden. Ich habe ihn angefleht, seine Meinung zu ändern, ihn angefleht, Atlas' und meiner Freundschaft eine Chance zu geben, ihm erklärt, dass es einen Weg gibt beides zu retten, meine Freundschaft zu Atlas und unsere Beziehung, aber er ist vollkommen durchgedreht. Er wollte mir einfach nicht zuhören, war felsenfest von seiner Meinung überzeugt gewesen und ich hatte ihn einfach nicht umstimmen können. So sehr ich ihn auch angefleht habe, egal welche Kompromisse ich versucht habe einzugehen, er hat jedes Mal den Kopf geschüttelt und immer und immer wieder gesagt: »Du entscheidest dich, Nora. Jetzt sofort. Ich oder diese Schwuchtel.«
»Pssst«, mache ich und halte kurz den Atem an. Ich blinzle die Tränen weg und hoffe, dass man mir nicht anhört, dass ich schon wieder geweint habe. »Hey, schläfst du schon?«
»Ja.«
Ich drehe den Kopf in Atlas' Richtung und lächle in mich hinein. »Du bist also nicht wach?«
»Nein.«
»Schade«, murmele ich leise und stelle mir vor, wie sich Atlas' Mundwinkel in diesem Moment zu einem Lächeln heben. »Weißt du, ich kann einfach nicht schlafen.«
Lange Zeit kommt keine Antwort. Ich zähle die Sekunden, lausche seinem ruhigen Atem mit zappelnden Füßen, als ich ihn schließlich tief ein und ausatmen höre. »Denkst du an ihn?«
Ich halte den Mund. Was soll ich auch antworten? Ja? Nein? Beide Antwortmöglichkeiten kommen mir falsch vor. Ich will ihm nicht die Wahrheit sagen, weil ich weiß, dass Atlas sich dann nur die Schuld geben würde, obwohl er im Endeffekt nichts dafür kann. Natürlich denke ich an Yashar, natürlich vermisse ich ihn, aber wenn ich vor die Wahl gestellt werde, würde ich mich nie wieder gegen Atlas entscheiden. Diesen Fehler habe ich einmal begangen und das wird mir kein zweites Mal passieren.
»Nora?«
Ich reiße die Augen auf und starre in zwei blaue Augen, die mich besorgt mustern. Atlas hat sich aufgesetzt, so dass unsere Gesichter auf einer Höhe sind. Er blinzelt und starrt mich an. »Scheiße, weinst du etwa wirklich?«
Beschämt vergrabe ich das Gesicht in den Händen und schüttele den Kopf. Ich will nicht, dass er mich so sieht, ich will nicht, dass er denkt, dass ich Yashar hinterher weine, obwohl ich ja genau das tue.
»Hey.« Atlas schiebt meine Hände sanft vom Gesicht, um mich anzusehen, aber ich halte die Augen weiterhin zu. Ich will ihn nicht sehen, will nicht wissen, wie er gerade guckt, aber ich halte es nicht lange aus und öffne schließlich doch wieder die Augen.
Atlas starrt mich an. Er wirkt unbeholfen und überfordert, aber da ist noch etwas. Ich kann nicht sagen was genau es ist, aber es ist, als würde er mit mir leiden. Unsicher streckt er eine Hand aus und streicht mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht. »Weinst du um ihn?«
Ich ziehe scharf die Luft ein. »Du kannst mich ruhig verabscheuen. Ich weiß, dass er dir damals das Leben zur Hölle gemacht hat. Dass ich trotz allem mit ihm zusammengekommen bin und dir die kalte Schulter gezeigt habe, macht mich zu einem schrecklichen Menschen, Atlas. Du fragst dich vermutlich, wieso ich so einem Monster überhaupt hinterher weine, aber du kennst Yashar nicht so, wie ich ihn gekannt habe. Er ist kein Monster. Nicht wirklich. Er versucht nur, Liebe und Anerkennung zu finden, auf eine falsche Art und Weise.
Ich weiß, er ist ein Arschloch zu dir gewesen und vielleicht macht mich die Tatsache, dass ich ihn geliebt habe oder einfach nur verliebt in ihn gewesen bin auch zu einem schlechten Menschen, aber er war nie schlecht zu mir. Verstehst du? Mich hat er immer gut behandelt.« Ich wische mir schniefend über die nassen Augen. »Gott, klingt das egoistisch.«
Das Kissen unter mir wird nass von den ganzen Tränen, die mir über das Gesicht laufen. Ich weine um so viel, weine um meine Beziehung mit Yashar und um die verlorenen Jahre mit Atlas. Ich weine und weine und kann nicht mehr aufhören. All die Tränen, die ich monatelang unterdrückt habe, fließen über meine Wangen.
»Nora, hör zu. Yashar...« Sobald er seinen Namen ausspricht, entweicht mir ein jämmerliches Wimmern. Ich presse die Lippen aufeinander und sehe ihn fragend an, als er den Satz unbeendet im Raum stehen lässt. Er öffnet den Mund, als wollte er weiterreden, aber dann schüttelt er den Kopf. »Vergiss es. Jetzt ist nicht der richtige Augenblick.«
Ich runzele verwirrt die Stirn, aber anstatt zu erklären, was er damit meint, setzt er sich auf meine Matratze, die unter seinem Gewicht leicht sinkt. Er hebt die Decke an, wirft mir aber dann erst einen fragenden Blick zu. »Ist das okay für dich?«
Mit von Tränen verschleierten Augen sehe ich zu ihm auf und nicke. Am liebsten würde ich ihm um den Hals fallen und ihm sagen, wie nötig ich seine Nähe gerade habe, aber ich schaffe es nicht, den Mund zu öffnen.
Er rutscht zu mir unter die Decke und ich drehe mich mit dem Gesicht zur Wand, so dass er von hinten die Arme um mich schlingen kann. Mein Rücken liegt an seiner Brust und ich weiß, es sollte sich nicht so gut anfühlen, aber das tut es. Es fühlt sich gut an. Viel zu gut.
Wir sind keine Kleinkinder mehr und wahrscheinlich sollten wir spätestens jetzt eine Grenze ziehen, aber mein Körper lechzt nach seinen Berühren und seiner Wärme. Ich brauche es, brauche ihn, ich habe es immer gebraucht, aber jetzt in diesem Moment brauche ich es mehr denn je.
»Hör auf zu weinen, Solnyshka.« Ich erstarre augenblicklich. Sein warmer Atem trifft meine Wange, seine Lippen berühren mein Ohr, aber ich nehme alles nur am Rande wahr. Ich weiß nicht, ob ihm dieser Name unbewusst rausgerutscht ist oder er mich absichtlich so nennt, in der Hoffnung mich zu beruhigen, aber ich spüre, wie es anfängt in meinem Körper zu prickeln. Seine Finger streichen sanft durch meine Haare. »Er ist keine einzige Träne wert.«
Solnyshka. Er hat mich seit Jahren nicht mehr so genannt. Es ist beinahe beängstigend was für eine Wirkung so ein einfacher Kosename auf mich hat, aber es fühlt sich an, als hätte Atlas eine warme, weiche Decke um mich gewickelt, die mich von allem Bösen auf der Welt abschottet.
Ich drehe mich in seinen Armen um, bis wir daliegen und uns in die Augen sehen können. Es ist dunkel, aber meine Augen haben sich inzwischen an die Dunkelheit im Zimmer gewöhnt. Dieser Moment erinnert mich an all die Nächte, in denen wir als Kinder so da lagen und uns stundenlang unterhalten und gelacht haben. Aber heute ist irgendetwas anders und ich weiß nicht, ob ich es gut oder schlecht finden soll.
Ohne wirklich darüber nachzudenken, rutsche ich mit dem Gesicht näher zu ihm, dabei sehe ich ihm unentwegt in die Augen. Es ist, als spiegeln sich meine Gefühle in ihnen wieder, aber vielleicht wünsche ich mir auch einfach nur, dass es so ist. Mein Körper fleht danach, ihm näher kommen zu dürfen, ihm so nahe zu kommen, wie es vielleicht noch kein anderes Mädchen ist.
Küss mich. Küss mich. Küss mich. Ich schreie diese Gedanken förmlich, aber Atlas' Gesichtsausdruck bleibt derselbe. Falls er Gedanken lesen kann, lässt er es sich nicht anmerken.
Dieser Moment fühlt falsch an. Nein, dieser Moment fühlt sich richtig an. Ich weiß nicht, wie er sich anfühlt, aber ich weiß, dass ich es will, dass ich noch nichts in meinem Leben so sehr gewollt habe. Ich halte den Atem an und beuge mich weiter vor. Er schaut zurück, ohne etwas zu sagen und ohne eine Miene zu verziehen.
Ich bewege meinen Kopf weiter, ganz langsam, als könnte dieser Moment zerplatzen, sobald ich mich zu schnell bewege. Mein Blick klebt an seinem Mund, der leicht offensteht und ich frage mich, frage mich schon so lange, wie er schmeckt, wie es wäre ihn zu küssen. Nicht betrunken, sondern vollkommen nüchtern.
Unsere Münder berühren sich fast. Ich halte immer noch den Atem an, aus Angst, dass alles vorbei sein könnte, sobald ich nach Luft schnappe, schließe langsam die Augen, doch bevor sich unsere Münder treffen, dreht Atlas den Kopf weg. Blinzelnd, als hätte mich jemand aus einem wunderschönen Traum geweckt, öffne ich die Augen.
»Nicht«, flüstert er. Seine Stimme ist so leise. Einen Augenblick lang bilde ich mir ein, sie würde zittern. »Tu das nicht, Nora. Du bist gerade wütend und verletzt. Du willst das hier gar nicht wirklich.«
Atlas zieht das Gesicht zurück, um mich anzusehen. Er sieht verletzt aus, als hätte nicht er eben einfach den Kopf weggedreht, sondern ich.
Zitternd atmet er aus und obwohl sein Atem, der so warm ist, gegen mein Gesicht prallt, wird mir plötzlich eiskalt. Er öffnet den Mund und sieht mir fest in die Augen: »Benutz mich nicht, um ihn zu vergessen, Nora. Nicht du.« Er wendet den Blick ab, und dann, ich bin mir fast nicht sicher, ob er es wirklich gesagt hat, flüstert er: »Ich bin es leid, ständig nur benutzt zu werden.«
A/N:
Entweder schreibe ich wochenlang keine neuen Kapitel oder ich haue direkt mehrere hintereinander raus. jep, updaten kann ich
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro