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𝕋ü𝕣 𝟚𝟛 - 𝐴𝑙𝑙 𝐼 𝑊𝑎𝑛𝑡 𝐹𝑜𝑟 𝐶ℎ𝑟𝑖𝑠𝑡𝑚𝑎𝑠 𝐼𝑠 (𝑓𝑜𝑟) 𝑌𝑜𝑢 (𝑡𝑜 𝑛𝑜𝑡 𝑑𝑖𝑒) 𝑇𝑒𝑖𝑙 2

𝕋ü𝕣 𝟚𝟛

𝐴𝑙𝑙 𝐼 𝑊𝑎𝑛𝑡 𝐹𝑜𝑟 𝐶ℎ𝑟𝑖𝑠𝑡𝑚𝑎𝑠 𝐼𝑠 (𝑓𝑜𝑟) 𝑌𝑜𝑢 (𝑡𝑜 𝑛𝑜𝑡 𝑑𝑖𝑒) 𝑇𝑒𝑖𝑙 2

𝑉𝑜𝑛 AndiLovesZiall

˚ ༘✶ ⋆。

TEIL 2

Harry trat das Gaspedal durch, und ich wurde erst in den Sitz und dann gegen die Tür gedrückt, als er das Lenkrad herumriss und den Streifenwagen schlingernd vom Parkplatz schießen ließ. Mit zusammengebissenen Zähnen klammerte ich mich an den Türgriff, lauschte starr vor Nervosität auf die Bestätigungen der anderen Teams.

Als Harry den Wagen um die letzte Biegung vor der entsprechenden Einfahrt lenken wollte, hielt ich ihn zurück. „Moment. Lass mich hier gleich raus. Ich taste mich zu Fuß über die Seitenstraße ran. Vielleicht können wir ihn einkesseln."

„Okay." Harry trat auf die Bremse, brachte das Auto gerade lange genug zum Stehen, dass ich aussteigen konnte. „Viel Erfolg. Mach nichts Dummes."

Finster nickte ich ihm zu. „Gleichfalls. Bis nachher."

Harry ließ den Wagen davonschießen, und als ich zu Fuß in die nächste Gasse sprintete, preschte ein weiterer Streifenwagen an mir vorbei – Liam und Olivia, dem Kennzeichen nach zu urteilen.

Sehr gut. Dann musste ich mir wenigstens keine Gedanken mehr darüber machen, dass Harry dem Kriminellen allein gegenübertreten musste, bevor ich den Tatort erreichte.

Ich hörte das Gebrüll schon von Weitem. Und den Schuss natürlich auch. Zum Glück blieb es bei dem einen, aber der reichte vollkommen, um es mir eiskalt das Rückgrat hinabkriechen zu lassen. Es juckte mich in den Fingern, nochmal die Zentrale anzufunken und zusätzlich Verstärkung anzufordern, aber ich hielt mich zurück, wohlwissend, dass Zayn und Niall die Lage korrekt erfasst und weitergegeben hatten. Die Zentrale würde schon alle Einsatzkräfte schicken, die benötigt wurden.

„... Schritt näher!" Eindeutig ein Typ. „Sonst lege ich sie um! Hey!"

Vorsichtig kämpfte ich mich den steilen, mit Kopfsteinpflaster bedeckten Berg zwischen zwei Häusermauern in Richtung des Marktplatzes hoch, darauf bedacht, ja nicht auf den glitschigen Stellen auszugleiten und zu stürzen. Plötzlich schien mir der Schnee ganz und gar nicht mehr idyllisch zu sein. In diesem Kontext war er verdammt nochmal tückisch. Ein einziges verräterisches Geräusch, und der Bewaffnete würde sofort ahnen, dass man ihn einkesselte.

Das Ende der schmalen Gasse näherte sich, dahinter tauchte eine Reihe geschmückter Bäume auf, deren Lichterketten in den unterschiedlichsten Farben um die Wette blinkten und leuchteten. Übertrieben und kitschig, meiner Meinung nach, aber jetzt hatte ich gerade andere Probleme. Ich musste u-...

Etwas griff nach meinem Bein, und es kostete mich sämtliche Selbstbeherrschung, um nicht laut aufzuschreien. Hektisch sprang ich zurück, die Hand reflexartig an meiner Waffe – doch dann entdeckte ich einen vertrauten blonden Haarschopf auf dem Boden, und sofort stellte ich den Verteidigungsmodus ein.

„Niall, fuck!" Hastig ging ich neben ihm in die Hocke, suchte mit den Augen seinen Körper ab. Es dauerte nicht lange, bis mein Blick an der zerrissenen Stelle an der Oberschenkelpartie seiner Hose hängenblieb. Blut sickerte hindurch, färbte den schneebedeckten, vereisten Boden unter ihm nach und nach rot. „Bist du in Ordnung?"

„Klar." Er rang sich ein Lächeln ab, das mir vom bloßen Hinsehen körperliche Schmerzen bereitete. Ich hatte selbst schon einmal einen Streifschuss am Oberarm abbekommen und wusste, dass der Scheiß wie die Hölle wehtat, ganz gleich, wie gering der Schaden war. „Scheiße, Louis. Gut, dass ihr da seid. Ich bin leider keine große Hilfe mehr. Wo ist Harry?"

„Der kommt offiziell mit dem Wagen." Ich griff nach seiner Schulter, um diese beruhigend zu drücken. „Wir kriegen das hin, okay? Ich bin mir sicher, ihr habt euer Bestes gegeben. Bis dann."

Ich machte Anstalten, mich zu erheben, doch Nialls blutverschmierte Hand auf meinem Arm hielt mich zurück.

„Pass auf dich auf, ja?" Er presste die Lippen aufeinander, ließ den Kopf an die Wand hinter ihm zurücksacken „Und auf Zayn. Scheiße, ich fahre nie wieder mit ihm Streife. Wenn er dabei ist, bin ich die ganze Zeit nur darauf fokussiert, dass ihm nichts passiert."

Ein seltsames Loch tat sich bei diesen Worten in mir auf, drohte mich zu verschlingen, doch ich riss mich zusammen.

„Über die heutige Aufteilung reden wir hinterher sowieso noch, Mister." Strafend tippte ich seine Nasenspitze an. „Wenn dieser Hickhack hier vorbei ist. Okay? Halt die Ohren steif."

Ich wartete gerade so sein zögerliches Nicken ab, dann sprang ich auf und hastete weiter. Das Geschrei wurde lauter, und als ich um die Hausecke spähte, die Waffe einsatzbereit in den Händen, wurde ich beinahe von einer Handvoll panischer Zivilisten über den Haufen gerannt. Schweigend wies ich sie nach unten weiter, in der Hoffnung, dass sie nicht dumm genug waren, den falschen Weg zu nehmen und im Kreis zu laufen. Wenn Menschen Todesängste ausstanden, war ihnen alles zuzutrauen.

Auf leisen Sohlen duckte ich mich hinter den Bäumen hindurch, ehe ich mich hinter einem besonders auslandenden Exemplar positionierte und vorsichtig zwischen den Zweigen hindurchspähte. Am liebsten hätte ich kurzerhand das Stromkabel durchgeschnitten, so sehr ging mir die grellblaue Blinkerei auf den Sack, aber das hätte eventuell für etwas Aufsehen gesorgt, also gab ich mich damit zufrieden, die Zähne zusammenzubeißen und es zu ignorieren.

Die Situation war noch schlimmer, als ich angenommen hatte.

Mit dem Rücken zu mir stand ein untersetzter, stämmiger Typ mit Halbglatze, dicker Winterjacke und sommerlichen Turnschuhen an den Füßen – und mit einer Person vor sich, der er offenbar seine Schusswaffe an den Kopf hielt.

Unwillkürlich sog ich einen scharfen Atemzug ein. Eine Geiselnahme.

Verdammte Scheiße.

Ihm gegenüber, in mehreren Metern Sicherheitsabstand, hatten sich Liam und Olivia aufgebaut, allesamt mit gezückten Waffen, wobei Olivia in beruhigendem, deeskalierendem Tonfall auf den Typen einsprach. Harry stand ein Stück hinter ihnen und observierte die Lage, und ich war mir ziemlich sicher, dass wiederum hinter ihm noch weitere unserer Leute standen, vorsichtig ausschwärmten und auf den richtigen Moment für einen Zugriff warteten. Bestimmt hatte man auch schon das SEK verständigt, wie immer, wenn wir es mit einer Geiselnahme zu tun hatten. Fehlte nur noch, dass der Typ sich mit der armen Geisel in einer der Buden verschanzte und wahnwitzige Forderungen zu stellen begann.

„Lassen Sie von der Frau ab." Natürlich klang Olivias Stimme völlig ruhig. Sie war schon immer die Beste darin gewesen, mit aggressiven Tätern zu kommunizieren und kritische Situationen zu entschärfen. „Was wollen Sie denn erreichen?"

„Erst einmal möchte ich, dass Sie ihre Kollegen zurückrufen!" Die Sprache des Kerls klang seltsam verwaschen. Stand er etwa unter Drogen? Möglich war alles. Im Hintergrund dudelte abgedroschene Weihnachtsmusik und machte es mir schwer, mich zu konzentrieren. „Räumen Sie das Gelände! Und dann überlassen Sie mir einen Ihrer Wagen!"

Verwirrt runzelte ich die Stirn. Er wollte einen Streifenwagen? Wusste er denn nicht, dass unsere Autos allesamt mit GPS-Ortung ausgestattet waren und er nicht die Geringste Chance hätte, mit einem davon unterzutauchen? Sobald er den Fuß aufs Gas setzte, würde ihm ein komplettes Einsatzkommando an den Hacken kleben. Vor allem, wenn er die Geisel mitnahm. Und wer wusste schon, was er im Vorfeld schon alles getrieben hatte? So, wie der Kerl drauf war, traute ich es ihm zu, in einer Kirche Amok gelaufen zu sein.

Unwillkürlich suchte ich Harrys Blick, und als der mir im Schutz unserer beiden Kollegen kaum merklich zunickte, verstärkte ich den Griff um meine Pistole. Wenn ich mich geschickt anstellte, konnte ich mich hinter ihm anschleichen, ihm blitzschnell die Waffe entreißen, die Geisel wegschubsen und ihn selbst zu Boden stoßen. Den Rest würden meine Kollegen übernehmen.

Aber zuallererst musste die Waffe weg. Solange er diese in den Pfoten hatte, war er unberechenbar.

Unberechenbar tödlich.

Ich atmete mehrmals tief durch, um meinen Puls zu beruhigen, dann gab ich mir einen Ruck und schob mich hinter meinem Baum hervor. Das Ding blinkte jetzt zwar nicht mehr abartig, aber dafür leuchtete es in einem scheußlichen Lila. Unfassbar, welche Geschmacklosigkeit die Leute bei ihren Weihnachtsdekorationen an den Tag legten.

Eine jazzige Kitschversion Last Christmas schallte viel zu laut über den Platz, übertönte jedoch das Knirschen meiner Schuhe auf dem Kopfsteinpflaster, als ich mich langsam auf den Bewaffneten zubewegte, meine Pistole im Anschlag.

Der Typ war noch immer damit beschäftigt, abwechselnd Olivia und seine Geisel anzuschreien und wild nach einem Wagen zu verlangen, machte keinerlei Anstalten, sich in naher Zukunft umzudrehen. Hoffentlich blieb das so. Ich hatte keine Lust darauf, wie Niall zu enden. Oder eine Kugel in den Hals zu kriegen und zu sterben.

Meine Güte.

Nur noch sechs Schritte.

Noch fünf.

Noch vier.

Heftig pochte mein Herz gegen meinen Brustkorb, pumpte raue Mengen an Adrenalin durch mein System, doch ich schaffte es, meine Hand ruhig und meine Atmung ebenmäßig zu halten. Zig Male hatte ich solche Situationen schon theoretisch verinnerlicht und praktisch trainiert. Die Durchführung in der Realität war zwar eine Premiere, aber ich wusste, wie ich mich verhalten musste.

Gleich hatte ich ihn erreicht.

Noch drei Schritte.

Noch zwei Schritte.

Jetzt müsste ich nur die Hand ausstrecken, dann könnte ich schon die Kapuze seines feuchten Anoraks berühren.

Noch ein Schritt.

Ich spannte mich an, die Zähne in den Innenseiten meiner Wangen vergraben, wollte ihm blitzschnell die Waffe aus der Hand schlagen und...

Irgendwo hinter mir ertönte Kindergeschrei, dicht gefolgt von Scharren und lautem Getrampel, als ein Paar mit seinem Kleinkind das Weite suchte.

Heiße Panik durchzuckte mich.

Fuck!

Hektisch schlug ich nach der Waffe des Täters, doch natürlich war der Schaden schon getan. Die Millisekunde, die der Kerl im Vorfeld gewarnt worden war, hatte ihm ausgereicht, um sich reflexartig umzuwenden – zufälligerweise ausgerechnet in die Richtung, mit der er seine Waffe von mir wegdrehte.

Unterdrückt fluchend trat ich nach seinen Beinen, in der Hoffnung, ihn zu Fall bringen zu können, doch der Mann taumelte mehr durch pures Glück als durch fabelhafte Reaktionsfähigkeit zur Seite. Dabei riss er die lauthals schreiende Geisel mit sich, eine Frau fortgeschrittenen Alters in einem übertrieben langen, eleganten Parka. Prompt trat sie auf den Saum und geriet ins Stolpern, doch statt sich von ihr zu Boden reißen zu lassen und dabei eventuell sogar die Pistole zu verlieren, stieß der Typ sie geistesgegenwärtig von sich – genau in meine Richtung.

Geistesgegenwärtig schaffte ich es noch, die Mündung der Pistole gen Boden zu richten, als die Dame auf mich zuflog, um sie nicht versehentlich zu erschießen, dann knallte sie schon gegen mich. Normalerweise wäre das hier kein Problem gewesen. Normalerweise hätte ich ihr Gewicht problemlos auffangen und uns beide auf den Beinen halten können, nicht jedoch auf schneebedecktem, glitschigem Kopfsteinpflaster.

Meine Schuhe rutschten weg, sämtliches Rudern mit den Armen nutzte mir nichts mehr, dann ging ich schon hart zu Boden, schlug mir dabei vermutlich sämtliche Gliedmaßen blau. Die Frau fiel auf mich, landete ausgerechnet auf meinem Arm mit der Waffe, woraufhin mir diese entglitt und klappernd in Richtung Christbäume davonschlitterte.

Für einen kurzen Moment wurde mir schwarz vor Augen. Nicht wegen des Sturzes, sondern in dem grauenvollen Wissen, dass ich verkackt hatte. Über den plüschigen Parka der heulenden Dame hinweg sah ich, dass meine Kollegen sich in Bewegung gesetzt hatten, offenbar in der Hoffnung, das Chaos zu ihrem Vorteil nutzen zu können, doch ...

„Stopp." Plötzlich stand der Typ über uns. Seine Augen funkelten wild, die Lippen hielt er unter seinem Bart zu einer weißen Linie zusammengepresst. „Oder ich erschieße euren Kollegen."

Ich zuckte zusammen, als der Lauf der Waffe vor mir auftauchte. Die alte Frau, die noch immer auf meinem Arm lag, begann erbittert zu schluchzen, und einerseits wollte ich sie anfauchen, dass sie doch bitte ihre Klappe halten sollte, andererseits konnte ich es ihr nicht verübeln. Heulen wäre jetzt eine fabelhafte Option.

„Weg da." Grob zerrte er am Arm der Frau. „Los."

Zittrig und keuchend kam sie dem Befehl nach, stemmte sich unsicher auf die Beine. Ihr Parka wies an den Ärmeln mehrere Löcher auf und der Pelz hatte sich vom Kragen gelöst, doch sie selbst schien keine Verletzungen davongetragen zu haben. Noch.

Der Typ packte sie unsanft am Arm, hielt die Pistole jedoch weiterhin auf mich gerichtet. Auf meinen Kopf. „Du. Wer von den Pappnasen da drüben ist dein Partner? Mit wem bist du gefahren?"

Trotzig biss ich die Zähne zusammen. Wenn er davon ausging, dass ich ihm bereitwillig Auskunft geben würde, hatte er sich gewaltig geschnitten.

Ruckartig beugte er sich zu mir hinab, und durch das verängstigte Ächzen der Frau und meine eigene Panik hindurch nahm ich nur am Rande wahr, wie sich die kalte Mündung der Waffe direkt an meine Schläfe presste.

„Wer?"

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Wie erstarrt verharrte ich in Position, die Hände instinktiv emporgerissen, als könnte ich mich mit ihnen vor einer Kugel schützen, unfähig, auch nur ein einziges Wort von mir zu geben.

„Ich. Ich bin der Partner." Harrys Stimme, einerseits ruhig und gefasst, andererseits ungewöhnlich atemlos. „Und jetzt nehmen Sie bitte die Waffe runter, bevor Sie versehentlich jemanden erschießen. Sie wollen unseren Autoschlüssel, richtig? Den können Sie haben. Wenn Sie im Austausch dafür die Geiseln gehen lassen."

Der Lauf der Waffe verschwand von meinem Kopf und entfernte sich ein Stück, als der Typ sich aufrichtete. „Wirf ihn rüber."

„Erst die Geiseln."

Sogar von hier aus sah ich, wie der Kopf des Kerls knallrot anlief vor Zorn. Wenn Harry mit seinen Forderungen nicht aufpasste, würde der Typ platzen und jemanden abknallen.

Nun ja. Mich.

Harry schien das ebenfalls realisiert zu haben, denn er machte eilig einen Rückzieher.

„Eine der Geiseln", korrigierte er seine vorige Aussage. „Lassen Sie die Frau zu uns gehen. Wenn sie hier ist, werfe ich Ihnen den Schlüssel hinüber."

Wie einen Hundeköder ließ er unseren Autoschlüssel in der Luft baumeln. Das Klimpern vermischte sich mit All I Want For Christmas von Maria Carey und meinen eigenen pfeifenden Atemzügen sowie dem Rauschen des Blutes in meinen Ohren, verlieh der Szene zusammen mit den feierlichen Weihnachtsbeleuchtungen und dem penetranten Glühweinduft einen makabren Touch.

„Einverstanden."

Ich erlaubte mir ein erleichtertes Aufatmen, als der Kerl die alte Frau losließ und sie in Richtung meiner Kollegen stieß. Während die Frau unsicheren Schrittes und leicht humpelnd die Distanz zu den Polizisten überbrückte, fing ich Harrys Blick auf. Frustration und Sorge standen darin, zusammen mit einer ordentlichen Portion Hilflosigkeit. Wir alle ahnten, wie sich diese Situation weiterentwickeln würde.

Und wo zum Fick blieb nur dieses verdammte SEK? Oder war es längst hier und wir wussten es nur nicht? Positionierten sich gerade in dieser Sekunde Scharfschützen in den umliegenden Häusern und warteten auf den richtigen Moment? Weder Harry und ich noch Olivia und Liam wussten es. Keiner von uns war verkabelt, keiner von uns hatte die Möglichkeit, Nachrichten zu checken, ohne zu riskieren, dass der Typ hier ausflippte.

Geschickt fing er den Autoschlüssel auf, den Harry ihm zuwarf, dann wedelte er mit der Pistole in meine Richtung. „Aufstehen, Junge. Los."

Darauf bedacht, keine plötzlichen Bewegungen zu machen, rappelte ich mich hoch. Mein linker Ellbogen schmerzte wie die Hölle, doch ich verkniff mir jegliche Reaktion. Besser, wenn er keine meiner aktuellen Schwachstellen kannte.

Probehalber betätigte der Typ den Entriegelungsknopf, dann deutete er auf den Wagen, der geblinkt hatte.

„Dorthin." Grob schob er mich vorwärts und ich spürte wieder den Lauf der Waffe im Nacken. „Beweg dich, bevor ich dein Gehirn pulverisiere."

Die Blicke meiner Kollegen brannten förmlich auf mir, als ich mich hastig auf unseren Streifenwagen zubewegte, insbesondere der von Harry. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie seine Hand zuckte, als juckte es ihn in den Fingern, nach seiner Waffe zu greifen und einzuschreiten, doch Liam hielt ihn zurück. Zu Recht. Eine einzige falsche Bewegung, und mein letztes Stündlein hätte geschlagen.

Am Wagen angekommen, hielt er mich kurz zurück, um die hintere Tür auf der Fahrerseite aufzureißen und sich dahinter zu positionieren. „Setz dich hinters Steuer. Hopp, hopp. Und keine Tricks. Ich bin direkt hinter dir."

Mein Magen drehte sich um, als ich mich wie befohlen in den Fahrersitz fallen ließ. Über die Schultern hinweg hielt er mir auf einer Seite den Autoschlüssel hin, auf der anderen Seite die Pistole an den Hals.

„Fahr."

Als ich zögerte, presste sich der eiskalte Lauf der Waffe so fest in die Kuhle unter meinem Kiefer, dass es schmerzte.

„Fahr!"

Todesangst durchzuckte mich.

Ruckartig startete ich den Motor und trat auf das Gaspedal, ließ den Wagen schlitternd vom Vorplatz des alten Rathauses schießen.

***

Der Kerl hing förmlich über der Rückenlehne meines Sitzes, kam mir dabei so nahe, dass ich seinen heißen Atem im Nacken spüren konnte. Mein linker Arm pochte unangenehm, und ich hatte das Gefühl, dass er im Schutz meiner Jacke inzwischen auf seine doppelte Größe angeschwollen war. Vielleicht war etwas verstaucht, vielleicht auch gebrochen. Das würde ich ansehen lassen müssen, wenn dieser Wahnsinn vorbei war.

Und ich dann noch lebte.

Der Mann machte alles andere als einen geordneten, kühlen Eindruck. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen, sein Blick huschte nervös von einem Fenster zum nächsten, sein Finger am Abzug der Waffe zitterte bedenklich. Er stand kurz vor einem Ausbruch.

„Ähm." Ich räusperte mich gegen den Kloß in meiner Kehle an. „Mister, wo wollen Sie denn hin? Das ist doch aussichtslos."

Feinselig zischte er mich an. „Was aussichtslos ist und was nicht, entscheide immer noch ich selbst. Ihr Bullen haltet euch immer so neunmalklug mit eurem manipulativen Gelaber. Fahr schneller."

„Haben Sie schon mal aus dem Fenster geguckt?", gab ich hitzig zurück, plötzlich frustriert darüber, wie verbissen dieser Arsch an seinem irrationalen Plan festhielt. „Das ist kein Schnee auf der Straße, sondern Eis. Wenn ich schneller fahre, verrecken wir alle beide."

Prompt beugte er sich noch weiter über meinen Sitz.

„Du bist ja ein ganz Schlauer, was?", knurrte er mir ins Ohr, sein Tonfall so kalt, dass sich die feinen Härchen auf meinen Armen aufstellten. „Wie alt bist du, Kleiner? Zwanzig?"

Ich schluckte. „Sechsundzwanzig."

Zu meiner Verblüffung und zu meinem Horror brach er daraufhin in schallendes Gelächter aus, warf sogar den Kopf in den Nacken.

„Sechsundzwanzig? Noch ein halbes Kind." Die Bitterkeit in seiner Stimme wollte so gar nicht mit dem Lachanfall zusammenpassen. „In dem Alter wusste ich auch noch nicht, was ich will."

„Ach." Meine Stimme drohte zu versagen, doch ich gab mein Bestes. Der Kerl irritierte mich ohne Ende. „Und jetzt wissen Sie es etwa?"

Schlagartig nahm sein Gesicht wieder harte Züge an. „Was ich will, geht dich einen Dreck an. Gib doch endlich Gas! Du willst mich nur hinhalten, damit deine Kollegen aufholen, was?"

„Alter, schau doch die Straße an, ich kann n-..."

Plötzlich lag sein Arm um meine Kehle, bracht mich abrupt zum Verstummen. Er drückte zwar nicht zu, aber die Botschaft kam klar und deutlich bei mir an.

„Sperr mal deine Öhrchen auf, Junge", raunte er mir zu. „Ich habe nichts mehr zu verlieren. Ich nehme noch, was ich kriegen kann, und wenn ich es nicht kriege, ist es mir auch egal. Ich habe also kein Problem damit, dich abzuknallen, wenn du hinterm Steuer sitzt. Tu gefälligst, was ich dir sage, und zwar exakt so, wie ich es dir sage, wenn du in deinem jetzigen Leben noch dreißig werden möchtest. Kapiert?"

Ich biss die Zähne zusammen, sah starr nach vorne. Wären meine Hände nicht so fest um das Lenkrad geschlossen, würden sie wie Espenlaub zittern.

„Ob du das kapiert hast, will ich wissen!", brüllte er dann mir so laut ins Ohr, dass mir der Schädel davon dröhnte.

„Ja." Meine Stimme bebte. Unwillkürlich zog ich den Kopf ein, machte mich auf dem Sitz so klein wie möglich, als könnte ich diesem Irren dadurch irgendwie entkommen. „Ich mache alles, was Sie sagen."

„Schön." Schweratmend ließ er von meinem Hals ab. „Gut, dass wir das geklärt haben. Bieg da rechts ab."

Mit Mühe verkniff ich mir die erneute Frage, wohin zum Fick er wollte. Natürlich konnte er bluffen, was seine nichts-mehr-zu-verlieren-Aussage betraf, aber ich war nicht erpicht darauf, zu pokern. Nicht, wenn mein Leben dabei auf dem Spiel stand. Nur gut, dass Harry es geschafft hatte, ihn dazu zu bewegen, wenigstens die Frau freizulassen. Würde diese auch noch hier drinsitzen und dem Tod ins Auge blicken, wenn ich mich nicht geschickt anstellte, hätte ich mir vor Verzweiflung längst eingeschissen.

Einige Minuten lang fuhren wir durch das nächtliche Straßennetz der Stadt. Mehrere Male glitten die Reifen auf der glatten Straße bedenklich dahin, doch zum Glück waren um diese Uhrzeit und noch dazu an diesem Abend nicht allzu viele Leute unterwegs. Die meisten saßen daheim um den Christbaum herum, zusammen mit ihrer Familie oder ihren Freunden, und feierten das Fest der Liebe.

Während ich mit einem psychotischen Womöglich-Killer in meinem Streifenwagen saß und Taxi spielte.

Verdammte Scheiße.

Ich sollte mir einen neuen Job suchen.

Eine Kirche tauchte vor uns auf, hellerleuchtet und weihnachtlich, aus deren Türen gerade Leute nach draußen strömten – offenbar war die Christmette hier gerade vorbei. Eine Gruppe Musiker mit Blasinstrumenten stand auf dem Vorplatz und gab vermutlich klassische Weihnachtslieder zum Besten, daneben befand sich sogar ein kleines Hüttchen, in dem Glühwein und Kinderpunsch verkauft wurden. Als Hirten verkleidete Ministranten wuselten zwischen den Gottesdienstbesuchern herum und verteilten irgendetwas, ein paar Leute führten einen Esel und mehrere Ziegen herum.

Meine Güte.

So einen Aufwand hatte man für die Christmetten in meiner Kindheit noch nicht betrieben.

„Fahr da durch."

Ich runzelte die Stirn, als mir aufging, wohin der Psycho deutete. Er zeigte auf den Pfarrplatz, den ich vorhin noch begutachtet hatte. Normalerweise konnte man dort mit dem Auto schon ganz gut durchfahren, wenn auch nur als Anwohner oder als Lieferant oder eben als Polizist, aber ...

„Da ist alles voller Leute", wandte ich zaghaft ein. „Ich nehme einfach die nächste Straße."

„Nein." Sein Tonfall war eiskalt, duldete keinerlei Widerspruch. „Du fährst da rein. Direkt hinter der Kirche wohnt jemand, dem ich noch einen Weihnachtsbesuch abstatten muss."

Starr vor Horror fing ich seinen Blick im Rückspiegel auf, mit dem Resultat, dass er mir prompt den Knauf der Waffe an die Schläfe schlug.

„Mach schon! Sonst knall ich dich ab und mach es selbst!"

„Ja! Ja! Schon gut!" Meine Stimme überschlug sich. Der Kerl war doch nicht ganz sauber! Er wollte einfach zig verletzte, womöglich tote Leute in Kauf nehmen, nur weil es ihm zu blöd war, einen kleinen Umweg zu fahren? „Fuck!"

Die Gedanken in meinem Kopf rasten, als ich den Wagen verbissen in die entsprechende Richtung lenkte, ohne den Fuß vom Gas zu nehmen. Die Leute auf dem Pfarrplatz sahen zwar herüber, schienen jedoch nicht sonderlich alarmiert zu sein. Wieso auch? Es war nur ein Streifenwagen. Ein Streifenwagen würde nicht rücksichtslos in eine Menschenmenge fahren. Polizisten taten so etwas nicht. Jedenfalls, wenn ihnen nicht gerade eine geladene Waffe an den Kopf gehalten wurde.

Und ich würde es auch mit einer geladenen Waffe an meinem Kopf nicht tun.

Mit einem verstohlenen Blick zur Seite vergewisserte ich mich davon, dass sich am rechten Rand des Pfarrplatzes niemand aufhielt. Dahinter verlief ein relativ breiter Fluss, der die Kirche von der angrenzenden Siedlung abgrenzte, ähnlich einem kleinen Burggraben. Das Geländer war aus Holz und schon ziemlich alt, und sollte – meines Wissens – nächstes Jahr weggerissen und durch ein Metallgeländer ersetzt werden, da Leute sich über Sicherheitsmängel beschwert hatten. Der Fluss dahinter war zwar nicht mehr als zweieinhalb Meter tief und auch nicht besonders reißerisch, aber die Leute machten sich Sorgen um ihre Kinder.

Ob das Wasser aktuell wohl gefroren war? Wenn, dann auf jeden Fall nur ganz dünn.

Nun gut.

Wir würden es gleich herausfinden.

Mit gleichbleibendem Tempo schossen wir auf die Menschenmenge zu, und dann erst konnte ich bei den Leuten die ersten argwöhnischen Gesichter ausmachen, dicht gefolgt von offenem Entsetzen, als ihnen bewusstwurde, was gleich geschehen würde. Das Arschloch hinter mir lachte spöttisch in sich hinein und laberte etwas von scheinheiligen Kirchenmäusen, fast so, als freute er sich darauf, gleich Zeuge eines Gemetzels zu werden.

Umsonst gefreut.

Knapp drei Meter vor dem Glühweinstand riss ich ruckartig das Lenkrad herum. Meine Schulter knallte hart gegen die Tür und Schmerz zuckte durch meinen ohnehin schon lädierten Arm, als der Wagen ins Schleudern geriet. Die Reifen quietschten ekelerregend, dicht gefolgt von lautem Krachen und Splittern, als wir eine steinerne Statue rammten und der Seitenspiegel flöten ging.

„Hey!", brüllte der Psycho mich an. „Was zur verschissenen Hölle s-..."

Er brach ab, und für einen kurzen Moment befürchtete ich, er könnte mich kurzerhand erschießen. Doch selbst wenn er das vorhatte, bekam ihm vorerst keine Gelegenheit, denn einen Wimpernschlag später krachten wir schon gegen den Zaun. Holzstücke flogen in alle Richtungen, scharfe Wurfgeschosse zischten umher, zusammen mit dem zweiten Seitenspiegel und mehreren Blech- und Plastikteilen vom vorderen Teil des Autos.

Und dann ging es schon den Hang hinab. Er war nicht lang oder gar felsig, aber uneben genug, dass das Auto nicht auf seinen vier Rädern blieb. Die ersten Sekunden des Sturzes bekam ich noch bewusst mit, dann drehte sich die Welt um mich herum nur noch. Mehrmals stieß ich mir den Kopf und ich glaubte, irgendwo hinter mir Glas splittern zu hören, aber ich war viel zu sehr mit Schreien und Festhalten beschäftigt, um mich nach der Geräuschquelle umzusehen.

Plötzlich waren wir im Wasser. Mein Verdacht, dass eine Fensterscheibe zu Bruch gegangen war, bestätigte sich sofort, als hinten sturzflutartig das Eiswasser ins Innere des Autos zu strömen begann.

Hinter meinen Schläfen pochte und stach es unangenehm und mein Blickfeld flimmerte seltsam, doch ich schaffte es, einen einigermaßen klaren Gedanken zu fassen.

Abschnallen.

Warten, bis genug Wasser hereingequollen war, dass der Druck von außen nicht mehr so stark war.

Dann die Tür öffnen.

Von dem Psycho konnte ich nichts hören oder sehen. Vielleicht war er bewusstlos. Vielleicht war er tot. Offen gesagt, ging mir das auch ziemlich am Arsch vorbei. Jetzt gerade ging es mir in allererster Linie um mich selbst und darum, nicht draufzugehen. Um das Schicksal eines gewissenlosen Mörders konnte ich mich später noch kümmern.

Panik schnürte mir die Kehle zu, als ich den ersten Versuch startete, die Tür aufzudrücken, und es nicht ging. War nicht schon genug Wasser hier drin? Wenn ich noch länger wartete, würde mir der Sauerstoff ausgehen!

Kaltes Eiswasser spritzte mir ins Gesicht, als ich verbissen gegen die Tür trat, wieder und wieder und wieder, bis mein Fuß schmerzte. Etwas Warmes rann meine Wange hinab, und als es meine Mundwinkel erreichte, schmeckte ich Blut. Mein Atem ging in kurzen Stößen, und allmählich setzte fürchterliche Platzangst ein, ließ meine Kehle eng werden. Lange würde ich das hier nicht mehr durchhalten.

Meine Sinneswahrnehmung reduzierte sich zu einem Tunnel, sämtliches Schmerzempfinden wurde vom Adrenalin erstickt. Blind stemmte ich mich mit vollem Körpereinsatz gegen die Tür, die Füße fest im Boden verankert, während mir die Tränen der Anstrengung und der Frustration vom gnadenlos sprudelnden Wasser aus den Augen gewaschen wurden – und plötzlich ging die Tür auf.

Ich hätte heulen können vor Erleichterung., doch ich nahm mir nicht die Zeit dafür. Stattdessen sog ich einen tiefen Atemzug des verbleibenden Sauerstoffs ein, tauchte unter, stieß mich mit letzter Kraft an der Mittelkonsole ab und schlängelte mich aus der offenen Tür, die Welt der Lebenden über mir schon in Sicht.

Hustend und würgend durchbrach ich Wasseroberfläche, zwang meine Gliedmaßen dazu, sofort Schwimmbewegungen auszuführen. Hastig hielt ich auf das Ufer zu, verzweifelt darum bemüht, mit meinen dicken Winterklamotten nicht wie ein Stein unterzugehen. Nach und nach registrierte ich die klirrende Kälte, die sich bis auf meine Knochen fraß und mir auf der Haut brannte. Dünne Eisstücke trieben um mich herum, zusammen mit Kunststoffsplittern und Holzstücken. Von meinem Gegner war nach wie vor nichts zu sehen.

Dafür wurden nun Stimmen laut. Oben am zerstörten Holzzaun tauchten immer mehr Leute auf, und als sich dann auch noch mehrere Sirenen näherten, wusste ich endgültig, dass ich es geschafft hatte. Dass das hier doch noch irgendwie gut werden würde.

Unkoordiniert zerrte ich mich ans Ufer, brach dort erst einmal zusammen. Meine Brust hob und senkte sich mit meinen rapiden, pfeifenden Atemzügen, meine Haare klebten mir klatschnass in der Stirn, ebenso meine Uniform. Ich erlaubte mir, für einen Moment die Augen zu schließen und auf meinen Puls zu horchen.

Ich war am Leben.

Ich war weitgehend unverletzt.

Ich hatte keine unschuldigen Menschen totgefahren.

Ich hatte dafür gesorgt, dass das diesjährige Weihnachten nicht in einem blutigen Fiasko endete.

Fuck.

Geraschel und Schritte wurden laut, einen Moment später beugten sich mehrere Personen über mich.

„Officer?" Eine zaghafte Hand berührte mich an der Schulter. „Hallo? Können Sie mich hören? Sind Sie verletzt?"

Ich schlug die Augen auf, sah der besorgten Frau entgegen und versuchte mich an einem Lächeln. Schwach, aber ehrlich.

„Alles gut." Ich räusperte mich, als meine Stimme zu versagen drohte. „Im Auto ist noch ein gesuchter Mörder."

„W-was?"

„Zur Seite, bitte! Lassen Sie die Rettungskräfte durch!"

Alle Dämme drohten in mir zu brechen, als ich Harrys Stimme erkannte, und einen Wimpernschlag später saß er schon neben mir. Hinter ihm konnte ich einige Sanitäter ausmachen, die eine Liege den Hang hinabmanövrierten und dabei ausgiebig fluchten.

„Harry, hey." Eilig setzte ich mich auf, verzog das Gesicht, als mein linker Arm mit stechendem Schmerz protestierte. „Mir geht's gut. Glaube ich. Nur ein bisschen angeschlagen."

„Ein bisschen?" Harry musterte mich kritisch. Seine smaragdgrünen Augen funkelten in einer wilden Emotionsmixtur. „Du siehst schrecklich aus. Scheiße, Lou!"

Er ließ mir keine Zeit für eine Entgegnung, sondern schlang die Arme um mich und zog mich hastig in eine knochenbrechende Umarmung. Ich war wie vom Donner gerührt. Heiß spürte ich seine Atemzüge in meinem Nacken, den sanften Druck seiner Hände an meiner Hüfte, seine warme Brust an meiner, und es kostete mich mehrere Sekunden, um zu realisieren, was hier passierte.

Harry Styles umarmte mich.

Fast hätte ich hyperventiliert.

Oh. Mein. Gott.

Leider war die Umarmung genauso schnell wieder vorbei, wie er sie initiiert hatte, denn offenbar zitterte ich inzwischen so heftig, dass er akuten Handlungsbedarf sah.

Abrupt löste er sich von mir. „Kannst du laufen? Du solltest dich sofort durchchecken lassen." Er hielt inne, sah mit finsterem Blick auf die stille, friedlich tanzende Wasseroberfläche hinaus, die nicht den Anschein erweckte, als hätte sie soeben noch ein komplettes Auto verschlungen. „Der Täter?"

„Noch im Auto." Unsicher stemmte ich mich mit Harrys Hilfe auf die Beine. Meine Uniform klebte mir unangenehm am Körper, zwickte an den ungünstigsten Stellen. „Ich glaube, der war schon nach dem Ausflug in den Abhang weg vom Fenster. Er hätte sich anschnallen sollen. Anfängerfehler."

Harry nickte nur knapp. „Sie werden ihn schon finden." Wie selbstverständlich schlang er sich einen meiner Arme um den Nacken, wand seinen eigenen stützend um meine Mitte. „Auf geht's."

***

Der Typ hieß Shane Howell und war in der Tat ein Mörder. Ich hatte ihn gedanklich also nicht ungerechtfertigterweise ständig als einen solchen betitelt. Offenbar hatte Howell es sich als Ziel gesetzt, am diesjährigen Heiligabend sämtliche seiner verhassten Familienmitglieder abzuklappern und sich für irgendwelche Ungerechtigkeiten in der Vergangenheit zu rächen. Noch wusste niemand so recht, um welche Art von Ungerechtigkeiten es ging, aber sie schienen schwerwiegend genug zu sein, um ihn zum Mörder werden zu lassen.

Er hatte bereits zweifachen Erfolg gehabt, bevor er auf dem Heiligabendmarkt aufgetaucht war, offenbar auf der Suche nach einer Stiefschwester, die dort einen Stand haben sollte. Als er sie nirgendwo finden konnte, hatte er sich nach ihr erkundigt, einen Streit mit Handgreiflichkeiten provoziert und nach der Ankunft der Polizei schließlich die Waffe gezogen. Drei Verletzte gab es. Einen Standbesitzer, eine Passantin und natürlich Niall.

Der saß nun neben mir auf meinem Schreibtisch in unserem Büro und schwallte mich mit bluttriefenden Geschichten voll, was die Schießerei anging, die er und Zayn überlebt hatten. Und darüber, dass er die Kugel nur abgekriegt hatte, weil er Zayn aus der Schusslinie geschubst hatte. Den Wahrheitsgehalt dieser Aussage musste ich mir erst noch von Zayn bestätigen lassen, aber Niall wirkte sehr überzeugt davon.

Wir hatten die vergangene Nacht beide zur Beobachtung im Krankenhaus verbracht, aber heute Vormittag hatte man uns den Laufpass gegeben, und natürlich waren wir zuallererst zum Polizeirevier gegurkt. Man hatte uns dort mit Gejubel und lautem Klatschen empfangen, als hätten wir die verdammte Welt gerettet.

Die Chefin hatte uns beiden die Nummer eines polizeilichen Psychotherapeuten angeboten, und während Niall dankend abgelehnt hatte, hatte ich sie wortlos eingesteckt. Zum jetzigen Zeitpunkt konnte ich noch nicht so recht beurteilen, ob und welche mentalen Folgen ich vom gestrigen Abend zurückbehalten hatte, aber ich wollte für alles gewappnet sein. Vielleicht würde ich die professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

„Hey." Harry glitt neben mich auf den Schreibtisch, nachdem Niall auf seinen Krücken davongestakst war, um Liam zu piesacken. „Alles gut?"

Ich lächelte ihm zu. „Ja. Der Arm ist nur verstaucht, die blauen Flecken sind nicht allzu schlimm und eine Gehirnerschütterung hab ich auch nicht."

„Gut." Harry nickte langsam. Sein Blick brannte förmlich auf mir, warm und intensiv. „Du hattest unfassbares Glück."

„Anscheinend."

Schweigend saßen wir einige Minuten nebeneinander da, verfolgten entspannt das aufgeregte Treiben im Kollektivbüro. Irgendjemand hatte eine zerknautschte Torte aufgetrieben, die Liam nun lautstark ankündigte und verteilte, während Olivia alkoholfreien Sekt einschenkte. Das alles war schön und gut und wie immer amüsant zum Bezeugen, aber als Niall und Zayn einen langen, schlabbrigen Kuss teilten und einander ungeniert begrabschten, musste ich mich prompt abwenden.

Das konnte ich mir nicht ansehen, solange Harry neben mir saß, noch dazu so nahe, dass sich unsere Oberschenkel berührten. Und, oh mein Gott, seine Haare kitzelten mich an der Wange.

Unruhig rutschte ich herum, spannte mich an. Ich musste hier weg, bevor ...

„Hey, Louis?"

Unschlüssig ließ ich mich wieder zurücksinken, als Harry mich ansprach. Das war's dann vorerst gewesen mit meiner Flucht.

„Hm?"

„Erinnerst du dich noch, als wir gestern an der Burg oben waren?" Nur ganz kurz schielte er zu mir herüber. Seine Finger friemelten am Saum seines dunkelgrauen Uniformhemds. „Am Kiosk?"

Verständnislos sah ich ihn an, meine Gay-Panik für einen kurzen Moment vergessen. „Klar. Wir haben uns mit Kinderpunsch abgefüllt."

Harry lachte. „Stimmt. Aber ... ähm ... ich wollte dich doch noch etwas fragen, aber dann kam der Notruf von Niall."

Ich überlegte kurz. „Oh, stimmt. Du kannst gerne einen zweiten Versuch starten. Diesmal haben wir kein Funkgerät dabei. Und Niall ist auch anderweitig ... beschäftigt."

„Okay." Wieder gab er dieses seltsame Lachen von sich, und als ich ihn von der Seite her kritisch beäugte und sah, wie er sich wieder und wieder die Lippen befeuchtete, ging mir auf, dass er nervös war. Sehr, sehr nervös sogar. „Wie gestern schon erwähnt, geht mir das schon ewig im Kopf rum, aber ich habe mich nie getraut, dich zu fragen."

Langsam wurde mir angst und bange. Was hatte er denn auf einmal?

„Harry", sagte ich eindringlich. „Muss ich mir Sorgen machen? Hast du was ausgefressen? Habe ich was ausgefressen? Ist es etwa w-..."

„Darf ich dich auf ein Date einladen?"

Die Zeit schien stillzustehen.

Mit offenem Mund starrte ich ihn an, sämtliche Worte, die ich eben noch von mir hatte geben wollen, völlig vergessen. Zusammen mit der Fähigkeit, wie ein Normalsterblicher zu atmen. Ruckartig verkrampften sich meine Finger um die Kante des Schreibtischs.

„W-was?", brachte ich schließlich zustande, meine Stimme eine Oktave höher als sonst. „Was?"

„Okay, fuck." Harry zuckte zusammen, als hätte ich ihn geschlagen. „Vergiss bitte, was ich gesagt habe. In Ordnung? Es ist nur, ich dachte, du könntest vielleicht dasselbe ..."

„Harry", schnitt ich ihm zittrig das Wort ab, bevor noch mehr panischer Bullshit aus ihm hervorsprudeln konnte. Ich konnte nicht fassen, dass das hier tatsächlich passierte. „Harry, du darfst mich liebend gern auf ein Date einladen, verdammte Scheiße."

Romantische Wortwahl, ich weiß, aber eine bessere fiel mir gerade nicht ein. Dafür schwebte ich viel zu sehr auf rosaroter Wolke Sieben. Viel schlimmer, besagte rosarote Wolke drohte mich zu ersticken.

Nun war es an Harry, mich aus geweiteten Augen anzustarren, doch dann breitete sich ein warmes Lächeln auf seinem Gesicht aus, das seine Grübchen auf beiden Seiten in all ihrer Pracht erstrahlen ließ.

„Das freut mich." Eine rosarote Färbung kroch seine Wangen empor. „Wirklich. Oh Gott, ich hatte mich so vor diesem Augenblick gefürchtet. Und gestern ..." Er zögerte. „Gestern war ich schon drauf und dran, vor Verzweiflung zu heulen, weil ich dachte, ich sehe dich nie wieder, wo ich es doch noch nie geschafft hatte, dir zu sagen, dass ich ... na ja, einen wirklich schlimmen Crush auf dich habe."

„Gleichfalls", gab ich mit belegter Stimme zurück. Meine Hände zitterten vor Adrenalin, doch im Gegensatz zu gestern war es das positivste Adrenalin überhaupt. „Ich wusste bis gestern nicht einmal, dass du auch auf Männer stehst."

Harry zog die Augenbrauen hoch. „Hat Niall dir das nicht gesagt?"

„Doch. Aber ich habe ihm nicht geglaubt. Niall erzählt einfach so viel Scheiße. Vor allem, wenn er Leute verkuppeln will." Ich stockte, als mir eine Eingebung kam. „Nein! Du hast ihn dazu beauftragt, es mir zu stecken!"

Harry schenkte mir ein liebenswürdiges Grinsen. „Vielleicht."

Stöhnend vergrub ich das Gesicht in den Händen. „Oh Mann! Dieser kleine Pfosten wusste also die ganze Zeit, dass wir umeinander herumtanzen, aber hat nichts gesagt? Ich werde ihn umbringen!"

„Wen, mich?" Prompt tänzelte Niall heran, sofern das auf Krücken eben ging, doch bevor ich ihn wahrhaftig umbringen konnte, klatschte er uns beiden eine rote Zipfelmütze auf den Kopf. „Später, wenn's recht ist. Erst wird gefeiert. Erstens, dass wir beide noch leben." Er deutete zwischen ihm und mir hin und her. „Und zweitens, dass ihr beide es endlich geschafft habt, dieses Gespräch zu führen. Krass, dass es dafür eine Nahtoderfahrung geben musste."

Harry murmelte unzufrieden vor sich hin. „Ich wollte ihn gestern schon fragen, aber du bist mir dazwischengekommen."

Niall verengte die Augen, eine Kuchengabel mit einem Stückchen Torte schon auf dem Weg zu seinem Mund. „Verzeihung, Herr Kollege, dass ich nicht elendig verbluten wollte."

„Ja, ja. Schon gut."

Dann wurde zum Glück das Thema gewechselt und der Fokus auf andere Teammitglieder gelenkt, sodass Harry und ich in Frieden auf dem Schreibtisch sitzen konnten. Mein Herz schwoll vor Wärme, als Harry irgendwann nach meiner Hand griff und unsere Finger miteinander verschränkte.

Fragend musterte er mich. „Ist das okay?"

„Mehr als okay."

Er zögerte. „Und wäre es auch okay, wenn ich dich jetzt küsse?"

Ein glückseliges Lächeln bahnte sich seinen Weg auf meine Lippen, während ich näher an ihn heranrutschte und auch seine zweite Hand nahm. Unfassbar, dass ich das jetzt einfach so durfte. Verschwörerisch beugte ich mich vor.

„Mehr als okay." 

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☆ 6261 Wörter

Oh wow. Das war Spannung pur, liebe AndiLovesZiall! Vielen lieben Dank, dass du uns den langen, liebevollen und aufregenden OneShot geschenkt hast! ♡
Der Mix aus Thrill und ganz viel Liebe war hervorragend *:・゚✧(ꈍᴗꈍ)✧・゚:*

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