40 - Aber auf eine gute Art
„Schatz, du solltest aber schon etwas essen", ermahnt Mom mich am nächsten Morgen, als ich müde und appetitlos mit einer Tasse Kaffee am Frühstückstisch sitze.
„Hab keinen Hunger, Mom." Ich rühre in der cremebraunen Flüssigkeit, ehe ich einen Schluck trinke.
Ich bin viel zu nervös für Essen.
„Ist es wegen Simon?" Sie lächelt mich warm an und ich seufze laut auf.
Natürlich muss sie mich direkt durchschauen.
„Er hat gestern Abend nochmal angerufen." Immerhin hat sie das Thema angefangen, dann kann ich auch direkt gleich alles zur Sprache bringen.
Wie erwartet, heben sich ihre dunklen Augenbrauen überrascht, bevor sie sich neben mich setzt und ihre Hände aufgeregt auf meinen Unterarm legt. „Und? Was hat er gesagt?"
Ich massiere meinen Nasenrücken mit den Fingerspitzen und überlege, welches Anliegen ich wohl zuerst vorbringe. „Er ... hm ... er hat gefragt, ob er mich zur Schule mitnehmen soll."
Der Gesichtsausdruck meiner Mutter erstarrt und ihre Hände rutschen von meinem Unterarm. „Mit ... mit dem Auto?"
Fuck!
„Mom", seufze ich und greife ihre Finger. „Ich hab ihm schon gesagt, dass das–"
„Guten Morgen." Eins muss man meinem Vater lassen, gutes Timing kann er. „Ist was passiert?"
Meine Mutter schiebt den Stuhl, auf dem sie sitzt, mit einem Quietschen nach hinten und will aufstehen, doch ich halte ihre Hände fest.
„Warte, Mom!", rufe ich flehend. „Lass mich doch bitte ausreden."
Jetzt ist auch Dad alarmiert und kommt zu uns an den Tisch geeilt. „Was ist hier los?"
Ich seufze und schaue ihn mit einem ‚Pass jetzt lieber auf, was du ihr erzählst'-Blick an. „Simon hat gefragt, ob er mich zur Schule mitnehmen kann."
Augenblicklich heben sich die Brauen meines Vaters und er nickt verständnisvoll. „Schatz, es ist nur einmal durch die Stadt. Er fährt doch auch mit dem Bus."
Mom kaut auf ihrer zitternden Unterlippe und versucht weiterhin, ihre Hände aus meinem Griff zu befreien.
„Da ist auch noch was anderes", platze ich heraus und beide betrachten mich erwartungsvoll. „Ihr dürft es keinem sagen, okay?"
Ruckartig entreißt meine Mutter mir ihre Hände und verschränkt die Arme vor der Brust, ihr Blick nun voller Vorwürfe. „Was kommt jetzt, Eric?", schreit sie. „Willst du mir jetzt sagen, dass ihr auch zusammen Drogen nehmen wollt? Und ich dachte, Simon wäre ein netter Junge!"
Dad hebt beschwichtigend die Hände. „Jetzt lass ihn doch erst mal ausreden, Iris! Ich hatte gestern in der Tat den Eindruck, dass Simon ein netter Junge ist." Er wendet sich wieder mir zu. „Raus mit der Sprache, Eric. Und kein Rumgedruckse, das hilft hier gerade niemandem."
Mom ist inzwischen doch aufgesprungen und tigert nun durch die Küche, ihr Blick irgendwo ins Leere gerichtet, während ihre Zähne ihre Lippe so hart malträtieren, dass ich befürchte, dass ihr gleich Blut am Kinn hinabläuft.
Ich räuspere mich und hole tief Luft. „Simon ... Simon und sein Dad haben kein Geld."
Meine Mutter erstarrt in ihrem Gang und blickt mich ungläubig an. Auch die Stirn meines Vaters ist verwirrt gerunzelt.
Ich zucke mit den Schultern. „Er ... er hat es mir gestern erzählt, als wir die Lebensmittel verteilt haben. Seine Mom ist vor ein paar Monaten einfach mit all ihrem Geld abgehauen, nachdem der Vater seinen Job verloren hat."
„Was sagst du da?", fragt mein Vater verdattert. „Mr. Donovan ist arbeitslos? Aber er ist immer so ..."
„Fein", vervollständigt Mom seinen Satz und rutscht zurück auf ihren Stuhl neben mir. „Also ... immer im Anzug oder eben so ..." Ihre Hände fuchteln in der Luft herum.
Dad nickt und ich blicke zwischen beiden hin und her. „Weil er nicht will, dass es irgendjemand weiß. Ich musste Simon versprechen, es niemandem zu sagen, weil sein Dad sich schämt und nicht will, dass die Leute–"
„Aber sowas kann jedem passieren!" Mein Vater ist sofort im Helfermodus und nie war ich glücklicher und stolzer, genau ihn als meinen Dad zu haben. „Bei manchen ist es sicherlich eigenes Verschulden, aber die meisten Menschen können oftmals nichts dafür, dass sie in eine solche Misslage geraten. Es ist in ganz vielen Fällen eine Verkettung ungünstiger Umstände, die dafür sorgt, dass alles aus den Fugen gerät. Und der Weg zurück ist viel härter, als man glauben mag."
Mom greift nun wieder meinen Unterarm. „Wie geht es Simon damit? Dass ... dass seine Mutter einfach ... so ..."
Ich atme langsam aus. „Ich schätze, er ist einfach nur enttäuscht und sauer. Er sorgt sich mehr um seinen Dad. Sie machen an den Wochenenden oft lange Fahrten, um weit außerhalb Aushilfsjobs zu übernehmen, damit es hier niemandem auffällt. Am Samstag waren sie irgendwo zwei Stunden von hier den ganzen Tag Kartoffeln ernten."
Meine Mutter schlägt sich besorgt die Hand vor den Mund und reißt den Kopf zu meinem Vater herum. „Oh Gott, David! Wir müssen doch irgendwas tun, um den beiden zu helfen. Kannst du sie nicht bei dir auf eine Liste setzen?"
Mein Vater reibt sich nachdenklich die Schläfe. „Dafür benötige ich zwar ausgefüllte Formulare, Nachweise über das geringe Einkommen und so weiter, aber wenn Simons Dad–"
Wild schüttle ich den Kopf. „Nein! Das ... genau das will er nicht. Aber ..." Ich beuge mich etwas vor. „Könntest du ihm vielleicht einen Job besorgen? Also, ohne es an die große Glocke zu hängen."
Dad schüttelt grübelnd den Kopf. „Eric, wir sind ja nur zur Unterstützung mit den notwendigen Mitteln da. Wenn ich jetzt auch noch versuchen würde, Jobs zu vermitteln, würde ich wahrscheinlich noch weniger schaffen."
„Simon hat gesagt, dass er auf jeden Fall weiterhin mithelfen will", versuche ich doch, ihn irgendwie zu überzeugen. „Und wenn du vielleicht einfach nur irgendwo etwas hörst, dass jemand gesucht wird ..."
„David", mischt meine Mutter sich ein. „Warte mal! Was ist denn direkt bei dir?"
Er schüttelt seufzend den Kopf. „Iris, ich kann nicht so einfach noch jemanden einstellen, wenn–"
„Du willst mir erzählen, dass ihr das allein problemlos schafft?", meckert sie. „Du arbeitest jedes Wochenende, auch wenn dein Kollege die Woche über da ist, und wenn Eric und Simon dir gestern nicht geholfen hätten, wärst du wieder bis spät abends dort geblieben. Jemanden, der dir mit dem Papierkram hilft, könntest du sehr gut gebrauchen. Und Mr. Donovan kann doch sicherlich gut Papierkram, oder?" Sie sieht mich eindringlich an.
Ich nicke eifrig. „Klar, er hatte im Immobilienbüro ja auch viel mit Zahlen zu tun. Simon sagt, sowas würde er auch am liebsten wieder machen."
„Und vielleicht könntest du den Vorschlag mit der Jobvermittlung wirklich aufgreifen", redet Mom weiter aufgeregt auf Dad ein. „Er kennt doch sicherlich inzwischen einige Arbeitgeber, die auch Quereinsteiger, wenn auch nur saisonal oder kurzzeitig, beschäftigen. Darüber wären sicherlich viele deiner Klienten schon sehr froh."
Dad reibt sich nun beide Schläfen und blickt hin und her zwischen uns. „Ihr macht mich fertig."
Mom grinst stolz und stubst mich mit ihrem Ellbogen an. „Aber auf eine gute Art, oder?"
„Ich werde das mal durchrechnen, aber ich kann nichts versprechen." Mein Vater bemüht sich noch um Strenge, aber ich vertraue darauf, dass er das Richtige tun wird. „Hast du denn seine Kontaktdaten für mich und vielleicht einen Lebenslauf oder Ähnliches?"
Vor Freude springe ich auf, umrunde den Tisch und falle meinem Dad um den Hals. „Kriegst du alles. Versprochen! Danke, Dad."
Er tätschelt beruhigend meine Arme und lacht unbeholfen. Es kommt nicht oft vor, dass sein Teenagersohn ihn umarmt.
„Musst du nicht zur Schule?"
Erschrocken reiße ich die Augen auf, als ich auf die Uhr sehe. „Fuck! Den Bus schaffe ich nicht mehr!"
Mom steht lächelnd auf und nickt in Richtung Tür. „Hol deine Sachen, ich fahre dich."
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