37 - Ich hab was richtig Dummes gemacht
Ich überlebe den Film mit Simon neben mir. Und obwohl ich es vor dreiundneunzig Minuten nicht für möglich gehalten hätte, war es nicht einmal schlimm. Ganz im Gegenteil: wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, dass der Traummann schlechthin neben einem auf dem Bett sitzt, Popcorn knabbert und auf die süßeste Weise kichert und man jedes Mal ein inneres Feuerwerk erlebt, wenn er einen mit dem Ellbogen anstupst, weil er eine Szene besonders witzig findet, geht es eigentlich.
Jetzt läuft der Abspann, Patrick und Kat haben natürlich zusammengefunden und ich atme zum gefühlt ersten Mal, seit Simon sich neben mich gesetzt hat, richtig durch. „Und? Wie fandest du ihn?" Bis auf ein paar übriggebliebene Körner, die sich nicht in Popcorn verwandeln wollten, ist die Schale neben mir leer und ich spiele mit einem dieser Körnchen herum.
„Also für einen klischeebeladenen High School Film fand ich ihn echt gut." Er lehnt noch immer mit dem Rücken an der Wand und strahlt mich an.
Gott, kann er bitte aufhören so perfekt zu sein?
„Und wo wir gerade bei Klischees sind", plappert er weiter. „Das mag jetzt richtig merkwürdig klingen, aber ich hab die ganze Zeit ein total krasses Déjà-vu-Gefühl. Als wäre ich schon mal hier gewesen."
Ich schlucke und zwinge mir ein Lächeln aufs Gesicht. „Echt? Mir war gar nicht klar, dass ich so ein durchschnittliches Zimmer habe."
Simon runzelt die Stirn. „Hast du auch gar nicht. Die meisten Jungs haben nämlich tatsächlich ein Sofa oder sowas in ihrem Zimmer."
Lachend schlage ich gegen seinen Oberarm. „Hey! Machst du mich jetzt doch wegen des fehlenden Sofas fertig? Das ist echt nicht fair."
Er schüttelt kichernd den Kopf und hält abwehrend die Hände hoch. „Nein, es macht mir wirklich nichts aus. Ich mag dein Zimmer. Es fühlt sich irgendwie ... vertraut an. Das hätte ich sagen sollen."
Ich senke meine Arme wieder und ziehe meine Knie an meinen Oberkörper. „Dann ... danke für das nette Kompliment an mein Zimmer, schätze ich."
Simon wendet sich mir zu und blickt mich erwartungsvoll an. „Also, wenn dieser Film die gängigen Klischees einer High School abdeckt, wer bin ich dann?"
Ich pruste los und er mustert mich ungläubig.
„Was ist?" Seine blau-grünen Augen weiten sich entsetzt. „Wenn du gleich sagst, ich bin dieser Joey, muss ich leider gehen und dir die Freundschaft kündigen."
Ich verschlucke mich beim Lachen und fange nun wild an zu husten, so dass Simon mir unbeholfen auf den Rücken klopft. „Wolltest du wirklich Joey sagen?"
Ich schüttle wild den Kopf und ringe hilflos um Luft, weil ich noch immer husten und gleichzeitig lachen muss.
„Wer dann? Aber jetzt sag nicht Patrick", überlegt er weiter, während seine Hand beruhigend über meinen Rücken streichelt, die Beührung mich aber alles andere als beruhigt. „Ich hoffe, es hat keiner Angst vor mir oder verbreitet Gerüchte, dass ich im Knast gewesen wäre. Wer bist du denn?"
Allmählich gelangt wieder Luft in meine Lungen und ich lehne erleichtert meinen Kopf nach hinten gegen die Wand, meine Augen geschlossen. „Ich bin ganz eindeutig Cameron. Selbst Daphne zieht mich immer damit auf, dass der einzige Unterschied zwischen ihm und mir wohl die Körpergröße ist."
„Und wer bin ich dann?" Simon will nicht locker lassen und ich öffne langsam meine Augen.
Natürlich entgeht mir nicht, dass seine Hand noch immer auf meinem Rücken liegt, obwohl sie vermutlich fast zwischen mir und der Wand eingeklemmt sein wird.
„Du denkst zu sehr in Schubladen", lache ich. „Du könntest ja auch eins der Mädchen sein. Also ... nur von der Rolle her. Wobei Joey schon sehr, sehr witzig wäre. Bist du mir böse, wenn ich das Daphne erzähle? Die lacht sich tot."
Er kaut nachdenklich auf seiner Unterlippe und scheint das Offensichtliche immer noch nicht zu erkennen.
Ich rolle mit den Augen und greife nach den leeren Popcornschalen, ehe ich vom Bett krabble. Seine Nähe macht mich nervös. „Du bist Bianca, du Trottel", kichere ich. „Die halbe Schule steht auf dich. Und tu nicht so, als wüsstest du das nicht."
Simon hebt den Kopf und starrt mich entgeistert an.
Bevor ich gleich im Erdboden versinke, weil es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Groschen bei ihm fällt, hebe ich demonstrativ die leeren Schüsseln an. „Ich bringe die hier mal runter. Möchtest du noch was?"
Simon schüttelt den Kopf und ehe er die Gelegenheit hat, etwas zu antworten, husche ich aus dem Zimmer nach unten.
Mein Puls rast und ich überlege ernsthaft, ob ich vielleicht kurz in eine Tüte atmen sollte, weil ich gleich ohnmächtig werde, so schnell atme ich ein und aus.
Was habe ich mir nur dabei gedacht? Da hätte ich ihm auch gleich einen Zettel zustecken können, auf dem ich ihn frage, ob er mit mir gehen will. Natürlich mit den üblichen Ankreuzoptionen ‚ja', ‚nein' und ‚vielleicht'.
„Ist alles okay, Eric?" Plötzlich steht Mom hinter mir und ich lasse vor Schreck die beiden Plastikschalen in die Spüle fallen. Meine Hände zittern unkontrolliert und als ich mich zu ihr umdrehe, weiten sich die Augen meiner Mutter vor Sorge. „Ist was passiert, Schatz?"
Tränen steigen mir in die Augen und ich bemühe mich, ruhig und gleichmäßig zu atmen, damit ich nicht geradewegs in eine Panikattacke steuere. „Ich glaub, ich hab was richtig Dummes gemacht", wispere ich.
Mom zieht mich zu sich herunter und schlingt ihre Arme um meine Schultern. Instinktiv lege ich meine Wange auf ihrer Schulter ab und umarme ihre Mitte, während ihre Hände beruhigend durch die kurzen Haare in meinem Nacken fahren. Zwar ist die Position nicht mehr so bequem wie früher, als ich noch kleiner war als sie, aber dennoch sorgt sie dafür, dass ich mich ein wenig entspanne.
Schritte auf der Treppe lassen uns auseinanderschrecken und ich klammere mich mit einer Hand an die Arbeitsplatte, um nicht ohnmächtig zu werden.
Meine Mutter hingegen geht zur Tür, vor der nun Simon erscheint, der sein Handy in der Hand hält.
„Mein Dad hat angerufen, ich soll nach Hause kommen", erklärt er und ich kann nur nicken.
Hoffentlich sieht er mir meine Panik nicht an.
„Soll ich dich fahren, Simon?", bietet Mom fast schon reflexartig an, doch er schüttelt den Kopf.
„Nicht nötig, ich bin mit dem Auto da, Mrs. Thompson. Danke für das leckere Popcorn." Er lächelt sie freundlich an und ich hoffe, dass meine Mom sich gut im Griff hat und nicht gleich wie ein Fangirl anfängt zu seufzen. Simon hebt den Kopf und schaut erwartungsvoll zu mir.
Was jetzt? Muss ich irgendwas ... tun? Was? Ich kann hier nicht weg. Dann falle ich bestimmt wie ein nasser Sack um.
„Eric, bringst du Simon vielleicht noch zur Tür?", ermahnt meine Mutter mich mit einem gespielt strengen Blick.
Als wäre mein Körper aus Holz, setze ich mich langsam in Bewegung und gehe zur Küchentür, während Simon bereits Richtung Haustür abdreht, wo er in seine abgetragenen Sneakers schlüpft.
Wie mechanisch nehme ich seine Jacke vom Garderobenhaken und halte sie ihm hin.
„Danke für den schönen Abend und die Nachhilfe in Sachen Heath Ledger", sagt er, nachdem er sich vollständig angezogen hat.
Ich beschließe, dass ich mich an der Haustür ebenso gut festhalten kann, um nicht zu kollabieren, also öffne ich diese und halte den Griff fest umklammert. „Kein Problem. Dann bist du jetzt ja im Thema."
Atmen, Eric. Gleich hast du es hinter dir.
Simon tritt von einem Fuß auf den anderen und dass er seinen Mund mehrfach öffnet und schließt, lässt mich glauben, dass er noch irgendwas sagen will. „Den mit dem Ritter würde ich trotzdem auch nochmal gerne gucken."
„Äh ... ja, den kann ich dir gerne ausleihen. Im Streaming gibt's den, glaube ich, auch." Nervös fummeln meine Hände am Schloss herum und schließen die geöffnete Tür immer auf und zu.
Endlich tritt Simon nach draußen, dreht sich auf der Veranda aber noch einmal ruckartig zu mir um. „Ich würde ihn lieber mit dir schauen", sagt er geradeheraus und ich kann ihn nur anstarren. „Und ich hab übrigens kein Problem damit, Bianca zu sein."
Mein Herz steht. Es steht einfach still. Meine Finger, Füße und vor allem meine Knie kribbeln so stark, das muss von der fehlenden Durchblutung kommen.
„Gute Nacht, Eric. Wir sehen uns morgen in der Schule", verabschiedet er sich und läuft mit schnellen Schritten zu seinem Auto, das am Straßenrand parkt.
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