11 - Ich fürchte, das wird schwierig
Während Daphne im Jahrbuch blättert und sich gelegentlich über die Fotos oder Beiträge unserer Mitschüler amüsiert, kaue ich nachdenklich auf meiner Unterlippe, das Handy noch immer in meiner Hand.
Was, wenn der echte Simon aufgewacht ist?
Darüber möchte ich irgendwie gar nicht nachdenken, denn das würde bedeuten, dass ich gestern zwar die Gelegenheit hatte, mich von meinem Bruder zu verabschieden, aber eben genau das – ich musste mich von meinem Bruder verabschieden. Und das, obwohl ich ihn gerade erst zurückbekommen hatte.
Andererseits frage ich mich ebenso, wo der richtige Simon ist. Schläft er wirklich nur oder hat er durch dieser Beschwörung quasi mit Shawn getauscht? Irgendwie fühlt sich dieser Gedanke noch schlimmer an, denn niemand außer mir weiß ja davon! Und seine Familie glaubt ja auch weiterhin, dass er noch da ist.
Das Vibrieren des Handys in meiner Hand holt mich unerwartet aus meinen düsteren Überlegungen und zu meiner Überraschung habe ich eine neue Nachricht von S.
S.
Hey, tut mir leid,
bin eingeschlafen.
Und noch ... du?
Wenn du das jedes
Mal fragst, muss ich
dich einfach irgendwann
verarschen, Eric :)
Dann schreib es doch
einfach dazu, dann
muss ich nicht fragen!
Könnte ja auch sein,
dass er aufgewacht ist!
Würde er dir dann
schreiben? Hab deine
Nummer nicht in seinen
Kontakten gefunden.
Unfassbar, dass du es
selbst jetzt nicht lassen
kannst, mich fertig zu
machen!
Selbst jetzt? Nö! Erst
recht nicht, du sollst
schön daran gewöhnt
bleiben. Sonst mache
ich mir die jahrelange
harte Arbeit kaputt.
Du bist so ein Arsch :)
Aber du schickst einen
Smiley :) das heißt, du
liebst mich trotzdem ;)
Und wenn du hier wärst,
würde ich dir einen
feuchten Fuzzi verpassen!
Oh, wie toll wäre es,
wenn er genau dann
aufwacht :)
Wow! Wäre ich nicht so
glücklich darüber, hier
mit dir schreiben zu
können, wäre ich direkt
richtig sauer auf dich!
„Eric!", schreckt Daphnes Stimme mich hoch und als ich den Kopf hebe, starrt sie mich eindringlich an.
„Was?" Unschuldig hebe ich die Augenbrauen.
„Hörst du mir überhaupt zu?" Die aufgeschlagene Seite des Jahrbuchs verrät mir, dass sie Tweedledee und Tweedledum gefunden hat.
„Äh ..."
Ihre Stirn runzelt sich misstrauisch und ihr Blick fällt auf das Handy in meiner Hand. „Mit wem schreibst du?"
Hektisch drücke ich mir das Telefon an die Brust. „Niemandem?"
„Eric?"
„Ja?" Ich blinzle unschuldig, vielleicht hilft das ja.
„Mit wem?"
Okay, anscheinend nicht.
Daphnes Augen beginnen zu leuchten. „Mit Simon? Ihr schreibt?"
Ich blicke sie streng an. „Daphne!"
Genervt stöhnt sie auf und greift wieder nach dem Jahrbuch. „Ja, ja. Ich soll nicht nerven, du redest schon, wenn du willst. Blabla. Weißt du was? Du nervst!"
Unwillkürlich muss ich grinsen, sie ist zu putzig, wenn sie beleidigt ist. Ich lege das Handy neben mir auf der Matratze ab und reiße ihr das Jahrbuch aus der Hand. „Lass lieber mal schauen, ob wir hier was Neues über deinen Romeo herausfinden können."
„Romeo?" Scherzhaft schlägt sie gegen meine Schulter. „Du weißt doch nicht mal, ob ich auf ihn stehe!"
Ich hebe eine Augenbraue und schaue sie skeptisch an. „Stehst du auf ihn?"
Sie rollt mit den Augen. „Ich kann ihn und seinen Bruder ja nicht mal auseinanderhalten!"
„Okay, aber findest du ihn heiß? Wenn es nur einen von denen gäbe?" Ich reiße die Augen auf, als ihre Wangen einen pinkfarbenen Ton annehmen. „Oder findest du beide heiß?"
„Mann Eric!", schreit Daphne und wirft eine Weintraube nach mir, die ich lachend abwehre.
„Wird dein erstes Mal ein Dreier, Bell?", ziehe ich sie auf und bekomme als nächstes das Kissen ab.
„Du bist so scheiße, weißt du das eigentlich?", motzt sie, ihr Gesicht inzwischen tiefrot.
Kichernd lege ich meinen Arm um sie und ziehe sie an mich. „Und du liebst mich trotzdem. Los, wir schauen, dass wir dir erst mal einen klarmachen, okay?"
•••
Eine Stunde später sind wir zumindest ein bisschen schlauer, nachdem ich allen Ernstes eine Lupe aus meiner Schreibtischschublade suchen durfte.
Die Zwillinge heißen Tom und Till Carpenter. Wir lagen also knapp daneben mit unserer Annahme, der andere würde Tim heißen, dafür habe ich nun seit einer halben Stunde unerklärlicherweise einen Ohrwurm von „Durch den Monsun".
Selbst auf den Fotos im Jahrbuch gleichen sie sich so extrem, dass Daphne die Vermutung äußert, sie hätten beide einfach das gleiche Foto abgegeben. Genau an der Stelle kam meine Lupe zum Einsatz und wir stellten allen Ernstes fest, dass Tom neben dem linken Nasenflügel einen winzigen Leberfleck hat, der bei Till nicht vorhanden zu sein scheint.
Zwar kann das auch immer noch ein Krümel beim Druck des Jahrbuchs gewesen sein, aber letzten Endes haben wir uns jetzt darauf als unterscheidendes Merkmal geeinigt.
„Aber was bringt mir das jetzt?", seufzt Daphne und schließt das Jahrbuch.
„Was bringt dir was?"
Sie wirft die Hände in die Luft. „Dass ich weiß, dass er auf mich steht? Ich meine, ich weiß es nur von dir, weil du es von Ryan gehört hast, aber offiziell weiß ich es ja gar nicht. Und vielleicht war es auch nur so dahin gesagt, weil er einfach nur lässig und cool wirken wollte und dann war es sowieso egal, weil wir ja nicht mitgefahren sind und–"
Ich lege meine Hand über ihren Mund und unterbreche sie damit abrupt. „Kannst du mal Luft holen?"
Ihre großen, grünen Augen glotzen mich an und sie nickt langsam, meine Hand noch immer in ihrem Gesicht.
„Willst du vielleicht erst mal ins Bad?", schlage ich vor. „Ich überlege mir solange was."
Wieder nickt sie und ich senke vorsichtig meine Hand. Flink sammelt sie ihre verstreuten Sachen zusammen, geht zur Tür und dreht sich nochmal mit einem frechen Grinsen zu mir um. „Du willst wieder mit Simon schreiben, oder?"
Dieses Mal werfe ich eine Weintraube nach ihr, treffe jedoch nur die Tür, als sie nach draußen schlüpft.
Unrecht hatte sie nicht, aber ich kann ihr schlecht erklären, wie kompliziert die Situation zwischen dem ... nicht ganz vollständigen Simon und mir ist.
Ich greife nach meinem Handy und öffne den Chat.
S.
Ich bin froh, dass du
es nicht bist.
Kurz runzle ich die Stirn, scrolle zurück und erst dann fällt mir wieder ein, worüber wir zuletzt geschrieben haben.
S.
Natürlich nicht!
Können wir uns heute
treffen?
Ich fürchte, das wird
schwierig.
Warum?
Ich bin nicht in der
Stadt.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro