Filmriss
Das Dröhnen seines Schädels war übermächtig als er erwachte und er konnte sich nicht entsinnen, wann er das letzte Mal solche Kopfschmerzen gehabt hatte. Dieser böse Kräuterlikör und diese elendige Hexe, die ihm diesen angedreht hatte. Er würde ein ernstes Wort mit Cassandra reden müssen. Ihr flüssiger „Seelenbalsam" war unzumutbar und er würde von ihr als Wiedergutmachung ein Gebräu gegen seinen Kater einfordern. Falls er es zu Cassandra schaffte, denn davon war er gerade noch weit entfernt. Er fühlte sich, als sei er gestern einen Marathon gelaufen. Jeder einzelne Muskel schmerzte, insbesondere brannte jedoch sein Rücken. Warum auch immer. Seine Lider ließen sich nur mit äußerster Willenskraft öffnen und im ersten Moment konnte er sich Dank des grellen Lichts, das durch das Fenster einfiel, nicht einmal orientieren. Ein Stöhnen kam über seine Lippen, während er sich mit einer Hand durch das abstehende Haar fuhr. Erleichterung machte sich breit, als er irgendwann endlich klare Sicht erlangte und sich allein, komplett nackt in seinem Bett wiederfand. Soweit so gut. Die aufflammende Übelkeit war gerade noch erträglich, der Kreislauf allerdings im Keller. Also blieb ihm nichts anderes übrig als aufzustehen. Irgendwie. Es war ein bisschen abenteuerlich, wie er sich erst Im Bett aufrichtete und dann ein wenig taumelnd, am Bettpfosten festhaltend, aufstand. Aber immerhin blieb er stehen und fiel nicht der Nase nach hin, was bei dem Ausmaß seines Katers gar nicht mal so unwahrscheinlich gewesen wäre. Schritt für Schritt überwand er die Distanz zum Badezimmer und spritzte sich dort als Erstes eine ordentliche Ladung eiskaltes Wasser ins Gesicht. Das brachte seine Lebensgeister zum Teil zurück. Trotzdem sah sein Spiegelbild schrecklich aus. Seine Haare ähnelten einem wirren Vogelnest, dunkle Augenringe ließen ihn aussehen wie ein Zombie und seine Lippen waren geschwollen und leuchteten dunkelrot. Das Gespött der anderen war ihm so gewiss. Gähnend drehte er sich einmal herum, auf einen Blick auf seinen Rücken zu erhaschen und herauszufinden, was ihm solche Schmerzen bereitete. Seine nur halbgeöffneten Augen flogen vor Schock weit auf, als er seine Kehrseite im Spiegel zu sehen bekam. Mehrere blutige und lange Kratzspuren führten von seinem Hinterteil bis zu seinen Schultern. Hätte er es nicht besser gewusst, hätte er darauf geschlossen, dass er mit einer Wildkatze gekämpft hatte. Obwohl. Er wusste es nicht besser. Um ehrlich zu sein, hatte er keine Ahnung. Als er sich an den gestrigen Abend zu erinnern versuchte war da nur eine völlige Schwärze in seinem Kopf und keinerlei Erinnerungen. Nach dem Kosten des Kräuterlikörs kam nichts. Ein waschechter Filmriss. Es graute ihm davor, was er angestellt hatte. Miles wusste nur zu gut, dass er in betrunkenem Zustand meistens nicht unbedingt die klügsten Ideen hatte und er häufig Unsinn anstellte. Oftmals war dieser harmlos, aber man konnte nie wissen. Vor allem durfte er die anderen nicht wissen lassen, dass er das Ende des Festes völlig vergessen hatte, sonst würden sie ihn ohne Frage aufziehen.
Es galt also Fassung zu bewahren. Und sein Image nicht zu zerstören. Daher sprang er zunächst unter Dusche, wobei er das Wasser kalt ließ, um weiter zu Sinnen zu kommen. Danach versuchte er ein wenig Ordnung in seine Haare zu bringen, was leider nicht sonderlich von Erfolg war und suchte sich dann Anziehsachen heraus, die seine Kratzspuren bestmöglich verdeckten. Er würde Cassandra nicht nur um ein Anti-Kater-Mittel, sondern auch um eine Wundcreme bitten müssen. Derart gewappnet machte er sich auf den Weg hinunter ins Wohn- bzw. Esszimmer. Kaum, dass er den Raum betreten hatte, lagen alle Augenpaare auf ihm. Ein paar Rudelmitglieder lungerten auf dem Sofa herum, Cassandra, Tobias, Elijah und Cara saßen am Esstisch. Und starrten ihn an. Erwartungsvoll. Als warteten sie darauf, dass er das Wort ergriff. Nur tat er das nicht, weil er so oder so nur das Falsche sagen konnte. Da war schweigen eindeutig die bessere Alternative.
„Guten Morgen, Miles", begrüßte ihn Cassandra, als er sich hinsetzte und schob ihm einen Teller mit Brot zu, „Gut geschlafen?" Sie schmunzelte dabei amüsiert und tauschte einen verschwörerischen Blick mit Tobias und Elijah aus. Cara hingegen verbarg ihr Gesicht hinter ihren Haaren und sah zu Boden, eine Geste, die so untypisch für sie war, dass es Miles völlig aus dem Konzept brachte.
Die vier wussten mehr als er. Das stand fest. Und es war ihm schleierhaft, wie er es schaffen konnte, sich nicht peinlich zu machen oder in ein Fettnäpfchen zu treten.
„Nicht besonders", antwortete er langsam, das Gefühl nicht loswerdend, dass er sich auf dünnem Eis bewegte, das jederzeit einbrechen konnte.
„Nicht?", hakte Elijah grinsend nach.
„Nein, dafür war die Nacht zu kurz", erklärte er ausweichend, was sie nur halb zufrieden stimmen schien.
„Aber dafür war das Ende des Festes doch... lohnenswert oder?", setzte Cassandra nach und strahlte dabei über beide Ohren.
Himmel, er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. Geschweige denn, was er darauf antworten sollte. Also zuckte er mit den Schultern. Das war das naheliegendste. Wahrscheinlich hatte er bloß wieder einmal Nat bewiesen, dass er schneller und mehr trinken konnte als der Gamma und Cassandra wollte ihn jetzt damit aufziehen. Nichts, worauf er eingehen musste oder wollte. Am besten hielt er den Ball flach.
„Ich habe schon bessere Abende erlebt", murmelte er trocken und bereute es im nächsten Augenblick, als Caras Stuhl mit einem Poltern umfiel und die Vampirin aus dem Raum stürmte.
„Du bist so ein Idiot, Miles", schrie Tobias, bevor er Cara nachsetzte und den Beta bedröppelt auf seinem Platz zurückließ. Miles hatte keine Ahnung was gerade schiefgelaufen war, aber es musste etwas Wichtiges gewesen sein, denn so angewidert und sauer hatten Cassandra und Elijah ihn noch nie gemustert.
„Was...?", setzte er an, doch da kam Cassandra ihm schon zuvor: „Das ist echt das Letzte von dir, Miles! Du solltest dich schämen!"
Nur wofür?! Die Antwort blieben die beiden ihm schuldig, denn sie erhoben sich ebenfalls. Elijah folgte Tobias und Cara, Cassandra drehte ihm demonstrativ den Rücken zu und verschwand in der Küche. Er blieb zurück. Alleine am Tisch, ohne einen Plan, welchen Fehltritt er sich geleistet hatte, mit den schlimmsten Kopfschmerzen seines Lebens und den brennenden Blicken der verstummten Rudelmitglieder auf seinem Nacken. Ganz zu schweigen von den Kratzern an seinem Rücken, die unangenehm an seinem Oberteil klebten. Missmutig biss er in sein Brot, auch wenn ihm der Appetit vergangen war. Niemand hielt es für nötig ihm Gesellschaft zu leisten und so beeilte er sich mit seinem Frühstück, um das Rudelhaus und die klemmende Atmosphäre schnellstmöglich hinter sich zu lassen. Er brauchte Antworten. Dass er die von Cassandra nicht bekommen würde, war ihm klar, also machte er sich auf zum Trainingsplatz, in der Hoffnung Nat dort zu finden. Das Glück schien einmal auf seiner Seite zu sein, als er den Gamma im Gras liegend erblickte.
Er setzte sich neben ihn, die Schmerzen ignorierend und stellte mit einiger Genugtuung fest, dass Nat nicht besser aussah als er. Auch ihn hatte die Nacht schwer gezeichnet, aber immerhin war er wach und vielleicht mit etwas mehr Erinnerungen ausgestattet als Miles.
„Hey Nat", sagte er zögernd, „Du musst mir helfen. Eben beim Frühstück waren die anderen so komisch. Als würden sie irgendetwas von mir erwarten, als hätte ich gestern irgendetwas getan. Das Problem ist nur, dass der Alkohol mir völlig den Kopf verdreht hat. Ich hatte keine Ahnung wovon sie sprechen und habs dann irgendwie verbockt."
Vor Nat fiel es ihm nicht schwer das zuzugeben. Sie hatten einander oft abstürzen sehen und in der Hinsicht war ihnen nichts mehr vor dem anderen peinlich, immerhin tranken sie oft miteinander und behielten dies meist für sich.
„Wir haben wirklich zu viel getrunken", murmelte Nat gedankenverloren, bevor er einen Zeigefinger hob und ihn gegen Miles Brust drückte, „Aber du hast es echt übertrieben, kein Wunder, dass du einen Filmriss hast. Du darfst nicht jedes Mal versuchen, mich zu übertrumpfen. Naja, jedenfalls kann ich mir vorstellen, was die anderen meinten." Unangenehm berührt zog er seinen Zeigefinger wieder zurück und blickte zeitschindend ins Gras. Etwas, das Miles aggressiv machte.
„Nun rück' schon mit der Sprache raus!"
„Ich denke, dass sie auf eine Reaktion deinerseits gewartet haben, auf die Tatsache, dass Cara heute Morgen aus deinem Zimmer spaziert kam. Sie wollte erst nicht mit der Sprache rausrücken, bis Tobias sie solange genervt hat, dass sie nicht mehr dichthalten konnte. Cara und du, ihr habt gestern miteinander geschlafen."
Das war der Moment, indem Miles Herz für ein paar Takte aussetzte. „Verdammt."
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Überraschung! Ich fürchte, mit der Wendung hat niemand gerechnet oder? xD Miles ist jetzt jedenfalls wieder im Bilde und es bleibt abzuwarten, was er mit dem neuen alten Wissen anfangen wird :D
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