Prolog
Ava war schon immer ein seltsames Mädchen gewesen. Weil die anderen dies von ihr dachten, empfand sie irgendwann genauso und teilte diese Meinung. Wie konnte jemand, der Dinge sah, die sonst keiner sehen konnte, auch nicht seltsam sein? Ihr Leben lang machten sich die anderen über sie lustig, nicht etwa, weil sie zu dürr, oder zu dick, war oder etwas mit ihrem Gesicht nicht stimmte. Nein. Sie machten sich lustig über sie, weil sie Ava für verrückt hielten. Es gab Tage, an denen stand sie plötzlich wie zur Salzsäule erstarrt da, wurde leichenblass, während sie ins Leere starrte. Doch dies ist erst der spätere Teil ihrer Geschichte.
*
*
*
*
Alles begann an einem, eigentlich sehr schönen, Tag. Die Sonne schien, die Lärchen sangen um die Wette, keine Wolke war am Himmel zu sehen, der Frühling stand vor der Tür und es war ein lauer Morgen im März.
„Ava, kommst du endlich?" Ihre Mutter rief sie nun schon zum dritten Mal, während sie in ihrem schwarzen Kostüm an der Haustür stand, ungeduldig schaute sie immer wieder auf das Display ihres, schon mindestens sechs Jahre alten, Tastenhandys. „Komme!" Ihre piepsige Stimme klang hell und klar wie die eines Singvogels, ganz untypisch für Kinder ihres Alters, dachte ihre Mutter immer. Allerdings verwarf sie den Gedanken jedesmal, auf die Tatsache, dass sie ihrer Tochter schon von klein auf beigebracht hatte deutlich zu sprechen, immerhin sprach sie selbst immer in einem gehobenen Englisch wie es sonst keiner tat.
Ava umgriff die Hand ihrer Mutter, wohlwissend, dass sie wieder einmal zu spät zur Arbeit kommen würde. Ihretwegen. Ständig. Immer. Einmal hatte sie ein Telefonat zwischen ihrem Chef und ihr belauscht, in dem er ihr erklärte, dass er überhaupt nicht begeistert von ihren ständigen Verspätungen war. Und dass, obwohl er, wie ihre Mutter oft zu Ava sagte, immer nach ihr dort erschien. Deshalb dürfte er sich eigentlich nicht aufregen. Da er ihr Chef war, hatte er wohl Sonderrechte oder etwas in dieser Art.
Ava war jung, aber sie verstand schon vieles. Sie war viel reifer als die anderen Kinder, die noch mit ihren Gameboys spielten und einen unsichtbaren Freund namens Tobi hatten.
Hastig stolzierte ihre Mutter neben ihr her. Ihre hohen Schuhe klackerten lauter, als die stampfenden Schritte eines Soldaten. Feste zog sie Ava hinter sich her. Dass sie das, mit diesen Absetzen, überhaupt konnte erstaunte Ava immer wieder. Lieblos wurde Ava der Erzieherin am Tor übergeben, die schon auf die beiden wartete. Das war täglich so.
Ava hatte oft das Gefühl, nicht von ihrer Mutter geliebt zu werden, mehr noch dachte sie, dass sie gehasst wurde, dass stimmte sie traurig.
„Na, hast du heute wieder ein neues Rätsel für mich?" Traurig schüttelte Ava den Kopf und ging mit ihrer Erzieherin in die Kindertagesstätte, die umringt von dichten Laubbäumen und einer saftig grünen Wiese war, auf dieser zahlreich bunte Blumen blühten.
Als sie wieder hochschaute, erschrak sie. Über der jungen Frau hing doch tatsächlich ein kleines blaues Wesen. Es schwebte dicht über ihrem Kopf und sah aus wie eine kalte Flamme. Seine roten Augen stierten das kleine Mädchen an. Schreiend rannte sie weg, nach drinnen, verzog sich in eine der Kabinen der Mädchentoilette.
Sie dachte, dort wäre sie sicher, doch das war sie nicht. Das blaue Ding kam durch die Wand geflogen und hielt direkt vor ihrem Gesicht an. Voller Panik und Hektik bekam sie die Tür nicht auf, deren Schloss etwas zu hoch für sie war, sodass sie sich auf ihre Zehenspitzen stellen musste. Doch in der Eile verlor sie abermals den Halt.
„ Soso... Du kannnsst mich alllsooo se-hennnn?" Das dieses Wesen plötzlich mit ihr sprach, versetzte sie nur noch mehr in Schrecken, weshalb sie einfach unter der Tür durchkroch. Bleich wie Mehl rannte sie zu Emmily, eine junge Brünette mit ein paar Kilos zu viel, aber einem sehr freundlichen Gesicht und aufgeweckten grünen Augen. „Hilfe, Hilfe! Etwas verfolgt mich!" Schutzsuchend warf sie sich ihr in die Arme. Perplex besah Emmily das kleine Mädchen, welches nicht aufhören wollte zu zittern und zu quengeln.
„Dann schauen wir doch mal nach. Alles ist gut." Während sie Ava im Arm hielt, ging sie mit ihr zurück in den Waschraum, in diesem verließ lediglich ein kleines Mädchen eine der vier Kabinen und sah Emmily fragend an.
„Da haben wir's. Siehst du? Du hast bestimmt nur Ami gehört, wie sie reinkam. Schau!" Zögerlich drehte sich Ava um, fing aber gleich darauf wieder an zu schreien und riss sich los, nur um dann weinend zum Tor zu rennen und die vorbeilaufenden Passanten um Hilfe zu bitten, keiner war bereit ihr zur Hilfe zu kommen, hielten es für einen Scherz und gingen lachend weiter.
Als sie später von ihrer Mutter abgeholt wurde, baten sie ihre Mutter um einen Moment zum Reden. Eine gefühlte Ewigkeit verging, bis ihre Mutter mit einem verärgerten Gesichtsausdruck zu ihr zurückkam, um sie mitzunehmen. „Nichts als Ärger machst du!"
Nach diesem Tag war nichts mehr wie früher. Die Kinder wollten nicht mehr mit der Verrückten spielen, wie sie Ava hinter ihrem Rücken nannten und auch direkt in ihr Gesicht sagten. Zahlreiche Gespräche mit Psychologen folgten, doch alle hielten es nur für kindliche Fantasien und einen Scherz. Als sie eingeschult wurde, wurde es besonders schlimm. Die kleinen Teufel terrorisierten sie, lenkten sie vom Unterricht ab und hielten sie zum Narren.
Hier und da sprachen sie neckische Worte wie: „Du bist so blöd, wie du aussiehst", oder, „Gib dir doch mal mehr Mühe! Schau wie dich alle anstarren!" Wie eine fiese Stimme im Kopf, die einen oft selbst runtermachte, klangen diese Geister.
Verzweifelt hielt sie sich oft die Ohren zu, wurde ermahnt, weil sie angeblich dem Lehrer nicht zuzuhören wollte.
Die Verzweiflung pferchte sie in die Einsamkeit. Niemand wollte ihr glauben, keiner wollte mit ihr reden, selbst ihre Mutter wollte kaum eine Minute mit ihrer gruseligen Tochter verbringen und reichte ihr „verzogenes" Kind, wie sie immer zu ihr sagte, an Verwandte weiter.
Doch diese wollten sie, zu ihrem Leidwesen, auch nicht bei sich haben, bis ein entfernter Onkel, der eigentlich nicht ihr Onkel war, sondern der Ehemann ihrer verstorbenen Großcousine, die sie nie gesehen hatte, bereit war sie freiwillig aufzunehmen.
Ihr „Onkel" war ein seltsamer Mann, wie sie fand. Er streute immer, bevor er das Haus verließ, eine Prise Salz in seine Schuhe, dies tat er auch bei Ava. Seltsame Talismane in einer ihr fremden Sprache hingen fast an jeder Wand des Hauses.
Im Schrank hatte sie sogar seltsame Sachen entdeckt die, wie sie herausfand, für ein Reinigungsritual gedacht waren. Das einzig Gute war, dass das Haus ihres Onkels zu ihrer Zuflucht geworden war. Kein Dämon drang in das Innere hervor.
*
*
*
*
Nun war Ava schon zwanzig, hatte ihre Schule beendet und bereitete sich auf ein neues Leben vor. Es war, als hätte es sie magisch angezogen das Übernatürliche zu studieren.
Gerade war sie auf dem Weg zur Universität, als jemand sie, wie ein Wirbelwind, umrannte und dabei der ganze Inhalt ihrer Tasche auf den Boden fiel. Missgelaunt schrie sie dem jungen Mann nach, der nicht einmal bemerkt hatte, dass er jemanden berührt hatte. „Hey du! Pass doch besser auf!"
Sie bückte sich, um ihre Schulbücher aufzuheben, die um sie herum verteilt waren und sah im Augenwinkel, wie der Junge zurück zu ihr kam.
Sein Schulter langes blondes Haar wippte bei jedem seiner schnellen großen Schritte und der Wind wehte es ihm schmeichelnd aus dem Gesicht, als wollte er sein schmales, hübsches Gesicht besser sehen wollen. Mit schnellen Schritten war er bei ihr angelangt, packte grob ihr dünnes Handgelenk.
„Du kannst mich sehen?"
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro