~25~
Mit dem Fuß schiebe ich die Haustür auf und versuche gleichzeitig, das Gleichgewicht zu halten.
»Komm mit«, sage ich über die Schulter, während ich ins Wohnzimmer gehe und den schweren Karton dort abstelle.
Kim folgt mir und ächzt erleichtert, nachdem sie ihr Gepäck losgeworden ist. »Walum machst du das nochmal bei dil zu Hause?«
»Weil ich hier mehr Ruhe habe«, antworte ich und lasse dabei den eigentlichen Grund unerwähnt: Die Wahrscheinlichkeit, Felix zu begegnen, ist hier einfach geringer als in Piets Wohnung. Unser Telefonat liegt nun fast fünf Tage zurück; vielleicht sind meine Worte inzwischen in seinem Gehirn angekommen.
Ich schüttle kurz den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. »Danke, dass du mir geholfen hast. Willst du was trinken?«
»Keine Ulsache und Wasser ... außel du hast Alkohol da, dann das.« Sie grinst verschmitzt.
Mein Blick wandert zur Uhr. »Morgens um fünf? Gibt's einen Grund zum Feiern oder willst du was vergessen?«
Ihr Lächeln wird schmaler. »Beides ...?«
»Folge mir.« Auch mit meiner Handbewegung deute ich an, dass sie das tun soll.
In der Küche öffne ich den Kühlschrank, der ehrlich gesagt mehr Wein als Lebensmittel enthält – was Kim nicht entgeht. Sie hebt eine Augenbraue. »Damit lässt sich bestimmt gut albeiten.«
»Haha, witzig ...« Ich strecke ihr die Zunge raus. »Da ist nur nichts Essbares drin, weil ich nicht kochen muss ... also ... Rot oder Weiß?«
»Weiß. Zwingt Sascha dich etwa immel noch, bei ihm zu essen?«
»Bingo.« Schnell nehme ich die Flasche Weißwein raus, hole ein Glas aus dem Schrank und schenke ihr ein. Ich selbst bleibe beim Wasser. »Aber genug von meinem langweiligen Leben. Erzähl mir lieber, warum du mir so unbedingt helfen wolltest.«
Anstatt zu antworten, schnappt sie sich ihr Glas und schlendert damit zurück ins Wohnzimmer. Ich folge ihr und während Kim sich auf die Couch setzt, öffne ich die Balkontür und betrachte für einen Moment still die Staubpartikel, die durch die Luft tanzen. Im Licht der gerade aufgehenden Sonne wirken sie fast lebendig. Dann wende ich mich wieder meiner Kollegin zu und beobachte, wie sie das Glas in ihren Händen dreht und schließlich einen großen Schluck nimmt. Vielleicht sollte ich die Flasche holen? Als ich versucht bin, das zu tun, seufzt sie leise.
»Ich habe mich mit Mandy gestlitten ...«
»Mhm ... war nicht zu übersehen.« Immerhin haben die beiden während der gesamten Schicht kaum ein Wort miteinander gewechselt und da Kim nicht mehr nur in der Küche arbeitet, hat jeder von uns das mitbekommen.
Sie stöhnt auf, wird rot und verbirgt ihr Gesicht hinter ihrer Hand. Dann murmelt sie etwas Unverständliches.
Ich gehe zu ihr und lasse mich neben sie fallen. »Willst du darüber reden?« Eine Weile bleibt sie still; irgendwann seufzt sie so theatralisch, dass ich schmunzeln muss und ihr meine Hand auf die Schulter lege. »Du musst natürlich nicht. Aber es würde dir wahrscheinlich guttun.«
»Bestimmt ... nul schäme ich mich ...«
»Auch das ist nicht zu übersehen.«
Sie schnaubt leise. »Du klingst wie Sascha, weißt du das?«
Ein gequältes Lachen entweicht mir – ja, das ist mir auch aufgefallen. Es hat eben sowohl Vor- als auch Nachteile, ständig bei ihm essen zu müssen.
»Was dich alleldings von ihm untelscheidet, ist, dass du nicht ständig nachbohlst ...« Sie seufzt und streicht sich einige Haare hinter das Ohr. »Deshalb mag ich es, mit dil zu leden.« Ihr Lächeln wirkt unsicher und ich erwidere es mit hoffentlich mehr Zuversicht.
»Eigentlich ist das wilklich total dämlich ... und ich kenne mich so auch gal nicht ...« Ein weiteres Seufzen entweicht ihr. Sie sieht ein wenig aus wie ein Kind, das sich seiner Schuld bewusst ist, bevor sie sich plötzlich aufrichtet und die Schultern strafft. »Ich habe Mandy gesagt, dass ich eine ›Anna-Pause‹ blauche.« Kaum hat sie den Satz beendet, sinkt sie wieder in sich zusammen.
»Eine Anna ... Pause?«, wiederhole ich etwas verwirrt.
»Ja ... seit letztem Samstag ist sie jeden Tag da. Sie wohnt gefühlt bei uns und es ist nicht so, dass ich sie nicht mag ... Abel ...«
»Turteltauben ständig vor der Nase zu haben, ist anstrengend?«
Sie nickt. »Zum Glück ist das bei dil und deinem Fleund andels ...«
Kaum hat sie den Satz ausgesprochen, spüre ich, wie mein Gesicht heiß wird. Auch wenn ich meinen Kopf ein Stück abwende, bleibt ihr das nicht verborgen.
»Oh ...«, murmelt sie. »Bitte sag mil nicht, dass el nicht da ist, weil ich bei dil bin.«
»Was? Nein! Wir sehen uns zwar jeden Tag, aber erst, wenn er von der Arbeit kommt und bis ich hin muss ...« Zumindest diese Woche, weil DJ bei Ines ist. Wenn der Kleine bei David ist, soll er seinen Papa für sich haben.
»Es läuft also gut zwischen euch?«
»Mh ... ja, ich denke schon.«
»Du denkst?« Kims Stimme klingt skeptisch, und ihre zusammengezogenen Augenbrauen lassen keinen Zweifel an ihrer Haltung.
»Ja ...?«, antworte ich und ziehe meine Schultern hoch. »Woran misst man denn, ob es gut läuft?«
Zuerst zieht sie die Stirn kraus, dann bricht sie in Lachen aus. »Mann, Jam!« Sie kichert und kann sich kaum beruhigen. »Manchmal bist du echt unnolmal. Du schaffst mich noch!«
»Ja, was denn? Ich habe nun mal keine Vergleichswerte ...«
»Die blaucht man ja auch nicht. Ist die Zeit, die ihl zusammen verblingt, schön, odel nicht?«
Erneut werde ich rot; dabei hatte ich gerade das Gefühl, meine Hautfarbe normalisiert sich wieder.
»So schön also?«, feixt sie und ich rolle mit den Augen, kann aber ein Grinsen nicht unterdrücken.
»Nicht das, was du denkst ...«, murmele ich trotzdem, weil ich das Bedürfnis habe, mich zu rechtfertigen.
Nach unserem Gespräch am Sonntag hat David mich gefragt, ob er bei mir schlafen darf. Dass er damit tatsächlich nur ›bei mir‹ gemeint hat, hätte ich ebenso wenig erwartet wie die Tatsache, dass genau das unglaublich intim sein kann. Allein die Erinnerung an seine Wärme und Nähe lässt meinen gesamten Körper prickeln.
»Elde an Jam ...«
Schnell schüttele ich den Kopf. »Sorry ... und ja, nach dem Maß läuft's wohl gut.«
»Schön ...« Sie lächelt und ich erwidere es. »Ich muss zugeben, ich hatte so meine Bedenken bei eulel Volgeschichte ... abel el scheint sich Mühe zu geben ... also muss ich ihn nicht velmöbeln.«
Mein Lachen bringt sie dazu, eine Augenbraue zu heben. Bei der Vorstellung, wie die kleine Japanerin versucht, David eine zu verpassen, kann ich einfach nicht anders. Doch dann fällt mir ein, dass sie ja wirklich eine Kampfkunst beherrscht. »Danke, dass du das für mich tun würdest, aber wie du schon sagst: Es ist nicht nötig.«
»Gut fül ihn.« Sie grinst breit und gibt mir einen leichten Stoß mit der Schulter. Anschließend stellt Kim ihr Glas ab, zieht ihre Beine auf die Couch und umschlingt sie mit den Armen.
Wir schweigen eine Weile und hören das Geräusch einer weiteren Balkontür, die geöffnet wird. Vermutlich ist es die Frau von gegenüber, die jeden Morgen zur gleichen Zeit mit einem Kaffee auf ihrem knallpinken Gartenstuhl Platz nimmt und mit ihrem Mann telefoniert. Soweit ich es bisher mitbekommen habe, ist er Soldat und deswegen kaum zu Hause.
»Sag mal ...«, flüstere ich irgendwann, weil mich die Stimme meiner Nachbarin an etwas erinnert. »Was ist eigentlich bei deinem Gespräch mit Makoto rausgekommen?«
Kim zuckt zusammen. Letzte Woche hat sie mir erzählt, dass sie den Mut aufgebracht hat, ihm endlich eine Nachricht zu schicken und dass er sich daraufhin mit ihr treffen wollte. Soweit ich weiß, hat dieses Treffen gestern vor unserer Schicht stattgefunden.
Doch anstatt mir zu antworten, greift sie nach ihrem Glas, leert es in einem Zug und hält es mir fordernd entgegen. Lächelnd nehme ich es an und gehe ohne Widerworte in die Küche. Als ich zurückkomme, reiche ich ihr das Glas und stelle die Flasche auf den Couchtisch.
Kim nimmt einen weiteren Schluck und schweigt. Also lehne ich mich zurück und sage ebenfalls nichts. Mit der Zeit werden meine Lider schwerer und ich bin mir fast sicher, dass sie sich nicht mehr dazu äußern wird, doch dann räuspert sie sich.
»El will sich scheiden lassen.«
Die Worte kommen so schnell über ihre Lippen, dass ich das erstmal verarbeiten muss. Zudem kann ich anhand ihrer Stimmlage nicht erkennen, wie sie darüber denkt, was mich noch mehr verwirrt.
Sie dreht ihren Kopf zu mir und sieht mir in die Augen. »Willst du nichts dazu sagen?«
Ich zucke ein wenig hilflos mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was.«
»Tja ... dann geht es dil wohl so wie mil.«
»Freust du dich denn nicht darüber?«
Diesmal zuckt sie mit den Schultern. »Schon ... abel es kam so plötzlich.«
»Hast du ihm von Jimal und dir erzählt?«
»Soweit bin ich gal nicht gekommen. El hat mich wie üblich beglüßt und mir dann gesagt, dass el unter andelem nach Deutschland gekommen ist, um mil pelsönlich zu sagen, dass el sich scheiden lassen will. Und el hat mich auf Knien angefleht, ihn nicht aus del Filma zu schmeißen, weil seine Fleundin schwangel ist und ...«
Sie bricht ab und blinzelt heftig. Trotzdem kann sie die Tränen nicht zurückhalten. Ich rutsche wieder näher an sie ran und lege einen Arm um ihre Schulter.
»Scheiße ...! Ich will doch gal nicht weinen ...« Energisch reibt sie über ihr Gesicht, doch immer mehr Tränen laufen nach. »Ich bin doch floh dalüber ... ehllich ...«
»Es ist okay, wenn es trotzdem weh tut ...«
»Tut es nicht ... also nul ganz wenig ... und ich fleue mich ja sogal für Makoto. El hat eine Flau verdient, die ihn liebt ...«
»Aber?«
Sie schnieft und reibt sich mit den Handballen über die Wangen. »Abel ... alles wild so komplizielt. Sobald Makoto zulück in Japan ist und mein Ojīchan davon elfährt, duldet el nicht mehl, dass ich hiel bleibe. Wenn ich Glück habe, bleibt mil vielleicht noch eine Woche.«
»Nur wegen der Scheidung?«
»Makoto hat mich bishel in allem veltleten. Wenn el nicht mehl zul Familie gehölt, duldet das niemand mehl.«
»Kannst du ihn nicht trotzdem als deinen Vertreter anerkennen? Mit einer Prokura zum Beispiel? Bei uns in Deutschland ist das eine Vollmacht, die einem Mitarbeiter gegeben wird, der dann im Namen des Unternehmens Entscheidungen treffen und Verträge abschließen kann.«
»Sowas gibt es bei uns auch und nennt sich Daihyō. Alleldings müsste del Volstand diesen bestimmen und ich glaube kaum, dass mein Ojīchan und mein Otōsan Makoto dann noch ihl Einverständnis geben wülden.«
»Und es gibt keine Alternative?«
»Velmutlich nicht.« Sie seufzt leise. »Und wahlscheinlich ist es auch bessel, wenn ich mich damit abfinde.« Inzwischen weint sie nicht mehr, wodurch die Resignation in ihren Worten umso spürbarer ist.
»Nimmst du also einfach hin, dass über dich entschieden wird?«
Ihr Blick zuckt zu mir. »Ich habe dil schon einmal gesagt, dass das bei uns andels ist.«
»Ja, das hast du ... aber trotzdem verstehe ich es nicht. Das sind doch nicht deine Träume und Wünsche ...«
»Es geht auch nicht um mich.«
»Natürlich geht es um dich. Um wen sollte sich ›dein‹ Leben denn sonst drehen?«
»Ach, Jam ...« Ihr gequältes Lächeln bricht mir das Herz. »Manchmal muss man akzeptielen, dass das Leben einen andelen Weg volgibt.«
»Warum klingt das so endgültig ...?«
Wieder zuckt sie mit den Schultern. »Weil es sein muss.« Ihre Augen füllen sich erneut mit Tränen. »Und weil del Gedanke dalan, meine Fleunde zulückzulassen und mein aktuelles Leben aufzugeben, einfach zu sehl weh tut.«
Auch ich kann nicht verhindern, dass meine Augen feucht werden. »Wann fliegt Makoto zurück?«
»Del Flug geht in einel Stunde ...«
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