~2~
»Hier.«
Sascha hält mir eine Schale mit Pommes vor die Nase, die ich nur widerwillig entgegennehme. Ich bin immer noch angepisst von seiner Bemutterung und ich verstehe nicht, warum er sich mit mir abgibt. In letzter Zeit bin ich keine gute Freundin gewesen – vermutlich war ich es nie.
»Iss«, brummt er und setzt sich neben mich auf eine kleine Steinmauer.
Gemeinsam beobachten wir, wie die Stadt langsam erwacht. Lichter brennen in den Fenstern, Stimmen dringen nach draußen. Doch am schönsten ist das Farbenspiel am Himmel. Obwohl die Sonne noch nicht zu sehen ist, taucht der untere Rand in einem sanften Orange-Pink auf, während der Rest sich dunkel davon abhebt.
»Iss, Pchela!«, wiederholt Sascha mit mehr Nachdruck und reißt mich aus der Szene. Genervt schnaube ich und drehe ihm meinen Kopf zu. »Damit dein Gehirn wieder ordentlich arbeitet«, fügt er hinzu.
Was er nicht sagt. Dabei tut es das bereits. Meine Zeit mit ihm zu verbringen, fühlt sich wie eine gratis Schnellausnüchterung an.
Sascha sieht mich ebenfalls an. Erneut mit diesem tadelnden Ausdruck. Frustriert nehme ich eine Pommes und werfe ihn damit ab.
»Sag mal, gehts noch?!«
»Lass mich einfach in Ruhe …«, murmele ich und schaue unbeteiligt zurück nach vorne. Eigentlich will ich ihn nicht so behandeln, aber ich will auch nicht, dass er mir noch wichtiger wird. Lieber stoße ich ihn jetzt von mir weg, als …
»Was meinst du, was ich die letzten Wochen gemacht habe?«, fragt er und greift unter mein Kinn, um meinen Blick zu erzwingen. In seinen Augen lodert unbändige Wut. »Verdammt! Ich dachte, du redest mit mir, wenn du bereit bist. Aber das hier …« Mit der freien Hand fuchtelt er vor meinem Körper herum. »… Ist langsam echt unerträglich.«
»Und jetzt …?«, antworte ich gelangweilt. Vielleicht liegt es am Restalkohol in meinem Blut, dass ich so rede. Doch es ist offensichtlich, dass es Sascha nicht gefällt. Er schnaubt wie ein Stier kurz vor dem Angriff.
»Ich hoffe, du hast zumindest darauf geachtet, dass ›er‹ eingepackt ist!«
Seine Worte treffen mich wie ein Schlag in die Magengegend, und obwohl ich versuche, es nicht zu zeigen, atme ich schwer.
Im Begriff, mich von seiner Hand zu befreien, nerven mich meine belegten Finger, also lasse ich die Pommesschale einfach fallen. Mit einem dumpfen Geräusch landet sie auf dem Asphalt, doch das ignoriere ich.
»Keine Sorge!«, fauche ich stattdessen. »Und wenn nicht, dann müsstest du dich eh nicht darum kümmern!«
»Mann, Pchela! Was soll die Scheiße?«
»Was denn? Du schläfst nicht mit mir, demnach bist du auch nicht verpflichtet. Also nerv’ mich nicht.«
Sein Entsetzen ist unübersehbar und ich weiß, dass ich zu weit gegangen bin. Dennoch weigere ich mich, mich zu entschuldigen. Er soll sehen, wie schrecklich ich bin. Vielleicht wird er dann endlich von selbst gehen.
Doch anstatt das zu tun, was ich erwartet hätte, legt er seine Hand sanft an meine Wange. Perplex blinzele ich mehrfach und bin wie gelähmt. Führt er jetzt wieder einen seiner psychologischen Tests an mir durch? Was bin ich für ihn? Ein Versuchskaninchen?
»Wir wissen beide, dass du das gar nicht willst. Genauso wenig wie mit den anderen Kerlen.«
Das war ja klar. Aber es stimmt nicht. Mir ist alles recht, solange es mich nicht fühlen lässt. »Du hast keine Ahnung, was ich will!«, fauche ich, doch er verdreht nur die Augen.
Für einen Moment herrscht Stille zwischen uns und während er meine Wange loslässt, beginne ich unruhig zu zappeln. Selbst der Versuch, mich wieder auf die Gespräche der anderen Leute oder das leise Radio des Frittenstandes zu konzentrieren, scheitert kläglich.
»Soll ich raten?«, murmelt er und plötzlich huscht ein leichtes Schmunzeln über seine Lippen.
Sofort überläuft mich eine unangenehme Gänsehaut. Vorsichtig nimmt er meine Hand zwischen seine beiden und obwohl ich seine Frage verneinen will, komme ich irgendwie nicht dazu.
»Du willst … ungefähr eins neunzig groß, dunkle Haare un…«
»Gar nicht!«, unterbreche ich ihn unwirsch. »Ich will David nicht und ich werde nicht mit dir darüber reden, was passiert ist!«
»Ich hab’ ihn gar nicht erwähnt«, sagt er mit einem ausgewachsenen Grinsen. Meine Augen weiten sich automatisch. Scheiße!
»Aber jetzt mal im Ernst, Pchela.« Sein Gesicht wird wieder ernst. »Warum sagst du mir nicht, was genau dich bedrückt? Vielleicht kann ich dir dabei helfen, es zu klären.«
Überfordert beiße ich mir auf die Lippe und schüttele meinen Kopf. Als mein Blick zu Boden fällt, bleibt er an den Pommes hängen, die ich jetzt doch gern essen würde. Schon allein, um nichts sagen zu müssen, denn es gibt nichts zu klären.
»Glaubst du echt, ich hätte nicht gewusst, wer für deinen Gemütszustand verantwortlich ist?«, fragt er und ich zucke mit den Schultern. Jetzt weiß er es definitiv.
»Ich dachte wirklich, wir wären inzwischen so weit, miteinander zu reden. Gemeinsam nach Lösungen zu suchen und so.« Sascha klingt total enttäuscht, sodass ich wie geohrfeigt zusammenzucke. Dennoch sehe ich nicht auf. Was erwartet er von mir? Wie soll ich ihm sagen, was gewesen ist? Er ist mit David befreundet. Wer wäre ich, einen Keil zwischen sie zu treiben? Und dabei geht es mir sicherlich nicht um diesen Arsch. Der kann in der Hölle verrotten.
Doch ich habe ihren Umgang miteinander gesehen. Sie sind ganz sicher nicht nur irgendwelche Kumpel. Sascha vertraut ihm und das will ich ihm nicht nehmen. Seufzend schließe ich die Augen und frage mich, was ich mir einbilde. Wer bin ich, zu glauben, dass ich so was auslösen könnte? Als ob ich so wichtig wäre.
Es gibt nur eine Lösung: Ich halte mich von David fern.
»Verdammt, ich seh’ doch, wie du leidest!«
»Tu’ ich nicht.«
»Erzähl keinen Mist. Du bist total unkonzentriert.« Als Beweis drückt er auf eines der Pflaster an meinem Finger. »Du flirtest wie wild, aber lässt niemanden an dich heran.«
Nun sehe ich ihn doch an und kann es mir nicht verkneifen, eine Augenbraue hochzuziehen.
»Seelisch, meine ich. Das, was du da machst, ist was anderes.« Sein Schnauben hallt über den Platz und entlockt mir doch tatsächlich ein Lächeln.
»Wenn du das sagst …«
»Das tue ich! Außerdem ist mir nicht entgangen, dass du dich ansonsten zu Hause versteckst. Außer an deinen freien Tagen.« Er deutet auf mich, während er missbilligend mit der Zunge schnalzt. »Dann gehst du in so einem Aufzug in fragwürdige Clubs mit zwielichtigen Typen.«
Ich öffne den Mund, um zu widersprechen, entscheide mich jedoch dagegen. Es macht keinen Sinn, denn er hat recht. So sieht mein Leben derzeit aus.
Na ja, fast. Die Clubs sind nicht alle fraglich. Vor zwei Wochen bin ich in dem mit der Elefanten-Ausstellung gewesen und der war voll okay. Sogar der Türsteher konnte sich noch an mich erinnern und wir haben uns eine Weile nett unterhalten. Diesmal hat er mir versprochen, demnächst auf einen Drink in der Bar vorbeizukommen. Abgesehen davon hat er mein Outfit, im Gegensatz zu Sascha, gelobt!
»Du gehst nicht mal mehr mit Mandy und Kim frühstücken!«
»Tja …«
»Hast du echt solche Angst davor, D zu begegnen? Was könnte schon passieren, außer dass er vielleicht mit dir reden will?«
Mein Grinsen erlischt und ich starre ihn an. So wie er das sagt, klingt es wirklich nach … nichts.
Doch leider ist es alles andere als das. Schon allein durch diese widersprüchlichen Gefühle. Die jahrelange Angst. Die Enttäuschung, weil David sich doch nicht geändert hat. Die Wut auf mich selbst, weil ich wirklich so naiv gewesen und auf ihn reingefallen bin. Die Scham, weil ich zugelassen habe, ihn irgendwie zu mögen. Diese seltsamen Dinge, die er in mir auslöst. Selbst jetzt noch, wenn ich an ihn denke. So schlimm habe ich mich bisher nur in Bezug auf Felix gefühlt.
Wenn dieser Cocktail aus Stimmungen ›Liebe‹ sein soll, dann kann ich gut darauf verzichten. Wer hat sich den Scheiß bitte ausgedacht?
Trotzdem kann ich eines nicht leugnen: Egal, wie sehr ich mir wünsche, dass mir all das egal wäre, es ist nicht so.
Und dann sind da auch noch meine Kolleginnen selbst. Während Anna nur dann etwas zu meinem Verhalten sagt, wenn jemand das Thema anspricht, ist Kim absolut rücksichtsvoll. Es ist wie eine stumme Einigung, uns nicht gegenseitig zu etwas zu drängen.
Mandy hingegen ist wie Sascha in weiblich und mit noch mehr Feuer. Sie lässt mir kaum Luft zum Atmen und sticht immer wieder in die Wunde. Auch wenn sie es sicher nicht böse meint, macht mich ihr Nachgebohre wahnsinnig.
»Du verstehst das nicht«, murmele ich und schüttele erneut den Kopf.
»Ja, wirklich? Liegt vielleicht daran, dass du nicht mit mir sprichst!«
Meine Augen rollen sich praktisch von allein. »Du kannst mich mal.«
»Nein, danke. Ich rede lieber mit dir.«
»Idiot …«, brumme ich und will mich abwenden, doch Sascha lacht leise auf und drückt meine Hand. Dann lässt er sie los und legt seinen Arm um meine Schulter.
»Du bist so verdammt stur, Pchela«, flüstert er und drückt mir einen Kuss auf die Schläfe, während er meinen Kopf tätschelt. Sofort breitet sich eine Ruhe in mir aus, die nicht da sein sollte. Ich verdiene einen Freund wie ihn einfach nicht.
»Ich bin keine Biene mehr …«, murmele ich betreten, weil mir nichts anderes einfällt.
Sascha lacht wieder, diesmal lauter und schnappt sich mit der freien Hand ein paar meiner Haare. Er hebt sie an und hält sie vor uns.
Im Licht der aufgehenden Sonne ist deutlich zu erkennen, dass das Schwarz sich langsam aber sicher rauswäscht. Ist halt blöd, wenn man nicht zwischen Coloration und Tönung unterscheiden kann. Trotzdem werden sie nicht mehr so blond sein wie zuvor. Vielleicht sollte ich mich davon aber auch endlich verabschieden. Immerhin hat mein neues Aussehen mich auch nicht verändern können.
Ich bin und bleibe Jamie, das Nichts. Oder noch schlimmer, denn früher habe ich David zumindest von Grund auf gehasst. Jetzt gibt es da einen winzig kleinen Teil in mir, der diese absolute Abneigung nicht mehr akzeptieren will. So eine Scheiße!
»Du kannst die Biene verstecken«, flüstert Sascha und lässt meine Haare wieder fallen. »Aber du bist und bleibst meine Pchela.«
Unsicher blicke ich ihm ins Gesicht. Wieso sagt er so etwas? Und wieso klingt es wie ein Versprechen? Eines, das eine gewaltige Angst in mir auslöst. Aber auch …
»Du lässt mich nicht mehr alleine?« Meine Stimme, die eigentlich genervt oder besser gesagt, wie eine unterschwellige Aufforderung klingen sollte, gleicht stattdessen einer fehlenden Bitte.
Ehe ich mich versehe, drückt Sascha mich fest an sich. »Keine Chance. Mich hast du für die Ewigkeit an der Backe. Ob es dir passt oder nicht.«
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