~45~
»Tut mir echt leid, dass ich dich so früh angerufen habe ...« Sascha schaut mich entschuldigend an, doch ich winke ab.
»Schon okay«, antworte ich und lächle ihn an. »Freunde sind füreinander da – das hast du selbst gesagt.« Außerdem bin ich ihm wirklich dankbar für seinen Anruf; er hat keine Ahnung, wie sehr er mir damit geholfen hat. Aber darüber will ich aktuell nicht nachdenken. »Wie gehts deiner Oma denn jetzt?«
»Besser ...«, murmelt er und schlägt fast auf das Fleisch ein, das er eigentlich nur klopfen soll. »So gut, dass sie wieder genug Luft hat, um zu schimpfen.«
»Das klingt ganz nach ihr.«
»Ja ... sie ist total sauer, dass ich sie ins Krankenhaus gebracht habe.«
Seine Stimme klingt niedergeschlagen und als ich ihn anschaue, sehe ich seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst und seine Schultern hängen tief. Ich kann verstehen, dass er mit sich hadert, besonders nach unserem letzten Gespräch. Aber jetzt ist die Situation ganz anders.
»Hey ...« Ich gehe zu ihm und lege eine Hand auf seine Schulter. »Du hast das Richtige getan. Du bist kein Arzt und hast dir Sorgen gemacht. Da ist der Weg ins Krankenhaus völlig normal. Deine Oma wird das verstehen.«
Ohne Vorwarnung ziehe ich ihn in eine Umarmung und hoffe, dass es ihm genauso guttut wie mir, wenn er mich in den Arm nimmt. Mir ist klar, dass er eigentlich gar nicht hier sein will. Er ist es nur, weil Manja über Nacht im Krankenhaus bleiben muss.
Sascha umarmt mich zurück und drückt mich kurz, aber fest an sich. »Hoffentlich ...«, murmelt er leise. »Und danke.« Sein Lächeln sieht zwar immer noch gequält aus, aber es ist ein kleines bisschen besser als vorher.
»Kein Ding.« Erst als ich das sage, merke ich, dass ich die Worte von David übernommen habe. Irritiert schüttele ich den Kopf und bin erleichtert, dass Sascha es nicht bemerkt hat.
»Ich bin nur froh, dass ich nicht mit Vero getauscht habe ...« Er geht zum Waschbecken und lässt Wasser laufen. »Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich nicht da gewesen wäre ...« Während er sich die Hände wäscht, schnaubt er ungeduldig. »Auch wenn Vero echt sauer auf mich ist ...«
»Weißt du denn inzwischen, warum sie tauschen wollte? Vielleicht hatte sie einen ... wichtigen Grund?« Das würde mich zwar wundern, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Wieder schnaubt er und dreht den Wasserhahn zu. Als er sich zu mir umdreht, seufzt er leise. »Ein Date.«
»Oh ...« Mehr kann ich nicht sagen. Was sollte ich auch? Man sieht Sascha an, dass ihn das trifft, auch wenn er versucht, es zu überspielen. Ehrlich gesagt wünsche ich ihm, dass er endlich über sie hinwegkommt. Aber Vero macht es ihm mit ihrem Hin und Her auch nicht gerade leicht. Wie soll man da durchblicken?
Brummend kehrt Sascha an seinen Arbeitsplatz zurück und schlägt wieder auf das Fleisch ein – so heftig, dass ich bei jedem Schlag zusammenzucke.
»Sachte, Sascha«, murmele ich. »Die meisten unserer Gäste haben noch Zähne.«
Er hält inne, schaut runter und schürzt die Lippen. »So ein Mist ...«, flucht er leise und schüttelt dann den Kopf. »Kannst du mir einen Gefallen tun, Pchela?«
»Klar! Was brauchst du?«
»Lenk mich ab. Erzähl mir irgendwas ...«
»Ähm ... was willst du wissen?«
»Hm ...« Er hebt den Kopf und sieht mich an. In seinen Augen blitzt etwas auf und zeigt mir, dass ich mit meiner Frage einen Fehler gemacht habe. »Was hast du so früh im Park gemacht?«
Sofort presse ich die Lippen zusammen. Das ist das Letzte, worüber ich nachdenken will. Immerhin habe ich es den ganzen Tag geschafft, genau ihn auszublenden. Aber schließlich gebe ich nach. Ich will Sascha nicht länger anlügen, auch nicht bei Kleinigkeiten. Schließlich braucht er gerade meine Unterstützung – also warum nicht?
»Ich habe deinen Rat befolgt und mich bei David entschuldigt.«
»Morgens um fünf?« Seine irritierte Stimme bringt mich dazu, den Blick zu senken und mit den Schultern zu zucken.
»Warum nicht? Da geht er schließlich joggen.«
»Und woher weißt du das?«
»Ich ... ich habe ihn mal zufällig getroffen. Vor zwei Wochen oder so? Vielleicht ist es auch länger her ...« Angesichts all der Dinge, die passiert sind, ist die Zeit viel zu schnell vergangen.
»Kommt mir das nur so vor, oder seht ihr euch seit seinem Besuch in der Bar öfter?« Oh Mann! Wieso fällt Sascha das auf? Verdammt!
»Ja ...«, gebe ich nach kurzem Zögern zu. »Aber meistens sind es wirklich blöde Zufälle.«
»Interessant ...« Warum klingt mein Kollege jetzt so belustigt? Ich kann doch nichts dafür ... »Aber es ist schon komisch, dass ihr euch vorher nie begegnet seid. Immerhin wohnt ihr beide am jeweils anderen Ende des Parks.«
»Moment, was?!« Schockiert hebe ich den Kopf und schaue zu Sascha, der nichts davon bemerkt. Der Themenwechsel ist gut gelungen – allerdings zu meinem Leidwesen.
»Er joggt schon seit Jahren morgens. Manchmal setzt er aus, wenn DJ bei ihm ist, aber sonst ...«
»Okay, stopp«, unterbreche ich ihn und hebe abwehrend die Hände. »Ich will keine Infos über ihn.«
Jetzt schaut mein Kollege mich doch an, seine hochgezogene Augenbraue macht mich nervös. Mir wird heiß und plötzlich grinst der Russe. »Kann es sein, dass er dir ein bisschen den Kopf verdreht hat?«
»Nein?!«, quieke ich empört, doch meine Stimme klingt viel zu hoch.
»Schon gut, Pchela. Ich verstehe das. Auf ihn standen immer viele Mädels. Aber du hast Glück.« Er zwinkert mir verschwörerisch zu. »Inzwischen ist er Single.«
So ein Mist! Jetzt zieht mein Kollege auch noch die falschen Schlüsse! »Das ist mir völlig egal!«
»Echt? Ich sehe deine rosigen Wangen bis hierher.«
»Verdammt, Sascha! Du liegst total falsch ... Ich ... das ... verfluchter Mist!«
»Ja?« Sein breites Grinsen macht es mir schwer, mich zu konzentrieren. Egal, was ich sage, er wird mir nicht glauben.
Grummelnd gehe ich zum Waschbecken und spüle mein Messer ab. »Du weißt doch, dass ich beziehungsunfähig bin.« Okay, das war nicht die beste Antwort, aber irgendwie stimmt es ja auch.
»Es hat niemand gesagt, dass ihr gleich heiraten sollt. Zudem halte ich dich schon für beziehungsfähig. Eine Freundschaft ist schließlich auch eine Beziehung.«
»Heiraten ... so weit kommt's noch.« Während ich energisch den Kopf schüttele, kehre ich zu meinem Platz zurück, um den Abfall wegzuräumen. »Außerdem ist das etwas anderes. Bei uns«, ich deute zwischen ihm und mir hin und her, »sind die Fronten geklärt.«
»Zwischen D und dir also nicht?« Es ist echt anstrengend, wie lange jemand fies lächeln kann – als wären seine Wangen festgetackert. Genervt rolle ich mit den Augen und zeige ihm meinen Mittelfinger.
»Pchela.« Sascha umrundet den Tresen, stellt sich neben mich und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Es ist okay, weiterzuziehen.«
»Was? Wovon?!«
»Felix ...?«
Sofort wird mir kalt und schlecht. »Und du meinst ernsthaft, David wäre die bessere Wahl von beiden?«, fauche ich und ziehe mich von seiner Hand zurück. Voller Zorn öffne ich den Mund und schließe ihn wieder. Es kommt überhaupt nicht infrage, dass ich Sascha von früher erzähle. Mir egal, wie viel Leid David mir zugefügt hat – so tief sinke ich nicht.
»Woah, Jam! Beruhig dich.« Nun hebt Sascha seine Hände – ob abwehrend oder beschwichtigend, kann ich nicht sagen. »Du sollst Felix ja nicht vergessen. Es geht nur darum, dass du glücklich sein darfst.«
»Ich bin glücklich.«
»Sicher?«
»Ja, sicher.«
»Wann hattest du das letzte Mal ›körperliche Nähe‹?«
Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und schaue ihn wütend an. »Ich dachte, das ist ein Thema, über das wir nicht reden wollten.«
»Solange ich nicht involviert bin, können wir gerne darüber sprechen«, murmelt er und zuckt mit den Schultern.
Doch das geht mir zu weit. Ohne zu antworten, schnappe ich mir die Box mit den Bioabfällen und verschwinde durch die Tür in den Flur. Es ist mir egal, ob ich gerade vor einem Streit davonlaufe. Wie im Tunnelblick gehe ich auf die schwere Metalltür zu, drücke sie auf und stehe endlich draußen.
Was soll der Mist? Warum quetscht er mich so aus? Und überhaupt ... körperliche Nähe am Arsch! Als ob es immer nur um Sex ginge! Ich kann das schließlich selbst regeln.
Wütend werfe ich die Box in die Mülltonne und beiße mir auf die Lippe. Am liebsten würde ich laut aufschreien. Stattdessen trete ich gegen den Container und ärgere mich über meine eigene Dummheit. Mein Fuß tut sofort weh.
»Scheiße!«, fluche ich jetzt doch laut, hocke mich auf den Boden und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen.
Warum hat David das getan? Warum hat er mich ›das‹ gefragt? Ich verstehe nicht mal, warum er sich überhaupt mit mir abgibt! Und was ist mit mir? Warum gehe ich freiwillig zu ihm? Was stimmt nicht mit mir? Warum fühlt es sich in seiner Nähe nicht mehr so abstoßend an? Ich will das nicht!
Als mein Handy plötzlich vibriert und eine neue Nachricht von Felix anzeigt, bin ich kurz davor, durchzudrehen. Erst Funkstille und jetzt Belagerung – langsam halte ich das nicht mehr aus.
»Pchela?« Saschas Stimme dringt von der Metalltür zu mir.
»Hau ab!« Verzweiflung schwingt in meiner Stimme mit, obwohl ich ihn nicht wegstoßen will. Sascha tut mir gut, das weiß ich. Er ist für mich da – ganz anders als Felix es jemals war. Aber seine Worte sind oft wie Brennstoff für mein Inneres; sie entfachen ein Feuer, das ich allein nicht löschen kann.
Frustriert merke ich, dass sich wieder Tränen in meinen Augen sammeln. Schnell reibe ich mit dem Handrücken über meine Lider. Und natürlich bleibt Sascha nicht weg. Stattdessen höre ich, wie er sich bewegt und wenig später neben mir kniet. Auch die Wärme seiner Hand spüre ich auf meinem Rücken.
»Es tut mir leid ...«, flüstert er leise und räuspert sich. Sofort überkommen mich die Schuldgefühle. Ich sollte ihn trösten, nicht umgekehrt! Ruckartig schaue ich auf und sehe direkt in sein Gesicht. Sascha lächelt mich an, aber es erreicht seine Augen nicht.
Überfordert schüttle ich den Kopf. »Mir tut es leid ... Ich ... ich ...«
»Nein«, unterbricht er mich sofort. »Es ist dein Leben ... es fällt mir nur schwer zu sehen, wenn du ...« Er stoppt und seufzt leise. »Jedenfalls muss ich lernen, mich nicht ständig einzumischen.« Mein Kollege steht auf und reicht mir seine Hand, die ich zögerlich ergreife. Als ich vor ihm stehe, tätschelt er sanft meinen Kopf. »Du machst das schon.« Er lässt meine Hand los, zwinkert mir zu und wendet sich ab. Doch bevor ich es mir anders überlegen kann, greife ich nach seinem T-Shirt.
»Sehe ich wirklich so unglücklich aus?«
Bedächtig dreht er sich wieder zu mir um und sieht mich einen Moment lang an. »Manchmal. Vor allem dann, wenn du denkst, dass dich keiner sieht.«
»Und wie wird man glücklich?«
»Puh ... das kann ich dir auch nicht sagen. Aber manchmal muss man wohl den gewohnten Weg verlassen, um es herauszufinden.« Ich nicke langsam, obwohl ich es nicht ganz verstehe; schließlich habe ich keinen festen Plan. Meistens lebe ich einfach in den Tag hinein – abgesehen von der Arbeit vielleicht.
»Er hat gefragt, ob er mich küssen darf«, platzen die Worte plötzlich aus mir raus. Ich weiß gar nicht, warum ich mit ihm darüber rede; eigentlich wollte ich das vermeiden.
»D?!« Saschas Stimme klingt sowohl überrascht als auch amüsiert.
»Nee, der Weihnachtsmann ...«, murmle ich und fühle mich blöd dabei.
»Und? Was hast du geantwortet?«, fragt er grinsend. So viel dazu ... wir sind genau da, wo wir aufgehört haben – großartig ...
»Das war der Moment, als du angerufen hast ...«
»Aber du hast doch sicher etwas gesagt, oder nicht?« Seine Augenbraue hebt sich skeptisch.
»Ähm ...« Plötzlich wird mir heiß und ich fühle mich in den Moment zurückversetzt. Ich sehe die grün-blauen Augen vor mir, die mich abwartend anblicken und wie David sich langsam zu mir runterbeugt.
»Pchela?«
Oh Mann ... alles in mir sträubt sich dagegen, aber die Worte liegen bereits auf meiner Zunge. »Ich hab ihm gesagt: ... beim nächsten Mal ...«
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