~41~
Völlig überfahren lasse ich mich zurück auf die Couch sinken und die letzten Stunden Revue passieren. Ist das alles wirklich passiert? Mein Blick gleitet zu Felix, der inzwischen wieder schläft, auch wenn seine Lider unruhig zucken. Er ist der eindeutige Beweis dafür, dass ich mir nichts davon einbilde.
Seufzend streiche ich ihm einige Locken aus der Stirn. »Du furchtbarer Chaot ... was machst du nur für Sachen ...?«, flüstere ich und atme tief ein. Er hat schon das ein oder andere Mal zu viel getrunken, aber für heute muss es einen Auslöser geben. Einen, der nicht nur ihn, sondern auch mich in eine Lage gebracht hat, mit der ich immer noch nicht umzugehen weiß.
Während er wieder leise zu schnarchen beginnt, decke ich ihn erneut zu und beobachte ihn eine Weile. Irgendwann fallen mir die Augen dabei zu, weshalb ich genervt über mein Gesicht reibe. Was soll der Mist? Es ist doch noch gar nicht meine Zeit ... und trotzdem fühle ich eine unbändige Trägheit.
Weiterhin wach zu bleiben, würde vermutlich nichts bringen. Auch deshalb nicht, weil meine Gedanken immer wieder zu David wandern. Egal, wie sehr ich versuche, nicht an ihn zu denken.
Frust flutet meine Adern und ich springe auf, stapfe wütend ins Badezimmer. Ich will nicht an ihn denken – und schon gar nicht daran, was er in mir ausgelöst hat. Dieses Kribbeln und diese widersprüchlichen Emotionen ...
Fest presse ich die Lippen aufeinander und lasse kaltes Wasser über meine Hände laufen, um mich abzulenken. Doch das bringt nichts, denn im Grunde habe ich es sogar geahnt: David hasst mich noch immer. Egal, wie sehr er sich verändert haben mag – falls er das denn hat – die Wut in seinen Augen ist echt gewesen.
Wieso habe ich das nicht kommen sehen? Habe ich mir selbst einfach nur beweisen wollen, dass Menschen sich ändern können? Klasse, Jam! Gründlich verkackt ...
Aber wenn es bei ihm nicht so ist ... wie ist es dann mit mir? Habe ich es geschafft, mich zu verändern? Bin ich weiter als noch vor ein paar Jahren?
Kaum hörbar stöhnt Felix im Schlaf, wodurch ich schnaube. Augenscheinlich bin ich nicht weiter, denn sonst hätte ich ihn seinem selbst gewählten Schicksal überlassen. Auch wenn das ganz schön herzlos gewesen wäre.
Zudem weiß der rationale Teil in mir ganz genau, dass wir uns streiten werden, wenn er aufwacht. Wieso habe ich ihn also mit zu mir genommen, obwohl die Aussicht auf ein erfolgreiches Gespräch sowieso gegen null geht?
Ich seufze erneut, mache mich mechanisch fertig, kontrolliere noch einmal Felix' Atmung und krabbele in mein Bett. Der vermehrte Schlaf wird sich morgen in der Schicht definitiv rächen ... und doch ist es mir gerade egal. Es muss mir egal sein. Andernfalls würde ich schon wieder heulen und so langsam reicht es mir. Ich will das nicht mehr.
Gefühlt übernächtigt, obwohl das gar nicht sein kann, stelle ich leise Musik an und wälze mich hin und her. Sowohl David als auch Felix jagen durch meinen Kopf, sobald ich die Augen schließe. Nach einer Weile setze ich meine Kopfhörer auf und mache die Musik so laut, dass sie in meinen Ohren dröhnt. Denn dadurch kann ich zumindest nicht richtig denken. Schlafen aber auch nicht.
Schöne Scheiße!
~~~~~
Ich bin plötzlich wach, weil sich meine Matratze bewegt. Bevor ich mich jedoch aufrichten kann, spüre ich schon einen Hauch an meinem Ohr. »Schlaf weiter.«
»Felix?« Irritiert realisiere ich, dass sein Atem frisch riecht und seine Haare, die meine Wange gestreift haben, feucht sind. Verwundert drehe ich mich ihm zu und blicke in sein Gesicht. Wir liegen nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Bevor ich mich bremsen kann, strecke ich die Hand aus und fasse in seine Haare. Sie sind wirklich klamm.
»Ja, ich war duschen«, bestätigt er meine Überprüfung schmunzelnd. »Und Zähneputzen.« Auch ein Zwinkern lässt nicht lange auf sich warten. Ich finde das allerdings alles andere als witzig. Wieso stößt er mich erst weg und sucht jetzt, wo er denkt, dass ich schlafe, meine Nähe?
»Was machst du in meinem Bett?«, frage ich, um ihm die Chance zu geben, sich zu erklären. Als sein Lächeln jedoch einfriert, merke ich, wie sich Enttäuschung durch mich hindurch frisst.
Anstelle einer Antwort blinzelt er mehrfach und schluckt laut. »Willst du nicht noch ein wenig schlafen, Jam?« Sein bittender Unterton, der so unsagbar scheinheilig klingt, macht mich wütend.
»Nein!«, fauche ich und schnaube. Ich will mich aufrichten, doch er ist schneller. Innerhalb von Sekunden erhebt sich Felix und drückt mich mit einer Hand zurück auf die Matratze. Überfordert sehe ich ihm einfach nur entgegen. Was hat er vor? Was will er von mir?
»Bitte ...«, haucht er plötzlich und klingt gequält. »Lass mich einfach für ein paar Stunden so tun, als ...« Felix unterbricht sich und schüttelt seinen Kopf.
Diesmal ist es an mir zu blinzeln. »Was?«, rutscht mir entsetzt heraus, nachdem mir bewusst wird, was er da vielleicht sagen wollte. »Du willst ein paar Stunden so tun, als wäre ich deine Freundin?«
»Nein, das ...«
»Was dann, Felix?«, unterbreche ich ihn und stemme mich gegen seine Hand, doch er gibt nicht nach. Eher noch lehnt er sich mit seinem gesamten Gewicht gegen mich.
»Jam ... ich will mich nur ein wenig an dich kuscheln.«
»Wozu?« Ich bin fassungslos und dabei dachte ich, er wäre sauer, weil ich ihn hergebracht habe. Weit gefehlt. Bevor ich es verhindern kann, schießen Tränen in meine Augen. Ob der Wut oder der Enttäuschung wegen, weiß ich nicht. »Wieso willst du meine Nähe? Du hast mich weggestoßen!«
»Ich weiß ...«
»Du hast unsere Bilder zertrümmert!«
»Jam, ich ...«
»Du hast ...«
Er unterbricht mich, indem er sich zu mir runterbeugt und mich küsst. Seine Zunge dringt fordernd in meinen Mund ein. Währenddessen setzt er sich kurzerhand auf mich drauf. Genauso schnell zieht er sich aber auch wieder aus dem Kuss zurück, richtet sich jedoch nicht auf. Wenige Zentimeter über mir verharrt er und sieht mich an. »Wir müssen reden, Jam.«
»Definitiv«, flüstere ich und beiße mir auf die Unterlippe. Verdammt, sein Kuss pulsiert nach, hat meine Wut ins Wanken gebracht und seine Worte haben ihr den Rest gegeben.
Will Felix wirklich mit mir reden? Sagt er mir endlich, was los ist? Kann ich darauf vertrauen, dass er die Wahrheit sagt, wenn er den Mund aufmacht?
»Darf ich dich vorher um was bitten?« Das Meeresblau seiner Augen leuchtet mir entgegen. Sein Hundeblick. Mal wieder ...
»Ich schwöre dir ...«, murmele ich und schnaube doch wieder. »Wenn du mich jetzt bittest, vorher mit dir zu schlafen, fliegst du raus!«
Sofort breitet sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus, das mich in den Wahnsinn treibt. Er hatte doch nicht wirklich vor, danach zu fragen?!
»Aber hinterher wäre okay?«
»Felix!«
»Schon gut, Jam.« Er kommt wieder ein Stück tiefer und küsst meine Wange. »Ich hab' schon verstanden ...«, flüstert er in mein Ohr und saugt an dem Punkt darunter, was sofort eine Gänsehaut auslöst. Eisern presse ich die Lippen zusammen, damit mir kein Stöhnen rausrutschen kann.
Er muss noch betrunken sein und benimmt sich deshalb so! Anders kann ich mir das, was hier gerade abgeht, nicht erklären ... Sein Verhalten ist einfach nicht normal!
Felix beißt leicht in meinen Hals, wodurch ich ein lustvolles Brummen nicht mehr unterdrücken kann und mich am liebsten selbst ohrfeigen würde. Jetzt reicht's! Entschieden lege ich meine Hände auf seine Schultern und drücke ihn hoch. »Reden geht anders!«
»Entschuldige.« Er grinst schon wieder, vielleicht auch noch immer. Jedenfalls höre ich deutlich, dass es ihm kein bisschen leid tut.
»Das ist echt nicht witzig!«, setze ich nach und blicke ihm standhaft entgegen. »Du hast mich wirklich verletzt.«
Er zuckt zusammen, als hätte ich ihn geschlagen. »Ich weiß und es tut mir ehrlich leid ... wenn ich könnte, würde ich die Worte zurücknehmen.« Kurz schürzt er die Lippen, dann richtet er sich auf. »Aber es ändert nichts an meiner Entscheidung.«
»Deiner Entscheidung?«
»Ich bleibe bei Ivy.«
Seine Worte klingen in meinen Ohren nach und auch das Ticken meines Weckers ist mit einem Mal übermäßig laut. In Anbetracht dessen, was er vor wenigen Sekunden getan hat, macht das einfach keinen Sinn.
»O-okay ...«, würge ich nach einer gefühlten Ewigkeit hervor und muss mich zusammenreißen, nicht hysterisch zu klingen. »Und was genau machst du dann ›auf‹ mir?«
»Darüber wollte ich mit dir reden ...«
»Aha ...« Mehr kann ich nicht sagen. Dafür bin ich viel zu durcheinander. Meine Gedanken versuchen alle mir gegebenen Infos zusammenzutragen und doch werde ich nicht schlau aus ihnen.
Felix klettert derweil von mir runter und hält mir seine Hand hin, um mir aufzuhelfen. »Kommen wir zu meiner Bitte«, sagt er, nachdem ich ebenfalls sitze. Langsam nicke ich und höre ihn tief Luft holen. »Hör dir alles bis zum Ende an. Du darfst vorher nichts sagen.«
Sein intensiver Blick zeigt mir, wie wichtig ihm das ist, weshalb ich abermals nicke. Plötzlich reibt er seine Finger aneinander, als wäre ihm kalt. »Dreh nicht durch, ja?«
O Mann! Wenn er so beginnt, wird auf keinen Fall etwas Gutes folgen ...
»Ivy hat ... mir erlaubt, mit dir zu schlafen.«
»Bitte was?!«, platzt es unvermittelt aus mir raus, weshalb er schnaubt. Hat ja gut geklappt mit dem ›Nichts sagen‹.
»Na ja ... Sie weiß, dass ich nur bei dir einen hochbekomme ... und damit es bei ihr und mir besser klappt ...«
»Das ist nicht dein Ernst?!«, unterbreche ich ihn unwirsch.
»Jam! Du hast versprochen, dir alles anzuhören!«
»Ich hab' auch nicht erwartet, dass du so einen Scheiß von dir gibst!«
»Verstehst du denn nicht? Das ist ›die Lösung‹! Ivy hat, was sie will, ich bin in einer Beziehung, du musst in keiner sein und hast trotzdem Spaß. Gewinn für alle.«
»Ich glaube, dein Hirn hat was abbekommen ...«
»Sehr witzig, Jamie ...«
Dass er meinen vollen Namen benutzt, erinnert mich ungewollt an das Debakel mit einer gewissen Person von vor ein paar Stunden – und da wird mir plötzlich etwas klar. »Bist du etwa eifersüchtig auf David?!«
Felix verschränkt augenblicklich die Arme vor der Brust und kneift die Augen zusammen, weshalb ich ihn nur fassungslos anstarre.
»Das ist nicht dein scheiß Ernst, oder?«, wiederhole ich mich und kann es selbst nicht glauben. »›Du‹ wolltest, dass ich mich mit David treffe, schon vergessen?!« Dass ich mich auf diesen Deal nie eingelassen habe, spielt jetzt keine Rolle.
»Ich weiß. Jetzt habe ich meine Meinung aber geändert und die passende Lösung parat. Wo ist also das Problem?«
Das fragt er noch? Ich platze gleich vor Wut! »Das Problem«, knurre ich beherrscht und reibe über mein Gesicht, »liegt darin, dass du scheinbar vergessen hast, dass ich ein Mensch bin! Du kannst mich nicht in eine Kammer stellen und rausholen, wenn du gerade Lust auf einen Fick hast!«
»Wieso nicht? Du sagst doch selbst, du willst keine Beziehung und unser Spaß war immer gut!«
»Um Himmels willen, Felix! Hat Ivy dein Gehirn geschreddert?!« Ohne auf eine Antwort zu warten, klettere ich aus dem Bett und greife nach meinem Morgenmantel, um meinen Körper mit mehr Stoff zu verhüllen.
Felix, der mir gefolgt ist, greift nach meinem Arm und dreht mich zu ihm um. Sein Blick ist wild, fast schon animalisch. »Also stehst du auf David?«
»Das hab' ich nicht gesagt.«
»Aber auch nicht verneint, Jam!«
»Weil es darum auch gar nicht geht!« Mit einem Mal wird mir die Tragweite dessen bewusst, was Felix mir da eben ›vorgeschlagen‹ hat. Und das so, als wollte er sich einfach nur regelmäßig mit mir zum Mittagessen verabreden.
»Dann erklär mir, worum es geht!« Inzwischen ist Felix richtig laut. Da haben wir also unseren Streit. Nur ist das hier viel schlimmer, als ich mir jemals hätte vorstellen können. Und dass er wirklich nicht schnallt, wie weh er mir damit tut, ist noch unbegreiflicher für mich. Am liebsten würde ich ihn wieder einmal ohrfeigen für so viel Dummheit.
»Du erwartest also wirklich von mir, dass ich parat stehe, damit du mich benutzt, um mit deiner Freundin schlafen zu können? Der, vor der du ›angeblich‹ Angst hast? Merkst du eigentlich noch, was du da sagst? Das ist so was von abartig, ich würde dir am liebsten vor die Füße kotzen!«
»Ich dachte, du freust dich wieder Zeit mit mir zu verbringen ...«
»Für bedeutungslosen Sex? Ganz bestimmt nicht.«
Plötzlich schnaubt er und schiebt mich ruppig rückwärts. Innerhalb von Sekunden bin ich zwischen ihm und der Wand eingeklemmt. Ein Knurren geht von ihm aus.
»Unser Sex war nie bedeutungslos!«, spuckt er mir so aggressiv entgegen, dass ich anfange zu zittern. Mein Herz stolpert, diesmal allerdings vor Angst. Auch meine Augen füllen sich mit Tränen, die mir fast augenblicklich über die Wangen rollen und auf seiner nackten Brust landen.
Felix wird sich scheinbar bewusst darüber, was er gerade tut und lässt mich los, als hätte er sich verbrannt. Ich kann jedoch nicht anders, als zu wimmern. Sofort laufen Bilder von früher vor meinem inneren Auge ab und zeigen mir unweigerlich meine Schwäche.
»Scheiße ... Jam ... es ... es tut mir leid ...«
Zitternd gehe ich seitwärts und bleibe mit einigem Sicherheitsabstand zwischen uns stehen. Es dauert einen Moment, bis ich meine Beherrschung wiederhabe. Mühsam dränge ich die Tränen zurück und atme tief ein.
Als ich mich gesammelt habe, schaue ich in Felix' Gesicht. »Meine Antwort ist: Nein«, sage ich, so ruhig es mir möglich ist. »Und jetzt ... tu' mir einen Gefallen und geh.«
»Jam ... es tut mir wirklich leid ...«
Wieder schieben sich Bilder vor meine Augen, die ich panisch wegzublinzeln versuche. »Ich weiß, Felix, aber ... ich kann das nicht. Es geht nicht mehr ...«
Ich beobachte ihn dabei, wie er den Mund öffnet und wieder schließt. Die Hände zu Fäusten ballt und sie wieder löst. Schließlich nickt er und geht wortlos in den Flur.
Ich lasse mir Zeit damit, ihm zu folgen und bleibe im Rahmen stehen. Ohne den Abstand zwischen uns fühle ich mich unsicher.
Er kommt angezogen aus dem Bad. Sowohl sein Hemd als auch seine Hose sehen feucht aus. Scheinbar hat er sie ausgewaschen.
Nervös presse ich die Lippen zusammen, als er mich anschaut. In seinen Augen liegt wieder eine stumme Bitte, weshalb ich schnell meinen Kopf schüttele. Egal, was er zu sagen hat, ich will es nicht hören. Es war ein Fehler, ihn mitzunehmen, das wusste ich und bekomme jetzt die Retoure dafür.
Als er sich zur Tür dreht, schrecke ich aus meiner Starre. »Ich will meinen Schlüssel!«
Langsam dreht er sich zu mir zurück. Sein Blick zeigt Reue. »Jamie ...«, beginnt er, doch ich schüttele erneut den Kopf.
»Leg ihn dort hin.« Ich zeige auf die Kommode und Felix setzt sich in Bewegung. Bevor er den Schlüssel jedoch ablegt, dreht er sich plötzlich in meine Richtung und kommt mehrere Schritte auf mich zu. Sofort weiche ich zurück, wodurch er abrupt stehenbleibt und sein Gesicht verzieht.
»Bitte, Jamie ... lass uns reden. Du willst doch nicht wirklich, dass ich gehe ...«
Einen Augenblick lang sehen wir uns an, dann senke ich meine Lider. »Doch ... genau das will ich ...«, murmele ich leise. Denn nach dem, was eben passiert ist, kann ich ihn nicht mehr ansehen. Die Erkenntnis ist bitter, aber nicht zu leugnen: Inzwischen habe ich habe Angst vor ihm.
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