~39~
Der Club sieht genauso enttäuschend aus, wie es der Artikel beschreibt. Ein großer Kasten mit bodentiefen Milchglasfenstern, durch die das farbige Licht nach außen strömt und damit seine eigene Funktion fast aufhebt. Im Inneren bewegen sich unzählige Schatten und selbst die knutschenden Paare, die sich gegen die Scheiben drücken, sind deutlich zu erkennen.
Der Türsteher wirkt eher wie ein Wächter eines exklusiven Etablissements – was vielleicht nicht ganz abwegig ist, wenn man dem Ruf dieses Nachtclubs Glauben schenken darf. Offensichtlich soll die Ausstellung dazu dienen, das Image aufzupolieren.
»Bitte ... Ich will wirklich nur jemanden abholen«, versuche ich es erneut, doch der Typ schüttelt entschieden den Kopf.
»Keine Einladung, kein Eintritt.«
Natürlich nicht ... Aber Hauptsache, er hat den glatt geleckten Kerl mit seiner Tussi für ein bisschen Extrageld reingelassen. Solche Schuppen sind doch alle gleich. Genervt rolle ich mit den Augen. »Kannst du dann zumindest mal nach jemandem für mich fragen?«
Während er weitere Gäste kontrolliert – diesmal mit gültiger Karte – schüttelt er erneut den Kopf. »Seh' ich für dich aus wie'n Babysitter oder was? Wenn du dein' Freund nicht im Griff hast, ist das nicht mein Problem.«
»Arschloch«, rutscht mir raus, obwohl ich weiß, dass das die Situation nicht besser macht. Der Typ fuchtelt nur genervt mit seiner Hand herum, als wäre ich eine lästige Fliege. Frustriert drehe ich mich um und gehe ein Stück die Straße entlang. Vielleicht finde ich ja einen Hintereingang. Das ist zwar nicht ideal, aber David werde ich auf keinen Fall anrufen.
Nachdem ich den Gebäudeblock einmal umrundet habe, muss ich mir eingestehen, dass das nichts bringt. Mit etwas Abstand zur Tür bleibe ich stehen und warte darauf, dass sich die Schlange verkleinert. Vielleicht wird der Kerl dann gesprächiger.
Es dauert etwa dreißig Minuten, in denen ich nervös hin und her laufe. Immer wieder versuche ich, Felix zu erreichen, aber er geht natürlich nicht ran. Als schließlich das letzte Paar durch die Tür geschlüpft ist, gehe ich langsam auf den Türsteher zu und sehe sein Grinsen. »Du bist echt hartnäckig, Kleine. Gefällt mir.«
Das ist meine Chance. »Danke ... und sorry für das Wort eben.«
»Ach was.« Er zuckt mit den Schultern. »Mir wurden schon ganz andere Sachen an den Kopf geworfen.«
»Wortwörtlich?«
»Manchmal«, antwortet er, zieht eine Packung Zigaretten aus seinem Jackett und hält sie mir entgegen. »Auch eine?«
»Nein, danke. Ich rauche nicht.«
»Ökotussi?«
»Was?!«
Er schmunzelt und deutet auf mich, was mich dazu bringt, an mir runterzusehen. Auf meinem verwaschenen Shirt prangt eine Katze in Yogahaltung, und meine Jeans haben auch schon bessere Tage gesehen.
»Nein ...«, antworte ich peinlich berührt und könnte mich selbst ohrfeigen. Klar lässt er mich nicht rein – ich sehe aus wie ein Heckenpenner.
»Na dann ...«
Während er sich eine Zigarette anzündet, wittere ich meine Chance. »Ich weiß, ich hab' eben echt genervt ... und ich will auch nicht mehr rein – aber könntest du bitte ...« Doch bevor ich meinen Satz beenden kann, öffnet sich die Tür und zwei Kerle in schwarzen Anzügen kommen raus. Sie schleifen einen Typen hinter sich her, der kaum auf den Beinen stehen kann.
»Felix!«, entfährt es mir schockiert, als ich meinen besten Freund erkenne, doch er reagiert nicht auf mich. Seine Augenlider sind halb geschlossen, und er sieht furchtbar blass aus. Als die beiden – offensichtlich Kollegen des Türstehers – ihn am Straßenrand absetzen und seine Jacke neben ihn werfen, stürze ich auf ihn zu und kann gerade noch verhindern, dass er zu Boden fällt.
»Felix? Hörst du mich?« Fehlanzeige. Keine Reaktion von ihm. Nur ein leises Wimmern entweicht seinen Lippen, als er ein Stück nach vorne kippt.
»Das ist der Typ, den du gesucht hast?« Mein Blick wandert von meinem besten Freund zu dem Kerl an der Tür. Ich nicke und er seufzt lautstark. »Der hat nur Ärger gemacht. Ist bestimmt keine gute Partie.«
»Mag sein«, antworte ich leise und konzentriere mich wieder auf Felix. Ich klopfe ihm mehrfach gegen die Wange, doch seine Augen bleiben geschlossen. »Kannst du mir zufällig sagen, wie viel er getrunken hat?«
Lachend verlässt der Typ seinen Posten und kommt auf uns zu. »Bin zwar immer noch kein Babysitter, aber du hast Glück. Wenn jemand über die Stränge schlägt, müssen wir ... na ja, auf jeden Fall hat er sein Maß weit überschritten.« Scheiße ...
»Ja, das ist bei uns auch so«, murmle ich abwesend und hebe Felix' Kopf an.
»Bei euch?« Er hockt sich neben uns und greift nach Felix' Schulter, was mir ein wenig Erleichterung verschafft.
Während ich behutsam seine Lider anhebe, nicke ich erneut. »Ich arbeite in einer Bar.«
»Na, hoffentlich biste da besser gekleidet.«
»Ich hab' heute frei«, brumme ich auch weiterhin verlegen und lasse seinen Kopf wieder sinken.
»Das leucht...« Der Typ unterbricht sich abrupt, als Felix gurgelnde Geräusche von sich gibt. »Ich glaub', er muss kotzen.« Kaum hat er das gesagt, geschieht es auch schon: Geräuschvoll entlädt sich mein bester Freund auf dem Asphalt – und es ist nicht gerade wenig.
»Siehste, hab ich doch gesagt ... weit übern Durst gesoffen ...« Ohne zu antworten, versuche ich, Felix so zu halten, dass er sich nicht komplett einsaut. Leider bleibt seine Hose trotzdem nicht verschont und einige Spritzer fliegen durch die Gegend.
»Dschaamie?«, lallt er plötzlich und öffnet ein Auge. »Wa mad hi?«
»Dich abholen.« Vorsichtig streiche ich ihm eine verirrte Locke aus dem Gesicht und lächele ihn an, doch seine Lider flattern schon wieder. Ich greife nach seiner Jacke und wische damit über seinen Mund.
»Sag mir, wo dein Auto steht, und ich helfe dir, ihn reinzusetzen.«
»Das ist nett von dir ... aber wir brauchen ein Taxi.«
Das Gesicht des Kerls verdunkelt sich. »Nimm's mir nicht übel, Kleine – aber ›so‹ nimmt euch niemand mit.« Vermutlich hat er recht. Verdammt ... »Kann euch keiner abholen? Mein Chef mag's gar nicht, wenn die Besoffskis hier lang sitzen ...« Sein Gesichtsausdruck wird richtig grimmig und ich kann nicht anders, als zu schmunzeln, obwohl die Situation es eigentlich nicht zulässt. Er sieht aus wie ein Riese mit den Armen eines Gorillas. Wenn er keinen Stress mit seinem Chef haben will, wie muss der dann erst aussehen? Wie Godzilla?!
»Was machst du denn sonst mit solchen Leuten?«
Ohne zu zögern, zeigt er auf die kleine Seitenstraße, was mich dazu bringt, die Nase zu rümpfen. Er zuckt nur teilnahmslos mit den Schultern. »Ich mach' nur meinen Job.«
»Verstanden ... und wir sind auch gleich weg. Versprochen ...« Nur weiß ich nicht, wie ich das anstellen soll. Wieder berühre ich Felix' Wange, diesmal jedoch deutlich energischer. »Komm schon ... wach auf ...«, flüstere ich, doch es bringt nichts. Er ist regelrecht ausgeknockt. Was soll ich jetzt nur tun? Ich könnte ihn zwar stützen, aber tragen kann ich ihn nicht.
Plötzlich brummt mein Handy in der Hosentasche und lässt mich aufschrecken. Aber ich ignoriere es; das Problem hier ist gerade wichtiger. Kurz überlege ich, Sascha anzurufen, aber dann wird mir klar, dass er mir die Hölle heißmachen würde – und das zu Recht. Also verwerfe ich den Gedanken schnell wieder. Ich kann ihn nicht jedes Mal belästigen, nur weil ich Entscheidungen treffe. Manche Dinge muss ich alleine schaffen.
Mein Handy brummt erneut und wird langsam lästig. »Hältst du ihn mal eben?«
»Wenn's sein muss.«
Nachdem ich mich vergewissert habe, dass er Felix wirklich festhält, ziehe ich mein Smartphone hervor. Auf dem Display blinken mir zwei Nachrichten von David entgegen: ›Und?‹, ist die Erste. ›Wo bleibt mein Bild?‹, steht in der Zweiten.
Einen Moment lang starre ich auf die Worte, dann drücke ich einfach aus Reflex auf den grünen Hörer. Vielleicht auch aus Verzweiflung. Dabei weiß ich genau, dass das eine echt schlechte Idee ist. Kaum hat das erste Tuten aufgehört, höre ich schon sein leises Lachen. »Willst du die Karten doch?«
»Nein«, flüstere ich und beiße mir auf die Lippe. Wie dumm kann man nur sein? »Ich hab' Felix schon draußen.«
»Ohne mir ein Bild zu machen? Wie gemein.« Er versucht beleidigt zu klingen, kann sich aber das Lachen nicht verkneifen.
Ich überlege derweil fieberhaft, wie ich meine Frage am besten stelle. Eigentlich will ich das doch gar nicht! Mein Blick fällt auf meinen besten Freund, der trotz der Hand des großen Kerls auf seiner Schulter zusammengesackt ist.
»Du kannst dir ja selbst eins machen, wenn du herkommst ...?« Wow ... das klang ja mal gar nicht verzweifelt ... und anscheinend hat er es bemerkt.
»Bittest du mich, euch abzuholen?« Ich kann ihn förmlich schmunzeln sehen und würde am liebsten einfach auflegen. Aber ich gebe mir einen Ruck.
»Vielleicht ...? Ja, schon ... irgendwie ...«
Ein paar Sekunden herrscht Stille, dann räuspert er sich. »Ich brauch' ca. zehn Minuten.«
»Danke ...« Das kommt bei ihm allerdings nicht mehr an, weil er schon aufgelegt hat.
Überfordert stecke ich mein Handy wieder in die Tasche und seufze laut auf. »Dauert noch rund zehn Minuten«, sage ich zum Türsteher und nehme Felix wieder in Empfang, der wie ein nasser Sack gegen mich kippt.
»Alles klar«, brummt er zustimmend und steht auf. »Den Rest schaffst du dann allein?«
»Ja ... und danke noch mal.« Statt zu antworten, nickt er nur und geht zurück zum Eingang.
Inzwischen steigt mir der Geruch von Felix' Erbrochenem in die Nase. Ich presse die Lippen zusammen. Keine Ahnung, was er alles getrunken hat, aber dieser Mix ist einfach widerlich. Während ich ihn festhalte, reibe ich mit seiner Jacke über seine Hose – die ist sowieso ruiniert und muss in die Reinigung.
Verdammt! Ich weiß gar nicht, ob David Felix so überhaupt in sein Auto lässt. Und nebenbei muss ich langsam zugeben, dass er sich wohl zum Positiven verändert hat – vorausgesetzt, das alles ist kein Spiel für ihn.
Wenige Minuten später höre ich das dröhnende Geräusch von Davids getuntem Auto und fühle mich so erleichtert wie nie zuvor. Kaum hält der Wagen vor uns, steigt sein Fahrer aus und umrundet ihn. In seiner Jogginghose und dem T-Shirt sieht er aus, als wäre er gerade von der Couch gefallen – ganz ähnlich wie ich.
»Herrje ...«, murmelt er, als sein Blick auf Felix fällt. Ich kann nicht anders, als ihn böse anzufunkeln. Dann hockt er sich neben Felix und schaut zu mir. »War er die ganze Zeit über nicht ansprechbar?«
»Einmal hat er was gesagt ...«, antworte ich ehrlich und David nickt.
»Dann wollen wir mal ...« Er hält mir seinen Schlüssel entgegen, kniet sich hinter Felix und greift ihm unter die Arme. Mit einer überraschenden Leichtigkeit hebt er ihn an und weicht geschickt dem Erbrochenen aus. Schließlich bugsiert er Felix auf den Rücksitz. Wie schafft er das nur so mühelos?
Ich umrunde das Auto, krabbele auf die Rückbank und halte Felix fest, bis David die Tür schließt. Nachdem ich den Lockenkopf angeschnallt habe und wieder draußen stehe, blickt David zu mir hinunter. »Also? Wo soll's hingehen?«
Das ist genau die Frage, auf die ich keine Antwort weiß. Eigentlich wollte ich Felix nur abholen, aber ihn in diesem Zustand nach Hause zu bringen, wäre keine gute Idee – vor allem, weil Ivy mich dann definitiv sehen würde. Ihn einfach vor der Haustür abzusetzen und zu verschwinden, kommt aber auch nicht infrage.
»Ähm ...«, wispere ich unsicher. »Ich ... ich weiß es nicht ...«
»Vielleicht wäre ein Krankenhaus nicht schlecht?«
Mein Blick wandert von der getönten Scheibe zu Davids Gesicht. »Würdest du das wirklich machen?«
»Natürlich! So wie er aussieht, könnte es gut sein, dass sein Magen ausgepumpt werden muss.« Daran habe ich noch gar nicht gedacht – Mist! Eigentlich wäre das die beste Lösung und doch gibt es ein Problem: Felix hasst Krankenhäuser. Sobald er wieder nüchtern ist, würde er Panik bekommen und wer weiß, was er dann tut.
»Das geht nicht ...«, flüstere ich und kaue nervös auf meiner Unterlippe.
»Hmm ...« David fährt sich durch die Haare. »Also, zu dir? Dort hast du ihn zumindest im Blick, falls sich sein Zustand ändert.« Das klingt zwar logisch, ist aber auch nicht gerade die beste Idee. Wenn Ivy das herausfindet ...
Plötzlich berührt David meinen Rücken. »Lass uns erstmal losfahren. Unterwegs kannst du dich entscheiden.« Er deutet zur Beifahrertür und ich nicke seufzend. Bevor ich einsteige, drehe ich mich noch einmal zum Türsteher um und winke ihm.
»Wenn du mal in Piets Bar bist, frag nach Jam. Dann lade ich dich auf einen Drink ein«, rufe ich ihm zu.
»Klaro!« Grinsend hebt er seine Hand zum Gruß.
Endlich lasse ich mich auf den Sitz fallen. O Mann, das alles fühlt sich so surreal an. Noch vor einer Woche habe ich weinend vor David gestanden und mich von ihm trösten lassen, weil Felix mir so wehgetan hat. Heute bitte ich ihn darum, uns abzuholen, weil ich scheinbar nichts gelernt habe ...
Der Wagen startet und ich schlucke meinen Stolz runter. Anders kann ich diese Situation nicht ertragen. Einen Moment lang betrachte ich das aufleuchtende Navi und spüre Davids Blick auf mir.
»Okay. Fahren wir zu mir«, flüstere ich und schließe die Augen. Diese Entscheidung werde ich ganz sicher noch bereuen.
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