~33~
Mein Flur sieht aus, als hätte ein Sturm gewütet. Die Schränke stehen offen, meine Klamotten liegen überall verstreut und die Deko ist am Boden. Aber was mir wirklich das Herz bricht, sind die Bilder.
Felix hat jede Aufnahme von uns zertrümmert. Überall liegen Scherben, die Fotos hat er alle zerrissen. Es ist, als will er mir klarmachen, wo er unsere Freundschaft sieht.
Tränen sammeln sich in meinen Augen, und ich versuche verzweifelt, sie zurückzuhalten. Ich will nicht schon wieder seinetwegen weinen – vor allem nicht, wenn er unsere gemeinsamen Jahre mit Füßen tritt. Doch der Anblick tut so weh, dass ich den Kampf verliere. Mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen, und die Tränen laufen unkontrolliert über meine Wangen.
Fuck! Ich kann das nicht! Ich muss hier raus!
Bevor ich richtig darüber nachdenken kann, reiße ich die Eingangstür auf und verlasse hastig meine Wohnung. Alles in mir schreit vor Schmerz und gleichzeitig fühle ich mich so taub, dass ich kaum mitbekomme, wie ich die Treppen runterhechte und dabei irgendwie meine Schuhe anziehe.
Warum macht er das? Auch jetzt, wo Ivy nicht einmal in seiner Nähe gewesen ist?
Mit einem Ruck öffne ich die Haustür und pralle mit jemandem zusammen. So heftig, dass ich mehrere Schritte rückwärts taumele, bevor ich realisiere, wer da vor mir steht.
»D-David ... was zum Teufel machst du denn hier?«
Überfordert wische ich mir über die Wangen, doch er hat bereits gesehen, dass ich weine.
»Alles okay mit dir?«, fragt er auch direkt, was mich noch weiter in den Hausflur zurückweichen lässt.
»Ja ...«, krächze ich, meine Lider flattern. Nervös beiße ich mir auf die Lippe und senke den Kopf. Obwohl ich weiß, dass das nichts bringt, reibe ich fest über mein Gesicht.
Verdammte Scheiße! Das ist doch zum Kotzen! Was macht er hier? Was soll das alles? Warum ...?
»Ähm ... hier ...«
Irritiert sehe ich hoch und betrachte seine ausgestreckte Hand. Als ich erkenne, was er festhält, entweicht mir ein erstickter Laut. »Ist das mein Handy?!« Mein Blick gleitet weiter bis zu seinem Gesicht.
David nickt. »Du hast es in der Bar liegen lassen«, sagt er und fährt sich mit der freien Hand durch die Haare. »Die Kellnerin, die uns bedient hat, hat es gefunden und mich angerufen.«
»Dich?«
»Na, dich geht schlecht – so ohne Handy.« Ein kleines Lächeln breitet sich auf seinen Lippen aus und ich versuche es zu erwidern. Allerdings misslingt es mir gründlich. Für Scherze bin ich gerade einfach nicht zu haben.
»Tja, dann ...«, murmele ich, während sich erneut Wasser in meinen Augen sammelt und mich panisch blinzeln lässt. »Danke.« Mehr bekomme ich nicht raus und selbst das klingt gequält.
Verzweifelt greife ich nach meinem Smartphone, schiebe es in meine Hosentasche und quetsche mich an ihm vorbei, dabei weiß ich, wie unhöflich das ist. Er verdient sicherlich mehr als ein lahmes ›Danke‹, doch ihn schon wieder direkt vor meiner Haustür zu sehen, macht alles noch viel schlimmer.
Felix' Worte dröhnen so laut in meinen Ohren. Habe ich mich wirklich an seine Anweisung gehalten? Das kann doch gar nicht sein! Das war nie meine Absicht! Ich will David nicht das Herz brechen – ich will nicht mal darin vorkommen!
»Hey, Jam! Jetzt warte doch mal ...«
Mein Kopf schüttelt sich von alleine, während ich einfach weiterlaufe. Wieso folgt er mir? Was soll das? Er muss doch morgen arbeiten ...
»Jam!«
Die Trauer wandelt sich in Wut. Felix macht mich rasend! Ständig beeinflusst er meine Gedanken und mein Handeln, selbst wenn er nicht einmal hier ist. Schnaubend bleibe ich stehen und wende mich dem brünetten Kerl zu, der ebenfalls innehält. Er schaut auf mich herab und mittlerweile ist es mir egal, ob er meine Tränen sieht – sie lassen sich ohnehin nicht zurückhalten.
»Was?«, fauche ich ihn an, wohl wissend, dass er nichts für meinen Frust kann. »Was willst du von mir, David? Habe ich Honig am Arsch kleben?«
»Ich will wissen, was mit dir los ist. Vor etwa anderthalb Stunden dachte ich ...«
»Was hast du gedacht?«, unterbreche ich ihn scharf. »Dass wir Freunde werden? Dass da etwas zwischen uns ist? Sorry, wenn ich deine Illusion zerstöre, aber ich will keine Beziehung. Mit dir schon gar nicht!« Die Worte sprudeln einfach aus mir heraus, und ich kann nichts dagegen tun.
»Wow ... ich wusste ja, dass verletzte Hunde bellen, aber du scheinst ein besonders angriffslustiges Exemplar zu sein.«
»Schön, dass du das erkannt hast ... und jetzt: Hau ab!« Bevor ich es mir anders überlegen kann, drehe ich mich um und setze meinen Laufschritt fort. In meinem Kopf tobt ein Tornado, und sofort meldet sich mein schlechtes Gewissen zu Wort. Er kann nichts dafür! Ich bin nicht wütend auf ihn; er sollte nicht unter meinem Verhalten leiden müssen!
Die andere Seite lacht hämisch. Sie freut sich, dass ich mich wehren konnte – sie ist richtig glücklich darüber, dass ich mich gegen ›David‹ behauptet habe. Dabei fühle ich mich total hilflos ... Ich schaffe es nicht einmal, die blöden Tränen zu stoppen!
Als ich den Park erreiche, werde ich langsamer und seufze, während ich an der Bank ankomme, die für mich mittlerweile mit vielen Erinnerungen verbunden ist. Frustriert lasse ich mich darauf nieder. Scheiße! Felix hat es echt geschafft, mich aus meinen eigenen vier Wänden zu vertreiben! Ich bin so traurig, enttäuscht und wütend zugleich, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen kann.
Plötzlich klingelt mein Handy und ich zucke zusammen. Ungelenk ziehe ich es aus meiner Gesäßtasche und schaue verwirrt aufs Display. Der Name meines Kollegen leuchtet auf, aber ich starre nur darauf. Was will er von mir?
Kaum hört das Klingeln auf, bekomme ich eine Nachricht von ihm: ›Gehst du wohl an dein Handy?!‹, dann vibriert es wieder.
Einen Moment lang überlege ich, was schlimmer wäre: ans Telefon gehen und ihm etwas vorspielen oder es lassen und mich bei der nächsten Schicht vor Sascha rechtfertigen ... verdammt. Schließlich nehme ich den Anruf mit einem genervten Schnaufen entgegen und kann nicht verhindern, dass er das Geräusch mitbekommt.
»Dir auch einen schönen Abend«, ertönt seine Stimme aus dem Lautsprecher, und ich schließe ertappt die Augen, ohne zu antworten. Was sollte ich auch? Schön ist dieser Abend ganz sicher nicht. »Hey, Pchela ... ist alles okay bei dir?« Warum fragt er das? Er kann doch gar nicht wissen, was mit Felix los ist! Es ist eh seltsam, dass er sich meldet – schließlich habe ich heute frei. Vielleicht ruft er also nur aus Langeweile an.
»Vermisst du mich etwa?« Ich versuche zu lachen, doch es klingt eher gequält.
»Immer doch«, brummt er und seufzt laut. »Aber jetzt lass den Scheiß und sag mir lieber, was los ist.«
»Was sollte denn sein ...?« Mein Versuch, ruhig zu klingen, misslingt.
»Schau dich mal um ...« Irritiert hebe ich den Kopf und scanne meine Umgebung, erkenne aber nichts. Eine ganze Weile schaue ich umher und fühle mich dabei ziemlich dumm. Es ist zu dunkel, und wenn Sascha hier wäre, könnte er auch einfach herkommen, anstatt mich anzurufen.
»Sag mal, hast du nichts Besseres zu tun? Arbeiten zum Beispiel?«, fauche ich frustriert. Das Ganze wird mir zu blöd. Wenn das Gespräch so weitergeht, werde ich ihm wahrscheinlich doch alles erzählen.
»Ja, habe ich«, antwortet er gelassen. »Aber da sich anscheinend jemand Sorgen um dich macht, widme ich meine Zeit jetzt dir. Es wäre natürlich besser, wenn du einfach brav bist und dich von ihm zu mir nach Hause fahren lässt. Dann können wir später in Ruhe reden. Der Schlüssel liegt unter der Fußmatte.«
Es dauert einen Moment, bis mein Gehirn begreift, was mein Kollege gerade gesagt hat. Erneut lasse ich meinen Blick angestrengt durch die Dunkelheit schweifen. Das kann doch nicht wahr sein, oder? »Was zum ...?!«, fauche ich völlig fassungslos und schüttle den Kopf. »Entscheidest du gerade über meinen Kopf hinweg?!«
»Tu' ich nicht, Pchela. Es ist ein Angebot. Oder möchtest du zurück in deine Wohnung, aus der du weinend geflüchtet bist?«
»Woher ...?« Ich schlucke, denn die Antwort kann ich mir bereits denken. Wütend springe ich auf und stapfe in Richtung des Baumes, bei dem ich endlich eine Silhouette erkennen kann.
»Also ...?«, fragt Sascha, seine Stimme klingt sowohl besorgt als auch gestresst. »Lässt du dich von ihm fahren?«
Die Person, die ich entdeckt habe, löst sich aus dem Schatten und kommt auf mich zu. »Auf kei...«, setze ich an, doch als ich nach einigen Schritten realisiere, dass es tatsächlich David ist, bin ich so überrumpelt, dass mir die Worte im Hals stecken bleiben. Mehrfach blinzelnd beobachte ich, wie er immer näher kommt und schließlich vor mir stehen bleibt. Aus meinem Handy ertönt Vero's Stimme wie aus der Ferne. Mein Kollege schnaubt daraufhin leise, murmelt »Bis später« und legt einfach auf.
Das bekomme ich allerdings kaum mit, weil ich einfach nicht fassen kann, was gerade passiert. Erst als ich Mitleid in Davids Blick erkenne, beginnt mein Gehirn wieder zu arbeiten. Leider bringt seine Nähe trotzdem das Kribbeln zurück, das ich gar nicht spüren will!
Wütend stecke ich mein Handy weg und verschränke die Arme vor der Brust. »Was fällt dir eigentlich ein?!«, schnauze ich ihn an – diesmal hat er es wirklich verdient. »Hatten wir nicht geklärt, dass ich nicht gerettet werden muss? Das ist immer noch so!«
»Normalerweise sagt man ›Danke‹, wenn jemand einem hilft.«
»Ich brauche keine Hilfe! Und von dir ganz bestimmt nicht!«
»Jam ... jetzt beruhig dich doch mal ...«
»Sag mir nicht, was ich tun soll!«
Sofort hebt er die Hände. Ich kann nicht sagen, ob es abwehrend oder beruhigend gemeint ist, aber es macht mich nur noch wütender.
»Hör mal ...«, beginnt er und streicht sich durch die Haare. »Ich weiß nicht, was bei dir abgeht und es geht mich vermutlich auch nichts an, aber ... dich so aufgelöst zu sehen, nachdem wir eigentlich einen netten Abend hatten, ... keine Ahnung ... das war komisch ... und es hat mich ...«
Während er stockt, öffne ich den Mund und schließe ihn wieder. Seine Worte klingen ehrlich, könnten aber auch eine Lüge sein. Trotzdem löst sich meine Wut langsam auf und zurückbleiben eine gähnende Leere und Angst. Er soll nicht nett sein – das darf er einfach nicht! Ich war echt fies zu ihm, aber er ist nett zu mir. Was soll das? Wo ist der David hin, der alles genutzt hat, um mich zu demütigen? Der nach meinen Fehlern gesucht hat, um mich zu schlagen? Wie kann es sein, dass hier vor mir ein völlig anderer Mensch steht – jemand, dessen Bild sich einfach nicht mit dem Arschloch vereinbaren lässt? Ich weiß doch, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt!
»Ich verstehe dich einfach nicht ...«, rutscht es mir heraus, und ich senke beschämt den Kopf.
»Musst du auch nicht. Manchmal verstehe ich mich selbst nicht«, sagt er mit einem leisen Lachen, das von einem sanften Brummen begleitet wird. Die Vibration seiner Stimme lässt eine Gänsehaut über meinen Körper laufen, und ich reibe hastig über meine Arme, um das Gefühl loszuwerden.
»Ist dir kalt?«
»Nein ...«
»Sicher? Es ist mitten in der Nacht und du trägst nur ein T-Shirt.«
Grummelnd schaue ich zur beleuchteten Parkuhr hinter ihm. »Warst du nicht derjenige, der gesagt hat, dass ›alles vor Mitternacht noch zum Abend gehört‹?« Es ist mir egal, dass es nur noch sieben Minuten bis dahin sind. Wenn er solche Sprüche bringt, kann ich das auch.
David lacht diesmal richtig laut und schüttelt den Kopf. »Du bist echt ein Korinthenkacker, Jam.«
Ich sehe ihn an, als wäre er gestört, während er seine Jacke auszieht und sie mir entgegenhält. Meine Augen weiten sich vor Überraschung.
»Auf keinen Fall!«, fauche ich und weiche zurück. Ich habe geduscht, um seinen Geruch loszuwerden – da will ich mich jetzt nicht in seine Jacke hüllen! Das kommt für mich überhaupt nicht infrage; lieber würde ich erfrieren. Außerdem ist mir ja gar nicht kalt!
»Und du bist die sturste Person, die ich je kennengelernt habe. Aber trotzdem mag ich dich.«
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