~32~
»Felix«, hauche ich, überwältigt von dem Sturm an Gefühlen, die in mir um die Vorherrschaft kämpfen. Am lautesten schreit der Schmerz. Es tut verdammt weh, ihn so unerwartet zu sehen – viel mehr, als ich es mir je hätte vorstellen können. Besonders schmerzhaft ist es, dass er vor mir steht, als wäre nie etwas geschehen.
Erst einen Moment später wird mir bewusst, dass ich nur in Unterwäsche dastehe. Während er langsam die Tür schließt, greife ich hastig nach einem Shirt und ziehe es über. Als er sich wieder zu mir umdreht, hebt er eine Augenbraue und mustert mich von Kopf bis Fuß.
»Kommst du gerade vom Spiel mit deiner Duschbrause oder warst du auf dem Weg dorthin?« Ein süffisantes Grinsen breitet sich auf seinen Lippen aus.
Seine Worte lassen die Wut in mir hochkochen. Ich balle die Hände zu Fäusten und strecke das Kinn herausfordernd vor. »Was willst du hier?«
»Entspann dich, Sweetie. Ich bin nur hier, um ›meinen Scheiß‹ abzuholen. Du bist mich gleich wieder los.« Er macht einen Schritt auf mich zu und ich weiche automatisch zurück.
»Und warum kannst du dich nicht vorher ankündigen?«, bringe ich mühsam hervor. Immerhin ist heute Sonntag, mein freier Tag, an dem ich normalerweise zu Hause bin. Statt zu antworten, zuckt er nur mit den Schultern und sieht mich gelangweilt an. Seine blauen Augen, die sonst in allen Farben des Meeres leuchten, wirken heute eisig.
Wir stehen einfach da und starren uns an; Minuten vergehen wie im Flug. Irgendwann gibt mein Gehirn mir einen Schubs – er ist nur hier wegen seiner Sachen. Er will nicht mit mir reden oder sich entschuldigen; es scheint ihm egal zu sein, wie sehr er mich verletzt hat. Seufzend schlucke ich den erneut aufkommenden Schmerz hinunter und schüttle den Kopf, um die Tränen zurückzuhalten, doch das ist schwieriger als gedacht.
Um zu verhindern, dass er sieht, wie sehr ich mich zusammenreißen muss, wende ich mich ab und stolpere halb ins Wohnzimmer.
Enttäuscht hebe ich den Sack an. »Hier«, murmele ich, drehe mich um und bleibe abrupt stehen. Felix ist mir gefolgt und steht so nah vor mir, dass uns nur wenige Zentimeter trennen. Wie in Zeitlupe fallen seine Sachen zu Boden.
Das Starren beginnt von vorne, denn keiner von uns bewegt sich. Der einzige Unterschied ist, dass ich jetzt meine Finger ausstrecken und ihn berühren könnte. Die Luft um uns herum scheint mit jeder Sekunde dicker zu werden.
Plötzlich rührt er sich, hebt seine Hand und nimmt mir die Brille ab. »Warum trägst du deine Kontaktlinsen nicht mehr?«
Ich schweige und sein Blick wandert von mir zu meiner Brille in seiner Hand. »Seit wann hast du eine neue Brille?«
»Seit du ein Arschloch bist«, platzt es aus mir raus.
Felix schaut langsam zurück in mein Gesicht und scheint nachzudenken. In seinen Augen blitzt etwas auf und im nächsten Moment wirft er meine Brille mit einem Schwung aufs Sofa.
»Spinnst du?«, fauche ich und schubse ihn weg. Was soll das? Er weiß doch genau, wie schlecht ich ohne sie sehe! Überfordert und genervt wende ich mich der Couch zu und streiche über die Sitzfläche, um meine Brille aufzuheben. Doch gerade als ich sie ertaste, rutscht sie mir wieder aus den Fingern, weil ich unterbrochen werde.
Mit einem Ruck zieht er mich nach hinten und dreht mich um. Felix hat einen Arm um meine Taille gelegt, während er mit der anderen Hand mein Kinn festhält. Sein Blick durchbohrt mich förmlich, aber er macht nichts weiter, als mich festzuhalten. In seinen Augen sieht es aus, als würde ein innerer Kampf toben.
»Lass los!«, zische ich und bin überrascht, als er meiner Aufforderung tatsächlich nachkommt – wenn auch nur für einen kurzen Moment. Im nächsten Augenblick legt Felix beide Hände an mein Gesicht und küsst mich einfach. Ich bin so durcheinander, dass es dauert, bis ich realisiere, was gerade passiert. Vielleicht liegt es daran, dass mein Körper eindeutig auf ihn reagiert, während mein Verstand mich fragt, wie naiv ich eigentlich bin. Bevor ich ihm jedoch sagen kann, dass er damit aufhören soll, zieht er sich zurück und lässt mich los.
»Fuck ...«, murmelt er und senkt den Blick.
»Fuck?«, echoe ich ungehalten, da meine Lippen pulsieren und es nicht aufhört. »Mehr hast du nicht zu sagen?« Ich taste nach meiner Brille, setze sie auf und blicke ihm wütend entgegen. »Oder bin ich mal wieder schuld daran, dass du die Kontrolle verlierst?«
»Jam ...«
»Leck mich!«
Als ich versuche, an ihm vorbeizugehen – schließlich kennt er den Weg zur Tür – greift er nach meinem Arm, zieht mich zurück zu sich und lässt mir keine Zeit zum Nachdenken. Diesmal ist sein Kuss fordernd. Innerhalb von Sekunden dringt seine Zunge in meinen Mund ein, und er drängt mich gegen mein Regal, während er aufstöhnt. Die Beule in seiner Hose drückt hart gegen meinen Oberschenkel.
Auch mir entweicht ein leises Stöhnen, was ihn nur noch mehr anfeuert. Mit einem Ruck zieht er mir das Shirt über den Kopf und es landet achtlos auf dem Boden. In seinem Blick sehe ich ein glühendes Verlangen aufblitzen und endlich wird mir klar, was hier vor sich geht. Schwer atmend drücke ich meine Hände gegen seine Brust, um ihn auf Abstand zu bringen.
»Hör auf damit!«, keuche ich und schaue ihm in die Augen, die sich allmählich verdunkeln. Offensichtlich will er – wie so oft – nicht mit mir reden, was mir nur die ernüchternde Bestätigung gibt. »Meinst du wirklich, du bekommst mich einfach so ins Bett? Eine schnelle Nummer und dann haust du wieder ab?«
Wie ertappt kaut er auf seiner Unterlippe, schüttelt aber sofort den Kopf. »Ich will nicht mit dir schlafen.«
»Ach so ... also wolltest du nur testen, ob du noch eine Chance hast oder was?«
»Offensichtlich hab' ich die.«
Mit einem lauten Knall landet meine Hand auf seinem Gesicht. Der Schall hallt durch mein Wohnzimmer. Wie schon vor einer Woche schüttele ich sie aus und deute empört zur Tür. »Verschwinde!«
Statt seine Sachen zu schnappen, verschränkt er die Arme vor der Brust wie ein bockiges Kind. »Hast du etwa schon jemand Neuen, der es dir besorgt?« Sein Gesicht zeigt eine Mischung aus Wut und Belustigung.
»Verpiss dich, Felix!«
»Du scheinst dich ja hervorragend an unsere Vereinbarung zu halten.«
»Bitte was?«
»Ich habe dich unten mit David gesehen.«
Mein Gesicht verliert jegliche Farbe, während mein bester Freund mir – genau wie David – eine Hand an die Wange legt und sanft mit dem Daumen darüber streicht. Bei ihm fühlt es sich jedoch ganz anders an. Fast wie eine stumme Warnung.
»Ich hab' dieser Vereinbarung nie zugestimmt!«, antworte ich mit zittriger Stimme und drehe mein Gesicht zur Seite. Fuck! Ich habe Felix' Forderung völlig ausgeblendet, weil sie für mich ohnehin keine Rolle gespielt hat.
»Aber du lässt dich gleich von ihm beschenken oder was?«
»Wie kommst du denn auf den Unsinn?« Ich spüre, wie ich rot werde, als mir die letzten Stunden in den Sinn kommen – und dass ich für die Drinks tatsächlich nichts bezahlt habe. Felix kann das jedoch unmöglich wissen.
»Die Brille.« Er versucht erneut nach ihr zu greifen.
Diesmal bin ich schneller und schlage seine Hand weg. »Die ist von Sascha, du Idiot!«
»Von Sascha? Was hast du denn mit dem zu tun?«
»Falls du es vergessen hast: Wir arbeiten zusammen! Und alles andere geht dich nichts an! Hau einfach ab!«
Leider hat es immer noch nicht die gewünschte Wirkung. Felix hebt seine Hand und reibt sich über seine inzwischen rote Wange, bleibt aber regungslos stehen.
Schnaubend stoße ich mich vom Regal ab und schiebe mich an ihm vorbei. Diesmal lässt er mich wenigstens passieren. Auf dem Weg in den Flur hebe ich mein Shirt auf und widme mich ohne ein weiteres Wort meinen Klamotten auf dem Boden. Nachdem ich mir eine Jogginghose und Unterwäsche herausgefischt habe, gehe ich zur Badezimmertür und bleibe im Rahmen stehen. Felix starrt mich an, bewegt sich aber keinen Zentimeter, was mich dazu bringt, seufzend den Kopf zu schütteln.
»Leg den Schlüssel auf den Schuhschrank, wenn du gehst«, sage ich so ruhig wie möglich, obwohl ich ihn am liebsten anschreien oder vielleicht sogar schütteln und erneut ohrfeigen würde. Irgendetwas, um meine Wut loszuwerden und ihn gleichzeitig dazu zu bringen, endlich mit mir zu reden. Aber tief in mir weiß ich, dass das nichts bringen wird.
Gerade als ich mich abwenden will, bemerke ich im Augenwinkel, wie er sich regt. Seine Hände ballen sich zu Fäusten, und seine Lippen ziehen sich zu einem schmalen Strich zusammen. »Sascha muss ja wahnsinnig gut sein!«
Zunächst bin ich fassungslos, doch dann kommt die Wut mit voller Wucht zurück. »Du bist so ein Arsch!«
»Wann sind deine anderen Kollegen dran? Mandy wird sicher nicht abgeneigt sein.«
Enttäuschung durchströmt meinen Körper. Mir ist klar, dass Felix um sich schlägt, wenn er nicht weiter weiß, aber ich hatte nicht erwartet, dass er so reagiert. Dabei hätte ich es mir denken können.
»Weißt du ...«, flüstere ich und sehe ihm fest in die Augen. »Es gibt tatsächlich Menschen, denen etwas an mir liegt. Dafür muss ich nicht mit ihnen schlafen.« Zumindest hoffe ich das. Aber das werde ich ihm nicht sagen.
»Also meinst du ernsthaft, David will dir nicht an die Wäsche? Dann bist du einfach nur dumm!«
Frustriert lache ich auf und schüttle erneut den Kopf. »Du bist doch keinen Deut besser, Felix. Du kommst wegen ›deinem Scheiß‹ her und küsst mich ungefragt. Der einzige Unterschied zwischen euch beiden ist, dass ich bei dir dachte, uns verbindet mehr als nur bedeutungsloser Sex.«
Plötzlich bewegt er sich und kommt mit großer Geschwindigkeit auf mich zu. Aus Reflex flüchte ich ins Bad und schaffe es gerade noch, die Tür zu verriegeln, als er dagegen hämmert.
»Mach auf, Jamie!«, knurrt er und rüttelt immer wieder an der Klinke.
Ich stehe einfach nur zitternd da und könnte die Tür nicht mal öffnen, wenn ich wollte. Dabei hatte ich so sehr gehofft, mit ihm zu reden. Ich wollte ihn in den Arm nehmen und ihm sagen, dass ich für ihn da bin. Mich mit ihm aussprechen und versöhnen. Doch sein Benehmen macht mir Angst. Momentan möchte ich ihn einfach nur rauswerfen und nie wiedersehen.
Von der anderen Seite höre ich ihn schnauben. Er hämmert erneut gegen die Tür, gefolgt von einem lauten Poltern. Irgendwas klirrt – als würde er etwas kaputtmachen. Mein Herz rast. Langsam gleite ich auf den Boden, ziehe die Knie an und drücke meine Hände auf die Ohren. Warum tut er mir das an? Er weiß doch genau, was sein Verhalten in mir auslöst. Tränen laufen über meine Wangen und fallen auf meine Beine. Trotzdem presse ich meine Lippen zusammen, um nicht loszuheulen. Ich muss stark sein.
Verzweifelt beginne ich zu summen, um nichts mehr zu hören. Irgendwann spüre ich ein Beben in den Wänden, als die Wohnungstür krachend ins Schloss fällt. Erleichtert lehne ich mich gegen das Holz und ziehe mich hoch, aber ich schließe nicht auf. Ich habe einfach nicht die Kraft dazu, mir anzusehen, was für ein Chaos er hinterlassen hat.
Stattdessen ziehe ich mich mechanisch aus und steige unter die Dusche. Als das Wasser meine Haut berührt, lasse ich meinen tobenden Gefühlen freien Lauf.
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