~31~
Wir sind nicht in einem Café, sondern in einer mittelgroßen Cocktailbar, die laut David sowohl eine Tanzfläche als auch einen Karaoke-Bereich bietet. Aber das interessiert mich nicht wirklich, denn ich tanze nicht und singen will ich auch nicht vor anderen. Wir sind hier nur, weil unser Stammlokal geschlossen ist und mein Begleiter diesen Schuppen kennt.
Etwas überfordert folge ich David, der sich hier drinnen so selbstsicher bewegt, als wäre er der Besitzer. Für einen späten Sonntagnachmittag ist es überraschend voll – mir persönlich sogar zu voll. Nur wenn ich auf der Seite der arbeitenden Personen stehe, stört mich das Gedränge nicht.
»Schau mal, da vorne ist etwas frei«, sagt er, drängt sich durch die Menschenmenge und verschwindet plötzlich aus meinem Blickfeld. Nervös sehe ich mich um, bis er genauso unerwartet wieder auftaucht und meine Hand nimmt. »Nicht, dass du mir noch verloren gehst«, murmelt er und zwinkert mir zu.
Während er mich mit sich zieht, fühlt es sich an, als würden meine Finger in Flammen stehen. Trotzdem lasse ich ihn nicht los, denn alleine in der Menge zu sein beunruhigt mich noch mehr.
An einer kleinen Nische bleibt er stehen, deutet auf das Sitzpolster und gibt mich endlich wieder frei. Erleichtert seufze ich auf und lasse mich darauf sinken. Er setzt sich neben mich.
»Warum ist es hier so voll?«, frage ich und blicke umher. Von meinem Platz aus habe ich einen guten Blick auf die volle Tanzfläche und die kleine Bühne. Trotzdem sind die Sitzecken recht abgeschirmt. Wenn es nicht so laut wäre, könnte man es fast als gemütlich bezeichnen.
David beugt sich zu mir herunter. »Heute ist Quizabend.«
»Quiz-was?«
»Quizabend«, wiederholt er lauter und mit einem Lachen. »Das macht echt Spaß.«
Er ist mir so nah, dass ich seinen Atem spüre und meine Lippen aufeinander presse. Plötzlich wird mir bewusst, dass ich mich zwischen ihm und der Wand befinde. Mir bleibt also keine Möglichkeit zur Flucht, sollte mir das alles zu viel werden. Verdammt!
Doch zum Glück richtet er sich wieder auf und sieht ebenfalls durch den Raum. Kurz darauf hebt er eine Hand, wodurch einen Moment später eine hübsche Kellnerin neben uns auftaucht. »Hi, David. Lang nicht gesehen. Was darf es sein?«
»Hey. Für mich eine Cola«, antwortet er freundlich und wendet sich mir zu. »Und was möchtest du?«
»Ähm ...« Überfordert versuche ich mich an die Getränkenamen zu erinnern, aber mir fällt keiner ein. Dabei arbeite ich doch mit diesen blöden Dingern! »D-das Gleiche ...«, murmele ich schließlich.
Sie hebt eine Augenbraue, nickt jedoch und eilt davon. Ich sehe ihr beschämt nach. Mein Gestammel ist einfach furchtbar!
»Du kannst auch etwas anderes trinken.«
Als ich meinen Kopf hebe, bemerke ich ein amüsiertes Funkeln in seinen Augen. Macht er sich über mich lustig?! Schnaubend wende ich den Blick ab. »Und du nicht?«
»Natürlich.« Er legt seine Arme auf den Tisch. »Aber ich dachte, ich fange erstmal klein an. Cola kommt Kaffee immerhin am nächsten.«
Langsam nicke ich, stütze mein Kinn auf meine Hände und sehe zur Bühne, wo zwei Personen gerade mit Geräten hantieren. Einer von ihnen klopft immer wieder gegen das Mikrofon und schüttelt dabei den Kopf.
»Und? Welcher Film wäre heute dran gewesen?«, fragt er plötzlich neugierig, weshalb ich zu ihm zurückblicke.
»Weiß ich nicht.« Ich zucke mit den Schultern. Ein leises Seufzen entweicht mir, denn ehrlich gesagt suche ich meistens ewig durch das Angebot und manchmal dauert das genauso lange wie der Film selbst.
»Hm ... und was lief beim letzten Mal?«
»Ähm ... das Leuchten der Stille ...«, gestehe ich und beiße mir ertappt auf die Lippe, als er leise lacht. Immerhin weiß er, dass Romantikfilme nicht mein Ding sind.
»Lass mich raten: Den hast du nicht selbst ausgesucht?«
Ich nicke erneut, reibe mir über die Arme und lasse meinen Blick wieder zur Bühne schweifen, wo inzwischen ein Typ mit auffällig geschminkten Augen und dunklen Lippen heraussticht.
Die Frage, wer den Film ausgewählt hat, macht meine Laune nicht wirklich gut, aber David scheint das nicht zu merken. »Also steht Felix auf Schnulzen?«
»Nicht direkt.« Mein bester Freund kennt einfach die Filme, die bestimmte Stimmungen hervorrufen können. Zum Glück bin ich trotzdem standhaft geblieben.
»Wo treibt der sich eigentlich rum? Letzte Woche hat man euch nur im Zweiergespann gesehen.«
»Ist bei seiner Freundin«, murmele ich. Warum sollte ich darüber lügen? Das ist ja keine Info, die geheim bleiben muss. Auch wenn es mich einiges an Überwindung kostet, es überhaupt auszusprechen.
»Moment, was?« Mein Begleiter klingt so schockiert, als würde er wissen, wie furchtbar Ivy ist. »Er hat eine Freundin? Aber ihr ...« Er unterbricht sich, als ich ihm einen bösen Blick zuwerfe. Vielleicht hat er aber auch gestoppt, weil die Kellnerin neben uns auftaucht und beide Gläser Cola abstellt. Zudem legt sie einen Zettel und einen Stift vor uns auf den Tisch.
»Danke«, sagt David, während ich das Stück Papier nehme und begutachte. Wirklich aufschlussreich ist es jedoch nicht. Die Zahlen von eins bis dreißig stehen untereinander. Daneben ist Platz zum Schreiben.
»Das ist für die Antworten«, erklärt er und schiebt den Stift zu mir. »Willst du sie notieren?«
»Meine Schrift kann keiner lesen.« Ich muss grinsen, weil es stimmt. Für eine Frau habe ich eine echte Sauklaue. Nicht umsonst beschweren sich meine Kollegen, wenn sie meinen Notizblock bekommen. Nebenbei bin ich froh, dass er das vorherige Thema einfach so fallen lassen hat. Also schiebe ich den Stift wieder zurück zu ihm.
Während ich an meiner Cola nippe, zieht er einen Strich durch die Mitte des Papiers und dreht sich anschließend zu mir. »Lass uns was spielen.«
Irritiert hebe ich eine Augenbraue. »Tun wir das nicht eh gleich?«
»Schon.« Ein Lächeln zeigt sich. »Aber wir könnten es erweitern.«
»Soll heißen?«
»Wenn die Fragen gestellt werden, geben wir beide eine Antwort und wer am Ende mehr richtig hat, ist der Gewinner.«
»Und das macht welchen Sinn?«
Wieder bemerke ich sein Grübchen, als er sich zu mir beugt. »Der Gewinner darf sich etwas wünschen«, sagt er und löst damit ein heftiges Herzklopfen in mir aus. Ich blinzele mehrmals, um seine Worte zu verarbeiten. Plötzlich schießen wilde Gedanken durch meinen Kopf, was er sich wohl wünschen würde, falls er gewinnen sollte.
»Nein«, antworte ich bestimmt und schüttele energisch den Kopf. Das geht einfach nicht. Die Möglichkeiten sind zu vielfältig!
»Was schlägst du stattdessen vor?«
Nach einem Moment des Überlegens fällt mir etwas ein. »Der Verlierer könnte die Getränke zahlen?«
David lacht und lehnt sich zurück, während er sich durch die Haare fährt. »Wie langweilig.«
»Besonnen«, korrigiere ich ihn.
»Nur ein anderes Wort für vorsichtig. Du hast also Angst davor zu verlieren.«
»Habe ich nicht«, fauche ich und drehe mich ihm entschlossen entgegen. Unsere Blicke treffen sich und ich sehe wieder ein amüsiertes Funkeln in seinen Augen; eine stumme Herausforderung. Zum Glück bin ich es gewohnt, solchen Spielchen nicht nachzugeben, obwohl es mir gerade schwerfällt.
»Wirklich nicht?«, fragt er und lehnt sich noch näher an mich heran, sodass ich seine Wärme spüre. Statt zu antworten, schüttele ich wiederholt den Kopf und bleibe ansonsten regungslos sitzen.
Plötzlich unterbricht eine Durchsage den Moment: »Liebe Gäste, bitte räumen Sie die Tanzfläche für die Stehtische.« Der Ausruf und das darauf folgende geschäftige Treiben lösen mich aus meiner Starre. Schnell senke ich meinen Kopf, werde aber dennoch ungewollt rot. Was war das gerade? Sein Blick hat mich regelrecht gefesselt! Mein Herz rast in einem Tempo, das definitiv nicht gesund ist, und bestätigt meinen totalen Kontrollverlust.
»Okay, Deal«, sagt er plötzlich. Verwirrt schaue ich auf. David, der sich wieder gerade hingesetzt hat, richtet seine Aufmerksamkeit auf die Bühne. »Der Verlierer zahlt.«
Obwohl ich erleichtert bin, dass er eingewilligt hat, durchströmt mich irgendwie auch eine gewisse Art von Ärger. Ich ärgere mich darüber, dass ich so feige bin, dass er mich durchschaut hat und auch, dass ich meine Meinung nicht doch geändert habe. So ein blöder Mist!
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Einige Stunden später bin ich keinen Cent ärmer, obwohl ich gnadenlos verloren habe. David hatte auf jede Frage die richtige Antwort parat und sich so den Hauptgewinn gesichert: den kompletten Abend lang freies Trinken.
Die Bar hat Glück, dass wir außer einem ›Gin Tonic‹ und zwei ›Sex on the Beach‹ nichts weiter bestellt haben. Und nach dem Spiel haben wir uns auf den Weg gemacht, da er morgen arbeiten muss. Wie es allerdings dazu gekommen ist, dass ich mich von ihm nach Hause begleiten lasse, weiß ich auch nicht.
Zumindest ist die Abendluft angenehm warm und ich fühle mich erheitert, leicht und frei. Mit einem Grinsen beobachte ich die Sterne und balanciere auf dem Randstein.
»Hey, Jam. Da du ja keinen Nachteil hattest, was passiert stattdessen?« David lacht leise, während er neben mir geht und mich beobachtet. Vermutlich amüsiert er sich über mein kindisches Verhalten.
»Nichts. Ich kann ja nichts für die Saufflatrate.« Ein Kichern entweicht meiner Kehle, dann rutsche ich ab ... und falle doch nicht hin.
»Okay ... Ich sollte mir merken, dass du nichts verträgst.« Irritiert sehe ich auf seine Hand, die meinen Oberarm umschließt und mich erneut vor einem Sturz bewahrt hat. Sofort spüre ich ein angenehmes Kribbeln, das mich vollkommen verwirrt.
»Nur ... keine ... Cocktails ...«, flüstere ich überfordert, sehe zu ihm hoch und schlucke. In meinem benebelten Zustand wirkt er irgendwie attraktiv. Nicht, dass mir das nicht sowieso klar wäre, aber nüchtern lässt sich das viel leichter ausblenden.
»Ahhh ... das verstehe ich natürlich. Wo arbeitest du nochmal?«
»Jaja, mach dich ruhig über mich lustig ...«, antworte ich beleidigt und blase meine Wangen auf, was ihn zum Lachen bringt und bei mir ungewollte Gänsehaut auslöst.
Fuck! Ich sollte alles vermeiden, was ihn freundlicher erscheinen lässt, auch das Lachen! Aber das ist leichter gesagt als getan. Besonders als er langsam seine Hand an meinem Arm heruntergleiten lässt und meine Finger mit den seinen umschließt.
»Nur zur Sicherheit«, murmelt er. »Damit du nicht doch hinfällst.«
Bevor ich etwas erwidern kann, setzt er sich in Bewegung und zwingt mich so, ihm zu folgen. Das Kribbeln verstärkt sich und ich beginne zu zittern. Warum ist er nur so warm? Was soll das? Es darf sich nicht gut anfühlen! Er ist ein Arsch! Egal wie er mit seinem Sohn umgeht, zu mir ist er nie nett gewesen. Warum sollte er jetzt damit anfangen?
Meine Gedanken drehen sich im Kreis, malen lebhafte Szenarien aus und lassen sie dann wieder verblassen. Schließlich bin ich so durcheinander, dass ich aufgebe und mich einfach von ihm führen lasse.
Irgendwann bleibt er stehen. »Da wären wir.« Er deutet auf eine Tür, während ich verwirrt die Fassade des Hauses betrachte, in dem ich lebe. Warum sind wir schon hier? Verdammt! Ich muss jetzt etwas sagen, oder? Etwas Nettes, richtig? Warum ist mein Kopf immer noch im Leerlauf?
Als er mich dann auch noch anlächelt, werden meine Knie auf einmal zu Wackelpudding. Mist! Wenn ich jetzt in seine Arme sinke, werde ich mich morgen vergraben!
»D-danke, dass du mich hergebracht hast«, würge ich hervor und atme tief ein. »Auch wenn das nicht nötig gewesen wäre ...«
»Natürlich nicht. Deine Künste im Geradeauslaufen sind überaus beeindruckend.« Sein Lächeln wird breiter und lässt mich grummelnd die Arme vor der Brust verschränken.
»Schönen Dank auch«, murmele ich und schnaube, woraufhin er lachend den Kopf schüttelt. Wenn das nicht so charmant klingen würde, hätte ich ihm längst die Tür vor der Nase zugeschlagen. Zumindest glaube ich das.
»Ach, Jam«, sagt er und bewegt seinen Arm. Dann passiert es: Seine Hand liegt sanft an meiner Wange. »Es ist wirklich süß, wie du mich gerade ansiehst.«
Während eine Seite in mir sich am liebsten an ihn lehnen würde, schreit die andere so laut, dass die Warnsignale mich endlich wachrütteln. Meine Haut kribbelt intensiv, als würden Ameisen darin wohnen, und mein Herz pocht derart heftig gegen meine Rippen, dass ich mich beherrschen muss, um nicht zu keuchen.
Nervös trete ich einen Schritt zurück und spüre sofort die Haustür im Rücken. Davids Blick verändert sich augenblicklich. »Entschuldige bitte ...«
»Sch-schon gut ...«, flüstere ich, obwohl ich mich am liebsten vor ihm verstecken würde. Es ist, als wäre nie Alkohol in meinem Blut gewesen.
»Nein, es ... ich hätte dich nicht ungefragt berühren sollen.«
Darauf erwidere ich nichts, denn viel schlimmer ist, dass mir all das nicht komplett unangenehm ist. Und am schlimmsten ist, dass ein winziger Teil von mir eine Wiederholung fordert.
»Ich muss ...« Verwirrt deute ich hinter mich, während ich versuche zu lächeln. »Danke für den ... ähm ...« Mir wird schlagartig bewusst, wie viel Zeit wir heute zusammen verbracht haben.
»... Den schönen Tag?«, beendet er meinen Satz. »Ich muss eher dir danken.«
In mir regt sich Widerstand. Warum ist er nur so unglaublich freundlich? Was will er damit erreichen? Wie schafft er es, so undurchschaubar zu sein? Aber das spielt jetzt keine Rolle. Ich muss einfach gehen.
In dem Moment, als ich mich abwenden will, räuspert er sich. »Würdest du mir vielleicht einen Gefallen tun? Immerhin musstest du ja nichts zahlen.«
»Einen Gefallen?« Ich bereite mich schon auf die absurdesten Forderungen vor. Doch dann zieht er sein Handy aus der Hosentasche und hält es entsperrt hin.
»Gib mir bitte deine Nummer.«
»Wozu?«
»Falls DJ mal wieder mit dir rutschen möchte«, folgt seine prompte Antwort, begleitet von einem Zwinkern.
Da ich mich nicht bewege, kommt er einen Schritt näher, was den Abstand wieder verringert und meine Wange erneut heiß werden lässt. Schnell – um keine Dummheiten zu machen – nehme ich ihm das Smartphone aus der Hand und tippe meine Nummer ein.
»Danke«, sagt er mit einem breiten Lächeln. »Und jetzt wünsche ich dir eine gute Nacht.«
»Gute Nacht, David«, antworte ich leise und halte den Atem an, in der Hoffnung, dass mein Herz sich beruhigt. Doch erst als er um die Ecke verschwindet, wird es langsamer.
Zitternd öffne ich die Haustür und stehe überfordert im Flur. Mein Blick wandert über die kahlen Wände und die Briefkästen zum Aufzug. Heute bin ich froh, dass er nicht funktioniert, denn so kann ich zumindest versuchen, meine Gedanken zu sortieren, bis ich oben ankomme.
Nachdem ich endlich in meiner Wohnung bin, lehne ich mich erschöpft gegen die Tür und lasse meinen Blick über meinen Körper gleiten. Der Geruch von David hängt noch immer in der Luft, haftet an meinen Kleidern, meinen Haaren ... sogar an meiner Haut!
Entschlossen mache ich mich auf den Weg zum Badezimmer und ziehe mich bis auf die Unterwäsche aus. Erst dann fällt mir ein, dass ich vergessen habe, frische Kleidung herauszusuchen. Also kehre ich zurück in den Flur, trete an meinen Schrank heran und beginne darin zu kramen. Ich suche nach etwas Bequemem, doch mein Chaos erschwert es mir, passende Kleidungsstücke zu finden. Frustriert ziehe ich einige Stapel aus dem Schrank und lege sie auf den Boden. Ich bin so vertieft meine Suche, dass ich erst realisiere, was geschieht, als plötzlich die Wohnungstür aufschwingt.
Fassungslos hebe ich den Blick und stehe niemand Geringerem, als meinem besten Freund gegenüber.
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