~28~
Als ich meine Wohnung betrete, fühlt es sich an, als würde mich ein Schlag treffen. Die Gefühle, die in den letzten Stunden durch meine permanente Ablenkung weit weg gewesen sind, brechen nun aus mir heraus. Der Schmerz, den ich im Park empfunden habe, war nur ein Bruchteil dessen, was jetzt in mir wütet. Wie ein ausgehungertes Tier klammert er sich an mir fest und zerreißt mich von innen.
Langsam schließe ich die Haustür hinter mir, ziehe meine Schuhe aus und bleibe dennoch im Flur stehen. Der Geruch nach Felix liegt schwer in der Luft und lässt mich kaum atmen.
Fuck! Warum tut es so weh? Erneut höre ich seine hasserfüllten Worte und sehe seinen eiskalten Blick vor mir. Sein Verhalten ist mir so fremd gewesen ... und plötzlich macht sich ein anderes Gefühl in mir breit: Wut.
Ich bin verdammt wütend! Wütend auf Felix, der mich wie Abfall behandelt hat, der mich benutzt und weggeworfen hat. Wütend auf Ivy, weil sie es irgendwie geschafft hat, ihn umzustimmen. Ich bin sicher, dass sie etwas gegen ihn in der Hand hat! Aber vor allem bin ich wütend auf mich selbst. Ich hätte standhafter sein sollen. Ich hätte mich nicht von seinen Worten beeinflussen lassen dürfen. Ich hätte ...
Enttäuscht stoße ich mich von der Tür ab. All diese Gedanken bringen nichts. Egal, was Ivy gesagt haben mag, es war Felix, der mich verletzt hat.
Wie im Rausch gehe ich in die Küche und hole mir einen großen Sack. Anschließend stopfe ich alles rein, was ich von meinem besten Freund finde – egal was: Klamotten, Duschgel, Zahnbürste, Schmuck, Kopfhörer. Unglaublich! Wie kann man in einer Woche so viel Gerümpel anschleppen?
Mit jedem Teil, das hineinwandert, fühle ich mich gleichzeitig besser und schlechter. Ich will Felix nicht aus meinem Leben streichen. Eigentlich will ich ihm helfen. Doch das, was er gesagt hat, lodert in mir und breitet sich aus. Wird er mich erneut beschimpfen, wenn wir uns wiedersehen? Oder wird er mich behandeln wie Luft? Mich nicht beachten, weil ich ihn ›krank mache‹? Vielleicht sollte ich ihn auch einfach in Ruhe lassen; immerhin hat er seine Entscheidung getroffen. Zudem muss er sich bald um ein Kind kümmern – die Verantwortung übernehmen für ein weiteres Lebewesen.
Unsicher lasse ich mich auf die Couch sinken und betrachte den Beutel in meiner Hand. Was soll ich nur tun? Welcher ist der richtige Weg? Dass Felix unglücklich in seiner Beziehung ist, ist offensichtlich. Aber wie hilft man jemandem, der sich augenscheinlich nicht helfen lassen will? Ich kann ihn schlecht vor seiner Arbeit abpassen und ihm dort eine Szene machen. Das wäre wirklich unangenehm und total idiotisch.
Plötzlich kommt mir eine Idee: Ich hole mein Handy hervor, mache ein Bild von dem Sack und schicke es ihm mit den Worten ›Hol deinen Scheiß ab!‹. Und trotz allem keimt in mir die leise Hoffnung, dass er diese Worte mit Absicht benutzt hat, um mich fernzuhalten – weil er sich, ganz Felix eben, nicht anders zu helfen wusste und es ein versteckter Hilferuf gewesen ist. Nur was mache ich, wenn es nicht stimmt?
Im Grunde ändert es nichts daran, dass er seine Sachen abholen soll. Die Angst in mir ist dennoch stark bei allem, was passieren könnte. Das Gefühl zu haben, ihn vollends zu verlieren, ist wie ein Stück von mir selbst rausreißen zu lassen. Das ist doch verrückt!
Seufzend lege ich mein Handy auf den Couchtisch, lasse mich nach hinten fallen und kuschele mich in seine Decke. Dann schließe ich die Augen und tue, eingehüllt in seinen Geruch, zumindest für den Moment so, als wäre das alles nicht passiert.
~~~~~
»Ich bin dann weg!«
Anna winkt uns fröhlich zu, bevor sie durch die Tür nach draußen verschwindet. Hoffentlich kommt sie sicher mit ihrem Roller nach Hause, ohne einen Unfall zu bauen. In den letzten zwei Stunden hat sie so oft gegähnt, dass ich besorgt gewesen bin, sie könnte jeden Moment umkippen und einfach liegen bleiben. Dabei kann ich sie gut verstehen, denn mir geht es nicht anders.
Die gewohnte Ruhe in meiner Wohnung fühlt sich plötzlich erdrückend an. Erholung und guter Schlaf sind Mangelware. Und zu allem Überfluss hat Felix sich noch nicht einmal gemeldet. Scheint, als wären ihm seine Sachen egal oder er will mich einfach nicht sehen.
»Soll ich dich nach Hause bringen, Pchela?«, fragt Sascha, der plötzlich hinter mir steht und mir sanft auf die Schulter klopft, während er mich anlächelt.
»Nein, danke«, erwidere ich leise, lächle zurück und deute auf Kim und Mandy, die am anderen Ende des Raumes dabei sind, die Stühle hochzustellen. »Heute ist das Mädelsfrühstück.«
Sein Grinsen wird breiter. »Stimmt ja! Schön, dass du dich darauf einlässt.«
»Ich hatte nicht wirklich eine Wahl ...« Sofort beiße ich mir auf die Lippe, obwohl meine Worte wahr sind. Kim würde mir den Kopf abreißen, sollte ich kneifen. Andererseits, warum auch immer, sind die drei auf einmal anders zu mir. Netter irgendwie. Vielleicht bilde ich mir das aber auch ein und es liegt an mir selbst.
Vero hingegen macht uns jede Schicht zur Hölle. Als Sascha mich am Mittwoch zu Schichtbeginn einfach umarmt hat, ist sie sichtlich angepisst gewesen. Das ist zwar meiner Meinung nach fragwürdig, weil ›sie ihn‹ zurückgewiesen hat, aber ich halte mich da raus.
Kim kommt auf uns zugehüpft. »Beleit?«, fragt sie und mustert Saschas Hand mit erhobener Augenbraue. Auch ihr und Mandy ist das veränderte Verhalten zwischen Sascha und mir nicht entgangen, aber bisher haben sie dazu nichts gesagt und es einfach akzeptiert.
»Jap«, antworte ich und muss schmunzeln, als sich die kleine Japanerin besitzergreifend an meinen Arm schmiegt.
Mandy gesellt sich ebenfalls zu uns und reibt sich die Hände. »Ich glaube, ich werde krank«, murmelt sie, streicht über ihre Arme und blickt zerknirscht zu uns allen.
Sascha lacht leise. »Pass auf, dass Piet das nicht hört.« Sofort zeigt der Rotschopf ihm den Mittelfinger und verdreht die Augen. Die Stimmung zwischen ihnen hat sich zwar gebessert, gut ist sie allerdings noch nicht wieder.
Kim ergreift schnell auch Mandys Arm. »Solly, Sascha. Abel, wil müssen los und sonst kommen die beiden ja nicht mit!« Vermutlich will sie damit eine erneute Zickerei zwischen den beiden verhindern.
Er hat es scheinbar geschnallt und nimmt es gelassen. »Geht klar, Kim. Ich wünsche euch viel Spaß.«
Es bleibt keine Zeit für weitere Abschiede, denn wir werden unerbittlich von der Japanerin nach oben und durch die Tür gezogen. Kaum sind wir draußen, lässt sie uns los. »Das Café ist übligens nicht weit von hiel.«
»Und die haben echt guten Kaffee«, setzt Mandy nach, gähnt und streckt ihre Arme über den Kopf.
»Den habe ich wirklich bitter nötig.« Erschöpft reibe ich mir über die Augen.
»Du siehst seit ein paar Tagen auch echt müde aus.«
»Bin ich auch. Ist irgendwie ein bisschen chaotisch gewesen ...«
Mandy und Kim nicken einfach, ohne etwas zu sagen. Was sollten sie auch? Immerhin habe ich nichts verraten. Nur Sascha hat mein Desaster live miterlebt und schweigt wie ein Grab, was ich ihm hoch anrechne.
Während wir den Park durchqueren, muss ich unweigerlich an David denken. Seit unserem letzten Treffen haben wir uns nicht mehr gesehen, und das ist mir ganz recht so. Auch, dass er seitdem nicht mehr in der Bar aufgetaucht ist, stört mich kein bisschen. Doch gerade deshalb ärgert es mich, dass er jetzt in meinen Gedanken rumspukt. Noch schockierter bin ich jedoch, als mir klar wird, welches Café wir ansteuern.
»Hier seid ihr jeden Samstag?«, frage ich kleinlaut, nachdem Mandy schwungvoll die Tür aufgezogen hat. Das kann doch nicht sein. Statt einer Antwort legt Kim sanft ihre Hände auf meinen Rücken und schiebt mich ins Innere.
Der Typ hinter dem Tresen ist derselbe wie am Mittwoch und grinst mir entgegen. Oder es gilt meinen Kolleginnen, sie sind schließlich die Stammgäste. Gemeinsam steuern sie einen Tisch am Ende des Raumes an, und ich folge ihnen schweigend, während ich mich diesmal genauer umsehe.
Das Café ist eingerichtet wie viele andere auch. Tische stehen in symmetrischem Abstand zueinander, mit passenden Stühlen. Doch besonders auffällig sind die massiven vier Säulen, die dem Raum eine besondere Atmosphäre verleihen. Seltsam, dass mir das vorher nicht aufgefallen ist.
Kaum haben wir Platz genommen, steht die Bedienung schon neben uns. »Guten Morgen, die Damen.« Er zwinkert uns zu. »Wie immer?« Meine Kolleginnen lächeln breit und nicken, wodurch er sich mir zuwendet. »Und du? Latte Macchiato?«
»Ähm, ja ... danke.«
»Willst du nichts essen, Jam?«
»Jam? Wie das englische Wort für Marmelade?« Der Typ vor unserer Nase lacht leise und schüttelt dabei den Kopf.
Beleidigt ziehe ich eine Schnute. »Was ist daran so witzig? Wie heißt du denn?«
»Jamie.« Er streicht sich durch die Haare und bekommt zum Glück nicht mit, dass ich zusammengezuckt bin. »Was auch nicht besser ist, ich weiß. Immerhin ist der Name geschlechterneutral.«
»Schön ist er trotzdem«, meint Mandy schulterzuckend, legt anschließend ihren Kopf auf den Tisch und seufzt leise. Sie sieht wirklich fertig aus. Ich bin allerdings einfach nur froh, dass niemand meine Gesichtsentgleisung bemerkt hat.
»Jam?«
»Ja?« Irritiert sehe ich zu Kim, die mich angesprochen hat.
»Du willst wilklich nichts essen?«
»Erst mal nicht.«
Sie zuckt ebenfalls mit den Schultern und grinst dann plötzlich. »Mehl fül mich.«
»Puh, da würde ich echt aufpassen. Kimi kann superviel verdrücken.«
Auch ›Jamie‹ bestätigt das durch ein heftiges Nicken, was dazu führt, dass die kleine Japanerin laut schnaubt und wir alle lachen müssen. Gerade noch rechtzeitig verlässt er uns und entgeht so ihrem Todesblick. Stattdessen fällt dieser auf mich und ich senke den Kopf.
Kims Blick macht mich immer nervös, besonders weil ich ihnen so viel verschweige. Vielleicht sollte ich also einfach sagen, wie ich wirklich heiße? Aber ist das wichtig? Bin nur ich es, die sich darüber Gedanken macht? Andererseits bin ich erleichtert, dass niemand es weiß, denn so kann sich auch keiner verplappern.
Als Jamie kurz darauf unsere Kaffees bringt, erwacht Mandy langsam wieder zum Leben. Sie setzt sich aufrecht hin und nimmt einen großen Schluck, bei dem sie sich prompt verbrennt und verschluckt. Während sie hustet, klopfe ich ihr beruhigend auf den Rücken.
»Ganz ehrlich, Jam«, nuschelt sie zwischen zwei Hustern. »Wieso fühle ich mich so, wie du aussiehst?«
»Wow ... das war wahnsinnig charmant von dir«, antworte ich und klopfe etwas fester. Kim lacht nur über uns beide und schüttelt ihre dunkle Mähne.
»Was genau studierst du eigentlich?«, will ich von dem Rotschopf wissen, um das Thema ein wenig von meinen Problemen wegzulenken.
»Gesundheits- und Sozialmanagement ... und eigentlich liebe ich es ...« Wieder zucke ich wegen des Wortes zusammen, während sie erneut theatralisch seufzt, jedoch nicht weiter spricht.
»Aber?«, hake ich deshalb nach, woraufhin sie sich die Haare rauft.
Kim kichert abermals. »Momentan sind sie im Beleich BWL untelwegs. Das liegt Mandy nicht wilklich.«
»Dabei könnte ich dir helfen, wenn du magst.«
Augenblicklich hebt meine Kollegin ihren Kopf und sieht mich fast flehentlich an. »Wirklich?«
»Ja, klar. Das hab' ich immerhin studiert.«
»Moment!«, rufen beide wie aus einem Mund und sehen mich an, als hätte ich ihnen gerade gesagt, dass ich ein Alien von einem fernen Planeten bin.
»Du hast studiert?«, fragt Mandy.
»Komplett feltig?«, will Kim wissen.
»Wieso arbeitest du dann nachts in einer Bar?«
»Macht mal langsam«, antworte ich und muss ein Lachen unterdrücken. »Also ... Ja, ja und weil's Spaß macht.«
»Aber ...«, setzt Mandy an, verstummt allerdings, weil Jamie einen Korb mit Brötchen und eine große Platte mit Auflage bei uns abstellt.
Während die Mädels sich sofort wie ausgehungerte Tiere auf das Essen stürzen, sehe ich ein wenig schockiert über den gefüllten Tisch. »Das bestellt ihr jeden Samstag?!«
»Joa und das meiste davon verdrückt Kimi.«
»Hey!«
»Ist doch wahr.«
Grinsend schüttele ich den Kopf und betrachte meine beiden Kolleginnen. Sie sind ein bisschen verrückt, superlaut, manchmal anstrengend und irgendwie komisch und trotzdem bin ich einfach nur glücklich, mit ihnen hier zu sein.
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