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Kapitel Zwei
Ich hatte Glück, und so verlief die Fahrt schweigend.
Eine Stunde zog sich die Fahrt bis wir vom Highway herunterfuhren und auf eine ruhige Straße wechselten, an die vereinzelt Häuser grenzten. Ansonsten sah man nur Feld und Waldabschnitte.
Die Fahrerin bog abermals ab und dieses mal befanden wir uns auf einer schmalen gepflasterten Straße.
Neugierig setzte ich mich auf und blickte aus dem Fenster. Um uns herum sah man nichts als Wald, doch nach wenigen Minuten wurde das Dickicht immer durchlässiger bis wir schließlich auf einem großen Gelände ankamen.
Rund um uns herum befand grüne Wiese, die gepflegter nicht hätte sein können, doch was eigentlich meine Aufmerksamkeit auffing, war ein riesiges und unfassbar alt aussehendes Gebäude aus rotem Backstein.
Davor lag ein edler Brunnen aus weißem Mamor, der friedlich in der Sonne vor sich hin plätscherte und von einem Schotterweg umringt war, auf dem der Wagen schließlich zum stehen kam.
Ich war so baff vom Anblick des Internats, dass ich überhaupt nicht mitbekam, wie die Fahrerin meine Koffer entlud und mir die Tür öffnete.
„Hey, willst du im Auto übernachten oder auch mal aussteigen?", fragte sie grießgrämig und riss mich somit wieder zurück in die Realität.
„Doch, klar. Sorry"
Schnell stieg ich aus und ehe ich mich versah, fuhr der weiße Van wieder zurück.
Im selben Moment öffneten sich hinter mir die großen dunkeln Eingangstüren und eine große schlanke Frau und ein älterer Mann kamen hinaus und liefen direkt auf mich zu.
„Hallo, du musst Avery sein! Ich bin Mrs. Blank, die Direktorin des Internats.", rief die Frau freudig aus und schüttelte mir eifrig die Hand. „Komm mit rein in mein Büro, du brauchst ja noch deine ganzen Unterlagen"
Sie wies mir an ihr zu folgen und lief rasch wieder zurück ans Gebäude.
Überrascht lief ich ihr hinterher, vorbei an dem Mann, der meine Koffer nahm und diese wegzog.
Wir gingen durch das Schulgebäude, bogen drei mal ab und stiegen eine Treppe hinauf.
Oh man, und hier sollte ich mich zukünftig zurechtfinden.
Sie hetzte weitere fünf Minuten weiter durch die alten Flure, bis wir schließlich an ihrem Büro ankamen, an dessen Tür dick das Wort Direktor eingraviert war.
„So, setz dich. Du musst bestimmt völlig fertig vom Flug sein. Ich hoffe du wirst deinen Jetlag schnell los", scherzte sie.
Ich lachte und merkte tatsächlich, wie müde ich eigentlich war.
„Nun gut, zu den wichtigen Sachen, bevor ich dich in dein Zimmer entlasse" Sie setzte sich eine Brille auf die Nase. „Deine Eltern haben mir erzählt, dass du das erste Mal auf einem Internat bist und auch weshalb. Ich möchte, dass du weißt, dass solche Aktionen an der Whitgift School auf absolute Intoleranz stoßen und mit entsprechenden Konsequenzen bestraft werden. Und damit meine ich nicht, dass du einfach der Schule verwiesen werden würdest."
Ihr plötzlich so strenger Ton ließ mich tatsächlich schlucken.
Ich nickte bloß gehorsam und sah meine Vorstellung durch einen Rauswurf wieder nach Hause zu kommen vor meinen Augen zu Staub zerfallen.
Mann, auf was für eine Militärsschule hatten meine Eltern mich bitteschön geschickt? Das hörte sich ja an als würde es hier die private Todestrafe geben.
„Schön, das bloß vorab. Die restlichen Regeln wirst du auf deinem Zimmer finden. Also, nun zu deinen Sachen. Hier hast du deinen Stundenplan; wie du siehst beginnt die erste Stunde um Punkt Acht Uhr. Bis um 15 Uhr haben alle Unterricht, mit zwei kleinen Pausen und einer großen Mittagspause dazwischen. Um 17 Uhr beginnt das Training für die verschiedenen Sportclubs der Schule – oh da fällt mir ein! Hier sind die entsprechenden Formulare, falls du Interesse an einem haben solltest"
Sie drückte mir einen Stapel Papiere in die Hand.
„Ansonsten gibt es hier auch andere Clubs, wie zum Beispiel Erweiterte Kunst oder auch Jugend Debattiert. Die Zettel dafür sind auch irgendwo in dem Stapel. Hm, ja ansonsten hast du hier deinen Schülerausweiß und die Zimmerschlüssel. Bei Verlust bitte sofort melden."
Sie überlegte kurz, ob sie noch etwas zu sagen hatte.
„Ja, ich glaube das war's. Deine Schulbücher sind alle bereits auf deinem Zimmer. Ach ja! Du wirst nicht alleine wohnen, sondern eine Mitbewohnerin haben. Ihr Name ist Madison Harper. Keine Sorge, ich bin mir sicher ihr werdet euch hervorragend verstehen. Gut. Dann komm mit, ich zeig dir wo dein Zimmer ist."
Völlig überwältigt von dem Wortschwall, den sie gerade von sich gegeben hatte, war ich nicht zu mehr fähig gewesen als zwischendurch immer „okay" oder „hm" zu sagen.
Ich folgte ihr wieder zurück auf die Flure, wo uns dieses Mal vereinzelt neugierig schauende Schüler an uns vorbei liefen.
Ich merkte, wie ich mich immer unwohler unter all den Blicken fühlte. Ich hasste es, die Neue irgendwo zu sein. Und noch dazu überhaupt keinen Anschluss zu irgendwem zu haben. Meine einzige Hoffnung bestand darin, dass diese Madison Harper und ich uns tatsächlich so gut verstehen würden, wie Mrs. Blank es mir prophezeit hatte.
Wir kamen an großen schweren Holztüren an, die denen beim Eingang ähnelte, jedoch schien sie nicht dieselbe zu sein. Und beim öffnen der Türen begriff ich, dass die Schule zwei Eingänge hatte, denn wir befanden uns allem Anschein nach hinter der Schule.
Vor mir sah ich statt dem schönen Brunnen und der wahnsinnig grünen Wiese einige Gehwege. Vier davon führten zu identisch aussehenden modernen Gebäuden, die nicht so ganz ins Bild der mediterran edlen Schule passen wollten.
Ein anderer Weg führte zu einem riesigen Gebäude, das halb aus Beton und halb aus Panoramagläsern bestand.
„Das hier sind die Wohnanlagen", erklärte die Direktorin und zeigte auf die drei gleich aussenden Gebäude. „Das da hinten ist die Turnhalle, an die die Schwimmhalle angrenzt. Und da hinten -", sie zeigte nach links, „sind die überdachten Außenanlagen, wie zum Beispiel für die Tennisspieler"
„Das ist ja unglaublich", sagte ich, völlig erstaunt über die Größe des Grundstücks.
Die vielen Möglichkeiten, die diese Schule bot, machte die anscheinende Strenge über die Regeln fast wieder wett. Aber halt auch nur fast.
Wir liefen weiter zu einem der Wohngebäude, vor dem sie stehen blieb.
„So, ab hier überlasse ich dich dir selbst" Mrs. Blank lächelte und drückte mir die Schlüssel in die Hand. „Dein Zimmer ist B/103, aber das steht auch auf dem Schlüsselanhänger. Nun, Avery, es freut mich dich offiziell an der Whitgift School willkommen zu heißen!"
Ich rang mir ein Lächeln ab. So freundlich ihre Worte auch gemeint waren, mir rutschte von Minute zu Minute das Herz immer weiter in die Hose.
Denn je mehr Zeit verging, umso klarer wurde mir, dass es jetzt so weit war.
Ich war alleine in England.
Auf einem Internat.
Ohne jegliche Freunde.
Schlimmer ging's echt nicht.
Die Direktorin drückte nochmal aufmuntern meinen Arm und ging.
Ich atmete tief durch und öffnete mit mulmigen Gefühl im Bauch die eiserne Tür.
Ich stand in einem Treppenhaus, das ebenso weiß bestrichen war die die Außenwände und mich vom Stil an eine Jugendherberge erinnerte.
Rechts und links von mir erstreckten sich lange Flure, alle paar Meter eine neue Zimmertür. An jedem Ende des Ganges führten Treppen hinauf in die anderen Stockwerke. Es gab sogar einen Keller.
Hoffentlich gab es aber keine Gemeinschaftsbäder.
„Also schön", sagte ich zu mir selbst, „wo zur Hölle ist mein Zimmer?"
Ich entdeckte, dass über mir eine Ausschilderung hing:
80-100 im EG
101-120 im 1. OG
121-140 im 2. OG
141-160 im 3. OG
Ein Glück lag mein Zimmer im ersten Stockwerk. Oh man, die armen Schweine die jeden Tag mehrmals drei Stockwerke hoch und runter laufen mussten.
Ich lief zum Ende des Flures und stieg die Treppen hinauf.
Vor dem Eingang zu meinem Zimmer entdecke ich meine Koffer, die ich in all der Aufregung vollkommen vergessen hatte. Der Mann, der gemeinsam mit Mrs. Blank aus dem Gebäude gekommen war, muss sie hergebracht haben.
Ich blieb vor der Tür stehen, denn mir fiel ein, dass meine Mitbewohnerin sich vermutlich in dem Zimmer befand, wenn sie nicht an irgendeinem Club angehörte, das gerade stattfand.
Hoffentlich war sie tatsächlich so nett wie es bei Mrs. Banks geschienen hatte.
Ohje, am Ende würden wir uns überhaupt nicht verstehen und sie war total zickig. Oder noch schlimmer, sie würde mich für total zickig halten.
Ich schluckte und schloss die Tür auf, ehe ich es mir anders überlegen konnte.
Wie ein Pflaster; schnell und schmerzlos.
Mir lag bereits ein „Hi, du musst Madison sein! Ich bin Avery, schön dich kennenzulernen!" auf den Lippen, doch das Zimmer war leer.
Gott sei Dank.
Stattdessen sah ich in ein großes, komplett weiß eingerichtetes Zimmer.
Ich zog meine Koffer hinter mir her und schloss die Tür.
Links von mir lag eine weitere Tür, die zu einem kleinen Bad führte, rechts hing ein großer Spiegel an der Wand.
Vor mir standen jeweils rechts und links weiße Betten in den Ecken des Zimmers, über ihnen ein großes Fenster, das viel Sonnenlicht hineinließ, am Fuße der Betten standen zwei identische Schränke und an diese wiederum standen zwei Schreibtische. In der Mitte lag ein dicker grauer Teppich auf dem Fußboden.
Die beiden Zimmerhälften wirkten so gesehen wie Spiegelbilder zueinander, mit dem großen Unterschied, dass die rechte Seite bewohnt wirkte.
Auf dem Schreibtisch lagen Collegeblöcke und Zettel herum, das integrierte Regal platzte fast vor Büchern und Ordnern, doch das auffälligste war, dass die Wand über dem Bett mit einer langen Lichterkette verziert war, an der zahlreiche Bilder aufgehängt wurden.
Die leere Seite dagegen wirkte dagegen völlig verlassen. Das würde dann wohl meine Zimmerhälfte sein.
Ich setzte mich aufs Bett, das, genau wie das andere, mit dunkler lilafarbener Bettwäsche bezogen war und entdeckte auf dem Kopfkissen ein laminiertes Blatt mit den Haus- und Schulregeln.
Nach kurzem Überfliegen legte ich das allerdings wieder zur Seite und machte mich ans Auspacken. Nachdem ich den Schrank befüllt hatte, legte ich meine Badutensilien in einer kleinen Tasche ins Bad und legte meinen Laptop auf den Schreibtisch.
Wieder auf dem Bett sitzend, starrte ich die gegenüberliegende Wand an. Genauer gesagt, die ganzen Fotos.
Ohne großartig darüber nachzudenken, schritt ich näher und inspizierte die vielen Bilder.
Auf vielen war ein rothaariges hübsches Mädchen zu sehen, dass stets frech in die Kamera lächelte.
Das würde wohl Madison sein müssen.
Sie sah zu meinem Glück weder zickig noch anderweitig so aus, als würde ich mich nicht mit ihr verstehen können. Auf den Bildern schien sie wahnsinnig sympathisch.
Ich setzte mich zurück aufs Bett und sah zu meiner Wand und je länger ich hinsah, umso mehr bereute ich nichts persönliches zum Aufhängen mitgebracht zu haben. Dinge, die es zu meinem Zimmer machen würden.
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